Altwiener Bilderbuch

Zweiundsiebzig Ansichten nach alten Stichen – Eingeleitet von Dr. Christine Touaillon
Autor: Touaillon, Christine Dr. (1878-1928) österreichische Literaturhistorikerin, Schriftstellerin und Feministin, war Vorstandsmitglied in der internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit etc., Erscheinungsjahr: 1909
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wien, Stadtbeschreibung, Bauwerke, Stadtgeschichte, Denkmäler,

Die der Einleitung vorangestellte Leiste ist eine Verzierung am Friese des Portals der Stefanskirche nachgebildet.

Viel tiefer, als wir es selbst wissen, ruhen die Wurzeln unseres Seins in der Vergangenheit. Sie hält uns mit unzerreißbaren Banden, sie schüttet zugleich Schmerzen, Trost und Hoffnung über uns aus; alles aber, was sie umschließt, scheint uns gelöst und von dem grellen und Lauten des Tages gereinigt, scheint uns dem geheimnisvollen Ursprung der Dinge unendlich näher zu liegen als die Gegenwart. Es ist, als ob die Vergangenheit uns Aufschlüsse geben könnte, die uns die Gegenwart versagt. Und gerne lauschen wir den leisen Tönen, die aus längst vergangenen Tagen herüberklingen, gerne geben wir uns der Sehnsucht und der Wehmut hin, die das Entschwundene ausströmt. Dann tauchen vor unserem Blick enge und winkelige Gässchen auf, alte Plätze, die im Sonnenglanz seltsam verlassen daliegen und mit ihnen zugleich Jahrhunderte, in denen unsere Seele noch in tiefen Träumen schlief. Wir sehen fremde und doch vertraute Gestalten durch die Gassen gehen, wir sehen stille Menschen auf der Bank vor hochgiebligen Häusern sitzen und in die Sommernächte hineinträumen und mit leiser Trauer der Tage gedenken, in denen andere Geschlechter leben werden.

Die Ruprechtskirche. 004
Sie ist die älteste Kirche Wiens; unter Heinrich Jasomirgott wird sie zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Im Jahr 1436 wurde sie umgebaut, auch später wiederholt restauriert, so dass kaum mehr als die Hauptmauern und wenige Fenster auf den alten Bau zurückgehen- Sie ist jetzt die polnische Nationalkirche.

Nun sind diese Tage gekommen. Sie wissen wenig mehr vom Vergangenen. Darum möchte dieses Buch Entschwundenes aus den Zeiten, in die kein Gedenken mehr reicht, aufs Neue entstehen lassen; es möchte liebe Erinnerungen auffrischen und das, was im Wien des 20. Jahrhunderts noch an die Vergangenheit mahnt, aus dem Lärm und der Helle der Gegenwart herauslösen, damit es erscheine, wie es damals war.

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Liebe und vertraute Sagengestalten beleben Wien, als es zum ersten Mal aus dem Dunkel der Jahrtausende auftaucht, und um das Bild des uralten Städtchens schlingt sich Glück und leid der Nibelungen. Denn in Wien hält der Hunnenkönig Etzel Hochzeit mit Kriemhilde; durch die krummen und engen Gassen, deren kleine hölzernen Häuser von den hohen Mauern und tiefen Gräben umschlossen sind, reiten er und der edle Rüdiger von Bechelaren an der Spitze glänzenden Erfolges. Hochzeitspracht und Hochzeitsfreude erfüllen die kleine Stadt, aber mitten in allem Glanze gedenkt Kriemhilde der Tage, da sie als Siegfrieds selige Frau am Rheine weilte, und ihre Augen werden nass. In Pracht und Jubel fällt ein düsterer Schatten, wütende Rachgier ballt drohend die Faust. Und als nach dem Feste die Edlen in glänzender Rüstung und kostbaren Waffen aus Wiens Toren reiten, da wird manchem von ihnen das Herz schwer, ohne dass er weiß warum. Schweigend reitet der Zug dahin, bis er sich endlich in der Ferne in der Ferne verliert, wo undurchdringliche Wälder die Straße begrenzen. Mit ihm zugleich versinkt auch das sagenumschleierte Wien, über dem sich die Nebel der Vergangenheit gelichtet hatten, wieder auf Jahrhunderte in der Flut des Vergessens.

