Aus Hamburg. Mitte September. 1851. - Stadtgeschichte, Charakter, Heinrich Heine

Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. 1ter Jahrgang 1851. Januar-Juni.
Autor: 1851
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hamburg, Stadtgeschichte, Charakter, Heinrich Heine
Mitten in dem Treiben der Handelsstadt, der Rastlosigkeit des Erwerbs und dem Stolz des Besitzes, machen die österreichischen Uniformen einen durchaus fremdartigen, keineswegs imposanten Eindruck. Der militärische Lärm, der hier doch bloß das dolce far niente des Gamaschendienstes begleitet, verschwindet gegen den Lärm der Arbeit, mit welchem ein alle Zonen umfassender Handel die Straßen Hamburgs erfüllt. Der österreichische Patriotismus, der von Wien und dem Kaiser phantasiert, hat etwas Kleinstädtisches gegenüber dem Weltbürgertum, durch welches selbst das Hamburger Proletariat sich auszeichnet, dem Valparaiso, Pernambuco, Buenos Ayres, New-York und Kanton so geläufig sind wie dem österreichischen Soldaten Wien und Prag.

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So vermochte denn auch die Glorie des Kaisertums, welche hier am letzten Geburtstag des Monarchen durch Kanonendonner, große Parade, und Festessen den Hamburgern in Erinnerung gebracht wurde, dieselben nicht aus ihrer Gleichgültigkeit gegen die prunkenden Schaustellungen des Absolutismus aufzurütteln. Sie versammelten sich zwar zahlreich, ihr ganzes Benehmen jedoch während der Messe und der Parade zeigte, dass das große militärische Schauspiel auf sie keinen andern Eindruck machte, als etwa ein Feuerwerk auf dem Uhlenhorst. Der Hamburger hat nun einmal keine Empfänglichkeit für die Poesie der Militärstaaten. Irre ich nicht, so war es der Schicksalstragöde Müllner, der von allen Gattungen von Lärm die Musik für diejenige erklärte, die ihm die liebste. Ähnlich geht es dem Hamburger mit dem Sirenengesang des Absolutismus. Er amüsiert sich über den Lärm, voilà tout! Was dagegen die kaiserlich königliche Politik betrifft. —

„Lady, an dem ist eure Kunst verloren!“

So tüchtig das österreichische Militär daher auch sein mag, so kann es hier doch durchaus keine Sympathien gewinnen. Die Wiener Gemütlichkeit macht keine Proselyten, seitdem die neueste Geschichte gelehrt, zu welchem Terrorismus dieselbe sich unter Umständen aufzuschwingen vermag. Auch entfalten die hierstehenden Regimenter zu viele slawische Elemente, welche für die Hamburger vollkommen ungenießbar sind. Hin und wieder findet man unter den Gemeinen irgend einen assentierten ungarischen Freiheitskämpfer, einen Baron oder Grafen, der in der weißen Kommis-Jacke vor seinem Sergeanten die Honneurs machen muss, während er zu Hause über zehn bis zwölf Dörfer herrscht, deren Zinsen die Zulage zu seinem Kreuzersold bilden. Der Geburtsadel aber hat in Hamburg gar keine Geltung, die Kandidaten der ersten städtischen Würden müssen ihn sogar ablegen, da er mit diesen nicht vereinbar ist. Die österreichische Militäraristokratie, wenn sie auch ungleich mehr Bonhommie und Zutulichkeit besitzt und weniger eifersüchtig über ihre privilegierte Stellung wacht, als die preußische, hat doch nicht die Ritterlichkeit, Tournüre und Bildung der letzteren, um sich in geselligen Kreisen den Vorrang zu sichern. Was sind überhaupt für den Hamburger reichen Kaufmann diese Hauptleute und Leutnants anders als Proletarier im Sold des Kaisers, denen ihre dürftigen pekuniären Verhältnisse nicht erlauben, hier eine Rolle zu spielen oder nur im entferntesten mit den Ansprüchen der Hamburger großen Welt Schritt zu halten? Man behandelt sie als Gäste, aber nicht einmal als willkommene Gäste, besonders seit den unseligen Vorgängen in St. Pauli, in denen der militärische Terrorismus sich auf eine das Hamburger Selbstgefühl so tiefverletzende Weise geltend gemacht hat! Aus einem Streit, wie er in der Chronik des Hamburger Bergs und seiner Mysterien zu den Tagesbegebenheiten gehört, wurde eine Lyoner Mitraillade; das österreichische Kleingewehrfeuer lieferte der freien Stadt Hamburg den Beweis, dass sie faktisch im Belagerungszustand sei. Zwar nahm selbst der Senat die Rechte der Stadt mit Entschiedenheit wahr; doch diese Genugtuung so wenig wie das Versöhnungsbankett, welches die österreichischen Generale Legeditsch und Schlick und die Hamburger Bürgermeister und Senatoren, unter dem Vorsitz des Erzherzogs Albrecht, zu Ehren des Kaisers gegeben, hat eine freundlichere Stimmung der Hamburger Bevölkerung gegen die ungeladenen Gäste hervorzurufen vermocht. Selbst jetzt, obgleich es den Anschein hat, als wolle der Bundestag die Rechte Holsteins wahren und als ob die österreichische Besatzung hier liege, um den Beschlüssen des Bundestags den nötigen militärischen Nachdruck zu geben, bleibt das Verhältnis, zwischen dem Volk und den fremden Soldaten gespannt und unheimlich; die Hamburger sehen ihre Einquartierung immer nur als eine polizeiliche Dragonade an und mögen sich von den Experimenten der österreichischen Staatskunst nur ungern in ihrer Ruhe stören lassen. —

Was indes die inneren Angelegenheiten des Hamburger Freistaates betrifft, so ist bisher die fremde Besatzung ohne allen Einfluss auf sie geblieben. So wenig die Constituante mit einer Radikalreform der Hamburger Verfassung durchzudringen vermochte, so wenig lässt sich die Bürgerschaft zu Konzessionen an die Kontrerevolution verleiten. Die Constituante wollte bekanntlich die Hamburger Verfassung vereinfachen, welche einen wahren Reichtum an konstitutionellen Gewalten und Garantien darbietet, zur Freude aller Staatskünstler, welche dies Schaukelsystem anbeten; durch weise Verteilung von Druck und Gegendruck erhält sich die Hamburger Staatsmaschine in einem zwar langsamen, aber sichern Gang. Nicht weniger kompliziert ist die Verwaltung, welche in eine Menge einzelner Deputationen sich zersplittert, denen allen ein Mitglied des Senates präsidiert. Dadurch laufen zwar alle Fäden der Administration in dem Senat zusammen, aber sonst auch soweit auseinander, dass in Wahrheit für jede städtische Angelegenheit ein eigener Aeropag besteht. Dies Eldorado der Hamburger Staatsweisheit zu zerstören, gelang der Constituante nicht! der allgemeine Umschwung der politischen Verhältnisse ließ Alles beim Alten, aber weiter zurück will der Hamburger auch nicht. Er ist konservativ, nicht reaktionär. Am wenigsten huldigt er einer, auf der Stahl -Gerlach'schen Rechtstheorie beruhenden Reaktion, und die Überschwänglichkeit der christlich-germanischen Richtung, welche das Zifferblatt der Zeit mit mystischen Chiffern beschreibt und dann den Zeiger zurückschiebt, findet hier gar keinen Boden, weil das feudalistische Junkerelement, welches jene Richtung fördert und trägt, hier nicht vorhanden ist. Der gesunde Sinn der Bürgerschaft hat daher ein drakonisches Pressegesetz verworfen, welches der Senat, durch äußere Einflüsse bestimmt, oktroyieren wollte. Ebenso steht bei der nächsten Versammlung der Bürgerschaft in Aussicht, dass die Mischehen zwischen Juden und Christen von ihr gestattet und für rechtsgültig erklärt werden; ferner, dass der Zwang und die Pflicht, im Hamburger Bürgermilitär zu dienen, auf die Hamburger Bürgerssöhne beschränkt werde, während bis jetzt Jeder, der sich längere Zeit in Hamburg aufhält, diesem Akte unterworfen war.

Was aber am deutlichsten den unabhängigen Sinn der Hamburger bekundet, das ist die Wahl des Dr. Versmann zum Vizepäsidenten des hiesigen Handelsgerichts. Die hiesige Kaufmannschaft hat das Präsentationsrecht der Kandidaten zu dieser Stelle, der Senat unter ihnen die entscheidende Wahl. Dr. Versmann ist ein junger Advokat von dreißig Jahren, früher Präsident der konstituierenden Versammlung und Holstein'scher Freischärler, der auf der Dronning Maria gefangen saß, ein Mann von entschieden demokratischer Färbung, der somit, während die deutsche Kontrerevolution überall in Blüte steht, zu einer der ersten Hamburger Staatsstellen befördert wird. Selbst der Nepotismus der preußischen Bürokratie kann es nicht wagen, die am meisten begünstigten Assessoren, die Arbeiter der Herren Stahl und Gerlach, im Alter von dreißig Jahren zu irgend einer Präsidentenstelle zu befördern, und die jüngeren preußischen Justizbeamten werden mit Neid auf die glänzende Karriere sehen, die ein Hamburger Jurist mit Antecedentien, welche die preußischen Conduitenlisten in Schrecken setzen würden, auf vollkommen loyalem Wege machen kann. —

