Preis der Tanne, von J. Kerner

Jüngsthin hört' ich, wie die Rebe
Mit der Tanne sprach und schalt:
Stolze! himmelwärts dich hebe,
Dennoch bleibst du starr und kalt!

Spend' auch ich nur kargen Schatten
Wegemüden, gleich wie du,
Führet doch mein Saft die Matten,
O wie leicht! der Heimat zu.


Und im Herbste, — welche Wonne
Bring' ich in des Menschen Haus!
Schaff' ihm eine neue Sonne,
Wann die alte löschet aus.

So sich brüstend sprach die Rebe,
Doch die Tanne blieb nicht stumm,
Säuselnd sprach sie: gerne gebe
Ich dir, Rebe, Preis und Ruhm.

Eines doch ist mir beschieden:
Mehr zu laben, als dein Wein,
Lebensmüde; — welchen Frieden
Schließen meine Bretter ein!

Ob die Rebe sich gefangen
Gab der Tanne, weiß ich nicht,
Doch sie schwieg, — und Tränen hangen
Sah ich ihr am Auge licht.

Justinus Kerner.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lust, Lob und Trost der edlen Landwirtschaft. Teil 2