Wien im Jahre 1483. 011
Das Bild, welches ein im Stift Klosterneuburg befindliches Gemälde wiedergibt, ist von der Leopoldstadt aus aufgenommen. Das Tor im Vordergrunde ist das alte Rotenturmtor vor seinem Umbau von 1511; hinter ihm erhebt sich der rote Turm, der am äußersten Ende der heutigen Rotenturmstraße stand und der wichtigste auf der Donauseite der Stadt war.

Flammen des Krieges mussten es sein, die das Dunkel wieder erhellten. Entsetzte Flüchtlinge bringen plötzlich Kunde von unheimlichen Fremden, die auf kleinen Pferden herbeisausen, giftige Pfeile abschießen und wieder verschwinden, ehe man sie recht gesehen. Namenloses Grauen erfüllt die Stadt, die täglich von Raub, Mord und Verstümmelung hört und den Abglanz brennender Gehöfte furchtbar am Himmel aufsteigen sieht. Kaum sind die Fremdlinge mühsam besiegt und zurückgeworfen, so stürmen sie schon wieder über das Land. Nach langen Jahren erst findet Wien die ersehnte Ruhe.

Langsam färbt sich nun das Bild der Stadt freundlicher und heller. Die Fürsten des Landes erbauen eine Burg in der Mitte Wiens und umgeben sie mit schützenden Wällen, neue Häuser wachsen empor, dem heiligen Rupert wird ein Kirchlein geweiht, die dunklen Wälder ringsum lichten sich und auf frisch gerodetem Erdreich wächst gelbes Korn. Reben klettern an den Hügeln hinauf und vom Leopoldsberg sieht eine Burg herab und spiegelt sich in den Wellen der Donau.

Noch immer lag Wien in tiefer Einsamkeit, ein abgeschiedener Vorposten deutscher Kultur. Spärlich waren die Straßen, die es mit dem Mutterlande verband, dicht noch immer die Wälder, die es umgaben, zahlreich die Sümpfe, die sich in seiner Nähe erstreckten. Selten nur sah es Fremde in seinen Mauern, wenig vernahm es von der Welt, bis jene Tage kamen, in denen unermessliche Heereszüge vor seinen Toren Einlass begehrten.


Ritter in goldglänzender Rüstung, des Waffentragens ungewohnte Bürger, Greise und Kinder, in deren Augen ein verzückter Schimmer lag: alle geeint durch das rote Kreuz, das auf ihre Schultern geheftet war. In Wien hielten die Befreier des heiligen Grabes Rast, in Wien trafen die frommen und abenteuerlustigen Fürsten einander, und noch einmal entfaltete sich hier blendender Glanz, bevor die Kreuzfahrer unsicheren Schicksalen entgegenzogen. Die Wiener staunten das fremdartige Gepränge an und manchen ergriff die heilige Begeisterung. Fromme Glut im Herzen, von Sehnsucht nach unbekannten Fernen gelockt, folgte er dem Heere und ah noch einmal wehmütig auf die Heimatstadt zurück, die wohlgeborgen hinter ihren Wällen lag, über denen sich schon manches Türmlein erhob und in deren Nähe sich schon manches Türmlein erhob und in deren Nähe stille Klöster jedem Frieden versprachen, der der falschen Minne der Frau Welt müde geworden war.

Indessen ist Wien aus einem armen und unbekannten Städtchen zur Residenz der Babenberger geworden. Seine engen Mauern weichen einem erweiterten Mauerkreise, überall erheben sich Kirchen und in der Mitte der Stadt legt herzog Heinrich Jasomirgott den Grundstein zum Gotteshause, das dem heiligen Stefan geweiht ist. Dankbar empfindet Wien den Segen, den ihm der Schutz seiner Fürsten gewährt. ZU Weihnachten 1227 reitet Herzog Leopold durch die Straßen; da drängt sich Alt und Jung heran und küsst die Decke seines Pferdes, Die Bürger gehen ihm entgegen, um ihn festlich zu empfangen. Die Goldschmiede bringen ihm goldene Gürtelschnallen, mit kostbaren Steinen geziert, die Kaufleute Pelzwerk, die Krämer seidene Gewänder, feines Gebäck tragen die Bäcker, die Fleischhauer führen ihm dreißig Rinder zu.

