Driburg - 2 ¾ Meilen von Paderborn, wenige Meilen bis Pyrmont

Driburg, diese kräftigsten erdig - salinischen Eisenquellen unfern des großen westdeutschen Eisenbahnnetzes, 2 ¾ Meilen von Paderborn, werden östlich von der Station Buke in 3/4 Stunden erreicht. Eine Viertelstunde nordöstlich von dem Städtchen (mit 2.000 Einwohnern) entspringen sie 633' ü. M., in einem angenehmen Thale von Bergen umschlossen, unter denen der Schlossberg mit dem von Karl dem Großen erbauten Bergschloss Iburg (wie dereinst die Stadt hieß) der bekannteste ist: eine zerstörte Veste, die durch ihr bemoostes Gemäuer die romantische Landschaft verschönert. Die nächsten Umgebungen bestehen aus Flötzgebirgen von Sandstein und Kalk, welcher die vortreffliche Vegetation bedingt, nebst einem beträchtlichen Lager von Torf- und Moorerde mit tuffsteinartigen Bildungen und starken Ausströmungen von kohlensaurem Gase. Erwähnung der Quellen tut bereits im 16. Jahrhundert der Alchymist Thurneisser; zu Ende des 17. bildete sich ihr Ruf durch Ferdinand, Fürstbischof von Fürstenberg, welcher sie zuerst fassen ließ und Baumreihen anlegen, die aber 60 Jahre später, zur Zeit des siebenjährigen Krieges verwüstet wurden. Erst nachdem der Freiherr von Sierstorpff 1782 die Quellen erkauft, ward mehr für den Brunnen durch Bauten und Verschönerungen (der Rosenberg) getan: 1783 erstand das alte Badehaus, 1797 wurde das große neue Badehaus bezogen, wobei Dr. Brandis durch Wort und Schrift (1792) unterstützend zur Seite stand. Der Sommer 1858 endlich brachte durch den Neubau eines Badehauses kohlensaure Eisenbäder von unübertroffener Mächtigkeit in höchst bequemen Räumen. Ein Dampfkessel sendet seine Dämpfe unter jede Badewanne der 24 Zimmer; dazu ist zur Verdünnung nach individuellem Bedürfniss eine Röhrenleitung von süßem Wasser angebracht.

Außer diesen kohlensauren Bädern bilden den Driburger Heilapparat


1) die Trink- oder Hauptquelle (Haupttrinkbrunnen) von 8° R. mit 4 Gran Glaubersalz im Pfunde und 1/2 Gran Eisen, dazu Bittersalz, Gips, Kalk und reichliche Kohlensäure. Der alte Rangstreit zwischen Driburg und Pyrmont hinsichtlich des kohlensauren Eisenoxydul, der Kohlensäure und des kohlensauren Manganoxydul hat durch die Analysen des Professor Wiggers in Göttingen (1859) seine Erledigung gefunden: indem Driburg der Vorrang vor Pyrmont unwidersprechlich zusteht. Ersteres enthält im Pfunde 17 Gran freier Kohlensäure, Pyrmont nur 15 Gran. Beide werden durch Wildungen übertroffen.

2) Die beiden Badequellen, der Mühlbrunnen, der Wiesenbrunnen (von 12° R., ohne Eisen), der Luisenborn, der 1.200 Schritte von der Trinkquelle entfernt, sich von dieser wesentlich unterscheidet durch geringeren Gehalt von kohlensaurem Gas und kohlensaurem Eisen, und durch seine Beimischung von Schwefelwasserstoffgas.

3) Der milde Herster Säuerling von 10° R., unfern des Dorfes Herste, eine Stunde von Driburg, kaum eisenhaltig (0,200 Gran), hat mit derWildunger Quelle verwandt gleiche spezifische Wirksamkeit in Nieren- und Blasenkrankheiten.

