Altfreiheit und Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen - 3. Die landrechtliche Verfassung und die Verbreitung der Freiheit im Gebiete des Bistums.
Aus: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
Autor: Wittich, W. (?-?) Straßburg, Erscheinungsjahr: 1909
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Gesellschaft, Wirtschaftsgeschichte, Sozialgeschichte, wirtschaftliche Zustände, Entwicklung, Nationalökonomie, Sozialwissenschaft, Demokratie, Wirtschaftspolitik, Dienstbarkeit, Klassen, Schichten, Adel, Arbeiterklasse, Wissenschaft, Mittelalter, Verkehrswege, Wikinger, Hanse, Hansa, Hansestädte, Schifffahrt, Hansebund, Handelsgesellschaften,
Noch war die alte landrechtliche Verfassung, die uns der Sachsenspiegel überliefert hat, in ihren Grundzügen erhalten. Diese landrechtliche Verfassung hatte zwei Grundpfeiler, auf denen sie ruhte, und mit deren allmählichem Verschwinden sie ebenfalls langsam in sich zusammensank. Diese Grundpfeiler waren die freien Grundeigentümer und das Grafengericht, das echte Ding des Gaues oder Grafschaftsbezirks. Betrachten wir zunächst das Grafengericht. Es ist bekannt, dass gerade im Diözesangebiet des Hildesheimer Bischofs zahlreiche Gaue mit allen dazugehörigen Rechten durch kaiserliche Schenkung in das Eigentum der Kirche übergegangen waren 22). Diese Grafenrechte behielt der Bischof zum Teil in unmittelbarem Besitz und eigener Verwaltung, zum Teil gab er sie den angesehenen Edelherren der Umgegend zu Lehen. Außerdem befanden sich im Gebiet, d. h. in der Diözese, auch fremde Gaue, sei es, dass der Kaiser sie den Fürsten oder Grafen zu Lehen gegeben, sei es, dass er sie den benachbarten Kirchen geschenkt hatte 22). Auch diese Kirchen gaben ihre Komitate an Große zu Lehen. So finden wir im Sprengel der Hildesheimer Kirche zunächst unter der unmittelbaren Verwaltung des Bischofs stehende Gebiete, kurz bischöfliche Grafschaftsbezirke. Ferner gab es vom Bischof zu Lehen gehende Grafschaften und schließlich Grafschaften, die entweder vom Kaiser oder aber von einer auswärtigen Kirche verliehen waren. Besonders im südlichen Teil der Diözese, wo die Reichsabtei Gandersheim zahlreiche Komitate kraft kaiserlicher Schenkung besaß, gab es zahlreiche Grafschaften, die zu dem Hildesheimer Bischof in keiner Beziehung standen 22). Die spätere Entwicklung war die, dass der Bischof die sämtlichen innerhalb seiner Diözese belegenen Grafschaftsrechte in seiner Hand vereinigte, und damit sein weltliches Herrschaftsgebiet bis zu den Grenzen seines kirchlichen Bezirks ausdehnte. Zur Zeit unserer Betrachtung, also am Ende des 12. Jahrhunderts, war diese Entwicklung erst in ihren Anfängen. Überall im Stiftsgebiet war die weltliehe Herrschaft des Bischofs durch seine eigenen oder fremde Lehnsgrafen unterbrochen. Betrachten wir sie jetzt einzeln.
Von Osten angefangen war es zunächst die Grafschaft Schiaden im Leragau, die sich im Besitz eines Grafengeschlechtes gleichen Namens befand, das höchst wahrscheinlich mit den Edelherren von Dorstadt eines Stammes war 23). Im Westen und Süden der Grafschaft Schladen lagen die umfangreichen Grafschaften Wöltingerode und Woldenberg im Besitz des mächtigen Grafengeschlechts von Woldenberg 24). Sie umfassten eine Reihe von Gauen, nämlich den südlichen Teil des Leragaues, Salzgau, Densigau, Ambergau und mindestens einen Teil des Gaues Flenithi 24). Die meisten dieser Grafschaftsbezirke der Woldenberger waren Lehen der Abtei Gandersheim 24). Jedoch gehörten sie zur Diözese Hildesheim und wurden auch später sämtlich von den Hildesheimer Bischöfen für das Bistum erworben 24). Noch im Gau Flenithi lag die Grafschaft Bodenburg, die ein gleichnamiges Geschlecht wohl ebenfalls als hildesheimisches Lehen innehatte 25). Im Südwesten der Diözese ist hauptsächlich die Grafschaft Homburg 26) zu nennen; die übrigen Grafschaften dieser Gegend, besonders Winzenburg und Poppenburg, sind als Grafengerichtsbezirke unter eigenen Grafen nicht bekannt 27). Die kleinen Gaue im Westen und Südwesten, wie Aringau, Gudingau, Valothungen und Scotelingen, die das Bistum durch königliche Schenkung erworben hatte, blieben zum größten Teil unverliehen 27). Im Norden der Stadt Hildesheim dehnte sich fast über die ganze Breite der Diözese der umfangreiche Gau Astfala oder Ostfalon (auch Valen genannt) aus 28). Auch dieser Gau, in dem die Stadt Hildesheim selbst lag, war dem Bischof durch königliche Schenkung zugefallen 28). Der größte Teil dieses Gaues verblieb unter der unmittelbaren Herrschaft des Bischofs; nur im Norden die sogenannte große, östlich davon die sogenannte kleine Grafschaft waren bischöfliche Lehen der Grafen von Lauenrode 28), ferner im Nordosten die Grafschaft Peine, ein bischöfliches Lehen des gleichnamigen Grafengeschlechts 29), und schließlich lag ebenfalls im Nordosten eine Grafschaft am Ris 20), die die Grafen von Woldenberg vom Bischof zu Lehen trugen. Auch diese Grafschaften wurden sämtlich bis auf die große Grafschaft der Grafen von Lauenrode im Laufe des 18. Jahrhunderts von den Bischöfen zurückgekauft. Die Grafschaftsbezirke fielen selten mit den alten Gauen zusammen, vielfach umfassten sie mehrere Gaue, sehr häufig nur Teile von solchen. Innerhalb dieser Grafschaften hielt nun der Graf als Richter und Vorsitzer an altherkömmlichen Dingstätten (unter der Linde, unter der Eiche, auf bestimmten Bergen oder Hügeln oder an Brücken) das sogenannte echte Ding oder Grafengericht ab. Dieses fand an jeder Dingstätte dreimal im Jahre als sogenanntes ungebotenes Ding statt. Da jede Grafschaft mindestens drei echte Dingstätten hatte, so wurde alle sechs Wochen etwa ein echtes Ding abgehalten, das für den ganzen Bezirk der Grafschaft zuständig war. Das echte Ding war das ordentliche Gericht für alle Prozesse und Auflassungen über Eigengüter ohne Rücksicht auf die Größe des Objekts und den Stand des Besitzers, soweit diese Güter im Bezirk der Grafschaft gelegen waren. Alle freien Grundeigentümer des Grafschaftsbezirks waren berechtigt, bei dem echten Ding zu erscheinen, und aus ihrer Zahl wurden die Urteilsfinder, die Schöffen, genommen. Wie weit sich die Pflicht, beim Gericht zu erscheinen, die sogenannte Dingpflicht, erstreckte, ist streitig 31). Die freien Grundeigentümer bildeten in doppelter Weise die Existenzbedingung für das echte Ding oder Grafengericht. Zunächst erschöpfte sich die Kompetenz des Grafengerichts so gut wie völlig in der Rechtsprechung über ihr freies Grundeigentum 32). Ferner lieferten sie die Schöffen, den wichtigsten Bestandteil des echten Dings. Aus sämtlichen Teilen unseres Untersuchungsgebietes sind uns nun Nachrichten überliefert, die das Bestehen dieser Grafschaftsverfassung unzweifelhaft erscheinen lassen. Der höchst verdienstvolle Geschichtsforscher Lüntzel hat in seinem für die Zeit mustergültigen Werk „Die ältere Diözese Hildesheim" die alte Gauverfassung im ganzen Stiftsgebiet in allen Einzelheiten nachgewiesen. Für unsere Betrachtung ist nur der Nachweis noch zu führen, dass im 12. Jahrhundert überall die Zahl der freien Grundeigentümer, obwohl schon beträchtlich zusammengeschmolzen, doch noch immer erheblich war).
Beginnen wir wieder mit dem Osten, so scheinen besonders in dem Herrschaftsgebiet der Grafen von Woldenberg und der Grafen von Schladen die freien Eigentümer sehr zahlreich gewesen zu sein. Diese Grafschaftsgebiete umfassten, soweit das Bistum Hildesheim in Betracht kommt, die alten Gaue Leragau, Saltgau, Densigau und Ambergau. So hören wir aus dem östlichen Teil dieses Gebietes von den umfangreichen Eigengütern der später dienstmännischen Familie von Burgdorf zu Thiedwardingerode, Lewe, Eilenrode und Dornten (beide bei Goslar) und zu Goslar 34). In Dorstadt lagen, abgesehen von den umfangreichen Eigengütern der Grafenfamilien von Dorstadt-Schladen, zahlreiche Eigengüter kleinerer Freier 35). Wir erfahren dies aus zwei Urkunden des Bischofs Adelog von 1174 und 1175, die das Begräbnisrecht der verschiedenen, an diesem Ort befindlichen Kirchen ordneten. Die Familie des Edelherrn Arnold von Dorstadt hatte eine der heiligen Cäcilie geweihte Kirche daselbst errichtet. Die am Ort wohnenden Freien kauften sich von dem Begräbniszwang der Mutterkirche durch Hingabe einer halben Hufe Landes los und erhielten das Recht, sich gleich dem Geschlecht des Arnold in der Cäcilienkirche begraben zu lassen. In der zweiten Urkunde wird den Freien das gleiche Recht bestätigtzugleich fügt der Bischof bei, dass an den Freigütern (libera bona), die etwa eigen (propria facta fuerint) geworden seien, also wohl durch Ergebung des Eigentümers in die Hörigkeit oder Ministerialität das Recht der Freigüter verloren hatten, die Kirche der heiligen Cäcilie ihr Recht behalten solle. Auf eine Interpretation dieser höchst merkwürdigen Urkunde können wir hier nicht eingehen. Sicher ist, dass zahlreiche Freie mit Freigütern vorhanden gewesen sein müssen, deren Zahl allerdings durch Ergebungen sich fortwährend verminderte.
