Bericht über eine Kunstreise nach dem Norden im August 1832
Aus: Berliner Musikalische Zeitung. 1832
Autor: Gebrüder Belcke (?) Kammermusiker aus Leipzig, Erscheinungsjahr: 1833
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kunstreise, Bad Doberan, Heiligendamm, Mecklenburg, Rostock, 1832, Cholera, Güstrow, Grevesmühlen, Konzerte, Musikpavillion, Badeort
Der Königl. Kammermusikus Herr Friedrich Belcke unternahm mit seinem Bruder, dem Königl. Sächsischen Kammermusikus Herrn C. G. Belcke aus Leipzig, eine Kunstreise nach dem Norden: da es dem Redakteur für die Leser diese Zeitung interessant schien, eine Relation über diese Reise zu erhalten, so forderte er den Herrn F. B. auf, ihm zu diesem Behufe einige Notizen zu geben. Hr. B. war so freundlich, diese Bitte zu erfüllen, und sandte folgenden Bericht ein.
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Herr Redakteur!
Ihrem Wunsche gemäß will ich Ihnen einige Notizen meiner und meines Bruders Kunstreise geben. Nochmals erinnere ich, dass ich mich nur auf Ihr besonderes Verlangen, dazu bereitwillig finde. Überall Cholera! und eine Kunstreise? Dies waren die Worte meines Bruders aus Leipzig bei der Begrüßung, als er mich zu unserer glücklich beendeten Kunstreise hier, abholte. Ich entgegnete ihm zwar: lieber Bruder, wer nichts wagt, gewinnt nichts. Ich suchte jedoch eine gewisse Ängstlichkeit der wirklich bedenklichen Zeit wegen, zu verbergen. Mit ziemlich frohem Mute traten wir am 6. August 1832 unsere Reise nach Doberan an. In dem so freundlichen Bade-Orte glücklich angekommen, fanden wir durch Freundes Hand nicht allein eine freundliche Wohnung, sondern auch schon mancherlei Vorbereitungen zu einem dort zu gebenden Konzerte. Wenn auch gleich die Cholera so nahe, nämlich in Rostock war, schien hier doch bei unterdrückter Ängstlichkeit, ein noch ziemlich heiterer Ton unter den Resp. Badegästen zu herrschen. Die zwei hier anwesenden Gäste Herren Rüthling und Mantius aus Berlin, hatten durch ihr Auftreten im dortigen Theater alles entzückt, und den frohen Mut bis jetzt noch immer aufrecht zu erhalten gesucht. Der Herr M. D. Moser aus Berlin hatte mit seinem vortrefflichen Schüler den Königlichen Pr. Kammermusikus Hrn. Zimmermann (Violinist) in einem Konzerte im Theater große Epoche gemacht. Ein Flötist, der Königl. Großbritanisch-Hannöversche Kammermusikus Herr Heinemeyer, welcher sich im Theater im Zwischenakte hören ließ, erntete durch sein Spiel großen Beifall. Etwas ganz ausgezeichnetes für jeden Fremden (und noch dazu unendgeldlich) ist hier während der Badezeit, die alltäglich in den Vormittagsstunden von 11 bis gegen 1 Uhr stattfinde, vortreffliche Harmonie-Musik. Zu diesem Morgen-Konzerte ist der sogenannte Musik-Tempel eigends dazu gebaut und nimmt sich die Musik in demselben ganz vortrefflich aus.
Die Besetzung dieser Harmonie-Musik ist wie folgt: 3 Klarinetten, ein Bassethorn, 1 Flöte, 2 Oboen, 2 Hörner, 1 Trompete, 2 Fagotte und ein engl. Basshorn. Diese Musik wird dirigiert von dem Harmonie-Musiker und tüchtigen Klarinettisten Herrn Eichhorst — (Schüler des Klarinettisten Herrn Tausch zu Berlin). Die Stelle des verstorbenen berühmten Waldhornisten Bude, ist erst kürzlich durch dem K. Pr. Kammermusikus Herrn Bötlicher ersetzt. Die Musikstücke welche ausgeführt werden, bestehen aus den Arrangements der neusten und beliebtesten Opern; in der Ausführung bleibt hinsichtlich der Schätzung, nichts zu wünschen übrig. Unsere schönsten Aussichten von Höchster Hand gingen leider durch den plötzlichen Eintritt der unglücklichen Cholera am 12ten Aug. verloren, und ein Konzert zu veranstalten, war rein unmöglich.
