Pyramiden in Ägypten

Aegypten zur Zeit der Pyramidenerbauer

Vortrag, gehalten in der Deutschen Orientgesellschaft am 12. Januar 1908
Autor: Meyer, Eduard (1855-1930) deutscher Althistoriker, Ägyptologe und Altorientalist, Erscheinungsjahr: 1909
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Ägypten, Pyramidenbauer, Denkmäler, Babylonien, Monumente, Euphrat und Tigris, Niltal, Pyramiden, Hieroglyphenschrift, Spinx, Tal der Könige, Dynastien, Pyramiden von Gize, Stufenpyramide von Sakkara
Bei keinem Volke der Erde reichen die Denkmäler einer höheren Kultur in so frühe Zeiten hinauf und sind zugleich in solcher Fülle erhalten, wie bei den Ägyptern. Denn in Babylonien, das zeitlich die nächste Stelle einnimmt, sind die Denkmäler viel geringer an Zahl, vor allem infolge des Umstandes, dass in der Tiefebene des Euphrat und Tigris der Stein ein äußerst seltenes und kostspieliges Material bildete; und von den ältesten bekannten Monumenten Babyloniens reicht, wie wir jetzt mit voller Sicherheit aussprechen können, kein einziges an das Jahr 3000 v. Chr. heran1. Das dritte große Kulturvolk ältester Zeit, die Chinesen, folgt noch später. In Ägypten dagegen bestand im Jahre 3000 bereits ein hochkultivierter Einheitsstaat, der das ganze Niltal umfasste und uns nicht wenige Denkmäler hinterlassen hat, das Reich der Könige aus Thinis oder der Thiniten der ersten und zweiten Dynastie. Der Begründer dieses Reichs, der König Menes, dessen großes Ziegelgrab bei Negade in Oberägypten erhalten ist, hat rund um 3300 v. Chr. gelebt. Auch in die Zeiten, die vor ihm liegen, können wir einen Einblick gewinnen, teils aus der geschichtlichen Überlieferung der Folgezeit, die uns z. B. noch Königslisten aus dieser Epoche erhalten hat, sowie durch Rückschlüsse aus den späteren Zuständen, teils durch zahlreiche Grabfunde aus Oberägypten, deren Inhalt uns die Entwicklung der materiellen Kultur des Niltals, der Technik in Ton und Stein, des Verkehrslebens, der Vorgeschichte der ägyptischen Zeichnung und Malerei und zugleich der Ausbildung der Hieroglyphenschrift kennen lehrt.

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Dem Einheitsstaat des Menes sind zwei Reiche vorangegangen, deren eines das langgestreckte oberägyptische Niltal, das andere das Marschland des Deltas umfasste. Beide Reiche waren in ihren staatlichen und rechtlichen Einrichtungen und in ihrer Religion ganz gleichartig gebildet. Sie sind geschaffen von einem Stamme, der den Gott Horus als Hauptgott verehrte, einen kriegerischen Lichtgott, der sich in Gestalt eines Falken manifestierte, mit leuchtenden Augen und buntem Gefieder, der zugleich aber in der Person des Herrschers unmittelbar in die Erscheinung trat. Daher ist der König identisch mit dem Gotte Horus und führt neben seinem Eigennamen noch einen besonderen Horusnamen als die zeitweilige Inkarnation dieses Gottes; die beiden Reiche heißen die Reiche der ,,Horusverehrer“, und neben den profanen Hauptstädten, Elkab (Nechab, Eileithya, dem Sitz der das Reich schirmenden Geiergöttin) in Oberägypten und Buto (Dep, dem Sitz einer Schlangengöttin) im Delta, liegen, durch den Strom von ihnen getrennt, die Horusstädte (Nechen oder Hierakonpolis und Pê), in denen mit dem Gotte zugleich auch der Gott-König als Horus in seinem Palaste residiert und die Reichsverwaltung ihren Sitz hat. — Noch vor diesen beiden Reichen der Horusverehrer vermögen wir ein uraltes unterägyptisches Reich zu erkennen, mit dem Sitz in Heliopolis und Memphis, das nicht nur in der ägyptischen Religion sehr greifbare Spuren hinterlassen, sondern auch den ägyptischen Kalender geschaffen hat. Dieser Kalender ist, wie die Einrichtung des Wandeljahres lehrt, das ihm zugrunde liegt, am 19. Juli 4241 v. Chr. eingeführt worden und hat von diesem Termine an — dem ältesten festen Datum, welches die Geschichte der Menschheit kennt — 4000 Jahre lang unverändert in Ägypten bestanden2.

Wir haben bei diesen ältesten Zeiten nicht länger zu verweilen. Die Kultur dieses ganzen langen Zeitraums trägt, wenn auch Edelmetalle sowie kupferne Gefäße und Werkzeuge vorkommen, doch den ausgeprägten Charakter der jüngeren Steinzeit, aber einer Steinzeit, in der sich die Technik in der Herstellung der Feuersteinmesser und der Gefäße aus härtestem Gestein sowie aus dem weicheren Alabaster zu einer Vollkommenheit entwickelt hat, die nirgends sonst ihres Gleichen hat. Wie weit daneben das künstlerische Darstellungsvermögen fortgeschritten war, zeigen mehrere große Schiefertafeln aus den letzten Zeiten der Horusverehrer Oberägyptens, die wir als Schminktafeln bezeichnen, weil sie in der Mitte einen runden Napf zum Aufreiben der grünen Farbe enthalten, mit der der Ägypter Brauen und Lider der Augen schmückte, und die er daher auch als einen unentbehrlichen Bestandteil seiner Toilette mit ins Grab nahm. Die besseren Exemplare dieser Schminktafeln sind mit Schnitzereien und Reliefs verziert; die besten stammen aus dem Besitz der Könige selbst und verherrlichen deren Kämpfe und Siege; dabei zeigen sie zugleich die ersten Anfänge der Entwickelung der Hieroglyphenschrift, die hier wie sonst mit den symbolischen Darstellungen der Zeichnung zu einer untrennbaren Einheit verbunden ist. Die jüngste und vollendetste Tafel (Taf. I) stammt von einem König, dessen Name mit den Zeichen Nar-mer geschrieben wird; er muss der Zeit unmittelbar vor Menes angehören, ja vielleicht trifft die Vermutung, dass er mit Menes identisch ist, das Richtige. Die Tafel ist oben auf beiden Seiten mit den Kuhköpfen der Göttin Hathôr geschmückt, zwischen denen im Rahmen des Portals des Palastes der Name Narmer steht. Die Vorderseite zeigt in der Mitte den Schminknapf, umrahmt von den Hälsen zweier phantastischer Tiere, einer Mischung von Löwen, Giraffen und Schlangen, die von Ägyptern an Stricken gehalten werden. Solche Mischwesen, symmetrisch angeordnet, finden sich auch sonst auf den Schminktafeln vielfach. Die Rückseite zeigt den König, mit der helmförmigen weißen Krone Oberägyptens, am Gürtel den Löwenschwanz — hinter ihm steht in kleinerer Gestalt sein Sandalenträger — , wie er einen in die Knie gesunkenen Feind beim Schopf gepackt hat und mit der Streitkeule zu Boden schlägt. Solche Keulen, bestehend aus einem Holzschaft und einer großen, oft mit bildlichen Darstellungen geschmückten Steinkugel, sind uns mehrfach erhalten, auch von Narmer selbst. Durch das beigefügte Hieroglyphenzeichen, die Harpune, ist der Feind als Repräsentant des 7. unterägyptischen Gaus im Nordwesten des Deltas bezeichnet. Darüber sehen wir den Horusfalken; er hält in der Klaue einen Strick, welcher durch die Oberlippe eines feindlichen Kopfes gelegt ist, der aus einem Landstreifen herauswächst; die dahinter stehenden 6 Papyrusstengel geben die Zahl der Gefangenen auf 6.000 an. Unten liegen zwei erschlagene Feinde, deren Heimat durch die beigefügten Zeichen angegeben ist. Auf der Vorderseite sehen wir unten den „kräftigen Stier“ — eine sehr gewöhnliche Darstellung des Königs — , wie er die Mauer einer feindlichen Stadt mit den Hörnern einrennt und ihre Bewohner zu Boden tritt. Über dem Schminknapf ist das Siegesfest dargestellt. Der König trägt hier die rote Krone Unterägyptens, die er vielleicht eben durch diesen Kampf gewonnen hat, eine Art Kappe mit einem hochragenden Rücken, aus der ein seltsamer spiralisch gewundener Draht herausragt. Hinter ihm steht wieder der Sandalenträger, vor ihm wahrscheinlich der Vezir, und davor vier Götterstandarten — zwei Horusfalken, der wolfsgestaltige Kriegsgott Upuaut, und ein unbekannter Gott. Rechts sind die Leichen der Gefallenen aufgeschichtet, das abgeschlagene Haupt zwischen den Füßen. Darüber ist wieder zweimal der Horusfalke dargestellt, der diesmal mit dem Schnabel auf die Hieroglyphenzeichen von zwei feindlichen Gauen stößt; das zur Rechten ist das uns schon bekannte Zeichen des Harpunengaus.