Ein Ort mit starkem Freigutsbesitz war ferner das Dorstadt benachbarte Flöthe 36) (Groß- und Kleinflöthe). Hier lag das Stammgut und sonstiger umfangreicher Eigenbesitz der angesehenen altfreien Familie von Flöthe-Covot (Kuhfuß); ferner waren hier begütert die Freiengeschlechter von Glinde und de Piscina (von dem Dike). Die Herren von Flöthe und von Piscina traten später 37) in die hildesheimische Dienstmannschaft ein; die Herren von Glinde, deren Heimat in der Grafschaft Mühlingen lag, wurden Ministerialen des Erzstifts Magdeburg 37). Über ein Mitglied der Familie von Flöthe ist uns eine urkundliche Nachricht erhalten, die mit seltener Deutlichkeit das Rechtsverhältnis der altfreien Familien einer Grafschaft zum Grafen und den Übergang dieser Familien aus der Freiheit in die Ministerialität darstellt. Die Familie von Flöthe gehörte zu den freien und schöffenbaren Familien der Grafschaft Woldenberg. Zwischen 1230 und 1240 beurkundete nun Graf Heinrich von Woldenberg den Tausch oder Wechsel zweier Frauen, von denen die eine, Jutta von Flöthe, als Spross des alten Freiengeschlechts zu den Freien seiner Grafschaft gehörte, die andere aber eine Ministerialin war 38). Er nahm nun die Freie Jutta als Ministerialin an mit ihrer ganzen vorhandenen und zukünftigen Nachkommenschaft, der Ministerialin und ihren Kindern aber gestattete er, die Freiheit, die scepenbar genannt wird, zu genießen. Voraussetzung dieser Ordnung der Rechtsverhältnisse waren zweifellos zwei Heiraten. Die Freie hatte wohl einen gräflichen Dienstmann, die Ministerialin einen schöffenbar freien Mann aus der Grafschaft Woldenberg geheiratet. Zweifelhaft bleibt, ob die Ministerialin zur Dienstmannschaft des Grafen oder eines fremden Herrn gehörte. Jedoch ist das erstere wahrscheinlich. Der Standeswechsel erfolgte zweifellos, um den Kindern aus den beiderseitigen Ehen das Erbrecht in die väterlichen Hoflehen und Eigengüter zu verschaffen, dessen sie, solange die Eltern ungleichen Standes waren, nicht teilhaftig werden konnten. Wir sehen, wie unbedenklich die Freiheit mit der Dienstbarkeit vertauscht wurde, da die Freiheit eine starke Abhängigkeit von dem Herrn der Grafschaft bedingte, die Dienstbarkeit dagegen die Natur der alten Hörigkeit ganz verloren hatte. Freiheit und dienstmännische Stellung scheinen sich sozial gleichzustehen, für die Wahl des einen oder anderen Standes sind nur Gründe wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit maßgebend.
Wenden wir uns von dieser Südostecke unseres Untersuchungsgebietes nach Norden, d. h. also in den Osten und Nordosten des Bistums, so finden wir in den Annalen des Klosters Steterburg eine Quelle, die gerade über die Verhältnisse der Freigutsbesitzer dieser Gegend ein helles Licht verbreitet. Dieses im Tal der Oker zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel gelegene Kloster erhielt im Jahr 1163 den Propst Gerhard zum Vorsteher 39). Er war der eifrigste Mehrer des Klostergutes, und aus den genauen Aufzeichnungen über seine Erwerbungen erhalten wir einen Begriff von der großen Verbreitung des freien Eigentums in jener Gegend 40). So erwarb das Kloster im Gebiet der benachbarten Grafschaft Peine zahlreiche Freiengüter, z. B. vier Hufen in Kleinen-Schwülper von dem Freien Reinold, fünf Hufen zu Lafferde von zwei Brüdern, Dietrich und Gerhard, und weiteren Grundbesitz am selben Ort von den Edelherren Bodo und Ludolf von Saldern. Die größten Ankäufe altfreier Güter fanden aber im Süden, im Gebiete der Grafschaft Woldenberg, statt. Im Dorf Lewe kaufte der Propst die ehemaligen Eigengüter der früher altfreien, damals schon dienstmännischen Familie von Lewe. Das Dorf Großen-Mahner suchte der Propst gänzlich aufzukaufen, hauptsächlich deshalb, quia pene tota (sc. villa) ad liberos pertinebat. Die Bedeutung dieser Ausdrucksweise ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich soll damit nur gesagt sein, dass die Güter sich sämtlich noch in unmittelbarem Besitz der freien Eigentümer befanden und nicht als Lehen ausgetan waren. Denn der mehrfach abgeleitete Lehensbesitz machte den Erwerb solcher Güter für geistliche Anstalten sehr schwierig. Es ist also hier der Gegensatz gemeint zwischen Gütern, die sich noch in der ersten Hand des Eigentümers befinden, und solchen Gütern, die in die dritte oder vierte Hand des Aftervasallen gekommen sind. So kaufte er im Jahr 1187 von den Grafen von Poppenburg, Vater und Sohn, zwei Hufen und zwei Hausplätze, ferner von dem Edelherrn Rudolf von Mahner eine Hufe aus dessen Patrimonium zu Großen-Mahner. Weiterhin erwarb er von dem Freien Dietrich eine Hufe und von den Freien Dietrich und Rikmann ebenfalls eine Hufe. Von zwei Hörigen des Edelherrn Rudolf von Mahner erstand er mit dessen Erlaubnis einen Hausplatz und sieben Joch Ackerlandes, endlich von der Witwe des Johannes von Mahner, eines Bruders des Rudolf, und ihren Söhnen einen Mansus und zwei Hausplätze. Alle diese Verkäufe wurden in dem echten Ding des Grafen Ludolf von Woldenberg, wozu diese Güter gehörten, vollzogen. Dies sind die ausdrücklich namhaft gemachten Erwerbungen des Klosters in Mahner, jedoch müssen noch weitere, nicht einzeln aufgeführte seitens des Propstes gemacht worden sein. Denn im Jahr 1191 bestätigte Bischof Berno dem Kloster unter großer Anerkennung seines Vorstehers das Eigentum von 14 Hufen und 15 Hausplätzen zu Mahner. So gab es also am Ende des 12. Jahrhunderts noch ganze Dörfer, in denen sämtlicher Grundbesitz freies Eigentum persönlich freier Leute war. Allerdings können wir unter diesen freien Eigentümern keine freien Bauern, die ihre Güter mit eigener Hand bestellten, beobachten. Wir lesen nur von Grafen, Edelherren, Stadtbürgern und vielleicht auch von nichtritterlichen Besitzern, die sämtlich ihre Freigüter durch Hörige oder freie Meier bewirtschaften ließen. Ich will damit das Vorhandensein freier Bauern unter den freien Eigentümern keineswegs in Abrede stellen. Ich will nur Heck gegenüber, der neuerdings jeden nicht näher qualifizierten freien Eigentümer für seine bäuerlichen Schöffenbaren beansprucht, ausdrücklich betonen, dass die freien Eigentümer, deren Stand genannt wird, sämtlich den höheren Ständen angehören, und dass wir irgendeine sichere Überlieferung über bäuerliche Grafschaftsfreie dem bisher geschilderten Quellenkreis nicht entnehmen können.
Nicht minder häutig, als im Südosten, Osten und Nordosten des Bistums, waren die freien Eigentümer im Norden und Nordwesten, dem Land östlich der Leine, dem alten Gau Astfalon oder Astfala. Er umfasste den größten Teil des Bistums, auch die Stadt Hildesheim lag darin. In seiner weitesten Ausdehnung erstreckte er sich wahrscheinlich bis zur Oker und umfasste die Grafschaft Peine und welfisches Gebiet, dessen Dingstätte sich zu Bettmar befand. Der westliche Teil des Gaues enthielt im Südwesten das unmittelbar dem Bischof verbliebene Gebiet, wo dieser durch seinen Vogt die Grafenrechte ausübte; im Norden und Nordosten dieses Teils lagen die große und die kleine Grafschaft, die Lehen der Grafen von Lauenrode. Betrachten wir zunächst das dem Bischof bzw. seinem Vogt unmittelbar unterworfene Gebiet des Ostfalengaues, so finden wir hier umfangreichen Eigenbesitz des edlen Geschlechts von Depenau. Hauptsächlich in dem Dorf Hotteln, wo wahrscheinlich das Stammgut des Geschlechtes lag, und ferner zu Giesen war die Familie reich begütert. Weiterhin war die wohl sicher altfreie Ministerialenfamilie der Vögte von Hildesheim zu Heisede und Forste mit Eigengütern angesessen. Ebenso hatten die von Saldern wahrscheinlich Erbgüter zu Sarstedt.
Wir kommen nun zu demjenigen Gebiet, wo das freie Eigen und die Freien am stärksten vertreten waren, der sogenannten großen und kleinen Grafschaft im Nordwesten des Gaues Astfalon. Zu Ende des 12. Jahrhunderts waren noch beide Grafschaften im Lehnsbesitz der Grafen von Lauenrode. Erst zwischen 1230 — 1236 fanden die Verhandlungen zwischen dem Bischof von Hildesheim als dem Lehnsherrn und den Grafen von Lauenrode statt, die schließlich zum Übergang der kleinen Grafschaft an das Bistum Hildesheim und zum definitiven Lehnsbesitz der ganzen gräflichen Familie an der großen Grafschaft führten. In beiden Grafschaften finden wir schon früh einen sehr bedeutenden Eigenbesitz hochangesehener Grafen- und Edelherrengeschlechter. In erster Linie steht da der Graf Adelbert von Haimar, der Stammvater der Grafen von Wernigerode. Dieses Geschlecht, das wohl in der großen Grafschaft seinen Stammsitz hatte und erst später in den Harz kam, verfügte in zahlreichen Dörfern, die nachweislich zur großen oder kleinen Grafschaft gehörten, und in der weiteren Umgebung über den reichsten Grundbesitz. Einzelne Dörfer, wie Evern, in der großen Grafschaft, und Bründeln, wahrscheinlich in der kleinen Grafschaft belegen, gehörten ihm ganz. Große Eigengüter hatte ferner die Familie der Edelherren von Wassel in der großen Grafschaft, wo auch ihr Stammsitz, das Dorf Wassel, lag. Diesem Geschlecht gehörten die vicedomini des Bistums Hildesheim an. Die wahrscheinlich aus dieser Familie stammende Edelfrau Friderun von Scharzfeld schenkte im Jahr 1187 einen Hof mit vier Hufen Eigen zu Sehnde in der großen Grafschaft an das Kloster Steterburg. In der kleinen Grafschaft lag das große Allod des mächtigen Grafengeschlechts von Assel. Gräfin Adelheid von Schaumburg, die Tochter des letzten Grafen von Assel, schenkte 1186 aus diesem Allod 18 Hufen und eine Mühle, belegen zu Udelen (Oedelum) in der kleinen Grafschaft, an das Kloster Loccum. Weiterhin erscheinen, allerdings in späterer Zeit, die Grafen von Dassel als Eigentümer beträchtlicher Güter in der großen Grafschaft. Endlich sind auch die Edelherren von Depenau und von Dorstadt als Eigentümer in der großen Grafschaft zu erwähnen. Dieses umfangreiche Eigentum behielten die erwähnten Edelherren nur zum kleineren Teil in eigenem Besitz und eigener Nutzung, zum größeren Teil gaben sie es an bischöfliche und sonstige Dienstleute zu Lehen. Daher finden wir in beiden Grafschaften zahlreiche Ministerialen mit Lehngütern angesessen. Besonders die Grafen von Wernigerode hatten viele Vassallen in diesem Gebiet.