4) Die weniger salzreiche Saatzer Schwefelquelle von 12°R., eine Viertelstunde von Driburg, welche zur Bereitung der Schwefelschlammbäder bei gichtischen und rheumatischen Krankheiten verwendet wird.

Unter diesen einzelnen Faktoren kombiniert Dr. Brück allermeist die Hauptquelle mit den Stahlbädern oder mit den Schlammbädern; den Hersterbrunnen mit den Stahlbädern oder mit den Schlammbädern, — indem er noch die Molke hinzufügt. So werden die Driburger Eisenquellen zum Trinken und Baden, als Dampf- und Wasserdouchen, zu Gas- und Schlammbädern benützt gegen chronische Verdauungsstörungen mit vorwaltender Venosität: Verschleimungen, Stockungen, Trägheit des Stuhlgangs, Hämorrhoidalbeschwerden. Besonders wirksam zeigen sie sich gegen Blutarmut und Bleichsucht bis zur Hysterie, diese in unserer Zeit arg verbreitete Krankheit. Eisen aber macht Blut (Mars et mas), daher ist Driburg ein Frauenbad, und noch im weiteren Sinne gegen Leukorrhoe, Neigung zu Abortus, zu Blutungen als Folgen bedeutender Verluste edler Säfte. Für die sexuelle Sphäre sind kalte Sitzbäder aus dem Mineralwasser mitunter von auffallend günstigem Erfolg. Dazu kommt von den reich bewaldeten Bergen die köstliche Luft, welche das Athmen zum Genuss macht: der bei den Eisenkuren insonders zu würdigende respiratorische Faktor der Blutbelebung.

Dr. Brück, der Hauptschriftsteller für Driburg, lässt die Bäder diluirt mit süßem Wasser nehmen, 24 bis 25°R., die Dauer bis zu ½ Stunde; einzelne Kranke sinken bis zu 20° und baden dann nicht über ¼ Stunde. Nach seinen Erfahrungen zeigt sich der große Vorteil der neuen Bäder von 1858 am auffallendsten in ihrer energischen Erstwirkung auf das motorische Nervengebiet, indem sich unmittelbar danach das Gefühl von Leichtigkeit und Elastizität im ganzen Körper, namentlich ein sichereres Auftreten bei Parese der unteren Extremitäten einstellt. Man begreift — sagt Dr. Brück — wie belebend zugleich auf die Psyche dieses Gewahrwerden freierer somatischer Selbstständigkeit und Selbstbestimmung wirkt; man begreift, dass diese durch den Reichtum unserer Kohlensäure von der Haut aus bewirkte Reflexion auf die motorischen Centralorgane, täglich wiederkehrend, nicht blos hysterische und kachektische Lähmungen heilt, sondern selbst auf die beginnende Tabes dorsalis eine günstige Einwirkung zu üben scheint. — Beträchtliche Sommerwärme (z. B. 1846 und 47, 1857 und 58) ist dem Erfolge der Schlammbäder günstig, während in solchen Sommern die Stahlwasser minder gut vertragen werden. Hier empfiehlt Dr. Brück eine vegetabilische Diät, wie sie in tropischen Gegenden der Instinkt vorschreibt, und zur Beförderung der abdominellen Ausscheidungen statt der beliebten Purgirsalze vegetabilische Ekkoprotika.

Trotz des großen therapeutischen Wertes von Driburg und der literärischen Schätzung seitens der Ärzte hatte sich seine Frequenz seit den letzten 30 Jahren nicht über 400 Kurgäste erhoben, bis sie sich endlich 1859 zu 476,1860 bis zu 600 steigerte. Wenn zwar das wenige Meilen entfernte luxuriöse Pyrmont ein gut Teil der Gäste vorwegnimmt, so liegt das Hauptmotiv des verhältnismäßig geringen Besuches in der Tatsache, dass unserem komplizirten Leben mit seinen konsumierenden Leidenschaften und erschöpfenden Kontrasten die ableitenden und lösenden Wässer in höherem Grade not tun.