Als ganzes kann dieses Monument bereits als ein Repräsentant der Eigenart der ägyptischen Kunst gelten. Besonders anschaulich tritt ihr Symbolismus hervor: die hier dargestellten Szenen treten uns, wenn auch mit Modifikationen und Erweiterungen im einzelnen, in der Folgezeit immer wieder entgegen; nur die phantastischen Tiergestalten sind von der höheren Kunst alsbald fast ganz aufgegeben worden. Dass die Hauptfigur, der König, viel größer gebildet wurde als die Diener, ist selbstverständlich. Eine wirkliche Nachbildung eines realen, auf einen bestimmten Moment gestellten Vorgangs liegt dieser wie jeder naturwüchsigen Kunst völlig fern; sie will vielmehr eine Reihe von Gedanken zum Ausdruck bringen und bedarf daher der Umsetzung in Worte, um verstanden zu werden. Die Zeichnung der menschlichen Figur ist in den Grundzügen schon dieselbe, welche aus der späteren ägyptischen Kunst bekannt ist: sie ist, wie jede auf gleicher Stufe stehende Kunst, beherrscht von dem Streben, jeden einzelnen Körperteil in der Gestalt zu zeigen, die der Vorstellung als sein vollständiges, korrektes Bild vorschwebte. Daher sind Kopf, Arme und Beine im Profil gezeichnet, die Augen und die Brust dagegen en face. Dadurch kommt ein unmöglicher Umriss der Gesamtfigur heraus, der dem Ägypter aber doch als natürlich und selbstverständlich erscheint, und in den wir uns hineinsehen müssen, wenn wir die Leistungen der ägyptischen Kunst richtig würdigen wollen. Im übrigen zeigt sich auch hier schon das Streben, die menschliche Gestalt schlank und elegant, in gefälligen Proportionen hinzustellen, und die Muskulatur sorgfältig wiederzugeben. Aber noch hat sie einen derben, unbeholfenen Charakter; noch ist auch der feine Schnitt des späteren ägyptischen Gesichtstypus nicht erreicht, und der Kopf sitzt unnatürlich und plump auf dem Rumpf. Ferner trug man damals noch Backen- und Schnurrbart, während die Lippen glatt rasiert wurden. So haben diese Figuren noch etwas unägyptisches, desgleichen der Falke mit seiner gedrungenen breiten Figur im Gegensatz zu den schlanken Vogelgestalten der Folgezeit, und ebenso der Stier und die Hathôrköpfe.

Der entscheidende Schritt zur klassischen ägyptischen Kunst ist, wie zahlreiche Monumente zeigen, unter dem zweiten König der ersten Thinitendynastie geschehen. Wie damals die Sitte aufkam, Haupthaar und Bart abzurasieren — bei feierlichen Anlässen wird fortan eine große Perücke und ein kleiner künstlicher Stutzbart getragen — , wie man gleichzeitig zahlreiche Formen der älteren Kunst aufgab, unter anderem auch die Schminktafeln und die phantastischen Mischwesen, wie auch in den Stein- und Tongefäßen eine Beschränkung auf wenige, einfache, streng stilisierte Formen durchgeführt wurde , so ist damals auch die Zeichnung streng stilisiert worden: die Umrisslinien werden festgesetzt, welche fortan alle ägyptischen Zeichnungen einschließlich der Hieroglyphenschrift beherrschen. Lebendig tritt uns der Fortschritt entgegen, wenn wir das wirkungsvollste Kunstwerk dieser Epoche betrachten, den Grabstein Atoti's II, des zweiten Nachfolgers des Menes, von seinem Grabe in Abydos, gegenwärtig im Louvre (Taf. 2). Auf der fast 1 1/2 Meter hohen Stele steht weiter nichts als der Horusname des Königs, der mit einem einzigen Zeichen, einer Schlange, geschrieben ist. Er ist in üblicher Weise umrahmt von dem Portal des Königspalastes, auf dem ein gewaltiger Falke sitzt, das Symbol des hier thronenden lebendigen Horus. Kein Zweifel, dass das Portal des Palastes selbst genau wiedergegeben ist, ein Bau von ungebrannten Nilschlammziegeln und Holz, mit zwei Türen, die eine für das Südreich, die andere für das Nordreich, deren Herrschaft in der Person des Horuskönigs vereinigt ist; in den Nischen zwischen den schlanken Pfeilern hängen lange Teppiche herunter. Darüber prangt auf breiter flacher Tafel der Königsname. Auch aus diesem Monument noch weht uns der Erdgeruch des Archaismus entgegen, vor allem aus dem mächtigen Auge und den riesigen Krallen des Falken; zugleich jedoch erkennen wir sowohl in der hochaufgerichteten Gestalt des Falken, wie in der peinlichen Sauberkeit der Ausführung alles Details, den gewaltigen Fortschritt über die Kunst Narmers hinaus. Vor allem ist das künstlerische Empfinden ein ganz anderes geworden. Die große Wirkung der Stele beruht gerade auf ihrer Schlichtheit, auf der Einfachheit der Komposition; unübertrefflich ist vor allem die Art, wie auf der großen kahlen Fläche über den Toren die Schlange sich in einfacher, natürlicher Windung mächtig zum Sprunge aufrichtet. Die ägyptische Kunst ist vornehm geworden: sie hat sich fühlen gelernt, sie hat ein selbständiges Bewusstsein gewonnen von den Bedingungen sowohl, wie von den Mitteln und Formen, die sie verwenden darf, um eine sichere Wirkung zu erzielen.

Aber wir dürfen bei der Thinitenzeit nicht länger verweilen, sondern müssen dem Höhepunkt der altägyptischen Entwickelung zustreben. Die Thiniten haben, in zwei Dynastien, etwa 400 Jahre lang über Ägypten geherrscht, ca. 3300 — 2900 v. Chr. Dann verschiebt sich der Schwerpunkt des Reichs nach Norden, an die Grenze der beiden Reiche, in das Gebiet des Ptahheiligtums von Memphis, wo wie es scheint schon Menes eine Festung, die „weiße Mauer“, gebaut und seine Nachfolger wenigstens teilweise residiert und ihre Gräber angelegt hatten3. Diese Verschiebung ist aber nicht nur äußerlich gewesen, sondern sie tritt sehr augenfällig darin hervor, dass während die älteren Könige ihre Bauten in Ziegeln ausgeführt haben, mit König Zoser, dem ersten Herrscher der dritten Dynastie, der Steinbau beginnt4. Damit hängt aufs engste eine tiefgreifende Umwandlung der Gestalt des Königsgrabes zusammen. Die ältern Könige setzten ihre Leiche in einer Grabkammer von Ziegeln und Holz bei, rings umgeben von den Zellen für ihre Frauen, Diener und Beamten; darüber wurde ursprünglich wie es scheint ein Sandhügel, dann ein rechteckiger Ziegelbau mit schräg ansteigenden Wänden errichtet, den die Araber nicht unpassend als eine große ,,Bank“ Mastaba bezeichnen. Zoser hat sich zum ersten Male ein riesiges Grabmal aus Stein errichtet, indem er die Mitte des Baus höher hinaufführte und in Absätzen immer weiter einzog. So hat er über der unterirdischen Grabkammer gewissermaßen sechs Mastabas, eine immer kleiner als die andere, aufgetürmt, die Stufenpyramide von Sakkara (Abb. I), deren Grabkammer eine der Zierden unsres Museums bildet. Seine Nachfolger sind von da aus schrittweise zu der reinen Pyramidenform gelangt. Die dritte Dynastie hat nur wenig über ein halbes Jahrhundert bestanden; mit König Snofru, um 2840 v. Chr., beginnt die vierte Dynastie, und damit der erste Höhepunkt der Geschichte Ägyptens, die Zeit, die wir als das Alte Reich bezeichnen. Sie umfasst, in zwei Dynastien, der vierten und fünften, einen Zeitraum von drei Jahrhunderten; mit der sechsten Dynastie, um 2540, beginnt dann langsam eine Epoche des Niedergangs und der Zersetzung.

Abb. 1. Stufenpyramide von Sakkara.
Abb. 2. Pyramiden von Gize


Die Könige der vierten Dynastie sind die Erbauer der gewaltigen Pyramiden von Gize bei Memphis: Snofru5, Cheops, Chephren, Mykerinos. Ich brauche diese riesigen Bauwerke, an Masse des verwendeten Materials weitaus die größten, welche die Erde trägt, nicht eingehender zu besprechen (Abb. 2). Sie liegen oben am Rande des Wüstenplateaus, oberhalb der Residenzstadt des Herrschers. Denn noch lange war es ständiger, von dem Ritual, das den Staat beherrschte, vorgeschriebener Brauch, dass jeder neue Herrscher sich auch eine neue Königsstadt baute6, die seinen Palast und die Wohnungen seines Hofes enthielt und von einer viereckigen Mauer umschlossen war. Von ihr führt eine Rampe, mit einem Torbau am Fuß, hinauf zu dem Grabe des Herrschers; vor der Pyramide lag der Totentempel des Königs, zunächst von Ziegeln erbaut, dann, wenn die Zeit es gestattete, wenigstens teilweise in Stein umgesetzt.