So eingehende Nachrichten wir über den umfangreichen Eigengutsbesitz der großen Adelsgeschlechter in beiden Grafschaften haben, so mangelhaft sind wir über die kleineren freien Grundeigentümer, die Freien im gewöhnlichen Sinn des Wortes, informiert. Zwar müssen sie in nicht geringer Zahl vorhanden gewesen sein. Denn in den Verhandlungen zwischen dem Bischof von Hildesheim und dem Grafen von Lauenrode über den Rückkauf der kleinen Grafschaft wird ihrer sehr häufig Erwähnung getan. Aber nur höchst selten erfahren wir einen Namen, der uns gestattet, die soziale Stellung dieser Freien näher kennen zu lernen. Soviel ich sehe, treten nur in einer Urkunde Persönlichkeiten als Zeugen auf, die nach ihrer ganzen Qualifikation diesem Freienstand angehört haben müssen. Im Jahr 1178 erbauen die Bewohner der zur großen Grafschaft gehörigen Dörfer Ost- und Nordlopke eine Kirche zu Ostlopke und lösen die neue Gemeinde von der Mutterkirche Lühnde durch Hingabe einer Hufe in Ostlopke an die Mutterkirche. Außerdem schenken sie zur Ausstattung ihrer neuen Kirche zwei Hufen. Zeugen bei diesem Geschäft sind nach zahlreichen Geistlichen, Gerardus et Fridericus liberi homincs ; BrUuo de Kemme, Liuderus, Haoldus, Johannes, Bathardus, Adelbertus, Isoi, Bruninghus, Bernardus, Ido et ceteri parochiani. Da die nicht genannten Zeugen als ceteri parochiani zusammengefasst werden, so müssen die vorher namentlich genannten mindestens zum Teil angesehene parochiani der Cremeinde und damit angesehene Bewohner der Dörfer gewesen sein. Die angesehensten Bewohner der Dörfer waren aber nach den späteren Darlegungen (pag. 19 — 26) freie Leute (Grafschaftsfreie). Daher können wir annehmen, dass die parochiani der Urkunde sämtlich oder zum größten Teil dem Stand der Grafschaftsfreien angehörten. Welche von den Urkundenzeugen sind nun mit annähernder Sicherheit als parochiani zu betrachten? Zunächst sind Gerardus et Fridericus liberi homines unzweifelhaft Angehörige des Edelherrengesehlechts de Novali. Nach ihnen folgt Bruno von Kemme, ein bekannter bischöflicher Dienstmann. Es ist möglich aber nicht wahrscheinlich, dass diese drei Personen parochiani der Dörfer waren, zu den Grafschaftsfreien gehörten sie sicher nicht. Die ihnen nachstehenden neun, nur mit Vornamen genannten Personen mögen sowohl parochiani der Dörfer als auch Grafschaftsfreie gewesen sein. Es ist nun sehr wahrscheinlich, dass mindestens ein Teil von ihnen dem später dienstmännischen Geschlecht der Herren von Lopke augehörte. Denn wir finden in dieser Familie die Vornamen Luder und Adalbert wieder, und außerdem war sie auch in Lopke begütert. Die einzige Urkunde, die eine genauere Identifizierung der Grafschaftsfreien gestattet, weist also mit größter Entschiedenheit auf einen Familienzusammenhang wenigstens einiger dieser Personen mit bischöflichen Dienstmannsgeschlechtern hin.
Wenden wir uns jetzt zu den Nachrichten, die die Verhandlungen zwischen Bischof Konrad von Hildesheim und dem Grafen Konrad von Lauenrode über die Freien enthalten. Diese Verhandlungen, die in den Jahren 1230 bis 1236 stattfanden, drehten sich in der Hauptsache um die Rückerwerbung der als hildesheimisches Lehen in der Hand des Grafen von Lauenrode befindlichen kleinen Grafschaft seitens des Bischofs. Zunächst verpfändete im Jahr 1235 der Graf die kleine Grafschaft an den Bischof für die Dauer von fünf Jahren gegen ein Darlehen von 130 Hildesheimer Pfund. Über die Bewohnerschaft beider Grafschaften wurde folgende Verabredung getroffen: Insuper fuit adiectum quod si de comicia maiori ad minorem vel e eonverso aliquos homines trausire contingat, illi domino ad quem pertinet ea comicia, de qua recesserunt, debite servitutis obsequio sicut antea maneant obligati. Hier wird also der Grundsatz der Personalität ausgesprochen, d. h. die Untertanenschaft bestimmt sich nicht nach dem augenblicklichen Wohnsitz, sondern nach dem Ort der Geburt, der Heimat der betreffenden Person. Im Jahr 1236 veräußerte der Graf endgültig die kleine Grafschaft an den Bischof und erhielt dafür für sich und seine männlichen und weiblichen Verwandten die Belehnung mit der großen Grafschaft. Die Rechtsverhältnisse der Untertanen wurden folgendermaßen geregelt. Frauen gehen durch ihre Verheiratung mit einem Manne der fremden Grafschaft ipso iure in die Angehörigkeit zur Grafschaft der Ehegatten über. Grundbesitzer, die in beiden Grafschaften Güter haben, müssen beiden Herren dienen. Geben sie die Güter in der einen Grafschaft auf, so bleiben sie dem Grafschaftsherrn, in dessen Gebiet ihr zurückbehaltener Besitz belegen ist, Untertan. Die nicht mit (Grundbesitz versehenen Personen, die zu deutsch ungehovede genannt werden, bleiben dem Herrn Untertan, in dessen Gebiet sie zur Zeit des Vertragsabschlusses sich aufhielten. Gehen sie später in die fremde Grafschaft, so kann der Herr sie zurückfordern. Wer von ihnen zur Zeit des Vertragsabschlusses außer Landes weilte, kann bei seiner Rückkehr den Wohnsitz und damit die Grafschaftszugehörigkeit wählen.
Der Grundsatz, dass der Ort der Geburt für die Grafschaftsangehörigkeit entscheiden soll, ist hier aufgegeben. Die Frau geht durch die Heirat in die Grafschaftsangehörigkeit des Mannes über, sie behält also nicht ihre angeborene Grafschaftsangehörigkeit. Für die Untertanenschaft der Grundbesitzer ist entscheidend die Lage des Grundbesitzes. Sie können, wenn sie in beiden Grafschaften begütert sind, eine doppelte Grafschaftsangehörigkeit besitzen. Das Bestreben der Grafschaftsherren scheint dahin zu gehen, sie zur Aufgabe des Grundbesitzes in einer der beiden Grafschaften zu bewegen. Für die Grundbesitzlosen entscheidet der Wohnsitz zur Zeit des Vertragsschlusses.
Zu diesen Verhandlungen tritt nun noch eine Urkunde aus der Zeit zwischen 1230 und 1236, in der Bischof Konrad von Hildesheim auch die große Grafschaft von dem Grafen von Lauenrode zurückerwirbt. Das hier erwähnte Geschäft hat wahrscheinlich niemals stattgefunden, denn die große Grafschaft blieb im Besitz der Grafen von Lauenrode, bis sie an die Herzoge von Braunschweig-Lüneburg überging. Jedoch ist dies für unsere Betrachtungen ohne Belang, da die Echtheit, d. h. die Abfassung des Dokuments in dieser Zeit, zweifellos ist. Hier werden die Freien der großen Grafschaft ausdrücklich erwähnt, sie sind Freie der maior ecclesia und werden von dem Grafen mit Fronden belastet. In den Verhandlungen über die kleine Grafschaft werden die Freien ausdrücklich nicht erwähnt. Es lagen also die Verhältnisse in beiden Grafschaften ziemlich gleichartig. Auch in der kleinen Grafschaft bedrückte der Graf die Freien mit Fronden und dergleichen Lasten, und hier fand der bei der großen Grafschaft wohl nur geplante Rückkauf tatsächlich statt. Die Vereinbarungen über die Grafschaftsangehörigkeit müssen daher in erster Linie auf die Freien bezogen werden. Denn deren Verhältnisse sollten ja geordnet und gebessert werden. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass auch die übrigen Bewohner der Grafschaften einbegriffen waren.
Unter der Annahme, dass die Vorschriften über die Grafschaftszugehörigkeit in erster Linie für die Freien berechnet waren, ergibt sich über deren soziale und rechtliche Verhältnisse folgendes Bild. Es gab verschiedene Arten von Freien, die sich hauptsächlich durch die Größe ihres Grundbesitzes unterschieden. Ein Teil besaß Güter an verschiedenen Orten, ja sogar in den beiden Grafschaften. Natürlich begriff dieser Teil die sozial am höchsten stehenden Freien in sich. Ein anderer Teil war nur an einem Ort begütert, ein dritter war ganz grundbesitzlos. Seine Angehörigen hießen im Gegensatz zu den freien Hofbesitzern die „Ungehoveden". Alle Freien befanden sich schon damals in einer strengen Abhängigkeit vom Grafen, die nach der Art der Hörigkeit oder Ministerialität gestaltet war. Ihre landrechtliche Freiheit und Zugehörigkeit zum Grafschaftsgericht und Verband hatte sich in eine Art Grafschaftshörigkeit verwandelt. Sowohl persönlich wie hinsichtlich ihres Grundeigentums waren sie dem Grafen abgaben- und dienstpflichtig. Der Inbegriff ihrer Verpflichtungen dem Grafen gegenüber wird obsequium debite servitutis genannt. An ihren Freigütern beansprucht der Graf ein Obereigentum, das wahrscheinlich in einem Heimfallrecht an den Grafen beim Aussterben der Freienfamilie zum Ansdnuk. kam. Veräußerungen von Freigütern waren nur innerhalb des Kreises der Freien der betreffenden, Grafschaft unbeschränkt gestattet. Bei Veräußerungen an Fremde, wozu auch Kirchen, Grafen, Edelleute u. s. w. zählten, war die Erlaubnis des Grafen erforderlich, da das Land dann meistens aus dem Verband der Grafschaft ausschied. Überhaupt spielten die Freigüter bei der ganzen Grafschaftsverfassung eine sehr bedeutsame, wahrscheinlich schon damals die wichtigste Rolle.
