Aus Mecklenburg. Februar 1858. – Zollverein, Statistik, Auswanderung, Handelskrise, Baumgarten
Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. 8ter Jahrgang 1858. Januar-Juni.
Autor: Redaktion - Deutsches Museum, Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Landesgeschichte, Zollverein, Statistik, Auswanderung, Handelskrise, Baumgarten
Selten wird eine besondere Botschaft aus diesem Gebiete zu Ihnen gelangen, welches nicht durch seine natürliche Lage, wohl aber durch die Macht menschlicher Einrichtung und starrer Gewohnheit zu einem Insellande geworden ist. Wie das deutsche Land dem mecklenburgischen Volke eine Fremde bleibt, fast von geringerem Interesse als England oder Russland, so ist bis auf wenige Tatsachen und Erinnerungen das mecklenburgische Gebiet mit Sitte und Recht der übrigen deutschen Nation unbekannt. Und das letztere ist noch mehr der Fall als das erstere, weil hier die Aufmerksamkeit wenigstens teilweise durch Eifersucht und Furcht rege gehalten wird. Bei der geringen Teilnahme, die der Mecklenburger dem gemeinsamen Vaterlande widmet, gehört es mit zu den schlimmsten Befürchtungen, die von Zeit zu Zeit seine angeborene Ruhe zu erschüttern drohen, sein engeres Vaterland könne das Schicksal treffen, das organische Glied eines größeren Ganzen zu werden, oder wenigstens es könne einmal aufhören, durch und durch mecklenburgisch zu sein.
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Daher namentlich diese haarsträubende Furcht vor dem Zollverein, daher auch diese leidenschaftliche Abneigung gegen den Träger des Zollvereins, Preußen. In der Tat ist die Frage wegen Anschluss oder Nichtanschluss an den Zollverein die einzige von nationaler oder politischer Bedeutung, die uns bewegt, und in der sich auch eine Verschiedenheit der Gesinnung auszusprechen wagt; dieselbe wird daher auch immer von Zeit zu Zeit wieder angeregt, bleibt dabei jedoch, wie es scheint, von der Erreichung irgendeines Ziels stets gleich weit entfernt.
Auch muss zugestanden werden, dass der Anschluss an den Zollverein für die hiesigen Lande mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist, als dies bisher in irgendeinem der beigetretenen Staaten der Fall gewesen. Wie die Landesverfassung, die in dem Erbvergleich von 1755 verbrieft ist, sich daneben erhalten könnte, ist nicht wohl abzusehen. Wenn sich daher auch auf dem Landtage hier und da eine vereinzelte Stimme für den Anschluss vernehmen lässt, so ist das ebenso wenig von Bedeutung, als wenn daselbst für die Wiederherstellung des Königreichs Polens gesprochen würde; ein Hinweis auf die Konstitution, deren Sturz darin eingeschlossen liege, genügt, um alle etwaigen Gelüste gänzlich zu beseitigen. Mit derselben Hartnäckigkeit und bis jetzt auch mit demselben glücklichen Erfolg verschanzen die Feinde des Zollvereins in der Presse sich hinter der Behauptung, die Wünscher für den Anschluss hätten nicht wirtschaftliche, sondern politische Motive; mit dem Zollverein solle die ständische Verfassung gestürzt oder was dasselbe wäre, die alte mecklenburgische Erbweisheit dem Moloch der Neuzeit geopfert werden.
