Der Schnee, von Hebel

Ist droben Baumwoll' etwa feil?
Sie schütten doch ein redlich Teil
Herab in Garten und auf's Haus,
Es schneit doch, wahrlich, 's ist ein Graus,
Und 's hängt noch mancher Wagen voll
Am Himmel dort, das merk' ich wohl.

Die Menschen flieh'n in vollem Lauf'
Und haben Baumwoll' all' zu Kauf;
Der trägt sie auf den Achseln schon,
Der auf dem Hut und läuft davon!
Was lauft ihr denn? 's ist ja noch früh!
Habt ihr vielleicht gestohlen sie?


Und jeder Pfahl, herab, hinauf
Am Garten, hat sein Käppchen auf
Und dünkt sich, wie ein großer Herr,
Es steh' allem geschmückt nur er!
Der Nussbaum gibt ihm doch nichts nach,
Und's Herrnhaus und das Kirchendach!

Wohin man steht, ist weit und breit
Der Acker und die Straß' beschneit:
Manch' Samenkörnchen, klein und zart,
Liegt in der Erde wohl verwahrt,
Und schneit's gleich, was es schneien mag,
Es harrt auf seinen Ostertag.

Manch' Sommervöglein schöner Art
Liegt in der Erde wohl verwahrt,
Hat keine Sorge, keine Klag',
Und harrt auf seinen Ostertag.
Und währt's auch lang', er kommt gewiss;
Indessen schläft es sanft und süß.

Und wenn im Lenz die Schwalbe singt,
Die Sonne wärmend niederdringt,
Dann wacht es auf, verläßt sein Grab
Und streift das Totenhemdlein ab.
Die kleinste Gruft zersprengt ihr Tor,
Und 's Leben schlüpft verjüngt hervor.

Hebel.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lust, Lob und Trost der edlen Landwirtschaft. Teil 1