Die Nachrichten über diese Freigüter sind ebenso spärlich als die über die Freien selbst, aber immerhin ausreichend, um eine Vorstellung von der Wichtigkeit dieser Freigüter für das ganze seltsame Verfassungsgebilde zu bekommen. Im Jahr 1258 erwarb das Kloster Loccum in dem Dorf Udeln (Ödelum) der kleinen. Grafschaft zwei Hufen. Davon war eine Hufe Lehen des hildesheimischen Ministerialen Rathard von Udeln vom Bischof. Die andere Hufe gehörte in die kleine Grafschaft, die der Bischof vom Grafen erworben hatte. Diese Hufe hatten Christianus und Johannes vom Bischof (a nobis) innegehabt (tenuerunt), und diese resignierten dem Bischof die Hufe zur Übertragung an das Kloster. Nehmen wir an, dass es sich bei der Freihufe nicht ebenfalls um ein Lehnsverhältnis, sondern um Eigentum der beiden Besitzer an der Hufe gehandelt hat, so war dieses Eigentum schon völlig in ein lehnartiges Besitzrecht umgebildet worden, unterschied sich also nur noch formell, aber nicht mehr materiell von dem Lehnrecht des Ministerialen. Die Hufe als solche war grafschaftspflichtig, nicht weil ihr augenblicklicher Inhaber ein freier Eigentümer war, sondern weil ein solches Rechtsverhältnis vor Zeiten einmal an der Hufe bestanden, und der Grafschaftsherr vermöge dessen bestimmte Rechte an der Hufe erlangt hatte. Es war also die Rechtsqualität des Inhabers zu einer Rechtsqualität des Grundstücks geworden. Die wahre Grundlage des Grafschafts Verbandes waren nicht mehr wie früher freie Menschen, sondern freie Güter.
Aus diesem Grund schieden auch die Grundstücke, wenn sie in die Hand von außerhalb des Grafschaftsverbandes stehenden Personen gelangten, nicht mehr aus dem Grafschaftsverband aus. Ja selbst das Besitzrecht an freien Gütern brauchte nicht mehr Eigentum oder, besser gesagt, Grafschaftsbesitzrecht zu sein. Im Jahr 1270 befreite der Bischof Otto von Hildesheim den Hof des Maria-Magdalena-Klosters zu Farmsen auf zehn Jahre. Also die Zugehörigkeit der klösterlichen Güter zur Grafschaft bleibt grundsätzlich bestehen, nur vorübergehend wird die Pflicht sistiert. Schon zur Zeit des Übergangs der kleinen Grafschaft aus der Hand der Grafen von Lauenrode an den Bischof von Hildesheim müssen diese Rechtsverhältnisse der Freigüter bestanden haben. Denn nur unter ihrer Annahme wird eine bisher ganz dunkle Stelle verständlich. In der Urkunde vom Jahr 1236 verbürgt sich der Graf von Lauenrode dem Bischof dafür, dass niemand in der kleinen Grafschaft sich irgendein Recht anmaße, außer auf sechs Hufen, die der Bischof weiterverleihen will (quos porrigemus), d. h. deren Lehnsbesitzer der Bischof in ihrem Besitz bestätigen will. Von diesen Hufen hat der hildesheimische Marschall (Konrad von Emmerke) zwei zu Eilstrenge, Burkhard von Saldern zwei in Schwiecheldt, Dietrich von Promen zwei ebenfalls in Eilstrenge. Außer diesen erkennt der Graf keinem ein Recht oder eine potestas in der kleinen Grafschaft zu. Es ist nun völlig ausgeschlossen, dass in der kleinen Grafschaft keine andern Lehns- und Eigentumsrechte von Klöstern, Kirchen, Grafen, Edelherren und Ministerialen an Höfen, Hufen und Grundstücken bestanden haben sollen. Wir besitzen zahlreiche Urkunden, die das Bestehen solcher Rechte zu dieser Zeit in der kleinen Grafschaft außer allen Zweifel setzen. Die Urkunde besagt also nicht, was man leicht annehmen könnte: in der kleinen Grafschaft bestellen außer den Lehnsrechten der drei Ministerialen an sechs Hufen lauter Eigentumsrechte grafschaftspflichtiger Freier, sondern sie will sagen: in der kleinen Grafschaft sind vom grafschaftspflichtigen Freigut nur sechs Hufen an ritterliche Leute zu Lehen gegeben. Nur diese Interpretation gibt einen mit den übrigen Nachrichten vereinbaren Sinn. Die Stelle sieht also von dem übrigen Grundbesitz in der kleinen Grafschaft völlig ab. Sie hat nur das freie Grafschaftsgut im Auge. Dieses soll nicht an Ritter verliehen werden, weil es als Lehen rittermäßiger Leute leicht der Grafschaftslast entfremdet werden kann.
Fassen wir alle diese Nachrichten zusammen, so kann es wohl kaum zweifelhaft sein, dass die grafschaftspflichtigen Freien in der kleinen und großen Grafschaft schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts wirtschaftlich, sozial und rechtlich, wenigstens ihrer Masse nach, zum Bauernstand gehörten. Sie hatten in der Regel nur einen Hof, den sie selbst bewirtschafteten, und von dem sie Fronden und Abgaben an den Grafen leisteten. Die Nachrichten über ihre Bedrückung durch den Grafen und die Ausdrucksweise der Urkunde, die sie als pauperes (arme Leute, eine Art terminus technicus für Bauern) bezeichnet, deuten diese soziale Stellung an. Nicht leicht ist die Frage zu beantworten, ob diese Freien der großen und der kleinen Grafschaft nach der Terminologie des Sachsenspiegels Schöffenbare oder Pfleghafte waren. Wir lassen sie einstweilen offen, da ihre Entscheidung für die uns beschäftigenden Probleme nicht wichtig ist und dabei auf die neuerdings von Heck ausgesprochenen Ansichten ausführlich eingegangen werden müsste. Aber diese bäuerliche Lebensweise und Stellung war nicht allen Grafschaftspflichtigen von Uranfang gemeinsam und eigentümlich. Darauf deutet noch die Urkunde vom Jahr 1236 (II. 16), die grafschaftspflichtige Freie mit Grundbesitz in beiden Grafschaften kennt. Andererseits war die Entwicklung der Grafschaftsverfassung mit Verwandlung des freien Eigentümers in einen zins- und dienstpflichtigen Grafschaftsbauer nicht abgeschlossen. Der nächste Schritt war der, dass Kirchen und Edelleute die Freigüter teils zu Eigen, teils zu Lehen erwarben, den Grafschaftsbauer also auch seines Untereigentums entkleideten. Aber die Grafschaftsverfassung war stärker als das Recht der alten Freien an ihren Gütern. Der Graf erzwang die fortdauernde Zugehörigkeit der Freigüter zur Grafschaft. Soweit die Freigüter dergestalt in die Hand größerer Grundherren kamen, setzten diese neuen Herren bäuerliche Meier auf die Höfe, die ihren Meierzins zahlten und dem Grafen gegenüber die Pflichten der Freien erfüllten und deren Rechte wahrnahmen. Sie wurden schließlich selbst als Freie bezeichnet, obwohl das wichtigste Merkmal der Freiheit, das Grafschaftseigentum an ihren Gütern, ihnen in jeder Hinsieht fehlte. Nur die äußere Form war erhalten geblieben, der Inhalt, das Wesen der alten Verfassung war längst verschwunden. Jedoch führt diese Entwicklung weit über die in Rede stehende Periode hinaus.
Für unsere Betrachtung wesentlich ist nur der Umstand, dass zu Beginn des 13. Jahrhunderts in der kleinen und großen Grafschaft im Nordwesten des Bistums Hildesheim freie Eigentümer in bedeutender Zahl vorhanden waren. Aber diese freien Eigentümer zeigten in ihrer wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Stellung die denkbar größten Gegensätze. Ein Teil dieser Freien bestand aus hochangesehenen Edelherren, die sogar zumeist die Grafenwürde erlangt hatten, ein anderer Teil aus Freibauern, deren ursprünglich freies Eigentum vom Grafen mit Zins und Diensten belastet war, und deren persönliche Stellung sich ebenfalls in eine eigentümliche Grafschaftshörigkeit verwandelt hatte. Ein gemeinsamer Ursprung war trotz dieser Gegensätze unverkennbar, die alte Form der Freiheit war beiden ebenso gemein, wie sich der Inhalt dieses Rechtes geändert hatte. Beide hießen gleichmäßig Freie, das Recht an den Gütern hieß echtes Eigen bei Grafen und Bauern, beider Güter gehörten vor das gleiche Grafengericht; auch das Eigen der Edelherren scheint ursprünglich mit Leistungsverpflichtungen dem Grafen gegenüber beschwert gewesen zu sein. Aber im Beginn des 13. Jahrhunderts besteht der schroffste Gegensatz, der denkbar weiteste Abstand zwischen beiden, die verbindenden Zwischenglieder einer mittleren Klasse fehlen. Der Stand freier kleinerer Grundherren, den wir im Osten des Bistums in überaus charakteristischen Vertretern angetroffen haben, scheint hier nicht vorhanden zu sein. Reste finden sich allerdings und auch Andeutungen, dass er früher in größerer Zahl vorhanden war, aber zu Beginn des 13. Jahrhunderts besteht er nicht mehr; gräfliche Edelherren und Grafschaftsbauern sind die freien Eigentümer in diesen Gebieten.
