Anmerkungen zum Problem des Klimawandels

Nachfolgenden Bericht über diese interessante Arbeit entlehnen wir dem „Naturforscher“.
Autor: Dufour., Erscheinungsjahr: 1870
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Klima, Klimaveränderung, Klimaschwankungen, Klimaänderungen, Temperaturbeobachtungen, Klima,
Dufour. Notes sur le problème de la variation du climat. Bull. de la Soc. Vaudoise, X. Lausanne. 1870

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Zweifellos haben während den geologischen Epochen die Klimate der Länder sehr bedeutende Schwankungen erlitten; die Belege, welche die Paläontologie zur Stütze dieses Satzes beibringt, sind unabweislich und wir brauchen unseren Lesern nicht erst Beispiele zu nennen. Es ist daher die Frage wohl berechtigt, ob auch in unserer historischen Zeit das Klima Änderungen in einem bestimmten Sinne durchgemacht habe.

Diese Frage suchte man zunächst an der Hand der an einzelnen Orten längere Zeit hindurch fortgesetzten Temperaturbeobachtungen zu lösen. Die zu diesem Zwecke verwendbaren Tatsachen sind zunächst die Beobachtungen in den Kellern des Pariser Observatoriums. Diese zeigen eine ziemlich konstante Temperatur von 11,8° während etwa 90 Jahren und lassen eine ebenso gleichbleibende Lufttemperatur vermuten. Dann hat Glaisher die Temperaturbeobachtungen für London von 1770 bis 1860 berechnet und daraus gefunden, dass die mittlere Temperatur gestiegen sei und zwar von 8,72° auf 9,44°. Hingegen kam Dove für Berlin wieder zu dem Resultate, dass die mittlere Temperatur von 1848 bis 1865 auf 0,01° übereinstimmt mit der mittleren Temperatur, die sich aus 137 Jahren berechnet. Endlich hat Loomis für New-Hafen die mittlere Temperatur aus Beobachtungen von 1778 bis 1820 und von 1821 bis 1865 berechnet; erstere war 7,6°, letztere 7,52°.

Diese Tatsachen sprechen mindestens nicht entschieden für eine deutliche Änderung der Temperatur in dem letzten Jahrhundert. Bedenkt man aber die Ungenauigkeit der ersten Thermometer und namentlich das von Dove nachgewiesene Gesetz, dass jede bedeutende Abweichung vom Mittel an einem Orte der Erde kompensiert wird durch eine andere im entgegengesetzten Sinne an einem andern Orte, so verlieren die Temperaturbeobachtungen jeden Wert für die Entscheidung obiger Frage.

Man hat es daher versucht, aus anderen Momenten einen sicheren Schluss abzuleiten, und hat besonders das Vorkommen und die Kultur von Pflanzen, z. B. des Weinstocks, in bestimmten Gegenden mit der jetzigen Kultur derselben Gegenden zusammengestellt. Aber auch diese Schlüsse sind hinfällig und könnten höchstens einen Beitrag liefern für die Ermittlung, ob das Klima eines bestimmten Ortes konstant geblieben oder nicht.

Wir besitzen daher gegenwärtig gar keine Anhaltspunkte, um die allgemeine Frage nach der Änderung des Klimas der Erde zur Entscheidung zu bringen und können nur hoffen, dass die gegenwärtigen, über einen großen Teil der Erdoberfläche sich erstreckenden Temperaturbeobachtungen späteren Geschlechtern die Mittel an die Hand geben werden, dieses Thema gründlich zu bearbeiten. Günstiger scheinen die Verhältnisse für die Ermittlung der Frage, ob das Klima eines bestimmten Landes in historischer Zeit sich geändert habe. Eine solche Untersuchung hat Herr Professor Dufour in Lausanne für die Schweiz angestellt und in einer längeren Abhandlung im Bulletin de la Société vaudoise des Sc. nat. Tome X. veröffentlicht.

