Abdurrahman-Khan, Emir von Afghanistan.
Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 34. 1899
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Afghanistan, Kabul, Herrschaft, Engländer, Russen, Russland,
Die Kämpfe, welche England im Jahre 1897 an der indisch-afghanischen Grenze zu bestehen hatte, lenkten von neuem die Aufmerksamkeit auf Afghanistan, diese von beiden Seiten oft umstrittene Scheidewand zwischen der russischen und der englischen Machtsphäre in Asien. Der dortige Emir Abdurrahman-Khan, dessen Porträt wir auf S. 124 bringen, versucht mit diplomatischem Geschick zwischen den Briten und Russen weiter zu lavieren und dabei seine Macht nach Möglichkeit zu befestigen.
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Er ist ein Enkel des 1863 verstorbenen berühmten Emirs Dost Mohammed und im Jahre 1845 als Sohn des Afzal-Khan geboren. Als tapferer Soldat und tüchtiger Führer bewährte er sich bereits in den Kriegen, die sein Vater und sein Oheim Azim-Khan gegen den rechtmäßigen Emir Schir Ali-Khan in den Jahren 1865 bis 1868 führten, und die dadurch eine besondere Bedeutung erhielten, dass in ihnen die Nebenbuhlerschaft Russlands und Englands zum offenen Ausdruck kam. Es gelang Abdurrahman, 1866 Kabul zu erobern, so dass sein Vater dort die Herrschaft antreten konnte. Als jedoch nach Afzals Tod (1867) Azim-Khan von Schir Ali besiegt wurde, vermochte Abdurrahman keinen genügenden Anhang mehr zu sammeln, sondern musste fliehen. Er begab sich in den Schutz der russischen Regierung, die ihm Samarkand als Wohnsitz anwies und ihm ein Jahresgehalt von 25.000 Rubel aussetzte. Dort blieb er zwölf Jahre, ohne in die Verhältnisse seines Vaterlandes einzugreifen. Er ließ sich jedoch stets durch Sendboten und geheime Botschaften von allem unterrichten, was in Afghanistan vorging. 1879 wurde ihm die ersehnte Gelegenheit geboten, wieder ins politische Leben einzutreten, da der von den Engländern anerkannte Sohn Schir Alis, Jakub-Khan, sich als unzuverlässig erwies. Abdurrahman wurde, obwohl er bisher ein Gegner der Engländer gewesen war, von diesen nach Kabul gerufen und empfing die Herrschaft aus ihren Händen. Er ist ein stattlicher, gut gebauter Mann mit einem großen Kopf und ausgeprägten afghanischen Gesichtszügen. Er trägt lange Locken an der Seite, und sein Antlitz, aus dem intelligente Augen hervorleuchten, ist von einem schwarzen Vollbart umrahmt. Abdurrahman – Khan imponiert durch eine würdevolle Haltung; jede seiner Bewegungen verrät einen energischen Charakter und einen des Befehlens gewohnten Mann. Im persönlichen Verkehr soll er gewinnend und liebenswürdig sein. Obgleich er bis zum zwanzigsten Lebensjahre weder lesen noch schreiben konnte, darf er als wohl unterrichtet gelten. In Bezug auf kriegerischen Sinn und Verschlagenheit ist er ein echter Afghane; gleichwohl teilt er nicht den Hass, den seine Landsleute als fanatische sunnitische Mohammedaner gegen alle Christen hegen, oder er gibt sich wenigstens den Anschein, ihn nicht zu teilen. Zum Thronerben hat er seinen Sohn, den Sirdar Habib-Ullah-Khan ernannt.