Abschnitt 1

05 Mailand.


Meine beiden Reisegefährten, der Obrist Graf von Tauffkirchen und der Rittmeister Baron von Knecht, veranlaßten mich, mit ihnen im Albergo della Villa abzusteigen. Tags nach meiner Ankunft meldete ich mich im Schlosse bei dem Adjutanten Obristen Bataille.


Wenn ich sagen würde, daß, abgesehen von dem prachtvollen Dome, der erste Eindruck von Mailand auf mich ein angenehmer gewesen wäre, so würde ich Unwahrheit reden: die Regenzeit, die kalten steinernen Zimmerböden, der Mangel an Gelegenheit sich wärmen zu können, die gänzliche Unkenntniß der Landessprache, alles versetzte mich in eine sehr unbehagliche Stimmung.

Die Sprache der Mailänder, ihre Manieren, ihre Vielrednerei kam mir höchst wunderlich vor. Nie kann ich vergessen, wie sonderbar es mich berührte, als ich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes mich in das Lokal eines Leinwandgrundirers führen ließ, um mich nach Malrequisiten umzusehen. Der Mann war nicht zu Hause und die Frau, die mich für eine vornehme Persönlichkeit hielt, da ich in Begleitung eines Lohndieners kam, gerieth in eine solche markt schreierische Redseligkeit, daß es mir schwindelte.

„Nicht wahr,“ sagte ich im Weggehen zu meinem Begleiter, „das ist eine Jüdin?“ Er lachte laut auf und bemerkte: „Sie haben hier die ächte National-Mailänderin gesehen; sie würde es sehr übel nehmen, wenn wir sie für etwas anderes als eine gute Christin hielten.“

Mein Interesse für Mailand steigerte sich nicht sehr, nachdem ich mich mehr in der Stadt umgesehen. Außer dem herrlichen Frescobilde (das Abendmahl des Lionardo da Vinci) im Refektorium des Klosters della Grazia, welches damals noch in ziemlich gutem Zustande war, und einigen interessanten Bauten sah ich nicht viel, das die Aufmerksamkeit eines Künstlers auf sich ziehen konnte; wohl aber bemerkte ich bald, daß ich in einer Stadt mich befinde, in welcher Luxus und Wohlleben, Industrie und Handel dominiren und großer Reichthum herrscht. Das aber waren Dinge, an die ich mich erst gewöhnen mußte; bis dahin hatte ich keine Zeit noch Gelegenheit gehabt, den Geschmack hiefür in mir auszubilden.

Mein Reisegenosse von Wien bis Villach, der Secretair G., hatte viel davon gesprochen, wie angenehm ihm mein Umgang auf der Reise gewesen. Das kam auch dem Prinzen zu Ohren, und da er bald nach seiner Ankunft von Napoleon nach Paris berufen wurde, verfügte er, daß G. für mich sorgen und mich wo möglich zu sich in seine Wohnung nehmen sollte. Er hatte es sehr wohlwollend gemeint; wie aber oft die besten Absichten eines Fürsten nicht recht verstanden oder ausgeführt werden, so ging es auch hier. G. hatte wenig Raum in seiner Wohnung und fand, daß er mich nicht anständig genug logiren könne. Er brachte mich deßhalb bei einem seiner Bekannten unter, bei dem ich allerdings sehr schön logirt und so üppig verpflegt wurde, daß es mich in Verlegenheit setzte. Mein äußerst freundlicher Hauswirth war ein gewandter Italiener, der etwas französisch sprach. Ich bedeutete ihm öfters, daß ich an einen solchen Tisch nicht gewöhnt sei, daß ich einfacher zu leben wünsche und wollte wissen, wer ihn bezahle. Aber ich erhielt stets die Antwort: „Laissez moi faire!“ Bei G. hatte ich zudem offene Kasse, und ich hätte hievon viel Mißbrauch machen können, wenn ich nicht selbst klüger gewesen wäre. Diesen Zustand mußte ich einige Monate fortdauern lassen. Da aber mein Protestiren nichts half und ich überdies kein geeignetes Lokal für ein Atelier im Hause fand, so sah ich mich in aller Stille um eine passende Wohnung um, verlangte noch einmal von meinem Hauswirthe eine Rechnung; da ich abermals nichts zu hören bekam als das ewige: „Laissez moi faire!“ ließ ich einen Wagen kommen, packte meine Sachen auf und ging meiner Wege. Ich war jedoch kaum ausgezogen, so lief eine ungeheure Rechnung bei Hofe ein. Man ließ mich rufen, legte mir die Rechnung vor, und obwohl ich mich nach Kräften verantwortete, ließ man mir doch ein gewisses Befremden merken, wie eine solche Zeche veranlaßt werden könne. Das kränkte mich tief, weil ich an derselben so unschuldig war. So mußte ich in Folge meiner Unkenntniß des Lebens in der großen Welt im Umgang mit den Italienern mein erstes Lehrgeld bezahlen.