Die thermometrischen Beweismittel sind in der Schweiz, wie anderswo, zu jungen Datums, um einiges Licht über diese Streitfrage zu verbreiten. Zieht man die längsten Beobachtungsreihen zu Rate, z. B. die in Genf seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, so bekommt man für die Periode 1768 bis 1797 und von 1796 bis 1825 nahezu gleiche Werte, während das Mittel aus den Jahren bis 1866 zwar einen halben Grad niedriger ist; aber die Beobachtungen der letzten Periode sind mit ganz anderen, genaueren Instrumenten und zu anderen Tageszeiten angestellt. Eine wirkliche Änderung des Klimas wird daher durch sie nicht erwiesen. In gleicher Weise zeigt für Basel das Temperaturmittel aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts denselben Wert, wie das jetzige Mittel. Nicht minder erfolglos sind die Betrachtungen der Temperaturen der einzelnen Jahreszeiten; diese zeigen zwar in kurzen Epochen oft nicht unbeträchtliche Unterschiede, aber in längeren Perioden schrumpfen diese Differenzen auf sehr geringe Werte zusammen. – Man muss jedoch eingestehen, dass eine Differenz, die uns so klein erscheint, dass wir glauben, sie ganz unberücksichtigt lassen zu dürfen, dennoch eine bedeutende Änderung des Klimas repräsentieren würde, wenn sie in gleichem Sinne, durch eine lange Zeit andauerte. Ein Unterschied von einem Zehntel Grad in 20 Jahren würde in zwei Jahrhunderten schon einen ganzen Grad und in tausend Jahren bereits fünf Grad ausmachen. Nehmen wir aber eine solche Änderung an, dann hätte die Schweiz im 11. oder 12. Jahrhundert entweder das Klima des südlichen Frankreich oder von Stockholm gehabt, was entschieden nicht der Fall war; es bleibt somit nur die Möglichkeit, dass das Klima im Laufe der Zeiten Oscillationen durchmacht, für deren Existenz wir uns nach andern Beweismitteln umsehen müssen.

Dufour erörtert nun die Frage, ob die obere Vegetationsgrenze sich in den historischen Zeiten geändert habe. Eine ganze Reihe sorgfältig gesammelter Dokumente ergibt zweifellos den Schluss, „dass die Grenze der Wälder an vielen Stellen der Alpen gegenwärtig niedriger ist, als sie früher gewesen. Die Kraft und die Ertragsfähigkeit der hochgelegenen Weideplätze scheint in gleicher Weise geringer geworden zu sein“. Welchen Anteil an dieser Erscheinung aber das Eingreifen des Menschen in die Entwicklung der Vegetation, und welchen eine Änderung des Klimas hat, lässt sich nicht mit absoluter Schärfe entscheiden. Hier sichere Anhaltspunkte zu sammeln, ist ein würdiger Gegenstand weiterer Forschung. Es kommt jedoch das Sinken der Vegetationsgrenze an Punkten vor, an denen die Mitwirkung des Menschen mindestens höchst unwahrscheinlich ist, so dass wir eine Änderung des Klimas, und zwar eine Abkühlung in der letzten Zeit vermuten dürfen.

Die Verbreitung der wild wachsenden Pflanzen der Jetztzeit ergibt im Vergleiche mit den früheren Zeiten, aus dem Ende des vorigen und dem Anfang des jetzigen Jahrhunderts, dass viele Pflanzen ganz geschwunden, andere in ihrer Menge reduziert sind. Diese Tatsache könnte in demselben Sinne gedeutet werden, wie das Sinken der Vegetationsgrenze. Da aber auch hier die Momente, welche die geographische Verbreitung der Pflanzen bedingen, sehr zahlreich und ihre Wirkung nicht bekannt genug ist, kann man auf diese Tatsache gleichfalls keinen Schluss über die Änderung und Konstanz des Klimas basieren.