Auch für den wonniglichen Hof zu Wien waren Tage des Glanzes gekommen. Ehrfürchtig staunte das Volk die Gestalten an, die in herrlichen, mit Gold und Edelsteinen besetzten Gewänder durch die Straßen zogen; mit vertraulichen Zurufen begrüßte es die Spielleute, die mit der Fiedel folgten. Am Fürstenhof aber erklangen die Saiten der Harfe und ritterliche Sänger sangen von der Frau, die ihrem Falken das Gefieder mit Gold umwunden hatte und der doch in ferne Lande entflog, und von dem Vogel auf dem Lindenzweig, der die Liebenden weckt. Ritter und Edelfrauen lauschten den Liebesklagen Reinmars des Alten, den schalkhaften Tanzliedern des Tannhäuser, dem seine Herrin süßen Lohn versprochen hatte, wenn er der Donau ihr Rauschen nehme, und den süßen Gesängen Walters von der Vogelweide, der das herzliche Fräulein pries, dessen gläsernes Ringlein ihm lieber war als das Gold einer Königin.

Altwiener-Bilderbuch 000 Cover

Altwiener-Bilderbuch 000 Cover

Altwiener-Bilderbuch 000 Cover_

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Altwiener-Bilderbuch 005_

Altwiener-Bilderbuch 005_

Altwiener-Bilderbuch 012 Die Hofburg im Jahre 1556

Altwiener-Bilderbuch 012 Die Hofburg im Jahre 1556

Altwiener-Bilderbuch 012 Wien im Jahre 1490

Altwiener-Bilderbuch 012 Wien im Jahre 1490

Altwiener-Bilderbuch 013 Der hohe Markt mit der Schranne um das Jahr 1500

Altwiener-Bilderbuch 013 Der hohe Markt mit der Schranne um das Jahr 1500

Altwiener-Bilderbuch 014 Die Stefanskirche und der Stefansfreythof

Altwiener-Bilderbuch 014 Die Stefanskirche und der Stefansfreythof

Altwiener-Bilderbuch 015 Der Heiltumsstuhl

Altwiener-Bilderbuch 015 Der Heiltumsstuhl

Altwiener-Bilderbuch 015 Die Schottenkirche und ihre Umgebung im 16. Jahrhundert

Altwiener-Bilderbuch 015 Die Schottenkirche und ihre Umgebung im 16. Jahrhundert

Altwiener-Bilderbuch 016 Die Peterskirche in ihrer ältesten Gestalt

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Altwiener-Bilderbuch 017 Der Freisingerhof

Altwiener-Bilderbuch 017 Der Freisingerhof

Altwiener-Bilderbuch 017 Der Passauerhof

Altwiener-Bilderbuch 017 Der Passauerhof

Altwiener-Bilderbuch 018 Wien im Jahre 1642

Altwiener-Bilderbuch 018 Wien im Jahre 1642

Altwiener-Bilderbuch 019 Wien während der Türkenbelagerung im Jahre 1683

Altwiener-Bilderbuch 019 Wien während der Türkenbelagerung im Jahre 1683

Altwiener-Bilderbuch 021 Der Wirtschaftshof der Schotten im Jahre 1672

Altwiener-Bilderbuch 021 Der Wirtschaftshof der Schotten im Jahre 1672

Altwiener-Bilderbuch 021 Die Dorotheerkirche und das Kloster im 17. Jahrhundert

Altwiener-Bilderbuch 021 Die Dorotheerkirche und das Kloster im 17. Jahrhundert

Altwiener-Bilderbuch 022 Die Schottenkirche im 17. Jahrhundert

Altwiener-Bilderbuch 022 Die Schottenkirche im 17. Jahrhundert

Altwiener-Bilderbuch 023 Der Graben im Jahre 1719

Altwiener-Bilderbuch 023 Der Graben im Jahre 1719

Altwiener-Bilderbuch 024 Die Freiung im Jahre 1720

Altwiener-Bilderbuch 024 Die Freiung im Jahre 1720

Altwiener-Bilderbuch 025 Die k. k. Winterreitschule im Jahre 1735

Altwiener-Bilderbuch 025 Die k. k. Winterreitschule im Jahre 1735

Altwiener-Bilderbuch 026 Der innere Burgplatz im Jahre 1725

Altwiener-Bilderbuch 026 Der innere Burgplatz im Jahre 1725

Altwiener-Bilderbuch 027 Das Palais des Prinzen Eugen in den Jahren 1724-1730

Altwiener-Bilderbuch 027 Das Palais des Prinzen Eugen in den Jahren 1724-1730