Das Freigut der Edelherren ist wirkliches freies Eigentum, d. h. es ist frei veräußerlich und Abgaben oder sonstigen Leistungsverpflichtungen an den Grafen nicht mehr unterworfen. Jedoch müssen alle Geschäfte und Verfügungen über dasselbe im echten Ding des Grafen vorgenommen werden. Das Freigut der Grafschaftsfreien ist zins- und dienstpflichtig; es bestehen gewisse Veräußerungsbeschränkungen und ein Heimfallsrecht des Grafen an demselben. Die Eigenschaft als Grafschaftsgut, d. h. der Inbegriff der Rechte und Pflichten der Grafschaftsfreien hinsichtlich ihrer Güter, heftet sich nun wie eine Reallast (oder Realrecht) auf bestimmte Güter. Die Güter behalten diese Rechte und Pflichten, auch wenn sie aus dem Eigentum der Grafschaftsfreien etwa durch Heimfall in die Hand des Grafen oder durch Kauf in die Hand von Kirchen oder Edelleuten übergehen. Der Graf kann sie dann zu Lehen geben, die Kirche oder der Ritter kann sie zu freiem Eigen innehaben. Aber die Pflicht gegenüber dem Grafschaftsherrn muss erfüllt werden. So kann ein Edelherr altes, völlig freies Eigen besitzen und andererseits grafschaftspflichtiges Gut ebenfalls zu Eigentum haben, von dem er die Leistungen des ehemaligen Grafschaftsfreien schuldet.
Wir haben so die weite Verbreitung und Häufigkeit des freien Eigentums und der Freien in allen Teilen des Stiftsgebietes festgestellt. Allerdings sind die sozialen und rechtlichen Verhältnisse dieser Freien und ihres Grundeigens zu Anfang des 13. Jahrhunderts durchaus verschiedenartig; der ursprüngliche einheitliche Stand ist in scharf getrennte Klassen gespalten, aber die allen gemeinsame Grafschaftsverfassung besteht noch; der wichtigste Vereinigungspunkt ist das echte Ding, das Grafengericht, in dem alle Geschäfte über Freigüter vollzogen werden müssen.
Von Osten angefangen war es zunächst die Grafschaft Schiaden im Leragau, die sich im Besitz eines Grafengeschlechtes gleichen Namens befand, das höchst wahrscheinlich mit den Edelherren von Dorstadt eines Stammes war 23). Im Westen und Süden der Grafschaft Schladen lagen die umfangreichen Grafschaften Wöltingerode und Woldenberg im Besitz des mächtigen Grafengeschlechts von Woldenberg 24). Sie umfassten eine Reihe von Gauen, nämlich den südlichen Teil des Leragaues, Salzgau, Densigau, Ambergau und mindestens einen Teil des Gaues Flenithi 24). Die meisten dieser Grafschaftsbezirke der Woldenberger waren Lehen der Abtei Gandersheim 24). Jedoch gehörten sie zur Diözese Hildesheim und wurden auch später sämtlich von den Hildesheimer Bischöfen für das Bistum erworben 24). Noch im Gau Flenithi lag die Grafschaft Bodenburg, die ein gleichnamiges Geschlecht wohl ebenfalls als hildesheimisches Lehen innehatte 25). Im Südwesten der Diözese ist hauptsächlich die Grafschaft Homburg 26) zu nennen; die übrigen Grafschaften dieser Gegend, besonders Winzenburg und Poppenburg, sind als Grafengerichtsbezirke unter eigenen Grafen nicht bekannt 27). Die kleinen Gaue im Westen und Südwesten, wie Aringau, Gudingau, Valothungen und Scotelingen, die das Bistum durch königliche Schenkung erworben hatte, blieben zum größten Teil unverliehen 27). Im Norden der Stadt Hildesheim dehnte sich fast über die ganze Breite der Diözese der umfangreiche Gau Astfala oder Ostfalon (auch Valen genannt) aus 28). Auch dieser Gau, in dem die Stadt Hildesheim selbst lag, war dem Bischof durch königliche Schenkung zugefallen 28). Der größte Teil dieses Gaues verblieb unter der unmittelbaren Herrschaft des Bischofs; nur im Norden die sogenannte große, östlich davon die sogenannte kleine Grafschaft waren bischöfliche Lehen der Grafen von Lauenrode 28), ferner im Nordosten die Grafschaft Peine, ein bischöfliches Lehen des gleichnamigen Grafengeschlechts 29), und schließlich lag ebenfalls im Nordosten eine Grafschaft am Ris 20), die die Grafen von Woldenberg vom Bischof zu Lehen trugen. Auch diese Grafschaften wurden sämtlich bis auf die große Grafschaft der Grafen von Lauenrode im Laufe des 18. Jahrhunderts von den Bischöfen zurückgekauft. Die Grafschaftsbezirke fielen selten mit den alten Gauen zusammen, vielfach umfassten sie mehrere Gaue, sehr häufig nur Teile von solchen. Innerhalb dieser Grafschaften hielt nun der Graf als Richter und Vorsitzer an altherkömmlichen Dingstätten (unter der Linde, unter der Eiche, auf bestimmten Bergen oder Hügeln oder an Brücken) das sogenannte echte Ding oder Grafengericht ab. Dieses fand an jeder Dingstätte dreimal im Jahre als sogenanntes ungebotenes Ding statt. Da jede Grafschaft mindestens drei echte Dingstätten hatte, so wurde alle sechs Wochen etwa ein echtes Ding abgehalten, das für den ganzen Bezirk der Grafschaft zuständig war. Das echte Ding war das ordentliche Gericht für alle Prozesse und Auflassungen über Eigengüter ohne Rücksicht auf die Größe des Objekts und den Stand des Besitzers, soweit diese Güter im Bezirk der Grafschaft gelegen waren. Alle freien Grundeigentümer des Grafschaftsbezirks waren berechtigt, bei dem echten Ding zu erscheinen, und aus ihrer Zahl wurden die Urteilsfinder, die Schöffen, genommen. Wie weit sich die Pflicht, beim Gericht zu erscheinen, die sogenannte Dingpflicht, erstreckte, ist streitig 31). Die freien Grundeigentümer bildeten in doppelter Weise die Existenzbedingung für das echte Ding oder Grafengericht. Zunächst erschöpfte sich die Kompetenz des Grafengerichts so gut wie völlig in der Rechtsprechung über ihr freies Grundeigentum 32). Ferner lieferten sie die Schöffen, den wichtigsten Bestandteil des echten Dings. Aus sämtlichen Teilen unseres Untersuchungsgebietes sind uns nun Nachrichten überliefert, die das Bestehen dieser Grafschaftsverfassung unzweifelhaft erscheinen lassen. Der höchst verdienstvolle Geschichtsforscher Lüntzel hat in seinem für die Zeit mustergültigen Werk „Die ältere Diözese Hildesheim" die alte Gauverfassung im ganzen Stiftsgebiet in allen Einzelheiten nachgewiesen. Für unsere Betrachtung ist nur der Nachweis noch zu führen, dass im 12. Jahrhundert überall die Zahl der freien Grundeigentümer, obwohl schon beträchtlich zusammengeschmolzen, doch noch immer erheblich war).
Beginnen wir wieder mit dem Osten, so scheinen besonders in dem Herrschaftsgebiet der Grafen von Woldenberg und der Grafen von Schladen die freien Eigentümer sehr zahlreich gewesen zu sein. Diese Grafschaftsgebiete umfassten, soweit das Bistum Hildesheim in Betracht kommt, die alten Gaue Leragau, Saltgau, Densigau und Ambergau. So hören wir aus dem östlichen Teil dieses Gebietes von den umfangreichen Eigengütern der später dienstmännischen Familie von Burgdorf zu Thiedwardingerode, Lewe, Eilenrode und Dornten (beide bei Goslar) und zu Goslar 34). In Dorstadt lagen, abgesehen von den umfangreichen Eigengütern der Grafenfamilien von Dorstadt-Schladen, zahlreiche Eigengüter kleinerer Freier 35). Wir erfahren dies aus zwei Urkunden des Bischofs Adelog von 1174 und 1175, die das Begräbnisrecht der verschiedenen, an diesem Ort befindlichen Kirchen ordneten. Die Familie des Edelherrn Arnold von Dorstadt hatte eine der heiligen Cäcilie geweihte Kirche daselbst errichtet. Die am Ort wohnenden Freien kauften sich von dem Begräbniszwang der Mutterkirche durch Hingabe einer halben Hufe Landes los und erhielten das Recht, sich gleich dem Geschlecht des Arnold in der Cäcilienkirche begraben zu lassen. In der zweiten Urkunde wird den Freien das gleiche Recht bestätigtzugleich fügt der Bischof bei, dass an den Freigütern (libera bona), die etwa eigen (propria facta fuerint) geworden seien, also wohl durch Ergebung des Eigentümers in die Hörigkeit oder Ministerialität das Recht der Freigüter verloren hatten, die Kirche der heiligen Cäcilie ihr Recht behalten solle. Auf eine Interpretation dieser höchst merkwürdigen Urkunde können wir hier nicht eingehen. Sicher ist, dass zahlreiche Freie mit Freigütern vorhanden gewesen sein müssen, deren Zahl allerdings durch Ergebungen sich fortwährend verminderte.
Ein Ort mit starkem Freigutsbesitz war ferner das Dorstadt benachbarte Flöthe 36) (Groß- und Kleinflöthe). Hier lag das Stammgut und sonstiger umfangreicher Eigenbesitz der angesehenen altfreien Familie von Flöthe-Covot (Kuhfuß); ferner waren hier begütert die Freiengeschlechter von Glinde und de Piscina (von dem Dike). Die Herren von Flöthe und von Piscina traten später 37) in die hildesheimische Dienstmannschaft ein; die Herren von Glinde, deren Heimat in der Grafschaft Mühlingen lag, wurden Ministerialen des Erzstifts Magdeburg 37). Über ein Mitglied der Familie von Flöthe ist uns eine urkundliche Nachricht erhalten, die mit seltener Deutlichkeit das Rechtsverhältnis der altfreien Familien einer Grafschaft zum Grafen und den Übergang dieser Familien aus der Freiheit in die Ministerialität darstellt. Die Familie von Flöthe gehörte zu den freien und schöffenbaren Familien der Grafschaft Woldenberg. Zwischen 1230 und 1240 beurkundete nun Graf Heinrich von Woldenberg den Tausch oder Wechsel zweier Frauen, von denen die eine, Jutta von Flöthe, als Spross des alten Freiengeschlechts zu den Freien seiner Grafschaft gehörte, die andere aber eine Ministerialin war 38). Er nahm nun die Freie Jutta als Ministerialin an mit ihrer ganzen vorhandenen und zukünftigen Nachkommenschaft, der Ministerialin und ihren Kindern aber gestattete er, die Freiheit, die scepenbar genannt wird, zu genießen. Voraussetzung dieser Ordnung der Rechtsverhältnisse waren zweifellos zwei Heiraten. Die Freie hatte wohl einen gräflichen Dienstmann, die Ministerialin einen schöffenbar freien Mann aus der Grafschaft Woldenberg geheiratet. Zweifelhaft bleibt, ob die Ministerialin zur Dienstmannschaft des Grafen oder eines fremden Herrn gehörte. Jedoch ist das erstere wahrscheinlich. Der Standeswechsel erfolgte zweifellos, um den Kindern aus den beiderseitigen Ehen das Erbrecht in die väterlichen Hoflehen und Eigengüter zu verschaffen, dessen sie, solange die Eltern ungleichen Standes waren, nicht teilhaftig werden konnten. Wir sehen, wie unbedenklich die Freiheit mit der Dienstbarkeit vertauscht wurde, da die Freiheit eine starke Abhängigkeit von dem Herrn der Grafschaft bedingte, die Dienstbarkeit dagegen die Natur der alten Hörigkeit ganz verloren hatte. Freiheit und dienstmännische Stellung scheinen sich sozial gleichzustehen, für die Wahl des einen oder anderen Standes sind nur Gründe wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit maßgebend.