Eine andere, auswärts minder bekannte, aber ebenso erhebliche Schwierigkeit liegt in der Menge von binnenländischen Zollstationen, die gegenwärtig bei uns existieren und durch die den Staatsfinanzen jährlich ein bedeutender Ertrag zufließt. Die Zahl derselben beläuft sich auf 60; sie verdanken ihre Entstehung dem Jahre 1650, also den Erfahrungen, welche der Dreißigjährige Krieg an die Hand gegeben hatte. Es ist, aus dem Standpunkt der Erbweisheit, allerdings aller Ehre wert, dass diese Institute jetzt bereits ins dritte Jahrhundert hereinragen: nach erfolgtem Anschluss an den Zollverein aber würden diese inneren Schranken denn doch wohl unerträglich werden und also, um sie zu konservieren, auch hier wieder der Refrain: „kein Zollverein!“
Wird nun schließlich noch die Frage nach dem materiellen Vorteil oder Nachteil für die einzelnen Glieder der Bevölkerung angeregt, so ist wiederum einzuräumen, dass die lebende Generation einen reellen Nutzen allerdings schwerlich verspüren, wohl aber einen sehr fühlbaren positiven Schaden erleiden würde. Aber — wohl verstanden — nur die bemittelte Klasse: denn diese bezieht jetzt die ihr notwendigen Waren steuerfrei aus dem Auslande, der Kaufmann aber, der für die Masse existiert, hat Steuer zu bezahlen, er kann daher zu denselben Preisen, wofür die wohlhabende Klasse gute Waren verschreibt, der minder bemittelten nur schlechtere Ware liefern. Um aber die Masse zu beruhigen, genügen einige plumpe Schwertstreiche; mit dem Zollverein, heißt es, ziehen Fabriken übers Land und mit ihnen eine Unzahl von Lohnarbeitern, und die alte Melodie von dem notwendigen Proletariat der Fabrikarbeiter tönt hier mit ungeschwächter Kraft und versetzt alle Gemüter in Angst vor vagabundierenden Bettlerscharen, überfüllten Armenhäusern und unerschwinglicher Armensteuer. „Die ungesunden Zustände, welche Süddeutschland so elend machen, würden die Quellen des mecklenburgischen Wohlstandes verstopfen!“
Wie stark diese Quellen des mecklenburgischen Wohlstandes strömen, und welchem Teile der Bevölkerung sie zugute kommen, wird für den, der darüber im Dunkeln ist, durch die Angaben des jüngst erschienenen Staatskalenders in unzweideutiger Weise beleuchtet. Danach betrug die Bevölkerung des Großherzogtums im Jahre 1857, also nach der letzten Zählung: 539.231. Im November des Jahres 1856 belief sie sich auf 542.064. Der Überschuss der Geborenen über die Gestorbenen des Jahres 1857 beträgt 4.388; dennoch hat die Einwohnerzahl sich nicht vermehrt, sondern die Verminderung hat jenen Überschuss verschlungen und die Gesamtzahl noch um 2.833 verkürzt. Im Jahre 1851 betrug die Einwohnerzahl 542.638, also 2.407 mehr als jetzt trotz eines Überschusses an Geburten von 37.791! So kommen jetzt auf jede der 244 Quadratmeilen 2.210 Einwohner, dagegen am Schlusse des vorigen Jahres (d. h. 1856) 2.221 1/2, also für die Quadratmeile 11 1/2 weniger. Aber kein Land stellt ein größeres Auswanderungskontingent als Mecklenburg; im Jahre 1856 wanderten 5.560 Personen aus, im Jahre 1857 ist die Zahl der Heimatsmüden stärker gewesen als je. Die Art der Verminderung ergibt sich zum Teil aus folgender Zusammenstellung der Bewohner:
Im Jahr 1856: Domänen: 205.520; ritterschaftl. Güter: 136.669; Klostergüter: 8.997 Städte: 176.886: städtische Güter: 13.965
Im Jahr 1856: Domänen: 204.259; ritterschaftl. Güter: 135.860; Klostergüter: 9.061 Städte: 175.987: städtische Güter: 14.064
Man sieht leicht, wo die Verminderung am stärksten aufgetreten ist; die Gründe hier noch speziell anzugeben, würde uns zu weit führen, wenigstens für diesmal. Noch eins: der Staatskalender hat die Freude berichten zu können, dass das Verhältnis; der unehelichen Kinder zu den ehelichen in den Geburten sich „wiederum“ verbessert habe; unter 17.600 Geborenen waren nur 3.332 uneheliche, also ein uneheliches auf 4 1/3 eheliche. 1856 war nämlich das Verhältnis; 1:4 1/11, aber 1855 war es 1:4 1/5. Was übrigens die Verminderung der Einwohnerzahl in den Städten betrifft, so fällt sie hauptsächlich auf die kleineren Städte, unter den größeren ist nur Wismar mit dabei beteiligt. Gerade in diesen kleineren mecklenburgischen Städten aber ist am wenigsten Stoff zu einer gesunden Entwicklung vorhanden; einige nehmen seit einer Reihe von Jahren an Einwohnerzahl ab und in demselben Maße schwindet Wohlstand und Lebensfähigkeit. Am wenigsten ist die Schuld an diesen Missverhältnissen der großherzoglichen Regierung beizumessen; diese ist im Gegenteil eifrig bemüht, Handel und Gewerbe zu heben und, wo möglich, die verjährten Hindernisse aus dem Wege zu räumen.
Die große Geld- und Handelskrisis ist wunderbar glücklich für Mecklenburg, d. h. für den mecklenburgischen Grundbesitzer vorübergegangen. Gegen Schluss des vorigen Jahres ließ der Landtag durch eine Kommission berechnen, wie viel fremdes Kapital etwa den inländischen Grundbesitz belaste. Als die Summe bekannt wurde, entstand Staunen und Furcht: sie belief sich auf 19 Millionen Thaler! Aber es ist dennoch kein Unglück von Bedeutung geschehen.
Über die Entlassung des Professors Baumgarten, welche außer in Mecklenburg eine so laute Teilnahme hervorgerufen hat, ist feit einigen Wochen die Schrift der Behörde, die ihn entfernt hat, im Druck erschienen: ob er selbst sich verteidigen wird, ist fraglich. Es war nämlich in der offiziellen Entlassungsschrift bemerkt, dass der Fortbezug des Gehalts von dem weiteren Verhalten des Betroffenen abhängen werde. Wie man sagt, wird einer seiner Freunde für ihn mit einer Rechtfertigung auftreten. Der nächste Schaden ist wohl der, dass im nächsten Semester die Exegese des Alten Testaments auf der Universität zu Rostock gänzlich schweigt bis auf die der kleinen Propheten.
Auch muss zugestanden werden, dass der Anschluss an den Zollverein für die hiesigen Lande mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist, als dies bisher in irgendeinem der beigetretenen Staaten der Fall gewesen. Wie die Landesverfassung, die in dem Erbvergleich von 1755 verbrieft ist, sich daneben erhalten könnte, ist nicht wohl abzusehen. Wenn sich daher auch auf dem Landtage hier und da eine vereinzelte Stimme für den Anschluss vernehmen lässt, so ist das ebenso wenig von Bedeutung, als wenn daselbst für die Wiederherstellung des Königreichs Polens gesprochen würde; ein Hinweis auf die Konstitution, deren Sturz darin eingeschlossen liege, genügt, um alle etwaigen Gelüste gänzlich zu beseitigen. Mit derselben Hartnäckigkeit und bis jetzt auch mit demselben glücklichen Erfolg verschanzen die Feinde des Zollvereins in der Presse sich hinter der Behauptung, die Wünscher für den Anschluss hätten nicht wirtschaftliche, sondern politische Motive; mit dem Zollverein solle die ständische Verfassung gestürzt oder was dasselbe wäre, die alte mecklenburgische Erbweisheit dem Moloch der Neuzeit geopfert werden.
Eine andere, auswärts minder bekannte, aber ebenso erhebliche Schwierigkeit liegt in der Menge von binnenländischen Zollstationen, die gegenwärtig bei uns existieren und durch die den Staatsfinanzen jährlich ein bedeutender Ertrag zufließt. Die Zahl derselben beläuft sich auf 60; sie verdanken ihre Entstehung dem Jahre 1650, also den Erfahrungen, welche der Dreißigjährige Krieg an die Hand gegeben hatte. Es ist, aus dem Standpunkt der Erbweisheit, allerdings aller Ehre wert, dass diese Institute jetzt bereits ins dritte Jahrhundert hereinragen: nach erfolgtem Anschluss an den Zollverein aber würden diese inneren Schranken denn doch wohl unerträglich werden und also, um sie zu konservieren, auch hier wieder der Refrain: „kein Zollverein!“
Wird nun schließlich noch die Frage nach dem materiellen Vorteil oder Nachteil für die einzelnen Glieder der Bevölkerung angeregt, so ist wiederum einzuräumen, dass die lebende Generation einen reellen Nutzen allerdings schwerlich verspüren, wohl aber einen sehr fühlbaren positiven Schaden erleiden würde. Aber — wohl verstanden — nur die bemittelte Klasse: denn diese bezieht jetzt die ihr notwendigen Waren steuerfrei aus dem Auslande, der Kaufmann aber, der für die Masse existiert, hat Steuer zu bezahlen, er kann daher zu denselben Preisen, wofür die wohlhabende Klasse gute Waren verschreibt, der minder bemittelten nur schlechtere Ware liefern. Um aber die Masse zu beruhigen, genügen einige plumpe Schwertstreiche; mit dem Zollverein, heißt es, ziehen Fabriken übers Land und mit ihnen eine Unzahl von Lohnarbeitern, und die alte Melodie von dem notwendigen Proletariat der Fabrikarbeiter tönt hier mit ungeschwächter Kraft und versetzt alle Gemüter in Angst vor vagabundierenden Bettlerscharen, überfüllten Armenhäusern und unerschwinglicher Armensteuer. „Die ungesunden Zustände, welche Süddeutschland so elend machen, würden die Quellen des mecklenburgischen Wohlstandes verstopfen!“
