Der Nachtfrost (Kalender für deutsche Arbeit 1851)

Morgens in des Maies Frühe, aus dem Schlaf voll Frühlingsträume,
Hob ich mich vom Lager, spähend durch das Laub der jungen Bäume
Nach des Himmels Morgenröte, die im Osten aufwärts glühte,
Und das dunkle Heer der Wolken rofenfarbig übersprühte.

Stille ungewohnte Stille, unglückschweres, banges Schweigen
Lag, ein Alp, auf Trift und Waldung; aus den blütbehangnen Zweigen
Tönten keiner Nachtigallen melodieenreiche Schläge,
Und der Chor der frohen Sänger schien verstummt im Waldgehege;
Aus dem Kelch der Blüten schöpfte keiner Biene durst'ge Lippe,
Und, verschloss'nen Mundes, hingen von des Berges Felsenklippe
Tausend junge, kaum entkeimte, kaum gewund'ne Blumenkränze,
Alle trauernd, alle klagend, hingeknickt im schönen Lenze;
Hingerafft vom Eiseshauche Einer Nacht aus kaltem Norden,
Die voll Tücke war gekommen, alle Seligkeit zu morden,
Dass mit ihrer Winterkälte sie des holden Frühlings Erbe,
Alle Hoffnung, alle Wonne, alle Frühlingslust verderbe.


Darum diese Trauerstille, darum diese öde Stunde.
Winter schlug dem zarten Lenze eine tödtlich tiefe Wunde.
Ach! das mahnte an des Vaterlandes Frühling voller Narben,
Da im Busen uns der Blüten und der Knospen tausend starben!

Und im Schmerz ob solchen Wandels warf ich mich verzweiselnd nieder,
Winterfrost, der Lenzvergifter, rieselte durch meine Glieder;
Und im Grimme schaut' ich fragend nach des Himmels fernen Zonen:
Warum muß des Winters Tücke so des Frühlings Liebe lohnen?

Sieh', da ward der Sonne Feuer überströmend ausgegossen,
Aus der Erde tausend neue Kelche sah ich bald ersprossen, —
Und die Sänger, neu ermutigt, sangen ihre alten Lieder,
Rings in Wald und Tal erstanden war der holde Frühling wieder.

Eine Stimme aber tönte mahnend mir dies Wort entgegen:
Thor, Kleinmütiger, der du verzweifelst Eines Sturmes wegen!
Sieh'! den bösen Wurm zu tödten, der zu deinen Füßen lieget,
War die Winternacht gekommen; nun erst hat der Lenz gesieget.

Kalender für deutsche Arbeit 1851.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lust, Lob und Trost der edlen Landwirtschaft. Teil 1