Wenden wir uns von dieser Südostecke unseres Untersuchungsgebietes nach Norden, d. h. also in den Osten und Nordosten des Bistums, so finden wir in den Annalen des Klosters Steterburg eine Quelle, die gerade über die Verhältnisse der Freigutsbesitzer dieser Gegend ein helles Licht verbreitet. Dieses im Tal der Oker zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel gelegene Kloster erhielt im Jahr 1163 den Propst Gerhard zum Vorsteher 39). Er war der eifrigste Mehrer des Klostergutes, und aus den genauen Aufzeichnungen über seine Erwerbungen erhalten wir einen Begriff von der großen Verbreitung des freien Eigentums in jener Gegend 40). So erwarb das Kloster im Gebiet der benachbarten Grafschaft Peine zahlreiche Freiengüter, z. B. vier Hufen in Kleinen-Schwülper von dem Freien Reinold, fünf Hufen zu Lafferde von zwei Brüdern, Dietrich und Gerhard, und weiteren Grundbesitz am selben Ort von den Edelherren Bodo und Ludolf von Saldern. Die größten Ankäufe altfreier Güter fanden aber im Süden, im Gebiete der Grafschaft Woldenberg, statt. Im Dorf Lewe kaufte der Propst die ehemaligen Eigengüter der früher altfreien, damals schon dienstmännischen Familie von Lewe. Das Dorf Großen-Mahner suchte der Propst gänzlich aufzukaufen, hauptsächlich deshalb, quia pene tota (sc. villa) ad liberos pertinebat. Die Bedeutung dieser Ausdrucksweise ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich soll damit nur gesagt sein, dass die Güter sich sämtlich noch in unmittelbarem Besitz der freien Eigentümer befanden und nicht als Lehen ausgetan waren. Denn der mehrfach abgeleitete Lehensbesitz machte den Erwerb solcher Güter für geistliche Anstalten sehr schwierig. Es ist also hier der Gegensatz gemeint zwischen Gütern, die sich noch in der ersten Hand des Eigentümers befinden, und solchen Gütern, die in die dritte oder vierte Hand des Aftervasallen gekommen sind. So kaufte er im Jahr 1187 von den Grafen von Poppenburg, Vater und Sohn, zwei Hufen und zwei Hausplätze, ferner von dem Edelherrn Rudolf von Mahner eine Hufe aus dessen Patrimonium zu Großen-Mahner. Weiterhin erwarb er von dem Freien Dietrich eine Hufe und von den Freien Dietrich und Rikmann ebenfalls eine Hufe. Von zwei Hörigen des Edelherrn Rudolf von Mahner erstand er mit dessen Erlaubnis einen Hausplatz und sieben Joch Ackerlandes, endlich von der Witwe des Johannes von Mahner, eines Bruders des Rudolf, und ihren Söhnen einen Mansus und zwei Hausplätze. Alle diese Verkäufe wurden in dem echten Ding des Grafen Ludolf von Woldenberg, wozu diese Güter gehörten, vollzogen. Dies sind die ausdrücklich namhaft gemachten Erwerbungen des Klosters in Mahner, jedoch müssen noch weitere, nicht einzeln aufgeführte seitens des Propstes gemacht worden sein. Denn im Jahr 1191 bestätigte Bischof Berno dem Kloster unter großer Anerkennung seines Vorstehers das Eigentum von 14 Hufen und 15 Hausplätzen zu Mahner. So gab es also am Ende des 12. Jahrhunderts noch ganze Dörfer, in denen sämtlicher Grundbesitz freies Eigentum persönlich freier Leute war. Allerdings können wir unter diesen freien Eigentümern keine freien Bauern, die ihre Güter mit eigener Hand bestellten, beobachten. Wir lesen nur von Grafen, Edelherren, Stadtbürgern und vielleicht auch von nichtritterlichen Besitzern, die sämtlich ihre Freigüter durch Hörige oder freie Meier bewirtschaften ließen. Ich will damit das Vorhandensein freier Bauern unter den freien Eigentümern keineswegs in Abrede stellen. Ich will nur Heck gegenüber, der neuerdings jeden nicht näher qualifizierten freien Eigentümer für seine bäuerlichen Schöffenbaren beansprucht, ausdrücklich betonen, dass die freien Eigentümer, deren Stand genannt wird, sämtlich den höheren Ständen angehören, und dass wir irgendeine sichere Überlieferung über bäuerliche Grafschaftsfreie dem bisher geschilderten Quellenkreis nicht entnehmen können.
Nicht minder häutig, als im Südosten, Osten und Nordosten des Bistums, waren die freien Eigentümer im Norden und Nordwesten, dem Land östlich der Leine, dem alten Gau Astfalon oder Astfala. Er umfasste den größten Teil des Bistums, auch die Stadt Hildesheim lag darin. In seiner weitesten Ausdehnung erstreckte er sich wahrscheinlich bis zur Oker und umfasste die Grafschaft Peine und welfisches Gebiet, dessen Dingstätte sich zu Bettmar befand. Der westliche Teil des Gaues enthielt im Südwesten das unmittelbar dem Bischof verbliebene Gebiet, wo dieser durch seinen Vogt die Grafenrechte ausübte; im Norden und Nordosten dieses Teils lagen die große und die kleine Grafschaft, die Lehen der Grafen von Lauenrode. Betrachten wir zunächst das dem Bischof bzw. seinem Vogt unmittelbar unterworfene Gebiet des Ostfalengaues, so finden wir hier umfangreichen Eigenbesitz des edlen Geschlechts von Depenau. Hauptsächlich in dem Dorf Hotteln, wo wahrscheinlich das Stammgut des Geschlechtes lag, und ferner zu Giesen war die Familie reich begütert. Weiterhin war die wohl sicher altfreie Ministerialenfamilie der Vögte von Hildesheim zu Heisede und Forste mit Eigengütern angesessen. Ebenso hatten die von Saldern wahrscheinlich Erbgüter zu Sarstedt.
Wir kommen nun zu demjenigen Gebiet, wo das freie Eigen und die Freien am stärksten vertreten waren, der sogenannten großen und kleinen Grafschaft im Nordwesten des Gaues Astfalon. Zu Ende des 12. Jahrhunderts waren noch beide Grafschaften im Lehnsbesitz der Grafen von Lauenrode. Erst zwischen 1230 — 1236 fanden die Verhandlungen zwischen dem Bischof von Hildesheim als dem Lehnsherrn und den Grafen von Lauenrode statt, die schließlich zum Übergang der kleinen Grafschaft an das Bistum Hildesheim und zum definitiven Lehnsbesitz der ganzen gräflichen Familie an der großen Grafschaft führten. In beiden Grafschaften finden wir schon früh einen sehr bedeutenden Eigenbesitz hochangesehener Grafen- und Edelherrengeschlechter. In erster Linie steht da der Graf Adelbert von Haimar, der Stammvater der Grafen von Wernigerode. Dieses Geschlecht, das wohl in der großen Grafschaft seinen Stammsitz hatte und erst später in den Harz kam, verfügte in zahlreichen Dörfern, die nachweislich zur großen oder kleinen Grafschaft gehörten, und in der weiteren Umgebung über den reichsten Grundbesitz. Einzelne Dörfer, wie Evern, in der großen Grafschaft, und Bründeln, wahrscheinlich in der kleinen Grafschaft belegen, gehörten ihm ganz. Große Eigengüter hatte ferner die Familie der Edelherren von Wassel in der großen Grafschaft, wo auch ihr Stammsitz, das Dorf Wassel, lag. Diesem Geschlecht gehörten die vicedomini des Bistums Hildesheim an. Die wahrscheinlich aus dieser Familie stammende Edelfrau Friderun von Scharzfeld schenkte im Jahr 1187 einen Hof mit vier Hufen Eigen zu Sehnde in der großen Grafschaft an das Kloster Steterburg. In der kleinen Grafschaft lag das große Allod des mächtigen Grafengeschlechts von Assel. Gräfin Adelheid von Schaumburg, die Tochter des letzten Grafen von Assel, schenkte 1186 aus diesem Allod 18 Hufen und eine Mühle, belegen zu Udelen (Oedelum) in der kleinen Grafschaft, an das Kloster Loccum. Weiterhin erscheinen, allerdings in späterer Zeit, die Grafen von Dassel als Eigentümer beträchtlicher Güter in der großen Grafschaft. Endlich sind auch die Edelherren von Depenau und von Dorstadt als Eigentümer in der großen Grafschaft zu erwähnen. Dieses umfangreiche Eigentum behielten die erwähnten Edelherren nur zum kleineren Teil in eigenem Besitz und eigener Nutzung, zum größeren Teil gaben sie es an bischöfliche und sonstige Dienstleute zu Lehen. Daher finden wir in beiden Grafschaften zahlreiche Ministerialen mit Lehngütern angesessen. Besonders die Grafen von Wernigerode hatten viele Vassallen in diesem Gebiet.