Wie stark diese Quellen des mecklenburgischen Wohlstandes strömen, und welchem Teile der Bevölkerung sie zugute kommen, wird für den, der darüber im Dunkeln ist, durch die Angaben des jüngst erschienenen Staatskalenders in unzweideutiger Weise beleuchtet. Danach betrug die Bevölkerung des Großherzogtums im Jahre 1857, also nach der letzten Zählung: 539.231. Im November des Jahres 1856 belief sie sich auf 542.064. Der Überschuss der Geborenen über die Gestorbenen des Jahres 1857 beträgt 4.388; dennoch hat die Einwohnerzahl sich nicht vermehrt, sondern die Verminderung hat jenen Überschuss verschlungen und die Gesamtzahl noch um 2.833 verkürzt. Im Jahre 1851 betrug die Einwohnerzahl 542.638, also 2.407 mehr als jetzt trotz eines Überschusses an Geburten von 37.791! So kommen jetzt auf jede der 244 Quadratmeilen 2.210 Einwohner, dagegen am Schlusse des vorigen Jahres (d. h. 1856) 2.221 1/2, also für die Quadratmeile 11 1/2 weniger. Aber kein Land stellt ein größeres Auswanderungskontingent als Mecklenburg; im Jahre 1856 wanderten 5.560 Personen aus, im Jahre 1857 ist die Zahl der Heimatsmüden stärker gewesen als je. Die Art der Verminderung ergibt sich zum Teil aus folgender Zusammenstellung der Bewohner:
Im Jahr 1856: Domänen: 205.520; ritterschaftl. Güter: 136.669; Klostergüter: 8.997 Städte: 176.886: städtische Güter: 13.965
Im Jahr 1856: Domänen: 204.259; ritterschaftl. Güter: 135.860; Klostergüter: 9.061 Städte: 175.987: städtische Güter: 14.064
Man sieht leicht, wo die Verminderung am stärksten aufgetreten ist; die Gründe hier noch speziell anzugeben, würde uns zu weit führen, wenigstens für diesmal. Noch eins: der Staatskalender hat die Freude berichten zu können, dass das Verhältnis; der unehelichen Kinder zu den ehelichen in den Geburten sich „wiederum“ verbessert habe; unter 17.600 Geborenen waren nur 3.332 uneheliche, also ein uneheliches auf 4 1/3 eheliche. 1856 war nämlich das Verhältnis; 1:4 1/11, aber 1855 war es 1:4 1/5. Was übrigens die Verminderung der Einwohnerzahl in den Städten betrifft, so fällt sie hauptsächlich auf die kleineren Städte, unter den größeren ist nur Wismar mit dabei beteiligt. Gerade in diesen kleineren mecklenburgischen Städten aber ist am wenigsten Stoff zu einer gesunden Entwicklung vorhanden; einige nehmen seit einer Reihe von Jahren an Einwohnerzahl ab und in demselben Maße schwindet Wohlstand und Lebensfähigkeit. Am wenigsten ist die Schuld an diesen Missverhältnissen der großherzoglichen Regierung beizumessen; diese ist im Gegenteil eifrig bemüht, Handel und Gewerbe zu heben und, wo möglich, die verjährten Hindernisse aus dem Wege zu räumen.
Die große Geld- und Handelskrisis ist wunderbar glücklich für Mecklenburg, d. h. für den mecklenburgischen Grundbesitzer vorübergegangen. Gegen Schluss des vorigen Jahres ließ der Landtag durch eine Kommission berechnen, wie viel fremdes Kapital etwa den inländischen Grundbesitz belaste. Als die Summe bekannt wurde, entstand Staunen und Furcht: sie belief sich auf 19 Millionen Thaler! Aber es ist dennoch kein Unglück von Bedeutung geschehen.
Über die Entlassung des Professors Baumgarten, welche außer in Mecklenburg eine so laute Teilnahme hervorgerufen hat, ist feit einigen Wochen die Schrift der Behörde, die ihn entfernt hat, im Druck erschienen: ob er selbst sich verteidigen wird, ist fraglich. Es war nämlich in der offiziellen Entlassungsschrift bemerkt, dass der Fortbezug des Gehalts von dem weiteren Verhalten des Betroffenen abhängen werde. Wie man sagt, wird einer seiner Freunde für ihn mit einer Rechtfertigung auftreten. Der nächste Schaden ist wohl der, dass im nächsten Semester die Exegese des Alten Testaments auf der Universität zu Rostock gänzlich schweigt bis auf die der kleinen Propheten.