Des folgenden Tages war das freundliche Doberan — fast öd' und leer. Dieser Tag wird gewiss Jedem dort Anwesenden, eingedenk bleiben. Nach einigen Tagen folgte ich einem früher aus der Nachbarstadt Güstrow erhaltenen Rufe dort ein Konzert zu geben, aber — auch hier war alles bestürzt und traurig, man zeigte eben keine Lust fremde Künstler in Konzerten zu hören. Da fast alle Orte gesperrt waren, so musste ich samt meinem Bruder hier an einem gesunden Orte eine 5tägige Quarantäne halten.
In Güstrow herrscht viel Kunstsinn, es ist dort ein recht ausgezeichneter Singeverein, unter umsichtiger Leitung des Herrn Regierungs-Sekretär Gabillon anzutreffen. Der dasige Buchhändler Opitz (ein freundlicher einsichtsvoller Mann aus Dresden, welcher sich erst seit einigen Jahren dort etabliert hat) verbindet damit zugleich einen nicht unbedeutenden Musikhandel. Der Stadtmusikus Hr. Bierwirth, ein recht fleißiger und geschickter Lehrer für junge Musiker, besitzt ein recht wackeres Musikchor. Hier hatten wir einige recht frohe Tage verlebt, und da wir aus der Umgegend die traurigsten Nachrichten über den Ausbruch der Cholera erfuhren, (nämlich fast alle Schwerinsche Städte waren gesperrt), so wie aus Rostock, Lübeck, Hamburg die traurigsten Berichte eingingen, hieß es — dass man nach Schweden und Dänemark eine 21tägige Quarantäne auf dem Schilfe abzuhalten hätte. Was war nun zu tun? zurückzukehren — wohl das beste. Es war der 5te Tag unserer abgehaltenen Quarantäne und die Reise wurde nach Wismar — nach dem wir unsern Freunden zu Güstrow noch guten Mut wegen Eindringen der Cholera zugesprochen, angetreten. Die dortigen Postwagen haben noch nicht die bequemen Einrichtungen wie unsre Preußischen, denn sie sind durchaus nicht wasserdicht, wir wurden daher eine Stunde von Wismar, als uns ein furchtbares Gewitter überraschte, so durchnässt, das wir Gott dankten, bald in den Hafen der Ruhe zu gelangen.
An dem Tore von Wismar war doppelte Wache, und Neugierige standen in Menge hier, um die Reisenden ankommen zu sehen. Der Sergeant, als er die Umstehenden entfernt hatte, rief mit starker Stimme. — Meine Herren, wo kommen Sie her, — ich bitte um Ihre Pässe; selbige hatten wir schon in Bereitschaft. Nach einer Viertelstunde (ohne aussteigen zu dürfen) bekamen wir die Pässe zurück mit der Nachricht: Meine Herren, Sie werden hier nicht eingelassen, es fehlen noch 6 Stunden an Ihrer abzuhaltenden 5tägigen Quarantäne (es war nämlich Abends 6 Uhr). Ein freundlicher Postbeamte näherte sich uns und sprach: Meine Herren, Sie können heut leicht noch einige Meilen bis Grevesmühlen zurücklegen, wozu ich Ihnen augenblicklich Extrapost besorgen will (keine andere Gelegenheit gab es hier für ankommende Fremde). Wir nahmen dies freundliche Anerbieten gern an, baten jedoch, ob es nicht erlaubt sei, den Hafen zu sehen. Dies wurde uns gestattet, doch erhielten wir zur Aufsicht eine Sicherheitswache. Nun stiegen wir mit den durchnässten Kleidern aus, und unter Bedeckung gingen wir um die Stadt herum, nach dem Hafen.
Von hier zurückgekehrt, fanden wir unsern freundlichen Postofficianten wieder, welcher schon alles zur Abfahrt nach dem Städtchen Grevesmühlen, 2 ½ Meile von Wismar, bereit gemacht hatte. Des Nachts um 11 Uhr am Stadttore angelangt, heißt es: Wo kommen Sie her, ihre Pässe; — Nun was soll das hier heißen! es ist ja, wie uns in Wismar gesagt wurde, keine Sperre hier. — Unterdessen bekamen wir die Pässe schon visiert zurück, mit der Devise: wird nicht eingelassen. — Warum nicht? — Es fehlt noch an ihrer 5tägigen Quarantäne 1 Stunde; wir möchten nur wieder umkehren, weil alle umliegenden Städte etc. seit heute gesperrt wären. Hier wollten wir nur sehen, da bloß eine Stunde noch an unserer Quarantäne fehlte, wie weit das Ding ginge. Jetzt wurde der Doktor und der Bürgermeister der Stadt geholt, eine Menge wachthabende Bürger hatten sich versammelt und das Ding sah wirklich kriegerisch genug aus. Der Hr. Doktor, war nicht fein, als er uns anredete, und die Umstehenden bat, uns zu meiden. Es ging so weit, dass man uns nicht einmal ein Glas Wasser reichen wollte, und sogar den Postillion mit Prügeln drohte. Wir bekamen hier weder Wagen noch Postpferde, und sollten unser Lager, nach Aussage des menschenfreundlichen Arztes, sogar im freien Felde nehmen. Der Herr Bürgermeister war etwas gemütlicher und freundlicher, doch die Stimme des besagten Herrn Arztes — galt mehr, als die des Herrn Bürgermeisters. Auf deutschem Boden sollte man nicht glauben, dass solche Dinge vorkämen.