So eingehende Nachrichten wir über den umfangreichen Eigengutsbesitz der großen Adelsgeschlechter in beiden Grafschaften haben, so mangelhaft sind wir über die kleineren freien Grundeigentümer, die Freien im gewöhnlichen Sinn des Wortes, informiert. Zwar müssen sie in nicht geringer Zahl vorhanden gewesen sein. Denn in den Verhandlungen zwischen dem Bischof von Hildesheim und dem Grafen von Lauenrode über den Rückkauf der kleinen Grafschaft wird ihrer sehr häufig Erwähnung getan. Aber nur höchst selten erfahren wir einen Namen, der uns gestattet, die soziale Stellung dieser Freien näher kennen zu lernen. Soviel ich sehe, treten nur in einer Urkunde Persönlichkeiten als Zeugen auf, die nach ihrer ganzen Qualifikation diesem Freienstand angehört haben müssen. Im Jahr 1178 erbauen die Bewohner der zur großen Grafschaft gehörigen Dörfer Ost- und Nordlopke eine Kirche zu Ostlopke und lösen die neue Gemeinde von der Mutterkirche Lühnde durch Hingabe einer Hufe in Ostlopke an die Mutterkirche. Außerdem schenken sie zur Ausstattung ihrer neuen Kirche zwei Hufen. Zeugen bei diesem Geschäft sind nach zahlreichen Geistlichen, Gerardus et Fridericus liberi homincs ; BrUuo de Kemme, Liuderus, Haoldus, Johannes, Bathardus, Adelbertus, Isoi, Bruninghus, Bernardus, Ido et ceteri parochiani. Da die nicht genannten Zeugen als ceteri parochiani zusammengefasst werden, so müssen die vorher namentlich genannten mindestens zum Teil angesehene parochiani der Cremeinde und damit angesehene Bewohner der Dörfer gewesen sein. Die angesehensten Bewohner der Dörfer waren aber nach den späteren Darlegungen (pag. 19 — 26) freie Leute (Grafschaftsfreie). Daher können wir annehmen, dass die parochiani der Urkunde sämtlich oder zum größten Teil dem Stand der Grafschaftsfreien angehörten. Welche von den Urkundenzeugen sind nun mit annähernder Sicherheit als parochiani zu betrachten? Zunächst sind Gerardus et Fridericus liberi homines unzweifelhaft Angehörige des Edelherrengesehlechts de Novali. Nach ihnen folgt Bruno von Kemme, ein bekannter bischöflicher Dienstmann. Es ist möglich aber nicht wahrscheinlich, dass diese drei Personen parochiani der Dörfer waren, zu den Grafschaftsfreien gehörten sie sicher nicht. Die ihnen nachstehenden neun, nur mit Vornamen genannten Personen mögen sowohl parochiani der Dörfer als auch Grafschaftsfreie gewesen sein. Es ist nun sehr wahrscheinlich, dass mindestens ein Teil von ihnen dem später dienstmännischen Geschlecht der Herren von Lopke augehörte. Denn wir finden in dieser Familie die Vornamen Luder und Adalbert wieder, und außerdem war sie auch in Lopke begütert. Die einzige Urkunde, die eine genauere Identifizierung der Grafschaftsfreien gestattet, weist also mit größter Entschiedenheit auf einen Familienzusammenhang wenigstens einiger dieser Personen mit bischöflichen Dienstmannsgeschlechtern hin.
Wenden wir uns jetzt zu den Nachrichten, die die Verhandlungen zwischen Bischof Konrad von Hildesheim und dem Grafen Konrad von Lauenrode über die Freien enthalten. Diese Verhandlungen, die in den Jahren 1230 bis 1236 stattfanden, drehten sich in der Hauptsache um die Rückerwerbung der als hildesheimisches Lehen in der Hand des Grafen von Lauenrode befindlichen kleinen Grafschaft seitens des Bischofs. Zunächst verpfändete im Jahr 1235 der Graf die kleine Grafschaft an den Bischof für die Dauer von fünf Jahren gegen ein Darlehen von 130 Hildesheimer Pfund. Über die Bewohnerschaft beider Grafschaften wurde folgende Verabredung getroffen: Insuper fuit adiectum quod si de comicia maiori ad minorem vel e eonverso aliquos homines trausire contingat, illi domino ad quem pertinet ea comicia, de qua recesserunt, debite servitutis obsequio sicut antea maneant obligati. Hier wird also der Grundsatz der Personalität ausgesprochen, d. h. die Untertanenschaft bestimmt sich nicht nach dem augenblicklichen Wohnsitz, sondern nach dem Ort der Geburt, der Heimat der betreffenden Person. Im Jahr 1236 veräußerte der Graf endgültig die kleine Grafschaft an den Bischof und erhielt dafür für sich und seine männlichen und weiblichen Verwandten die Belehnung mit der großen Grafschaft. Die Rechtsverhältnisse der Untertanen wurden folgendermaßen geregelt. Frauen gehen durch ihre Verheiratung mit einem Manne der fremden Grafschaft ipso iure in die Angehörigkeit zur Grafschaft der Ehegatten über. Grundbesitzer, die in beiden Grafschaften Güter haben, müssen beiden Herren dienen. Geben sie die Güter in der einen Grafschaft auf, so bleiben sie dem Grafschaftsherrn, in dessen Gebiet ihr zurückbehaltener Besitz belegen ist, Untertan. Die nicht mit (Grundbesitz versehenen Personen, die zu deutsch ungehovede genannt werden, bleiben dem Herrn Untertan, in dessen Gebiet sie zur Zeit des Vertragsabschlusses sich aufhielten. Gehen sie später in die fremde Grafschaft, so kann der Herr sie zurückfordern. Wer von ihnen zur Zeit des Vertragsabschlusses außer Landes weilte, kann bei seiner Rückkehr den Wohnsitz und damit die Grafschaftszugehörigkeit wählen.
Der Grundsatz, dass der Ort der Geburt für die Grafschaftsangehörigkeit entscheiden soll, ist hier aufgegeben. Die Frau geht durch die Heirat in die Grafschaftsangehörigkeit des Mannes über, sie behält also nicht ihre angeborene Grafschaftsangehörigkeit. Für die Untertanenschaft der Grundbesitzer ist entscheidend die Lage des Grundbesitzes. Sie können, wenn sie in beiden Grafschaften begütert sind, eine doppelte Grafschaftsangehörigkeit besitzen. Das Bestreben der Grafschaftsherren scheint dahin zu gehen, sie zur Aufgabe des Grundbesitzes in einer der beiden Grafschaften zu bewegen. Für die Grundbesitzlosen entscheidet der Wohnsitz zur Zeit des Vertragsschlusses.
Zu diesen Verhandlungen tritt nun noch eine Urkunde aus der Zeit zwischen 1230 und 1236, in der Bischof Konrad von Hildesheim auch die große Grafschaft von dem Grafen von Lauenrode zurückerwirbt. Das hier erwähnte Geschäft hat wahrscheinlich niemals stattgefunden, denn die große Grafschaft blieb im Besitz der Grafen von Lauenrode, bis sie an die Herzoge von Braunschweig-Lüneburg überging. Jedoch ist dies für unsere Betrachtungen ohne Belang, da die Echtheit, d. h. die Abfassung des Dokuments in dieser Zeit, zweifellos ist. Hier werden die Freien der großen Grafschaft ausdrücklich erwähnt, sie sind Freie der maior ecclesia und werden von dem Grafen mit Fronden belastet. In den Verhandlungen über die kleine Grafschaft werden die Freien ausdrücklich nicht erwähnt. Es lagen also die Verhältnisse in beiden Grafschaften ziemlich gleichartig. Auch in der kleinen Grafschaft bedrückte der Graf die Freien mit Fronden und dergleichen Lasten, und hier fand der bei der großen Grafschaft wohl nur geplante Rückkauf tatsächlich statt. Die Vereinbarungen über die Grafschaftsangehörigkeit müssen daher in erster Linie auf die Freien bezogen werden. Denn deren Verhältnisse sollten ja geordnet und gebessert werden. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass auch die übrigen Bewohner der Grafschaften einbegriffen waren.
Unter der Annahme, dass die Vorschriften über die Grafschaftszugehörigkeit in erster Linie für die Freien berechnet waren, ergibt sich über deren soziale und rechtliche Verhältnisse folgendes Bild. Es gab verschiedene Arten von Freien, die sich hauptsächlich durch die Größe ihres Grundbesitzes unterschieden. Ein Teil besaß Güter an verschiedenen Orten, ja sogar in den beiden Grafschaften. Natürlich begriff dieser Teil die sozial am höchsten stehenden Freien in sich. Ein anderer Teil war nur an einem Ort begütert, ein dritter war ganz grundbesitzlos. Seine Angehörigen hießen im Gegensatz zu den freien Hofbesitzern die „Ungehoveden". Alle Freien befanden sich schon damals in einer strengen Abhängigkeit vom Grafen, die nach der Art der Hörigkeit oder Ministerialität gestaltet war. Ihre landrechtliche Freiheit und Zugehörigkeit zum Grafschaftsgericht und Verband hatte sich in eine Art Grafschaftshörigkeit verwandelt. Sowohl persönlich wie hinsichtlich ihres Grundeigentums waren sie dem Grafen abgaben- und dienstpflichtig. Der Inbegriff ihrer Verpflichtungen dem Grafen gegenüber wird obsequium debite servitutis genannt. An ihren Freigütern beansprucht der Graf ein Obereigentum, das wahrscheinlich in einem Heimfallrecht an den Grafen beim Aussterben der Freienfamilie zum Ansdnuk. kam. Veräußerungen von Freigütern waren nur innerhalb des Kreises der Freien der betreffenden, Grafschaft unbeschränkt gestattet. Bei Veräußerungen an Fremde, wozu auch Kirchen, Grafen, Edelleute u. s. w. zählten, war die Erlaubnis des Grafen erforderlich, da das Land dann meistens aus dem Verband der Grafschaft ausschied. Überhaupt spielten die Freigüter bei der ganzen Grafschaftsverfassung eine sehr bedeutsame, wahrscheinlich schon damals die wichtigste Rolle.
Die Nachrichten über diese Freigüter sind ebenso spärlich als die über die Freien selbst, aber immerhin ausreichend, um eine Vorstellung von der Wichtigkeit dieser Freigüter für das ganze seltsame Verfassungsgebilde zu bekommen. Im Jahr 1258 erwarb das Kloster Loccum in dem Dorf Udeln (Ödelum) der kleinen. Grafschaft zwei Hufen. Davon war eine Hufe Lehen des hildesheimischen Ministerialen Rathard von Udeln vom Bischof. Die andere Hufe gehörte in die kleine Grafschaft, die der Bischof vom Grafen erworben hatte. Diese Hufe hatten Christianus und Johannes vom Bischof (a nobis) innegehabt (tenuerunt), und diese resignierten dem Bischof die Hufe zur Übertragung an das Kloster. Nehmen wir an, dass es sich bei der Freihufe nicht ebenfalls um ein Lehnsverhältnis, sondern um Eigentum der beiden Besitzer an der Hufe gehandelt hat, so war dieses Eigentum schon völlig in ein lehnartiges Besitzrecht umgebildet worden, unterschied sich also nur noch formell, aber nicht mehr materiell von dem Lehnrecht des Ministerialen. Die Hufe als solche war grafschaftspflichtig, nicht weil ihr augenblicklicher Inhaber ein freier Eigentümer war, sondern weil ein solches Rechtsverhältnis vor Zeiten einmal an der Hufe bestanden, und der Grafschaftsherr vermöge dessen bestimmte Rechte an der Hufe erlangt hatte. Es war also die Rechtsqualität des Inhabers zu einer Rechtsqualität des Grundstücks geworden. Die wahre Grundlage des Grafschafts Verbandes waren nicht mehr wie früher freie Menschen, sondern freie Güter.