Abb. 3. Gräberfeld hinter der großen Pyramide von Gize.
Abb. 4. Eine Mastaba von Gize.


Rings um das Grab des Herrschers liegen, in regelmäßigen Reihen geordnet, die Gräber seines Hofstaats und seiner Beamten (Abb. 3), auf die jetzt die Form der Mastaba, der rechteckigen Steinbank, übergegangen ist. Unter diesen massiven Steinbauten (Abb. 4) liegt in tiefem Schacht die Leiche des Toten; in die Mastaba eingelassen ist eine Kammer für den Totenkult, in kleineren Dimensionen dem Totentempel des Pharao entsprechend, deren Wände mit Darstellungen und Formeln des Totendienstes und Szenen aus dem Leben des Verstorbenen in bemaltem Relief geschmückt sind. Von der Gestalt dieser Grabkammern mag der Eingang in die Mastaba des Mereb, eines Sohnes des Cheops, die im Berliner Museum wieder aufgebaut ist, ein Bild geben (Taf. 3). Es ist die Nachbildung eines Hauses in Stein; über der Tür ist der in Stein umgesetzte runde Balken deutlich erkennbar, darüber, wie bei dem Grabstein des Schlangenkönigs, eine große Platte, auf der die stereotype Formel steht, welche dem Toten Speise und Trank an allen Festtagen und jedem Tage des Jahres sichert. Zu beiden Seiten der Tür ist er selbst in riesiger Gestalt abgebildet, in den Händen Stock und Szepter, neben ihm sein kleiner Sohn. Im Innern der Kammer ist das wesentlichste Stück das große Portal, die sog. Scheintür, durch die der Geist des Toten, der durch die Zauberformeln des Bestattungsrituals mit dauerndem künstlichen Fortleben auf Erden begabt ist, aus dem Dunkel des Grabes ans Tageslicht hervortritt. Ein gutes Beispiel gibt die Scheintür aus dem Grabe des Manofer, am Ende der fünften Dynastie (Taf. 4); die rechtwinklig zur Tür stehenden Seitenwände der Kammer mit ihrem Schmuck in flachem Relief (die Farben sind nicht mehr erhalten) sind in unserm Museum, dessen Aufstellung die Abbildung wiedergibt, neben das Portal gesetzt. Vor demselben stehen Opfersteine für die Speisen, Getränke und heiligen Öle, Ständer für Schalen, Kandelaber u. ä., die anderen Gräbern entnommen sind.

Abb. 5. Relief des Königs Neweserrê aus seinem Totentempel in Abusir.

Schon durch ihr Dasein geben uns diese Grabbauten einen Begriff von dem Charakter des Staats, der sie geschaffen hat. Seinen Mittelpunkt bildet durchaus und ausschließlich der König. Er ist ein ,,großer Gott“, der Gott Horus in Menschengestalt, von den Göttern gezeugt und auferzogen; ihm haben sie das Niltal zu Füßen gelegt, und er verkehrt mit ihnen wie mit seines Gleichen. Das Relief einer Tempelwand aus dem Totentempel des Neweserre, aus der Mitte der fünften Dynastie, das wir den Ausgrabungen der Orient -Gesellschaft verdanken (Abb. 5), zeigt den König Neweserrê in vollem Ornat, auf dem Haupte eine Götterkrone von Hörnern und Federn, am Stirnreif die giftgeschwollene Uräusschlange; der Löwenschwanz, ein weiteres Abzeichen seiner Würde, ist zwischen die Beine gelegt. Die Göttin Buto, die Schirmherrin Unterägyptens , umarmt ihn , der hundsköpfige Gott Anubis reicht ihm die Symbole des Lebens. Auf anderen Reliefs wird der König von der Löwengöttin Sechmet gesäugt und mit Löwenkraft ausgerüstet. Am Fuß des Throns verknoten zwei Nilgötter die beiden Pflanzen, welche als Symbole der beiden Reiche gelten. Vor dem Thron steht in gebückter Haltung das ,,Gefolge des Pharao“ mit gesenkten Stöcken und macht einen „schönen Weg vor Sr. Majestät“, d. h. sie bilden Spalier. Alle Machtmittel des Reichs stehen zur unbeschränkten Verfügung des Herrschers; und er verwendet sie vor allem für die größte Aufgabe, die ihm gestellt ist, sich selbst einen gewaltigen Grabbau zu errichten, der womöglich die seiner Vorgänger übertrifft. Gleich nach der Thronbesteigung wird hinter der Residenz der Platz dafür gewählt und der Bau begonnen, der zu immer größeren Dimensionen anwächst, bis der Tod den Herrscher ereilt. Irgend einen selbständig neben ihm stehenden Willen, irgend ein Sonderrecht gibt es nicht: das Alte Reich kennt keinen Adel und keine erblichen Privilegien. Es ist ein streng zentralisierter Beamtenstaat mit einer bis ins kleinste durchgeführten Organisation. Daher spielt sich das ganze Leben des Reichs ausschließlich in der Hauptstadt ab, und nur hier gibt es in der vierten Dynastie Mastabagräber. Die Stellung jedes Untertans hängt ausschließlich von der Gnade des Pharao ab; aber mit freigebiger Hand beschenkt er seine Beamten und Günstlinge nicht nur mit Lebensmitteln und Kostbarkeiten — wenn auch Wertmessung nach Gold und Kupfer vorkommt und uns mehrere Gewichte zum Wägen des Goldes aus dieser Zeit erhalten sind, so gab es doch eigentliches Geld damals in Ägypten noch nicht, es herrschte vielmehr volle Naturalwirtschaft — , sondern auch mit Land und Leuten. So ist es gekommen, dass sich in diesem Staat dennoch ein herrschender Stand von Magnaten mit großem Grundbesitz gebildet hat. Das hat dann langsam zu einer inneren Wandlung des Staats geführt, deren Anzeichen uns im Verlauf der fünften Dynastie entgegentreten. Die Ämter werden allmählich zwar nicht rechtlich aber doch tatsächlich in weitem Umfange erblich, die großen Familien gewinnen eine selbständige Macht, die lokalen Ansprüche und Interessen beginnen hervorzutreten. Die Magnaten fangen seit der Mitte der fünften Dynastie an, sich gelegentlich Gräber bei ihrer Gaustadt, fern von der Residenz, anzulegen. Es ist derselbe Prozess, durch den sich der Beamtenstaat Karls des Großen in den Feudalstaat des Mittelalters umgewandelt hat.

Die Allmacht des Pharao der vierten Dynastie unterliegt nur einer Beschränkung. Wenn er ein großer Gott ist und sein Wille göttliches Gebot, so muss er sich auch verhalten wie ein Gott. Er hat nicht nur die Aufgabe, die Machtstellung des Reichs nach außen und die Rechtsordnung im Innern aufrecht zu erhalten — denn eben darum verehrt man wie den Gott so den König und gewährt ihm seine Vorrechte und bringt ihnen Opfer, Geschenke und Abgaben dar — , sondern er muss sich auch dem Zeremoniell fügen, das für ihn genau eben so unabänderlich seit Urzeiten besteht, wie im Kultus für die Gottheit, und ihm genau vorschreibt, was er zu tun und zu lassen, welche Formen er bei jedem Anlass zu beobachten hat. An zahlreichen Anzeichen können wir erkennen, wie stark dadurch die theoretische Allmacht des Gott-Königs in der Praxis beschränkt und gebunden gewesen ist.