Aus: Berliner Musikalische Zeitung. 1832
Ihrem Wunsche gemäß will ich Ihnen einige Notizen meiner und meines Bruders Kunstreise geben. Nochmals erinnere ich, dass ich mich nur auf Ihr besonderes Verlangen, dazu bereitwillig finde. Überall Cholera! und eine Kunstreise? Dies waren die Worte meines Bruders aus Leipzig bei der Begrüßung, als er mich zu unserer glücklich beendeten Kunstreise hier, abholte. Ich entgegnete ihm zwar: lieber Bruder, wer nichts wagt, gewinnt nichts. Ich suchte jedoch eine gewisse Ängstlichkeit der wirklich bedenklichen Zeit wegen, zu verbergen. Mit ziemlich frohem Mute traten wir am 6. August 1832 unsere Reise nach Doberan an. In dem so freundlichen Bade-Orte glücklich angekommen, fanden wir durch Freundes Hand nicht allein eine freundliche Wohnung, sondern auch schon mancherlei Vorbereitungen zu einem dort zu gebenden Konzerte. Wenn auch gleich die Cholera so nahe, nämlich in Rostock war, schien hier doch bei unterdrückter Ängstlichkeit, ein noch ziemlich heiterer Ton unter den Resp. Badegästen zu herrschen. Die zwei hier anwesenden Gäste Herren Rüthling und Mantius aus Berlin, hatten durch ihr Auftreten im dortigen Theater alles entzückt, und den frohen Mut bis jetzt noch immer aufrecht zu erhalten gesucht. Der Herr M. D. Moser aus Berlin hatte mit seinem vortrefflichen Schüler den Königlichen Pr. Kammermusikus Hrn. Zimmermann (Violinist) in einem Konzerte im Theater große Epoche gemacht. Ein Flötist, der Königl. Großbritanisch-Hannöversche Kammermusikus Herr Heinemeyer, welcher sich im Theater im Zwischenakte hören ließ, erntete durch sein Spiel großen Beifall. Etwas ganz ausgezeichnetes für jeden Fremden (und noch dazu unendgeldlich) ist hier während der Badezeit, die alltäglich in den Vormittagsstunden von 11 bis gegen 1 Uhr stattfinde, vortreffliche Harmonie-Musik. Zu diesem Morgen-Konzerte ist der sogenannte Musik-Tempel eigends dazu gebaut und nimmt sich die Musik in demselben ganz vortrefflich aus.
Die Besetzung dieser Harmonie-Musik ist wie folgt: 3 Klarinetten, ein Bassethorn, 1 Flöte, 2 Oboen, 2 Hörner, 1 Trompete, 2 Fagotte und ein engl. Basshorn. Diese Musik wird dirigiert von dem Harmonie-Musiker und tüchtigen Klarinettisten Herrn Eichhorst — (Schüler des Klarinettisten Herrn Tausch zu Berlin). Die Stelle des verstorbenen berühmten Waldhornisten Bude, ist erst kürzlich durch dem K. Pr. Kammermusikus Herrn Bötlicher ersetzt. Die Musikstücke welche ausgeführt werden, bestehen aus den Arrangements der neusten und beliebtesten Opern; in der Ausführung bleibt hinsichtlich der Schätzung, nichts zu wünschen übrig. Unsere schönsten Aussichten von Höchster Hand gingen leider durch den plötzlichen Eintritt der unglücklichen Cholera am 12ten Aug. verloren, und ein Konzert zu veranstalten, war rein unmöglich.
Des folgenden Tages war das freundliche Doberan — fast öd' und leer. Dieser Tag wird gewiss Jedem dort Anwesenden, eingedenk bleiben. Nach einigen Tagen folgte ich einem früher aus der Nachbarstadt Güstrow erhaltenen Rufe dort ein Konzert zu geben, aber — auch hier war alles bestürzt und traurig, man zeigte eben keine Lust fremde Künstler in Konzerten zu hören. Da fast alle Orte gesperrt waren, so musste ich samt meinem Bruder hier an einem gesunden Orte eine 5tägige Quarantäne halten.