Aus diesem Grund schieden auch die Grundstücke, wenn sie in die Hand von außerhalb des Grafschaftsverbandes stehenden Personen gelangten, nicht mehr aus dem Grafschaftsverband aus. Ja selbst das Besitzrecht an freien Gütern brauchte nicht mehr Eigentum oder, besser gesagt, Grafschaftsbesitzrecht zu sein. Im Jahr 1270 befreite der Bischof Otto von Hildesheim den Hof des Maria-Magdalena-Klosters zu Farmsen auf zehn Jahre. Also die Zugehörigkeit der klösterlichen Güter zur Grafschaft bleibt grundsätzlich bestehen, nur vorübergehend wird die Pflicht sistiert. Schon zur Zeit des Übergangs der kleinen Grafschaft aus der Hand der Grafen von Lauenrode an den Bischof von Hildesheim müssen diese Rechtsverhältnisse der Freigüter bestanden haben. Denn nur unter ihrer Annahme wird eine bisher ganz dunkle Stelle verständlich. In der Urkunde vom Jahr 1236 verbürgt sich der Graf von Lauenrode dem Bischof dafür, dass niemand in der kleinen Grafschaft sich irgendein Recht anmaße, außer auf sechs Hufen, die der Bischof weiterverleihen will (quos porrigemus), d. h. deren Lehnsbesitzer der Bischof in ihrem Besitz bestätigen will. Von diesen Hufen hat der hildesheimische Marschall (Konrad von Emmerke) zwei zu Eilstrenge, Burkhard von Saldern zwei in Schwiecheldt, Dietrich von Promen zwei ebenfalls in Eilstrenge. Außer diesen erkennt der Graf keinem ein Recht oder eine potestas in der kleinen Grafschaft zu. Es ist nun völlig ausgeschlossen, dass in der kleinen Grafschaft keine andern Lehns- und Eigentumsrechte von Klöstern, Kirchen, Grafen, Edelherren und Ministerialen an Höfen, Hufen und Grundstücken bestanden haben sollen. Wir besitzen zahlreiche Urkunden, die das Bestehen solcher Rechte zu dieser Zeit in der kleinen Grafschaft außer allen Zweifel setzen. Die Urkunde besagt also nicht, was man leicht annehmen könnte: in der kleinen Grafschaft bestellen außer den Lehnsrechten der drei Ministerialen an sechs Hufen lauter Eigentumsrechte grafschaftspflichtiger Freier, sondern sie will sagen: in der kleinen Grafschaft sind vom grafschaftspflichtigen Freigut nur sechs Hufen an ritterliche Leute zu Lehen gegeben. Nur diese Interpretation gibt einen mit den übrigen Nachrichten vereinbaren Sinn. Die Stelle sieht also von dem übrigen Grundbesitz in der kleinen Grafschaft völlig ab. Sie hat nur das freie Grafschaftsgut im Auge. Dieses soll nicht an Ritter verliehen werden, weil es als Lehen rittermäßiger Leute leicht der Grafschaftslast entfremdet werden kann.
Fassen wir alle diese Nachrichten zusammen, so kann es wohl kaum zweifelhaft sein, dass die grafschaftspflichtigen Freien in der kleinen und großen Grafschaft schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts wirtschaftlich, sozial und rechtlich, wenigstens ihrer Masse nach, zum Bauernstand gehörten. Sie hatten in der Regel nur einen Hof, den sie selbst bewirtschafteten, und von dem sie Fronden und Abgaben an den Grafen leisteten. Die Nachrichten über ihre Bedrückung durch den Grafen und die Ausdrucksweise der Urkunde, die sie als pauperes (arme Leute, eine Art terminus technicus für Bauern) bezeichnet, deuten diese soziale Stellung an. Nicht leicht ist die Frage zu beantworten, ob diese Freien der großen und der kleinen Grafschaft nach der Terminologie des Sachsenspiegels Schöffenbare oder Pfleghafte waren. Wir lassen sie einstweilen offen, da ihre Entscheidung für die uns beschäftigenden Probleme nicht wichtig ist und dabei auf die neuerdings von Heck ausgesprochenen Ansichten ausführlich eingegangen werden müsste. Aber diese bäuerliche Lebensweise und Stellung war nicht allen Grafschaftspflichtigen von Uranfang gemeinsam und eigentümlich. Darauf deutet noch die Urkunde vom Jahr 1236 (II. 16), die grafschaftspflichtige Freie mit Grundbesitz in beiden Grafschaften kennt. Andererseits war die Entwicklung der Grafschaftsverfassung mit Verwandlung des freien Eigentümers in einen zins- und dienstpflichtigen Grafschaftsbauer nicht abgeschlossen. Der nächste Schritt war der, dass Kirchen und Edelleute die Freigüter teils zu Eigen, teils zu Lehen erwarben, den Grafschaftsbauer also auch seines Untereigentums entkleideten. Aber die Grafschaftsverfassung war stärker als das Recht der alten Freien an ihren Gütern. Der Graf erzwang die fortdauernde Zugehörigkeit der Freigüter zur Grafschaft. Soweit die Freigüter dergestalt in die Hand größerer Grundherren kamen, setzten diese neuen Herren bäuerliche Meier auf die Höfe, die ihren Meierzins zahlten und dem Grafen gegenüber die Pflichten der Freien erfüllten und deren Rechte wahrnahmen. Sie wurden schließlich selbst als Freie bezeichnet, obwohl das wichtigste Merkmal der Freiheit, das Grafschaftseigentum an ihren Gütern, ihnen in jeder Hinsieht fehlte. Nur die äußere Form war erhalten geblieben, der Inhalt, das Wesen der alten Verfassung war längst verschwunden. Jedoch führt diese Entwicklung weit über die in Rede stehende Periode hinaus.
Für unsere Betrachtung wesentlich ist nur der Umstand, dass zu Beginn des 13. Jahrhunderts in der kleinen und großen Grafschaft im Nordwesten des Bistums Hildesheim freie Eigentümer in bedeutender Zahl vorhanden waren. Aber diese freien Eigentümer zeigten in ihrer wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Stellung die denkbar größten Gegensätze. Ein Teil dieser Freien bestand aus hochangesehenen Edelherren, die sogar zumeist die Grafenwürde erlangt hatten, ein anderer Teil aus Freibauern, deren ursprünglich freies Eigentum vom Grafen mit Zins und Diensten belastet war, und deren persönliche Stellung sich ebenfalls in eine eigentümliche Grafschaftshörigkeit verwandelt hatte. Ein gemeinsamer Ursprung war trotz dieser Gegensätze unverkennbar, die alte Form der Freiheit war beiden ebenso gemein, wie sich der Inhalt dieses Rechtes geändert hatte. Beide hießen gleichmäßig Freie, das Recht an den Gütern hieß echtes Eigen bei Grafen und Bauern, beider Güter gehörten vor das gleiche Grafengericht; auch das Eigen der Edelherren scheint ursprünglich mit Leistungsverpflichtungen dem Grafen gegenüber beschwert gewesen zu sein. Aber im Beginn des 13. Jahrhunderts besteht der schroffste Gegensatz, der denkbar weiteste Abstand zwischen beiden, die verbindenden Zwischenglieder einer mittleren Klasse fehlen. Der Stand freier kleinerer Grundherren, den wir im Osten des Bistums in überaus charakteristischen Vertretern angetroffen haben, scheint hier nicht vorhanden zu sein. Reste finden sich allerdings und auch Andeutungen, dass er früher in größerer Zahl vorhanden war, aber zu Beginn des 13. Jahrhunderts besteht er nicht mehr; gräfliche Edelherren und Grafschaftsbauern sind die freien Eigentümer in diesen Gebieten.
Das Freigut der Edelherren ist wirkliches freies Eigentum, d. h. es ist frei veräußerlich und Abgaben oder sonstigen Leistungsverpflichtungen an den Grafen nicht mehr unterworfen. Jedoch müssen alle Geschäfte und Verfügungen über dasselbe im echten Ding des Grafen vorgenommen werden. Das Freigut der Grafschaftsfreien ist zins- und dienstpflichtig; es bestehen gewisse Veräußerungsbeschränkungen und ein Heimfallsrecht des Grafen an demselben. Die Eigenschaft als Grafschaftsgut, d. h. der Inbegriff der Rechte und Pflichten der Grafschaftsfreien hinsichtlich ihrer Güter, heftet sich nun wie eine Reallast (oder Realrecht) auf bestimmte Güter. Die Güter behalten diese Rechte und Pflichten, auch wenn sie aus dem Eigentum der Grafschaftsfreien etwa durch Heimfall in die Hand des Grafen oder durch Kauf in die Hand von Kirchen oder Edelleuten übergehen. Der Graf kann sie dann zu Lehen geben, die Kirche oder der Ritter kann sie zu freiem Eigen innehaben. Aber die Pflicht gegenüber dem Grafschaftsherrn muss erfüllt werden. So kann ein Edelherr altes, völlig freies Eigen besitzen und andererseits grafschaftspflichtiges Gut ebenfalls zu Eigentum haben, von dem er die Leistungen des ehemaligen Grafschaftsfreien schuldet.
Wir haben so die weite Verbreitung und Häufigkeit des freien Eigentums und der Freien in allen Teilen des Stiftsgebietes festgestellt. Allerdings sind die sozialen und rechtlichen Verhältnisse dieser Freien und ihres Grundeigens zu Anfang des 13. Jahrhunderts durchaus verschiedenartig; der ursprüngliche einheitliche Stand ist in scharf getrennte Klassen gespalten, aber die allen gemeinsame Grafschaftsverfassung besteht noch; der wichtigste Vereinigungspunkt ist das echte Ding, das Grafengericht, in dem alle Geschäfte über Freigüter vollzogen werden müssen.