Der Totendienst, der in der Entwickelung der ägyptischen Kultur eine so dominierende Rolle spielt, ist erwachsen aus der in sehr verschiedener Stärke bei allen Völkern vorhandenen Vorstellung, dass in dem lebendigen Menschen ein geistiges Wesen sitzt mit einem wohl gelegentlich in Träumen und Visionen erscheinenden, aber nicht greifbaren, gespenstischen Leibe, und dass dieser Geist beim Tode aus dem Körper herausfährt und im Grabe und im Dunkel der Geisterwelt weiter lebt. Freilich ist es ein trostloses Dasein, ohne Körper, ohne Lebenskraft, ohne Sinnesorgane, und vor allem ohne Speise und Trank. Aber man kann diesem Notstande wenigstens teilweise abhelfen, indem man dem Toten mit ins Grab gibt, was er an Nahrung und Kleidung, an Waffen und Werkzeugen, an Frauen und Dienern braucht, und ihm an bestimmten Tagen seinen Bedarf erneuert. Bekanntlich hat sich diese Vorstellung bei barbarischen Völkern vor allem bei den Häuptlingen zu einem komplizierten blutigen Ritual entwickelt; und wir dürfen annehmen, dass auch in Ägypten einmal dem König sein Gefolge und sein Harem ins Grab hat folgen müssen. Aber wie alle Barbarei, so ist auch diese Sitte von den Ägyptern in unglaublich früher Zeit überwunden worden; sie lebt nur noch rudimentär darin fort, dass der König (so durchweg unter den Thiniten) seinen Frauen und Dienern, seinen Zwergen und Hunden, und den hohen Beamten seines Reichs eine Grabstätte in seiner Nähe bereitet. Zugleich aber haben sich bestimmte Anschauungen entwickelt, welche den Vorstellungen vom Fortleben nach dem Tode eine weit konkretere Gestalt geben. Die eine ist die, dass der König nach dem Tode als Fixstern am Himmel erscheint, und zwar als einer der Circumpolarsterne, die niemals untergehen, und dass er zugleich in das Gefolge des weltbeherrschenden Sonnengottes Rê eintritt und mit ihm in der Sonnenbarke tagtäglich über den Himmel fährt. Dem tritt eine andere Anschauung zur Seite, die in dem Kultus der Deltastadt Busiris wurzelt. Hier haust in einem Erdhügel ein unterirdischer, gestorbener Gott, Osiris, der Gott mit ,,stillstehendem Herzen“. Aber auch im Tode hat er eine magische Kraft bewahrt: aus seinem Grabe heraus lässt er das Leben der Pflanzen ersprießen, in dem alljährlichen Wiedererwachen der Vegetation manifestiert er immer von neuem seine Lebens- und Zeugungskraft. Die in Abb. 6 zusammengestellten Abbildungen aus späteren Denkmälern zeigen rechts oben den Grabhügel des Osiris, in dem sein Name steht, mit den daraus sprießenden Pflanzen, darunter das verschlossene Grab mit dem Baum daneben, auf dem die Seele des Osiris in Gestalt eines Reihers, des Phoenix, sitzt; ferner links unten die Leiche des Gottes im Sarge, den ein mächtiger Baum trägt und beschattet7, während Isis und Nephthys ihn trauernd umstehen, und darüber die Leiche, aus der die Saat aufsprießt, die ein Diener besprengt. Osiris Schicksale erklärt die heilige Sage dadurch, dass er ehemals als weiser König über Ägypten geherrscht habe, dann aber durch seinen bösen Bruder Seth hinterlistig in den Sarg gelockt und getötet sei; aber sein Sohn Horus habe den Mord des Vaters gerächt und ihn durch Zauber zu neuem, künstlichen Leben erweckt. Die Formeln und Riten dieses Zaubers werden nun auf die Leiche des Königs angewendet, der ja auch ein Gott auf Erden ist wie Osiris und doch den Tod leiden muss, und nun aufs neue ein ewiges Leihen ohne neues Sterben gewinnen soll. Daher wird der Verstorbene in diesen Zaubertexten direkt mit Osiris identifiziert; und damit werden in wüstem magischem Wirrwarr die Formeln verschmolzen, die aus den andern vorhin berührten Vorstellungen erwachsen sind. Diese Formeln sind uns an den Wänden der Grabkammern der Pyramiden vom Ende der fünften und Anfang der sechsten Dynastie, in den sogenannten Pyramidentexten, in großer Fülle erhalten, ragen aber ihrem Ursprung nach in sehr viel ältere Zeiten, zum Teil weit über Menes, hinauf. Trotz ihres äußerst bizarren Charakters haben sie doch einen Keim enthalten, der zu einer Weiterentwickelung des religiösen Denkens geführt hat. Aber wir haben uns aufs peinlichste vor der scheinbar so nahe Hegenden Vorstellung zu hüten, als enthielten sie an sich irgendwelche transcendente Ideen oder gar die Sehnsucht nach einem besseren, überirdischen Dasein. Im Gegenteil, sie sind durchaus materiell und irdisch gedacht: gerade weil das Leben so schön und genussreich ist, möchte man es in alle Ewigkeit verlängern und die Pein des Daseins nach dem Tode beseitigen. Auf eine Wiederbelebung des Leibes, auf eine Zusammenfügung und Wiedereinrenkung der zerfallenen Knochen, auf die Wiederherstellung aller Genüsse des sinnlichen Daseins laufen alle diese Texte hinaus.

Abb. 6. Vier Darstellungen des Osirisgrabes aus späterer Zeit.

Was dem König gewährt wird, möchte er auch seinen Dienern und Beamten zugänglich machen; wie andere Gnaden schenkt er ihnen daher auch ein reich ausgestattetes Grab oder wenigstens die Erlaubnis, ein solches zu bauen, er bewilligt ihnen die ,,königlichen Totenopfer“; die gesamte Ausstattung der Privatgräber ist vom Königsgrab auf sie übertragen, und eben darum prangt an der Innenwand der Grabkammern der Mastabas als Scheintür mehrfach das Portal des Königspalastes. Die Machtmittel, die dem Alten Reich zu Gebote standen, ermöglichten diese Bedürfnisse in vollstem Umfang zu befriedigen. Wenn die Wohnungen für das zeitliche, rasch vergehende Leben aus Schlammziegeln, Schilf und Holz gebaut sind, so erforderte das ,,Haus der Ewigkeit“, das Grab, den Steinbau. Seine Ausschmückung gewährt der bildenden Kunst reiche Beschäftigung; in den ununterbrochenen Arbeiten für die Gräber hat sie sich ständig fortentwickelt und immer reicher entfaltet. Die Gefahr bestand immer, dass trotz aller Vorsichtsmaßregeln die Leiche, in der der Geist wohnen soll, doch zu Grunde gehen könne; so schaffte man für sie Ersatz in zahlreichen Statuen von Stein und Holz, die in die Mastaba oder beim Königsgrab in die Kammern des Totentempels gesetzt werden. Was die bildende Kunst hier schon in der vierten Dynastie zu leisten vermochte, zeigen die zahlreichen Statuen des Chephren, von denen ein Kopf hier als Probe vorgeführt werden mag (Taf. 5). Der König sitzt in voller Majestät auf seinem Thron, beschirmt von dem Falken des Horus. Was diese Arbeit aus gestreiftem Diorit noch bewunderungswürdiger macht, ist, dass dem Künstler Werkzeuge von hartem Metall noch nicht zu Gebote standen; denn selbst wenn damals in Ägypten das Eisen schon bekannt gewesen zu sein scheint, so doch jedenfalls nur in weichem Zustande. Behauen ist der Diorit mit Werkzeugen von Stein und gehärtetem Kupfer, und dann durch Schleifen mit Sand und Sandstein das Detail herausgearbeitet und die Flächen geglättet. — Im Gegensatz zu der steifen, feierlichen Haltung der Königsstatuen zeigen die Statuen gewöhnlicher Sterblicher aus Kalkstein und Holz eine wesentlich lebensvollere Gestaltung, oft mit ganz überraschender Wiedergabe der individuellen Porträtzüge: so die schon dem Anfang der vierten Dynastie angehörenden Statuen des Prinzen Rahotep, eines Sohnes des Snofru, und seiner Gemahlin Nofret (Taf. 6). Daran reihe ich die berühmte Statue des Schreibers im Louvre (Taf. 7), aus rotem Kalkstein (Mitte der fünften Dynastie), die einen Beamten in seiner Bureautätigkeit vorführt, die Schriftrolle auf dem Schöße. Die Augen bestehen, wie oft auch bei den Reliefs, aus einem eingelegten weißen Quarzstück; darin ist ein durchsichtiger Bergkristall als Iris eingesetzt, die Pupille bildet ein kleiner Metallknopf; die Lider bestehen aus schmalen Bronzestreifen. Das wahrscheinlich etwas ältere Bild des Hesirê (in Kairo) auf einer Holztafel aus seinem Grabe (Taf. 8) mag zeigen, wie die Künstler dieser Zeit auch im Relief mit der vornehmen 1Haltung eines ägyptischen Magnaten den lebendigen Ausdruck der individuellen Züge zu verbinden vermochten, und in der Behandlung des Knochenbaus, der Muskulatur und der feinen Spannung der Haut das lebensvolle Bild eines Menschen geschaffen haben. Gerade die uns so fremdartige Behandlung der Umrisse des Körpers schafft eine Symmetrie, ein inneres Gleichgewicht der Gestalt, das, wenn man sich einmal an diese Zeichnung gewöhnt hat, die Eigenart ihrer Wirkung wesentlich steigert. Das Glanzstück der Porträtkunst des Alten Reichs bildet die nahezu lebensgroße Holzstatue aus einem Grabe in Sakkara, dem die Araber die Bezeichnung des ,,Dorfschulzen“ Schêch el-beled gegeben haben (Abb. 7). Ich füge noch eine vortreffliche Wiedergabe des Kopfes hinzu (Taf. 9); die vollen, derben Züge des alten Herrn können zugleich als eine charakteristische Probe des echt ägyptischen Typus gelten.