Uebrigens hatte auch diese Unannehmlichkeit, wie so vieles im Leben, ihre guten Seiten; man fand für nöthig, etwas über meine Stellung zum Hofe zu entscheiden. Es wurde mir ein annehmbarer Jahresgehalt gegeben, 1) mit dem ich für immer in den Hofetat aufgenommen ward, und besondere Bezahlung für eine jede Arbeit zugesagt, ich mußte aber versprechen, nur für den Vicekönig zu malen. Hierin lag zwar etwas Schmeichelhaftes für mich, aber es war doch nicht gut. Es führt leicht zur Einseitigkeit, wenn ein Künstler sein ganzes Leben für den Geschmack eines einzigen Liebhabers schaffen soll. Es gehört ein sehr ernstes Streben zum Vorwärtsschreiten und große Liebe zur Sache selbst, um nicht in einer solchen Stellung von der Eitelkeit, der gefährlichsten Feindin des Künstlers, unvermerkt beschlichen zu werden, besonders wenn es ihm so leicht gemacht wird, alle Wünsche zu befriedigen; denn da man bei Hof wußte, daß ich die Gunst meines Herrn in hohem Grade erworben, fehlte es mir nicht an Bewunderern. Das aber war um so schlimmer, da ich in Mailand auch nicht im entferntesten weder einen Concurrenten noch ein Vorbild in der Schlachtenmalerei fand.

In meiner neuen Behausung fühlte ich mich viel heimischer, ich wohnte zwar nicht mehr so schön wie bisher, aber passender, ich hatte gutes Licht zum Malen und wurde durch nichts abgezogen, mich wieder ernstlich der Kunst zuzuwenden. Die Aussicht von meinen Fenstern ging in einen stillen Hofraum, wo ich nichts von dem Treiben der großen Stadt sah noch hörte, auch hatte ich einen Stall für zwei Pferde, weßhalb ich mir bald ein Pferd kaufte. Das Reiten war mir zum Bedürfnisse geworden, ich mußte mich zuweilen austoben, denn mein heißes Blut war in Italien bei der fast unfreiwillig geführten Lebensweise nicht kälter geworden. Ich machte mich bald in Mailand durch mein Reiten bemerklich, da ich immer nur feurige und etwas unbändige Pferde ritt und fest im Sattel saß.

In dieser Zeit entwarf ich die Composition zu zwei großen Bildern: die Schlacht bei St. Michael in Kärnthen und die bei Raab in Ungarn, welche ich in den Jahren 1810 und 1811 zur großen Zufriedenheit meines Gebieters in Oel ausführte.

Bei Hofe fand ich an dem jüngsten Adjutanten des Vicekönigs, dem Capitain Jules de Saive, einen Freund, wie man nur selten das Glück hat, einen zu finden. Treu und anhänglich in allen Verhältnissen des Lebens, stand er mir bis zu unserer Trennung in Moskau (1812) liebreich und schützend zur Seite; seine größere Gewandtheit im Leben, sowie seine Erfahrungen kamen mir oft sehr zu statten. De Saive war ein durchaus edler, ritterlicher Charakter, ein Mann voll Sinn für alles Schöne und Gute: er zeichnete und malte für einen Dilettanten sehr artig, war musikalisch, spielte die Violine vortrefflich, hatte litterarische Bildung und war der deutschen Sprache vollkommen mächtig, mit vielen unserer Klassiker bekannt. Schiller liebte er besonders, seine Gedichte führte er fast immer bei sich. Er hatte trotz seiner Jugend schon den Krieg in Spanien mitgemacht, zeigte sich überall tapfer und erwarb sich in der Schlacht bei Raab den Orden der Ehrenlegion, später erhielt er auch den der eisernen Krone. Mit einer schönen, männlichen Gestalt ausgestattet, groß und schlank gewachsen, hatte er feine, edle Gesichtszüge, ein feuriges, weitgeöffnetes schwarzes Auge, das für die Offenheit seines Charakters und die Tiefe seiner Seele zeugte.

Schon zu Anfang meines Aufenthaltes in Mailand lernte ich eine wohlhabende, bürgerliche deutsche Familie kennen. Der Sohn des Hauses, ein angenehmer, hübscher, wohlgesitteter junger Mann, welcher sich der Kunst widmen wollte, suchte meine Bekanntschaft. Ungefähr in demselben Alter wie ich, besuchte er damals die Akademie, besaß jedoch sehr wenig Talent und war, da er schon sehr viel gelesen hatte, mehr in der Theorie als in der Praxis bewandert, was bei Ausübung der Kunst immer ein Uebelstand ist. Ich verkehrte gerne mit ihm, weil ich, weder mit den Sitten und Gebräuchen, noch mit der italienischen Sprache bekannt, an ihm, dem gebornen Mailänder, einen Führer hatte, welchem ich um so leichter vertrauen konnte, als eine strenge Rechtschaffenheit die ganze Familie charakterisirte.

Eines Tages befand ich mich mit diesem jungen Manne und seiner Mutter im Gespräch, als sich plötzlich die Thüre öffnete und ein Wesen, schlank und fein und flüchtig wie eine Gazelle, mehr herein huschte als ging. Es war ein wunderliches Gemisch von einer deutschen Jungfrau in ihrer ersten vollen Blüthe und durch und durch erwärmt von der Gluth des Südens. Eine feurige Röthe überflog ihre frischen Wangen, als sie mich erblickte. Purpurrothe, schöngeformte Lippen umschlossen ein Paar Reihen kleiner Zähne wie Perlen; funkelnde schwarze Augen ließen verrätherisch auf das schließen, was unter ihnen verborgen lag, und große, schwarze Locken, glänzend und fein wie Seide, hingen zu beiden Seiten des Kopfes bis auf die zarten Schultern herab. Ihre Gestalt war von mittlerer Größe, einem schönen Ebenmaße der Verhältnisse mit zarten Gliedern; ihre Manieren waren natürlich und ungezwungen, ihre Bewegungen lebhaft aber graziös.




1) Adam bekam einen Jahrgehalt von 2400 Lire und den Rang eines Capitains.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers