Aphorismen und Miszellen. 237 bis 240.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
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mehr, wo die Philadelphias und Pinettis auch die aufgeklärtesten Menschen in Erstaunen setzten; zwar ergötzen wir uns noch bei ihren Taschenspielerstreichen, aber wir verwundern uns nicht mehr darüber. Nur die Männer der hohen Polizei, diese politischen Schwarzkünstler haben nichts von ihrer Zuversicht verloren, und sie behandeln uns noch immer wie dummes Volk. Sie beschwören Geister, verwandeln Könige in Buben, eskamotieren Brieftaschen – und damit glauben sie uns Furcht und Ehrfurcht einzuflößen. Wir andern haben das auch gelernt, wir wissen einen Hohlspiegel zu gebrauchen, können die Volte schlagen und haben unsere Gevattersleute so gut wie sie. In der dunklen Kammer der hohen Polizei wird jetzt manchmal lustige Wirtschaft getrieben. Einst hatten sich drei Schelme zusammengetan, einen Freund zu necken und zu ängstigen. Sie umgaben sich mit weißen Tüchern, traten in sein Schlafzimmer und hielten da einen schauerlichen Gespenstertanz. Aber der Freund war noch schelmischer als sie. Er wickelte sich unbemerkt in sein Bettuch, sprang leise aus dem Bette und mischte sich in den Tanz der Geister, so daß diese mit entsetzlichem Geheule davonliefen. Die Herren Schwarzkünstler sind zwar sehr verschwiegen, man hat es aber doch erfahren, daß ihnen in verschiedenen Ländern auch solche Streiche begegnet sind.

238. Eines jener somnambülen deutschen Blätter, die im Traume alles wissen und daher niemals unwissend sind, lobt die alte konstitutionelle Monarchie England und wirft der französischen konstitutionellen Monarchie ihre Jugend vor. Möchte es uns doch in seiner nächsten Ekstase darüber belehren, wie man alt werden könne, ohne durch die Jugend zu gehen! Es sagt: „Es müssen Generationen verschwinden (wenn anders die französische Verfassung so lange die Probe aushält, und die öffentliche Stimme nicht früher den Wunsch laut werden läßt, zur rein monarchischen Form zurückzukehren), bis die französischen Abgeordneten das Wesen einer Volksrepräsentation recht begreifen und durch ihre Stellung die Mängel einer solchen Regierungsweise weniger schädlich machen werden.“ Es sagt ferner: das französische Volk sei ganz verwildert seit dreißig Jahren. Es sagt weiter: man wäre in Frankreich der Verhandlungen der Kammer herzlich müde, und der Tag, an welchem die Sitzung geschlossen werde, wäre jedesmal erwünscht ... Was soll durch solche Berichte bezweckt werden? Das ist das Geheimnis. Doch man muß nicht gleich das Schlimmste denken. Sterbenden zieht man das Kissen unter dem Kopfe weg, man tröpfelt ihnen Wein ein, man tut gar manches menschenfreundliche, um eine Euthanasie zu befördern.

239. Ja, keusch, kalt und blaß wie der Mond ist das deutsche Volk; keusch, weil kalt, kalt, weil blaß und blaß, weil blutleer. Doktor Howard in Amerika hat entdeckt, daß die Strahlen des Monds Wärme haben; doch nur durch ein Brennglas gelang es ihm, auf das Thermometer einzuwirken. Wo gibt es aber ein Brennglas, groß genug, sich über die Köpfe von dreißig Millionen Menschen auszubreiten? Der Befreiungskrieg war ein solches, Napoleon sagte damals, die Deutschen hätten das Fieber, und wir spotteten des Spötters; jetzt fällt der Spott auf uns zurück. Man fühle der öffentlichen Meinung den Puls, man lese die deutschen Zeitblätter! Wasser, Essig oder eine fade Tisane überall. Wer Geist hat, gibt ihn; doch kann man den ganzen Tag über den Zeitungen sitzen, man ist am Abend so dumm, als man am frühen Morgen war. Welche Leere oder welche wulstige Fülle, es müßte denn einmal das Schicksal selbst mitarbeiten und etwas Knallendes geschehen lassen, oder es müßte ein geistreiches Wort aus Frankreich herübergeschrieben werden. Die armen Zeitungsschreiber! Wird ihnen einmal ein offizieller Knochen vorgeworfen, wie sie darüber herfallen und ihn zernagen! Was in der offenen Staatskanzlei des Himmels geschieht, das sehen und hören sie nicht. Sie schiffen ohne Kompaß auf dem Weltmeere der Geschichte, und selbst die Besten unter ihnen, wie Görres, verstehen nur nach den Sternen ihren Lauf zu richten und wissen sich bei umwölktem Himmel nicht zurechtzufinden. Man weiß nicht, soll man mehr über die Engherzigkeit der Gedanken oder über die Weitschweifigkeit der Reden trauern. So las man in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 14. Dezember einen Artikel aus Frankfurt, dessen Inhalt ich in folgenden wenigen Zeilen vollständig auszudrücken unternehme. „Dem Antrage, die auf den 2. November bestimmte Eröffnung des Bundestages bis zum 7. Dezember zu vertagen, wurde in der am 21. November gehaltenen Sitzung der Bundesversammlung durch Abstimmung beigetreten.“ Dieser kurze Bericht wird am genannten Orte zu hundertdreiundfünfzig eng gedruckten Zeilen ausgedehnt! Ich habe aus stilistischem Forschungstriebe dreimal den Artikel gelesen und konnte das Geheimnis seiner Abfassung nicht entdecken ... O die armen Zeitungsschreiber: Was ihnen die Türken für Not machen; Krieg, Friede – sie können diese Wörtchen nicht ausschreiben, mitten in der Silbe kommt ein Widerruf, und sie werden wie die Bälle hin und her geworfen. Es ist das wahre griechische Feuer, das sie beseelt, denn es brennt im Wasser fort. Sagt ihr etwa: die Zensur hindert uns? Aber die Zensur hindert doch keinen, für die Fürstlichkeit zu sprechen, und geschieht das mit mehr Sinn und Geist? Man vergleiche gewisse Zeitungen mit dem Journal des Debats. Oder sagt ihr, die französischen Schriftsteller hat die Revolution zur Redekunst gebildet? Ist denn die Revolution für euch nicht dagewesen? Muß man in den Septembertagen einen Bruder verloren haben, muß man im Bicètre gesessen oder ausgewandert gewesen sein, um von der Revolution Bildung zu gewinnen? Das rechte Gemüt mangelt euch, das ist es; denn der Kopf ist nur der Arm des Herzens. Uns von der Politik abzuwenden – seht, mit welcher Begeisterung ganz Frankreich von jenen würdigen Männern spricht, die sich in Barcelona eingeschlossen und ihr Leben dem allgemeinen Wohle, vielleicht auch nur ihrer Wißbegierde, vielleicht auch nur ihrem Ehrgeize zum Opfer dargeboten haben. Doch was sie auch getrieben, sie haben der Menschheit genutzt und werden als Sieger in ihr Vaterland zurückkehren. Ganz Paris streckt seine Arme nach ihnen aus, und festlicher Empfang wird ihnen bereitet. Noch ihre Söhne werden sich des Ruhmes und des Lohnes erfreuen, den sich die Väter durch ihre Tugend erwarben. Selbst die Akademie, diese ängstliche Schnürbrust des französischen Geistes, hat zu ihrem Dichterpreise die Hochherzigkeit jener Ärzte gewählt. Was wäre in einem solchen Falle in Deutschland geschehen? Man hätte im Lande herumgebettelt und so viel gesammelt, den hinterlassenen Waisen der Ärzte einige Brezeln zu kaufen. – In die stille Seele einiger Frankfurter war der Blitz eingeschlagen und zündete, und da beschlossen sie, ihrem Mitbürger Goethe ein Denkmal zu setzen. Sie bettelten um Geldbeiträge im ganzen deutschen Bunde, ja bis nach Moskau, bis an die Säulen des Herkules gedachten sie ihre Bettelbriefe zu schicken. Ich weiß nicht, ob es geschehen ist, aber das weiß ich: Goethe wird kein Denkmal erhalten, es müßte denn die Nachwelt sich der Jämmerlichkeit ihrer Väter schämen und errötend nachholen, was noch gut zu machen ist. Geht, ihr müßt anders werden. So taugt ihr nichts.

240. Will der Spott nur Registrator sein im Archive der Lächerlichkeiten, um sie uns aufzubewahren, dann übernimmt er ein schädliches Amt, welchem der stärkste Tadel zukommt. Eine begangene Lächerlichkeit ist ein Verbrechen des Geistes, das zur Abschreckung anderer zwar bestraft werden muß, aber auch Mitleiden verdient und Belehrung erheischt. Beweinenswerter ist ja wohl niemand als der Mensch, dem das Los zugeteilt ward, lächerlich zu sein.