Abb. 7. Holzstatue des Schêch el-beled.

Von dem reichen Reliefschmuck der Gräber kann ich nur einige wenige Proben rasch vorführen. Zunächst eine Wand aus dem Grabe des Rahotep, den wir eben kennen gelernt haben, in einer Zeichnung, aus der sich auch die Farbengebung des Originals noch erkennen lässt (Abb. 8). Es sind Szenen des Bootbaus, des Fischfangs, der Viehzucht, des Schlachtens, denen der Tote in üblicher Riesengestalt zuschaut; rechts unten bringen die Bauern und Bäuerinnen seiner Güter die ihnen auferlegten Gaben zum Totenopfer herbei. Wir sind hier noch in der archaischen Zeit, zu Anfang der vierten Dynastie, wo die Kunst sich an größere Kompositionen und lebensvolle Szenen noch nicht heranwagt, sondern einige wenige Figuren in einfacher Aktion neben einander stellt. Ich mache noch darauf aufmerksam, wie die ägyptische Kunst die Aufgabe, einen Menschen im Profil in voller Tätigkeit darzustellen, in dieser Zeit niemals wirklich zu lösen vermocht hat: einige Male sind die Arme wenigstens richtig an die Schultern angesetzt, die in voller Vorderansicht und daher in Verdrehung gezeichnet sind; in der Regel aber wird der Mensch einfach in der Mitte zusammengeklappt , so dass die beiden Anne von derselben Schulter auszugehen scheinen. Wenn daher derartige Bilder menschlichen Lebens immer etwas Gezwungenes behalten, so sind, wie in jeder ursprünglichen Kunst, die Tiergestalten weit besser gelungen. Hier hat man wirklich scharf und treffend beobachtet; und so wird man z. H. das Bild einer Gänseherde aus demselben Grabe (Taf. 10) mit Vergnügen betrachten.

Abb. 8. Wand aus dem Grabe des Rahotep.

So bitter Ernst es den Ägyptern mit der Fortsetzung des irdischen Lebens nach dem Tode ist, so massiv realistisch diese Vorstellungen gedacht sind, so mußte dennoch wie im Totendienst jedes anderen Volkes auch die Empfindung sich Bahn brechen, dass trotz aller angewandten Mittel die Kluft zwischen Leben und Tod nun einmal nicht überbrückt werden kann, dass der Tote trotz alledem ein wirklich lebendiges Dasein nicht gewinnt, sondern im besten Falle nur ein Schattendasein als gespenstischer Schemen. Das wirkt auf die ganze Einrichtung der Gräber zurück: der Tote kann nicht wirklich auf seine Felder gehen und auf dem Nil umherfahren, sondern ihm genügen die Scheinwesen, die man an die Wände seines Grabes setzt und unter denen er fortan lebt. Er kann die reichen Speisen, die man ihm vorsetzt, nicht wirklich genießen, und so ist es viel ratsamer und auch sicherer, wenn man ihm Nachbildungen derselben in Stein oder Gemälden mitgibt, und ebenso Puppen von Stein und Ton zur Bedienung. Bald hat man auch die Entdeckung gemacht, dass es genügt, wenn man einfach die Zauberformel ausspricht und aufschreibt, welche dem Toten Nahrung und Leben im Jenseits sichert. Dadurch ist der unsterblich machende Totenkult in den folgenden Epochen Gemeingut des gesamten Volks geworden, während er im Alten Reich nur ein Privileg der höchststehenden Kreise war. Alle diese Anschauungen gehen wirr genug durcheinander; aber sie führen dazu, dass mit dem Fortschreiten der Kultur und der sittlichen Empfindung sich über ihnen eine viel einfachere Anschauung erhebt, welche tatsächlich die Vorstellungen beherrscht. In der fünften Dynastie werden die alten Zauberformeln zwar immer weiter verwendet, und sie sind bestehen geblieben bis zum Ende des Ägyptertums: aber was der Mensch sich eigentlich wünscht, ist ,,ein schönes hohes Greisenalter in Frömmigkeit vor allen Göttern und eine schöne Bestattung in der westlichen Nekropole“; und dann hofft er ,,in Frieden zu wandeln auf den schönen Wegen des Westreichs, auf denen die Frommen wandeln vor dem großen Gotte, der daselbst ist“, und die Herrlichkeit der Götter zu schauen. Und er weiß, dass er dies Ziel nur erreichen kann, wenn er auf Erden ihren Geboten gehorcht hat, wenn er gerecht und mildtätig gegen seine Untergebenen seines Amtes gewaltet, Witwen und Waisen nicht bedrückt und alles Unrecht und alle Lüge verabscheut hat, und daher das Gericht vor dem großen Gotte im Westreich der Toten bestehen kann. So verflüchtigt sich denn auch die Massivität des alten Totendienstes. Die Darstellungen an den Grabwänden setzen sich um in Szenen aus dem Leben, welche die Erinnerung an den Verstorbenen und das , was den Inhalt seines Daseins ausmachte, festhalten sollen.

Diese Aufgabe haben die Künstler der fünften Dynastie in den großen Wandgemälden zu erfüllen gesucht, welche in liebevollem Eingehen die hochgesteigerte Kultur dieser Epoche mit ihrem verfeinerten Lebensgenuss anschaulich und nicht selten mit leichtem Humor schildern. Sie lassen zugleich erkennen, wie die Beamten des Alten Reichs jetzt zu großen Grundbesitzern geworden sind, mit einer selbständigen Stellung, die sich schon von der Gnade des Hofs loszulösen beginnt und diese vielmehr als ein Recht in Anspruch nimmt.

Abb. 9. Skizze einer Wand aus dem Grabe des Ptahhotep in Sakkara.
Abb. 10. Der Künstler des Ptahhotepgrabes.


Als Probe dieser Reliefs gebe ich eine der größten und am besten ausgeführten dieser Kompositionen, eine Wand aus dem Grabe des Ptahhotep in Sakkara, in einer übersichtlichen Skizze (Abb. 9). Die einzelnen Reihen zeigen Szenen der Papyrusernte, Turn- und Fechtspiele, Keltern des Weins, Jagdszenen, Bau von Papyrusbooten und Vogelfang, schließlich eine Lustfahrt auf dem Strom mit Kämpfen der Ruderer. Diese letzte Reihe ist besonders interessant. Denn hier hat sich in dem Schlussbild der Künstler selbst dargestellt, wie er in einem Boote das reiche Mahl verzehrt, das er als Lohn für seine Leistung erhalten hat (Abb. 10). Ein junger Diener reicht ihm gerade den Krug mit Wein oder Bier. Darüber steht sein Name: ,,der Vorsteher der Künstler Anchenptah“. Hier ist das Bewusstsein der schöpferischen Individualität erwacht: der Künstler weiß, das er etwas geleistet hat, was ihm ein anderer nicht nachmachen kann, und setzt voll Stolz seine Künstlersignatur auf das Bild.

Der tiefgreifende, auf dem stetigen Fortschritt der Kultur beruhende Unterschied zwischen der vierten und der fünften Dynastie, den wir so in der Kunst nicht minder als in den religiösen und sittlichen Ideen beobachten können, tritt uns auf staatlichem Gebiet nicht weniger bedeutsam entgegen. Der Tradition nach entstammt das neue Herrscherhaus einem Priestergeschlecht von Heliopolis (On), wo man einen Lokalgott Atumu verehrte , der schon seit langem mit dem Weltenherrscher und Götterkönig Rê identifiziert war. Jedenfalls haben die neuen Könige stark ausgeprägte religiöse Anschauungen mit auf den Thron gebracht. Bisher hatte Rê außer in der Gleichsetzung mit Atumu in Heliopolis keinen Kultus gehabt; er ist der Gott, der die ganze Welt regiert und daher zu einem einzelnen Volk und Staat keine Sonderbeziehungen haben konnte. Jetzt aber führt die Steigerung der Kultur zu einer unmittelbaren Verknüpfung zwischen dem Wehenherrscher und dem Pharaonenreich; die Ägypter fühlen sich, im Gegensatz zu den ringsum wohnenden Barbaren, als das Kulturvolk, und ihren Staat als den Mittelpunkt der Welt. Daher tritt in der fünften Dynastie an jeden neuen König neben die Aufgabe, seine Residenzstadt und seine Pyramide zu bauen, die zweite, dem Rê ein neues prächtiges Heiligtum zu errichten. Wie diese Sonnentempel der fünften Dynastie aussahen, haben uns die von Herrn von Bissing in Verbindung mit den Kgl. Museen ausgeführten Ausgrabungen bei Abusir gezeigt. Die Rekonstruktion Herrn Borchardts (Abb. 11) zeigt den nur in Trümmern erhaltenen Bau des Königs Neweserrê. Unten am Rande des Niltals liegt die viereckige Residenzstadt mit ihrer Steinmauer, und innerhalb derselben ein zum Tempel gehöriger Portalbau. Eine lange Steinrampe mit einem verdeckten, mit Kalksteinreliefs geschmückten Gange führt hinauf zu mächtigen, durch Futtermauern von Kalkstein gestützten Terrassen. Auf diesen erhob sich auf hohem Postament der dem Gott errichtete Obelisk8, der aus großen Kalksteinquadern aufgemauert war. Davor liegt der Schlachthof mit dem gewaltigen Opferaltar von Alabaster und den Magazinen, zur Seite der Ziegelunterbau der großen Sonnenbarke, auf der der Gott über den Himmel fährt. Ein Kultbild hat der Tempel nicht, da der Weltenherrscher in der Sonne selbst und nur in dieser sich manifestiert. Ein langer verdeckter Gang führt von der Rampe und dem Tempeltor weiter zum oberen Absatz der Basis des Obelisken; hier konnte der König frühmorgens aus dem Dunkel hervortreten und den im Osten über der Bergkette am Horizont aufsteigenden Gott begrüßen.