Die Kulturpflanzen, welche am meisten der Willkür des Menschen unterworfen zu sein scheinen, geben gleichwohl für unsere Frage sehr interessante Momente, die Herr Dufour sorgsam zusammengetragen. Es existieren nämlich über den Beginn der Weinlese für bestimmte Gegenden der Schweiz obrigkeitliche Bestimmungen, welche bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Eine Zusammenstellung der jährlichen Bestimmungen der Behörden über den Beginn der Weinlese in Lausanne ergibt, dass vom 16. bis zum 18. Jahrhundert eine sehr auffallende Änderung eingetreten. Im Allgemeinen hat sich dieser Termin vom 16. zum 18. Jahrhundert verspätet. Diese Verspätung war besonders während des 17. Jahrhunderts sehr beträchtlich und zeigte den höchsten Wert im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts. Auch die Genfer Archive lehren, dass dort der Beginn der Weinlese im 16. Jahrhundert ein sehr früher gewesen, er fiel nämlich in den September, und dies in Übereinstimmung mit den für Lausanne sich ergebenden Resultaten. Nichts desto weniger kann man auch hierauf keine sichern Schlüsse basieren. Denn wie vielfach die Momente sind, welche auf den Beginn der Weinlese von Einfluss sind, zeigt die interessante Tatsache, dass gegen das Ende des 17. Jahrhunderts, in welcher Epoche die obige Zusammenstellung eine so bedeutende Verspätung der Weinlese ergibt, zahlreiche Einwanderungen aus dem südlichen Frankreich in Folge der Religionskriege stattgefunden und die neuen Einwanderer haben sicherlich die Eingebornen dahin unterrichtet, dass der Wein besser wird, wenn man die Traube erst im überreifen Zustande einsammelt. Aus all diesen Betrachtungen und entwickelten Tatsachen resümiert Herr Dufour nachstehende Sätze:

„1. Die Verringerung der Vegetation und besonders der Waldvegetation in den hohen Alpen kann verschiedenen Ursachen zugeschrieben werden. Unter diesen befindet sich eine Änderung des Klimas. Wenn diese letztere Ursache wirklich wirksam ist, zeigen die beobachteten Tatsachen, dass das Klima im Sinne einer Verschlechterung sich verändert hat.

2. Die Tatsache, dass der Weinstock einst an mehreren Punkten unseres Landes kultiviert worden, wo gegenwärtig diese Kultur verschwunden ist und wo der Weinstock schlecht fortkommen würde, kann neben anderen Ursachen auch aus einer Änderung des Klimas abgeleitet werden. Wenn die letztere Ursache eine reelle ist, dann würde dies Aufhören der Weinkultur beweisen, dass das Klima sich im Sinne einer Verschlechterung geändert hat.

3. Die Änderung der Epoche der Weinlese in den Weinbergen des Leman-Beckens seit drei Jahrhunderten kann gleichfalls verschiedenen Ursachen und unter diesen einer Änderung des Klimas zugeschrieben werden. Wenn diese Änderung wirklich einen teilweisen Einfluss geübt, so würden die Vergleichungen zwischen der gegenwärtigen Epoche und dem 16. bis 18. Jahrhundert eine deutliche Verschlechterung des Klimas in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und während des 18. nachweisen, eine Verschlechterung, der seit etwa 100 Jahren weniger ungünstige Verhältnisse gefolgt sind.

4. Die drei vorstehenden Schlüsse sind nicht streng gleichlautend; aber sie bieten gleichwohl darin im Allgemeinen eine Übereinstimmung, dass sie alle auf die Vermutung hinweisen, dass die gegenwärtigen klimatischen Bedingungen weniger günstig sind, als im 16. und im Beginne des 17. Jahrhunderts. Diese Übereinstimmung kann betrachtet werden als eine Präsumption, die der Hypothese günstig ist, dass das Klima sich wirklich geändert hat.

5. Die zahlreichen Unsicherheiten, welche diesem ganzen Gegenstande anhaften, erlauben nicht die Änderung des Klimas als erwiesen anzunehmen. Aber zweifellos bleibt die Frage eine offene und die gewöhnliche Behauptung vieler Meteorologen unserer Zeit, dass das Klima sich nicht ändere, ist unter allen Umständen keine berechtigtere Konsequenz bekannter Tatsachen, als die entgegengesetzte Behauptung.

Sonne

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Zukünftiges Wetter aus dem Mondschein zu erkennen

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