In Güstrow herrscht viel Kunstsinn, es ist dort ein recht ausgezeichneter Singeverein, unter umsichtiger Leitung des Herrn Regierungs-Sekretär Gabillon anzutreffen. Der dasige Buchhändler Opitz (ein freundlicher einsichtsvoller Mann aus Dresden, welcher sich erst seit einigen Jahren dort etabliert hat) verbindet damit zugleich einen nicht unbedeutenden Musikhandel. Der Stadtmusikus Hr. Bierwirth, ein recht fleißiger und geschickter Lehrer für junge Musiker, besitzt ein recht wackeres Musikchor. Hier hatten wir einige recht frohe Tage verlebt, und da wir aus der Umgegend die traurigsten Nachrichten über den Ausbruch der Cholera erfuhren, (nämlich fast alle Schwerinsche Städte waren gesperrt), so wie aus Rostock, Lübeck, Hamburg die traurigsten Berichte eingingen, hieß es — dass man nach Schweden und Dänemark eine 21tägige Quarantäne auf dem Schilfe abzuhalten hätte. Was war nun zu tun? zurückzukehren — wohl das beste. Es war der 5te Tag unserer abgehaltenen Quarantäne und die Reise wurde nach Wismar — nach dem wir unsern Freunden zu Güstrow noch guten Mut wegen Eindringen der Cholera zugesprochen, angetreten. Die dortigen Postwagen haben noch nicht die bequemen Einrichtungen wie unsre Preußischen, denn sie sind durchaus nicht wasserdicht, wir wurden daher eine Stunde von Wismar, als uns ein furchtbares Gewitter überraschte, so durchnässt, das wir Gott dankten, bald in den Hafen der Ruhe zu gelangen.
An dem Tore von Wismar war doppelte Wache, und Neugierige standen in Menge hier, um die Reisenden ankommen zu sehen. Der Sergeant, als er die Umstehenden entfernt hatte, rief mit starker Stimme. — Meine Herren, wo kommen Sie her, — ich bitte um Ihre Pässe; selbige hatten wir schon in Bereitschaft. Nach einer Viertelstunde (ohne aussteigen zu dürfen) bekamen wir die Pässe zurück mit der Nachricht: Meine Herren, Sie werden hier nicht eingelassen, es fehlen noch 6 Stunden an Ihrer abzuhaltenden 5tägigen Quarantäne (es war nämlich Abends 6 Uhr). Ein freundlicher Postbeamte näherte sich uns und sprach: Meine Herren, Sie können heut leicht noch einige Meilen bis Grevesmühlen zurücklegen, wozu ich Ihnen augenblicklich Extrapost besorgen will (keine andere Gelegenheit gab es hier für ankommende Fremde). Wir nahmen dies freundliche Anerbieten gern an, baten jedoch, ob es nicht erlaubt sei, den Hafen zu sehen. Dies wurde uns gestattet, doch erhielten wir zur Aufsicht eine Sicherheitswache. Nun stiegen wir mit den durchnässten Kleidern aus, und unter Bedeckung gingen wir um die Stadt herum, nach dem Hafen.
Von hier zurückgekehrt, fanden wir unsern freundlichen Postofficianten wieder, welcher schon alles zur Abfahrt nach dem Städtchen Grevesmühlen, 2 ½ Meile von Wismar, bereit gemacht hatte. Des Nachts um 11 Uhr am Stadttore angelangt, heißt es: Wo kommen Sie her, ihre Pässe; — Nun was soll das hier heißen! es ist ja, wie uns in Wismar gesagt wurde, keine Sperre hier. — Unterdessen bekamen wir die Pässe schon visiert zurück, mit der Devise: wird nicht eingelassen. — Warum nicht? — Es fehlt noch an ihrer 5tägigen Quarantäne 1 Stunde; wir möchten nur wieder umkehren, weil alle umliegenden Städte etc. seit heute gesperrt wären. Hier wollten wir nur sehen, da bloß eine Stunde noch an unserer Quarantäne fehlte, wie weit das Ding ginge. Jetzt wurde der Doktor und der Bürgermeister der Stadt geholt, eine Menge wachthabende Bürger hatten sich versammelt und das Ding sah wirklich kriegerisch genug aus. Der Hr. Doktor, war nicht fein, als er uns anredete, und die Umstehenden bat, uns zu meiden. Es ging so weit, dass man uns nicht einmal ein Glas Wasser reichen wollte, und sogar den Postillion mit Prügeln drohte. Wir bekamen hier weder Wagen noch Postpferde, und sollten unser Lager, nach Aussage des menschenfreundlichen Arztes, sogar im freien Felde nehmen. Der Herr Bürgermeister war etwas gemütlicher und freundlicher, doch die Stimme des besagten Herrn Arztes — galt mehr, als die des Herrn Bürgermeisters. Auf deutschem Boden sollte man nicht glauben, dass solche Dinge vorkämen.
Aus: Berliner Musikalische Zeitung. 1832