Abb. 11. Rekonstruktion des Sonnentempels des Neweserrê.

Die Wände des langen Umgangs sind reich mit bildlichen Darstellungen geschmückt, die sich z. T. auf das Regierungsjubiläum des Königs beziehen. Die letzte Bilderreihe aber, vor dem Eintritt in den Obelisken selbst, zeigt uns die Werke des schöpferischen Sonnengottes, das Leben und Gedeihen der Pflanzen- und Tierwelt in den drei Jahreszeiten in vortrefflichen Reliefs, die einen kostbaren Besitz des Kgl. Museums bilden. Das auf Taf. l0 abgebildete Stück zeigt einen Nilarm mit seinen Fischen, und darunter das Wüstengebirge mit seinem Gestrüpp und seiner Tierwelt, dabei einen Strauß und eine grasende Antilope, die mit dem Vorderhuf den Sand aufscharrt und in großem Bogen über den Kopf wirft. Ein anderes Fragment (Abb. 12) zeigt eine sandige Nilinsel, auf der die Kapelle eines Krokodilgottes liegt, mit dem Bilde des tiergestaltigen Gottes (nicht etwa dem heiligen Tier selbst) darin.

Dieser Bau und seine zahlreichen, noch nicht aufgedeckten Geschwister zeigen deutlich, dass in der fünften Dynastie ein ganz anderer Geist herrscht als in der vierten. Für die vierte Dynastie ist der König, der Gott unter Göttern, die höchste Macht; sie ist ganz dem Diesseits zugewandt. Die fünfte Dynastie kennt eine höhere, überirdische Idee, in deren Dienst sie sich stellt. Indem der König mit Rê in unmittelbare Verbindung tritt, ordnet er sich zugleich einer Macht unter, die höher ist als er. Aus dem Sonnenkult der fünften Dynastie ist allmählich die Vorstellung erwachsen und auch in die Königstitulatur aufgenommen worden, dass der Horus-König der Sohn des Sonnengottes Rê ist. Das ist in Wirklichkeit nicht eine Erhöhung sondern eine Einschränkung der Allmacht des Herrschers: seine Aufgabe ist es fortan, den Willen seines göttlichen Vaters zu erfüllen, dieser ewige Wille des Rê aber ist das Gesetz des Rechts und der sittlichen Ordnung des Menschenlebens. Von hier aus ist die ägyptische Religion schrittweise, in der Entwicklung eines Jahrtausends, zu dem solaren Monotheismus gelangt, der zunächst als Deutung der überlieferten Mythen und Kultformen, im Anschluss an die bestehenden Kulte, von der Priesterschaft ausgebildet und den höher stehenden Kreisen gelehrt wird, bis dann in der achtzehnten Dynastie, um 1380 v. Chr., König Amenophis IV. den freilich gescheiterten Versuch macht, ihn in all seinen Konsequenzen in seinem Reich durchzuführen.

Dieser Umwandlung der religiösen Idee entspricht das früher schon berührte Hervordringen sittlich geläuterter Anschauungen im Totenkult. Freilich abgestreift, beiseite geworfen haben die Ägypter das Alte niemals; sie haben das Neue daneben gestellt und das Alte danach umgedeutet. So bestehen denn auch die alten Formen des Totenkults mit den Pyramiden und Totentempeln unter der fünften Dynastie weiter. Aber auch hier tritt uns eine tiefgreifende Umwandlung entgegen. Die Architektur der vierten Dynastie ist massiv wie ihre Ideen; sie sucht durch die Aufhäufung ungeheurer Massen zu wirken. Dieselbe Anschauung und künstlerische Empfindung, die zu der Auftürmung der gewaltigen Pyramiden geführt hat, tritt uns in dem einzigen Bauwerk ihrer Zeit entgegen, das uns außerdem noch genauer bekannt ist, dem Portalbau am Fuß des Totentempels des Chephren, fälschlich als Sphinxtempel bezeichnet (Abb. 13 u. 14). In seinen gewaltigen, völlig ungegliederten Pfeilern und Balken aus Granit tritt uns die Massivität und Starrheit der Zeit lebendig entgegen. Die Wände sind zum Teil mit Alabasterplatten ausgelegt; aber nirgends findet sich irgendwelche Gliederung, nirgends ein bildlicher Schmuck. Die Wirkung, die der Bau dennoch hervorruft, besteht eben in dieser völligen Schlichtheit, die wie bei den Pyramiden den Charakter des Grandiosen annimmt. Wir treten in eine ganz andere Welt, wenn wir dem ein Bild aus den neuesten Ausgrabungen der D. O.-G. im Totentempel des Sahurê, des zweiten Königs der fünften Dynastie, gegenüberstellen (Taf. 11). Die herrlichen, in buntem Gewirr durcheinandergestürzten Palmensäulen mit ihren in liebevollster Hingabe in feinster und sauberster Arbeit ausgeführten Kapitellen von Palmenblättern geben von dem inneren Leben und der reichen Gliederung dieser Architektur ein so anschauliches Bild, dass es weiterer Worte zur Erläuterung nicht bedarf. Wir hegen die Hoffnung, dass einige dieser Säulen demnächst in vollem Glänze in unserm Museum wieder aufgerichtet werden können. Drei derartige große Totentempel der fünften Dynastie sind jetzt durch die Deutsche Orient -Gesellschaft unter der umsichtigen Leitung des Herrn Borchardt aufgedeckt worden. Die von diesem ausgeführte Rekonstruktion (Taf. 12) zeigt die Pyramiden dieser Könige zur Zeit der Überschwemmung. Ihnen vorgelagert sind die Totentempel; zu diesen führt, wie beim Sonnentempel, von dem Portalbau unten am Rande des Kulturlandes eine lange Rampe mit einem überdeckten Gange hinauf. Im Hintergrund sehen wir den Sonnenobelisken des Neweserrê und daneben ein zweites ähnliches Heiligtum.

Abb. 13 u. 14. Pfeilergang und Kammer aus dem Portalbau des Chephren.

Von den zahlreichen Fundstücken aus diesen Tempeln, die immer neue Überraschungen gebracht haben, kann ich noch die Rekonstruktion eines der großen Prunkgefäße zeigen (Taf. 13), die nach den Bruchstücken wieder haben hergestellt werden können. Es sind hölzerne Nachbildungen goldener, mit Blaustein ausgelegter Vasen, die zu kostbar waren, als dass man sie dem Totendienst hätte übergeben mögen; so ersetzte man sie durch hölzerne Gefäße, die vergoldet und mit Plättchen von hellblauer und dunkelblauer Fayence ausgelegt wurden.

Von den Reliefs der Tempel kann ich nur noch ein paar der wichtigsten und überraschendsten vorführen. In früheren Zeiten hatte man geglaubt, das Alte Reich sei, abgesehen von kleinen Kämpfen mit den Negern Nubiens, ganz unkriegerisch gewesen und habe über das Niltal nicht wesentlich hinausgegriffen. In den letzten Jahren haben wir aus mehrfachen Zeugnissen ersehen, dass es nicht nur sehr ernstliche Kämpfe mit den Nomaden Libyens zu bestehen hatten sondern auch zu Land und zu Wasser Expeditionen nach Palästina und dem Libanongebiet entsandt hat — von hier holte es die Zedern, die es für seine Bauten brauchte — , und ebenso auf dem roten Meer nach dem afrikanischen Weihrauchland Punt an der Somaliküste. Die spätere Zeit stellt den Pharao häufig als Sphinx dar, einen Löwen mit Königskopf, der mit seinen Tatzen die Fremdvölker zu Boden wirft. Eine derartige Darstellung aus dem Neuen Reich, vom Kriegswagen Thutmosis IV., zeigt das zur Erläuterung herangezogene Bild (Abb. 15). Reste gleichartiger Darstellungen sind aus den Totentempeln der fünften Dynastie mehrfach erhalten. Unsere Tafel 14 zeigt unter den Tatzen des Löwen zwei Köpfe solcher Feinde, welche die Rassenzüge in feinem Relief charakteristisch wiedergeben, einen semitischen Asiaten, mit leicht gekrümmter Nase und dicken Lippen, langem Haar und kurzem spitzen Bart, aber rasierten Lippen, und einen der Köpfe von Puntiern, welche in ihrer Gesichtsbildung und Haartracht den Ägyptern ganz gleichartig gebildet und offenbar von derselben Rasse gewesen sind.

