Die Alpen, von v. Haller

So bald der rauhe Nord der Lüfte Reich verlieret,
Und ein belebter Saft in alle Wesen dringt,
Wann sich der Erde Schoß mit neuem Schmucke zieret.
Den ihr ein holder West auf lauen Flügeln bringt;
So bald flieht auch das Volk aus den verhassten Gründen,
Woraus noch kaum der Schnee mit trüben Strömen fließt.
Und eilt den Alpen zu, das erste Gras zu finden,
Wo kaum noch durch, das Eis der Kräuter Spitze sprießt:
Das Vieh verläßt den Stall, und grüßt den Berg mit Freuden,
Den Frühling und Natur zu seinem Nutzen kleiden.

Wenn kaum die Lerchen noch den frühen Tag begrüßen,
Und uns das Licht der Welt die ersten Blicke gibt,
Entreißt der Hirt sich schon aus seiner Liebsten Küssen,
Die seines Abschieds Zeit zwar hasst, doch nicht verschiebt:
Dort dringt ein träger Schwarm von schwerbeleibten Kühen,
Mit freudigem Gebrüll, sich im betauten Steg:
Sie irren langsam hin, wo Klee und Muttern blühen,
Und mäh'n das zarte Gras mit scharfen Zungen weg:
Er aber setzet sich bei einem Wasserfalle,
Und ruft mit seinem Horn dem lauten Wiederhalle.


Wann der entfernte Strahl die Schatten dann verlängert,
Und nun das müde Licht sich senkt in kühle Ruh',
So eilt die satte Schaar, von Überfluss geschwängert,
Mit schwärmendem Geblöck' gewohnten Ställen zu.
Die Hirtin grüßt den Mann, der sie mit Lust erblicket,
Der Kinder muntrer Schwarm frohlockt und spielt um ihn,
Und, ist der süße Schaum der Euter ausgedrücket,
So sitzt das frohe Paar zu schlichten Speisen hin.
Begierd' und Hunger würzt, was Einfalt zubereitet,
Bis Schlaf und Liebe sie umarmt in's Bett begleitet.

Wann von der Sonne Macht die Wiesen sich entzünden,
Und in dem falben Gras des Volkes Hoffnung reift;
So eilt der muntre Hirt nach den betauten Gründen,
Eh' noch Anrorens Gold der Berge Höh' durchstreift.
Aus ihrem holden Reich wird Flora nun verdränget,
Den Schmuck der Erde fällt der Sense krummer Lauf,
Ein lieblicher Geruch aus tausenden vermenget,
Steigt aus der bunten Reih' gehäufter Kräuter auf:
Der Ochsen schwerer Schritt führt ihre Winterspeise,
Und ein frohlockend Lied begleitet ihre Reise,

Bald, wann der trübe Herbst die falben Blätter pflücket,
Und sich die kühle Luft in graue Nebel hüllt,
So wird der Erde Schooß mit neuer Zier geschmücket,
An Pracht und Blumen arm, mit Nutzen angefüllt;
Des Frühlings Augenlust weicht nützlichern Vergnügen,
Die Früchte funkeln da, wo vor die Blüte stund;
Der Äpfel reifes Gold, durchstriemt mit Purpurzügen,
Beugt den gestützten Ast, und nähert sich dem Mund.
Der Birnen süß Geschlecht, die honigreiche Pflaume,
Reizt ihres Meisters Hand, und wartet an dem Baume.

Zwar hier bekränzt der Herbst die Hügel nicht mit Reben,
Man presst kein gährend Nass gequetschten Beeren ab.
Die Erde hat zum Durst nur Brunnen hergegeben,
Und kein gekünstelt Sau'r beschleunigt unser Grab,
Beglückte klaget nicht; ihr wuchert im Verlieren,
Kein nötiges Getränk, ein Gift verlieret ihr:
Die gütige Natur verbietet ihn den Tieren,
Der Mensch allein trinkt Wein, und wird dadurch ein Tier.
Für euch, o Selige! will das Verhängniß sorgen,
Es hat zum Untergang den Weg euch selbst verborgen.

Allein es ist auch hier der Herbst nicht leer an Schätzen,
Die List und Wachsamkeit auf hohen Bergen sind't.
Eh' sich der Himmel zeigt, und sich die Nebel setzen,
Schallt schon des Jägers Horn, und weckt das Felsenkind;
Da setzt ein schüchtern Gems, beflügelt durch den Schrecken,
Durch den entfernten Raum gespaltner Felsen fort:
Dort eilt ein künstlich Blei nach schwer gehörnten Böcken,
Hier flieht ein leichtes Reh, es schwankt und sinket dort.
Der Hunde lauter Kampf, des Erzes tödtlich Knallen
Tönt durch das krumme Tal, und macht den Wald erschallen.

Indessen, dass der Frost sie nicht entblößt berücke,
So macht des Volkes Fleiß aus Milch der Alpen Mehl,
Hier wird auf strenger Glut geschiedner Zieger dicke,
Und dort gerinnt die Milch und wird ein stehend Öl:
Hier presst ein stark Gewicht den schweren Satz der Molke,
Dort trennt ein gährend Sau'r das Wasser und das Fett:
Hier kocht der zweite Raub der Milch dem armen Volke,
Dort bild't den neuen Käs ein rund geschnitten Brett.
Das ganze Haus greift an, und schämt sich leer zu stehen:
Kein Sklavenhandwerk ist so schwer, als müßig gehen.

Hat nun die müde Welt sich in den Frost begraben,
Die Berge, Täler Eis, die Spitzen Schnee bedeckt,
Ruht das erschöpfte Feld nun aus für neue Gaben,
Weil ein krystallner Damm der Flüsse Lauf versteckt:
Dann zieht sich auch der Hirt in die beschneiten Hütten,
Wo fetter Fichten Dampf die dürren Balken schwärzt,
Hier zahlt die süße Ruh' die Müh', die er erlitten,
Der sorgenlose Tag wird freudig durchgescherzt,
Und wenn die Nachbarn sich zu seinem Herde setzen,
So weiß ihr klug Gespräch auch Weise zu ergötzen.

Der eine lehrt die Kunst, was uns die Wolken tragen,
Im Spiegel der Natur vernünftig vorzuseh'n,
Er kann der Winde Strich, den Lauf der Wetter sagen,
Und sieht in heller Luft den Sturm von weitem weh'n:
Er kennt die Kraft des Monds, die Wirkung seiner Farben,
Er weiß, was am Gebirg ein früher Nebel will:
Er zählt im Märzen schon der fernen Ernte Garben,
Und hält, wenn alles mäht, bei nahem Regen still;
Er ist des Dorfes Rat, sein Ausspruch macht sie sicher,
Und die Erfahrenheit dient ihm vor tausend Bücher.

v. Haller.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lust, Lob und Trost der edlen Landwirtschaft. Teil 2