Man kann von Hamburger Verhältnissen nicht sprechen, ohne Heinrich Heines zu gedenken, der noch jüngst in seinem „Wintermärchen“ Hamburgs erhabene Göttin Hammonia aristophanisch verherrlicht hat. Von Heine sind jetzt neueste Gedichte unter der Presse, die von der Campe'schen Verlagsfirma herausgegeben werden. Heine, den einige Reisende bereits zu einem Betbruder machten oder wenigstens auf sein Krankenlager den Schimmer himmelnder Verklärung fallen ließen, zeigt in diesen Gedichten eine ungebrochene Jugendlichkeit und Ungebundenheit seines Humors, dessen Koboldsprünge noch kecker als früher die moralischen und politischen Nippestischchen über den Haufen werfen. Die geniale Liederlichkeit der Heine'schen Muse findet sich darin ebenso wieder, wie jene erhabene Weihe und Begeisterung, jene Zartheit der Empfindung, welche einzelnen Heine'schen Liedern ihren unnachahmlichen Reiz verleihen. Dem Charakter und der Richtung nach unterscheiden sich diese Gedichte nicht von den früheren: es ist die Auflösung der Romantik, welche die Traumgestalten einer phantastischen Weltanschauung an ihrer eigenen Schattenhaftigkeit vergehen lässt. Dieser Kampf mit der Romantik, welche die geistige Quintessenz der großen europäischen Restauration bildet, kann weder als ein veralteter noch als ein vergeblicher angesehen werden. Dabei ist Heine, wie in seinen früheren Gedichten, auch hier einer der glücklichsten Romantiker, der über den traulichen, märchenhaften Ton wie über die feenhafte, phantastische Verzauberung mit Meisterschaft gebietet. Wir wüssten keinen der romantischen Heroen, der die volkstümliche Form und die Magie ihrer Wendungen so geschickt zu treffen weiß, wie Heine. So sind einzelne seiner Gedichte zarthingehauchte romantische Schaumblasen, in denen eine ganze bunte Traumwelt sich spiegelt, bis das moderne Bewusstsein die tönernen Pfeifen zerschlägt, aus denen eine kindliche Zufriedenheit ihre schillernden Glückskugeln bläst. Die Ironie, diese Lieblingsform der Romantik, die sie gegen Alles kehrte, wird von Heine gegen sie selbst gekehrt. Dies moderne Bewusstsein ist bei ihm noch so frisch und burschikos, als wäre er eben erst den Göttinger Studentenjahren entwachsen und lümmelt sich noch rüstig auf allen Fechtböden der Zeit. Heines Talent ist in mancher Beziehung plastischer geworden, es ergeht sich gern in größeren epischen Dichtungen, die aber stets in eine humoristische Pointe auslaufen. Auf der andern Seite hat er auch seine estnische Richtung ausgebildet. Doch sein Zynismus wird nie plump, wie der von Blumauer, er wird durch die Grazie des Witzes stets wieder ans dem Sumpf gezogen. Heines alte Freunde, Maßmann, Dingelstedt u. a. sind nicht vergessen. Mitten unter den Saturnalien des Witzes und den Gelagen eines zügellosen Humors, wo die nackte Nymphenbedienung nicht fehlt, bricht oft ein elegischer Ton hindurch, der dann doppelt wehmütig, doppelt ergreifend wirkt. Der mit den Göttern hadernde Prometheus am Felsen ist eine alte Mythe; doch ein an das Schmerzenslager gefesselter Aristophanes, dem alle Geier nicht den Humor und das dichterische vaticinium aus der Leber zu hacken vermögen, ist eine neue, wundersame Erscheinung.

Wie in der Literatur, begrüßen wir soeben auch in der Kunst eine bedeutende Erscheinung: den Tenoristen Roger, der das Hamburger Publikum durch seine Leistungen entzückt. Roger ist ein dramatischer Sänger, kein bloßer Gesangsvirtuose, der auf der Bühne wie im Konzertsaal agiert und sich mit der Kunst durch glückliche Stimmbegabung und Nachtigallentriller abzufinden wähnt. Es ist nicht der bloß musikalische Schwung, welcher die ganze Skala beherrscht und die Töne kopfüber durch alle Oktaven stürzen lässt oder mit melodischer, seelenvoller Gewalt sie zu bannen versteht — es ist die höhere, künstlerische Einheit seiner Leistung, durch welche Roger einen so hohen Rang unter den Tenoristen der Gegenwart einnimmt. — Doch hat, wie mir noch eben zur rechten Zeit einfällt, Ihr Berliner Korrespondent Ihnen über diesen Gegenstand bereits früher ausführlich und mit der gebührenden Anerkennung geschrieben. Ich breche daher hier für heute ab, indem ich mir vorbehalte, über die anderweitigen Theaterverhältnisse Hamburgs das nächste Mal zu berichten. Kläglich genug, so viel kann ich schon jetzt davon verraten, sind dieselben freilich; außer Roger, der la Grange und der künstlerischen Treibhausflora des Kinderballetts der Mad. Weiß, führt die Bühne in den Sommermonaten nur ein Pflanzenleben, wie sie denn überhaupt nur durch Förderung der jüngeren dramatischen Produktion und durch Engagement neuer Mitglieder fürs Schauspiel einen wirklichen und dauernden Aufschwung nehmen könnte.

Dampfschiff

Dampfschiff "Helgoland"

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Dampfschiff "Helgoland" - Salon

London Tavern und die Aktien-Dampfzuckersiederei in St. Pauli

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Der Schiffspavillon in St. Pauli

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Der Altonaer Hafen am Fischmarkt

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Milchewer

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Grasewer

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Rainvilles Garten

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Partie aus Neumühlen

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Blankenese

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Finkenwärder Fischer

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