Abb. 16. Um Gnade flehende Libyer und die Geschichtsgöttin aus dem Tempel des Sahurê in Abusir.

Welchen Umfang aber die Kriege dieser Zeit angenommen haben, haben uns erst die letzten Ausgrabungen im Tempel des Sahurê gezeigt. Ein großes Relief zeigt die Beute aus einem Feldzug gegen die Libyer an Gefangenen und an Vieh, denen durchweg, nach ägyptischer Art, die übertriebensten Zahlen beigeschrieben sind: 123.640 Rinder, 223.400 Esel, und ähnlich bei den Widdern und Ziegen. Bei den Libyern (Abb. 16) ist von besonderem Interesse, dass sie hier wie auf anderen gleichzeitig gefundenen Darstellungen den Löwenschwanz und an der Stirn den Balg der Uräusschlange tragen. Die ägyptische Königstracht kehrt also bei den Libyern wieder; wir dürfen daraus schließen, und weitere Spuren bestätigen diese Vermutung, dass die Ägypter aus einem libyschen Stamm hervorgegangen sind, der in das Niltal eindrang und sich hier aus Jägern und viehzüchtenden Nomaden in ein Volk sesshafter Bauern umgewandelt hat. — Rechts von den Libyern sitzt die Geschichtsgöttin — eine Darstellung, die wir bisher nur aus dem Neuen Reich kannten — , welche die Taten des Königs verzeichnet oder, wie die Beischrift sagt: ,,die Zahl der lebenden Gefangenen aufschreibt, welche aus allen Fremdländern herbeigeführt sind“. Daraus geht hervor, dass über die Kriege der Könige, und zweifellos auch über ihre sonstigen Taten, regelrechte Annalen geführt worden sind.

Ein zweites Bild, von dem Taf. 15 einen Ausschnitt als Probe gibt, zeigt uns die ägyptische Flotte, die von einer Expedition nach dem Libanongebiet heimgekehrt ist. Sie hat am Stromufer angelegt, die Masten sind umgelegt, die Ruder eingezogen, die großen Steuerruder in die Höhe genommen; und die Mannschaften begrüßen den König mit erhobenen Händen und freudigem Zuruf ,,Heil Dir Sahurê, Gott der Lebendigen, die Deine Schönheit sehen“. Hier lernen wir nicht nur die ägyptischen Seeschiffe mit ihrer Takelage in getreuer Nachbildung kennen — interessant ist vor allem das große Tau, welches das Schiff in seiner ganzen Länge überspannt und zusammenhält, sondern in den Schiffen stehen neben den Ägyptern die asiatischen, echt semitischen Gefangenen, die von den Matrosen gezwungen werden, gleichfalls in die Huldigung einzustimmen. Auch von den Kämpfen, welche der Heimkehr der Flotte vorangegangen sind, sind Fragmente erhalten; ebenso von einem riesigen Relief, welches den Pharao auf der Jagd auf die Tiere der Wüste zeigt.

Zum Abschluss möchte ich noch eine Schöpfung ägyptischer Metallkunst zeigen: die Kupferstatuen des Königs Pepi I. aus dem Anfang der sechsten Dynastie (gegen 2500) und seines jungen Sohnes Merenrê, die vor einigen Jahren in Hierakonpolis gefunden sind. Der Kopf des Königs (Taf. 16) lässt die Technik genauer erkennen. Die Statuen sind nicht etwa über einen Kern gegossen, sondern aus ganz dünnen Kupferplatten getrieben und diese durch Nägel miteinander verbunden. Die Augen sind, wie immer, aus weißem Stein mit schwarzer glänzender Pupille eingesetzt. Das Glanzstück der Gruppe aber ist der äußerst lebensvolle Kopf des jungen Prinzen (Taf. 17).

Diese Statuen gehören bereits einer Zeit an, in der die Wirkung der vorhin angedeuteten sozialen Wandlung, der Umbildung des zentralisierten Beamtenstaats in einen Feudalstaat, sich stark bemerklich macht und alsbald den Niedergang und die Zersetzung des Alten Reichs herbeigeführt hat. Solche Epochen der Zersetzung und oft der vollen Auflösung der Reichseinheit sind in der Folge noch mehrfach wiedergekehrt. Das Wunderbare und Einzigartige der ägyptischen Geschichte ist aber, dass Staat und Volk aus ihnen nicht weniger als dreimal zu neuem Leben und zu einer neuen, in manchen Beziehungen weit über das früher Erreichte fortschreitenden Blüteperiode emporgestiegen sind, zuerst im Mittleren Reich seit 2000, dann im Neuen Reich seit 1600, und zuletzt noch einmal in der Restaurationszeit der 26. Dynastie Psammetichs seit 660 v. Chr.

Wenn die Deutsche Orient-Gesellschaft sich die Erforschung der Kultur Babyloniens und Assyriens als 1Hauptaufgabe gestellt hat, so hat sie doch darüber die andern Kulturvölker des Orients, wo immer sich ein Anlass bot, nicht vernachlässigt. Sie darf stolz sein auf die Ergebnisse, die sie im ersten Dezennium ihres Bestehens, das in diesen Tagen zu Ende geht, für die Erweiterung und Vertiefung unserer Kenntnis des Alten Reichs gewonnen hat. Mögen ihr gleichartige Resultate beschieden sein, wenn sie demnächst daran gehen wird, an einer der wichtigsten Stätten für die Erforschung des Neuen Reichs, in Tell el Amarna, der Stadt des religiösen Reformators Amenophis IV., den Spaten anzusetzen!




Anmerkungen.

1) Für die ältere Chronologie Babylonicns haben neue Funde des letzten Jahres, vor allem die von L.W. King, Chronicles concerning early Babylonian Kings, 2 voll. 1907, veröffentlichten und vortrefflich kommentierten Bruchstücke alter Chroniken, eine feste Grundlage geschaffen. Sie haben gezeigt, dass die zweite Dynastie von Babel gleichzeitig mit der ersten und den Anfängen der dritten regiert hat und daher für die Chronologie ausfällt; die älteren Ansätze, bei denen die zweite Dynastie mitgerechnet wurde, waren daher um mehrere Jahrhunderte zu hoch. Die erste Dynastie von Babel ist um 2060 v. Chr. zur Regierung gekommen, gleichzeitig mit Ilisuma, dem ältesten bisher bekannten Herrscher Assyriens; Chammurabi, der 6. König der ersten Dynastie von Babel, hat um 1958 — 1916 v. Chr. regiert. Diese Daten können meines Erachtens als im wesentlichen völlig zuverlässig betrachtet werden; der mögliche Fehler kann nicht mehr als höchstens etwa ein Jahrzehnt betragen. Vor der ersten Dynastie von Babel liegt das Reich von Sumer und Akkad seit etwa 2300 v. Chr., in dessen Anfänge auch Gudea von Tello gehört; und vor diesem das semitische Reich des Sargon und Naramsin von Akkad, die um 2500 anzusetzen sind. Die Denkmäler von Tello aus der Zeit vor Sargon umfassen einen Zeitraum von etwa 3 Jahrhunderten, reichen also bis etwa 2800 hinauf; und die wenigen Denkmäler und Urkunden, die wir sonst noch aus der ältesten Zeit Babyloniens besitzen, sind ihnen gleichzeitig. Somit beginnt für uns die älteste Kunde von Babylonien erst geraume Zeit nach 3000 v. Chr.

2) Die in diesem Vortrag für die ägyptische Geschichte gegebenen Daten beruhen auf den Untersuchungen, welche ich unter dem Titel: Ägyptische Chronologie 1904 und Nachträge zur ägyptischen Chronologie 1907 in den Abhandlungen der Berliner Akademie veröffentlicht habe. Bis zur 12. Dynastie hinauf (2000 — 1788 v.Chr.) besitzen wir exakte, auf astronomischer Grundlage beruhende Daten; für die ältere Zeit geben, außer zahlreichen Angaben der Denkmäler, die in den Fragmenten des Turiner Königspapyrus erhaltenen Jahrzahlen und Dynastiesummen einen ausreichenden Anhalt. Danach ist König Menes wahrscheinlich um 3315 und jedenfalls zwischen 3400 und 3200 v. Chr. zur Regierung gekommen. Dass wir für die vor ihm liegende Zeit noch ein recht reiches Material besitzen, ist im Text angedeutet. Den wichtigsten Anhalt bietet der ägyptische Kalender. Das Jahr desselben ist bekanntlich ein Wandeljahr von 365 Tagen, dessen Neujahrstag der Theorie nach der Tag sein soll, an dem unter dem Breitengrade von Memphis der Sirius (die Sothis der Ägypter) in der Morgendämmerung aufgeht, d. i. der 19. Juli des julianischen Kalenders; mit dem Siriusaufgang fiel ursprünglich auch die Sonnenwende und der erste Beginn der Nilschwelle zusammen. Tatsächlich aber entfernt sich das Neujahr des bürgerlichen Kalenders alle 4 Jahre um einen Tag von dem Siriusaufgang und dem idealen Neujahr, da das Kalenderjahr eben um einen Vierteltag zu kurz ist; daher durchläuft das bürgerliche Neujahr in 1461 bürgerlichen = 1460 julianischen Sonnenjahren den ganzen Kreislauf der Jahreszeiten. Es ist nun evident, dass bei Einführung des Kalenders der bürgerliche Neujahrstag mit dem Siriusaufgang am 19. Juli zusammengefallen sein muss. Das ist in den Jahren 2781 und 4241 v. Chr. der Fall gewesen. Da nun im Jahr 2781 der Kalender nachweisbar längst bestand, kann er nur im Jahr 4241 eingeführt worden sein.

3) Zu den vielen durch das Zeremoniell vorgeschriebenen Eigentümlichkeiten des ägyptischen Staats gehört es, dass der König bis auf Snofru hinab (und vereinzelt auch noch später wieder) zwei Gräber hat, vielleicht infolge seiner Stellung als Doppelherrscher, der die Kronen der beiden Reiche auf seinem Haupt vereinigt.

4) Vorher finden sich die ersten Ansätze zur Verwendung von Stein in den Gräbern von Abydos nur ganz vereinzelt in der Grabkammer eines Königs der I. Dynastie und bei dem letzten König der 2. Dynastie.

5) Er hat sich, wie schon erwähnt, zwei Steinpyramiden erbaut, bei Medum wenigstens nach dem ursprünglichen Plan in Form einer Stufenpyramide und weiter nördlich in Dahschûr in reiner Pyramidenform.

6) Wenn er eine hohe Regierungsdauer erreichte und, in der Regel in seinem 30. Regierungsjahr, das Jubiläum des Sedfestes feiern konnte, beginnt seine Regierung gewissermaßen zum zweitenmal, und dann erbaut er sich auch eine zweite Residenzstadt.

7) Genau ebenso erzählt Plutarch (de Is. 15) der den Baum als Erika bezeichnet; bei ihm ist der Schauplatz Byblos in Phoenikien, das seit uralter Zeit mit Ägypten in engen Beziehungen steht und vielfach in die ägyptischen Mythen verflochten ist.

8) Diese Obelisken, die hier noch nicht riesige Monolithe aus Granit sind wie später, sind ihrem Ursprung nach wohl identisch mit den Steinmalen und Steinkegeln, die bei allen Völkern so vielfach den Göttern errichtet werden und Hauptobjekte des Kultus bilden, so z. B. im Alten Testament die Masseben und bei den Griechen die Hermen.





Tafel 01 Schminktafel des Narmer
Tafel 02 Grabstein Atoti's II (roi serpent).
Tafel 03 Eingang der Mastaba des Mereb.
Tafel 04 Scheintür aus dem Grab des Manofer.
Tafel 05 Kopf der Dioritstatue des Chephren
Tafel 06 Köpfe der Kalksteinstatuen des Rahotep und der Nofret.
Tafel 07 Kalksteinstatue des Schreibers im Louvre.
Tafel 08 Reliefbild des Hesirè.
Tafel 09 Kopf der Holzstatue des sogenannten Schêch el-beled (Dorfschulzen).
Tafel 10 Tierszenen aus dem Sonnentempel des Neweserrê in Abusir.
Tafel 11 Säulen aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir
Tafel 12 Rekonstruktion des Pyramidenfeldes von Abusir.
Tafel 13 Scheingefäß aus vergoldetem Holz mit Fayenceeinlagen
Tafel 14 Kopf eines Asiaten (links) und eines Puntiers (rechts) unter den Tatzen der Sphinx
Tafel 15 Schiff mit asiatischen Gefangenen, aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir
Tafel 16 Kopf der Kupferstatue Pepi’s I.
Tafel 17 Kopf der Kupferstatue des Merenrê

Hieroglyphenzeichen

Hieroglyphenzeichen

Abb. 3. Gräberfeld hinter der großen Pyramide von Gize

Abb. 3. Gräberfeld hinter der großen Pyramide von Gize

Abb. 1. Stufenpyramide von Sakkara.

Abb. 1. Stufenpyramide von Sakkara.

Abb. 10. Der Künstler des Ptahhotepgrabes

Abb. 10. Der Künstler des Ptahhotepgrabes

Abb. 11. Rekonstruktion des Sonnentempels des Neweserrê

Abb. 11. Rekonstruktion des Sonnentempels des Neweserrê

Abb. 12 Nilinsel, auf der die Kapelle eines Krokodilgottes liegt

Abb. 12 Nilinsel, auf der die Kapelle eines Krokodilgottes liegt

Abb. 13 u. 14. Pfeilergang und Kammer aus dem Portalbau des Chephren

Abb. 13 u. 14. Pfeilergang und Kammer aus dem Portalbau des Chephren

Abb. 16. Um Gnade flehende Libyer und die Geschichtsgöttin aus dem Tempel des Sahurê in Abusir

Abb. 16. Um Gnade flehende Libyer und die Geschichtsgöttin aus dem Tempel des Sahurê in Abusir

Abb. 2. Pyramiden von Gize

Abb. 2. Pyramiden von Gize

Abb. 4. Eine Mastaba von Gize

Abb. 4. Eine Mastaba von Gize

Abb. 5. Relief des Königs Neweserrê aus seinem Totentempel in Abusir

Abb. 5. Relief des Königs Neweserrê aus seinem Totentempel in Abusir

Abb. 6. Vier Darstellungen des Osirisgrabes aus späterer Zeit

Abb. 6. Vier Darstellungen des Osirisgrabes aus späterer Zeit

Abb. 7. Holzstatue des Schêch el-beled

Abb. 7. Holzstatue des Schêch el-beled

Abb. 8. Wand aus dem Grabe des Rahotep

Abb. 8. Wand aus dem Grabe des Rahotep

Abb. 9. Skizze einer Wand aus dem Grabe des Ptahhotep in Sakkara

Abb. 9. Skizze einer Wand aus dem Grabe des Ptahhotep in Sakkara

Tafel 01 Schminktafel des Narmer

Tafel 01 Schminktafel des Narmer

Tafel 03 Eingang der Mastaba des Mereb

Tafel 03 Eingang der Mastaba des Mereb

Tafel 04 Scheintür aus dem Grab des Manofer

Tafel 04 Scheintür aus dem Grab des Manofer

Tafel 05 Kopf der Dioritstatue des Chephren

Tafel 05 Kopf der Dioritstatue des Chephren

Tafel 06 Köpfe der Kalksteinstatuen des Rahotep und der Nofret

Tafel 06 Köpfe der Kalksteinstatuen des Rahotep und der Nofret

Tafel 07 Kalksteinstatue des Schreibers im Louvre

Tafel 07 Kalksteinstatue des Schreibers im Louvre

Tafel 08 Reliefbild des Hesirè

Tafel 08 Reliefbild des Hesirè

Tafel 09 Kopf der Holzstatue des sogenannten Schêch el-beled (Dorfschulzen)

Tafel 09 Kopf der Holzstatue des sogenannten Schêch el-beled (Dorfschulzen)

Tafel 10 Tierszenen aus dem Sonnentempel des Neweserrê in Abusir

Tafel 10 Tierszenen aus dem Sonnentempel des Neweserrê in Abusir

Tafel 11 Säulen aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir

Tafel 11 Säulen aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir

Tafel 12 Rekonstruktion des Pyramidenfeldes von Abusir

Tafel 12 Rekonstruktion des Pyramidenfeldes von Abusir

Tafel 13 Scheingefäß aus vergoldetem Holz mit Fayenceeinlagen

Tafel 13 Scheingefäß aus vergoldetem Holz mit Fayenceeinlagen

Tafel 14 Kopf eines Asiaten (links) und eines Puntiers (rechts) unter den Tatzen der Sphinx

Tafel 14 Kopf eines Asiaten (links) und eines Puntiers (rechts) unter den Tatzen der Sphinx

Tafel 15 Schiff mit asiatischen Gefangenen, aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir

Tafel 15 Schiff mit asiatischen Gefangenen, aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir

Tafel 16 Kopf der Kupferstatue Pepi’s I.

Tafel 16 Kopf der Kupferstatue Pepi’s I.

Tafel 17 Kopf der Kupferstatue des Merenrê

Tafel 17 Kopf der Kupferstatue des Merenrê

Eine Nilbarke

Eine Nilbarke