Nach der Ernte, von Brockes

Wohin ist jetzt das Segensmeer,
Das auf dem Felde wallete?
Ich sehe ja, so weit ich seh'
Ein ungewohntes großes Leer,
Die scharfen Blicke schauen nichts,
Sie mögen noch so weit sich strecken.
Die vor'ge Freude des Gesichts
Ist nirgend weiter zu entdecken.
Doch, o gesegnet Leer! wie schön
Ist dein erwünschtes Nichts zu sehn!
Die schöne Frucht, des Blick's Ergötzen,
Der reiche Schatz, der nicht zu schätzen,
Der uns so lange Zeit erfreut,
Ist nicht nur glücklich abgemayt:
Man könnt' ihn, ohne Sturm und Regen,
Gottlob in uns're Scheuren legen!
Daher das Feld, auch ohne Pracht,
Den Augen neue Freude macht.

Was unser Gott uns nun beschert,
Ist fernern Denkens ja wohl wert.
Auf recht bewundernswerte Weise
Ist aus der Erde Korn, die Speise,
Wodurch wir uns ernähren sollen,
Dem Schein nach, recht hervor gequollen,
Der Saft ist, durch so manche Röhre,
Von unten auf bis zu der Ähre,
Im hohlen Halm empor geführt.
Er hat beständig zirkuliert,
Wie man, nachdem man es ergründet,
Den Trieb in allen Pflanzen findet.


Erwäge denn, vernünft'ge Seele!
Sprich, wer formierte die Kanäle
Von wem ist dieser zarte Saft
Voll segensreicher Nahrungskraft,
Für uns, auch für das Vieh, bereitet?
Wer hat es dergestalt geleitet?
Wer ließ es in den Zäserlein
Der Wurzel, die kaum sichtbar sein,
Im finstern Schoß der feuchten Erden,
Zerteilt und als verdauet werden?
Wer bildete die schönen Ähren,
Das nette Korn, die zarte Blüte?
Durch wessen unumschränkte Güte
Könnt es so reichlich sich vermehren,
Dass auch die stärksten Leiterwagen
Nur kaum die schweren Lasten tragen,
Da doch nur wenig Zeit zuvorn
Der Sämann alles Samenkorn,
Woraus nun solch Gewicht entsprossen,
In wenig Säcken eingeschlossen?

Je minder wir nun alles fassen,
Je minder muss man unterlassen,
An den in Ehrfurcht zu gedenken,
Der uns durch eine weise Führung
Durch seine gnadige Regierung,
Die Körperchen so wohl zu lenken,
Und uns dadurch viel Guts zu schenken,
So liebreich uns gewürdigt hat.

Allein wo kömmt das Elend her?
Ich dacht, ich würd' unglaublich mehr
Vergnügen, Andacht, Dankbegier,
Zur Erntezeit, in mir befinden?
So aber sind' ich fast in mir
Den Trieb zur Dankbarkeit verschwinden.
Es wird das Feuer der Freude kalt,
Und will wie ich gehofft nicht glüh'n,
Ich muss mein Herz fast mit Gewalt
Zum Lobe meines Schöpfers zieh'n.

Es ist betrübt, dass im Genuss
Wie einem solchen Überfluss
Von Segen und so vielen Gaben,
Die unser Schöpfer uns gegönnt,
Man lange nicht so viel erkennt,
Als wir vorher gehoffet haben,
Dass von sich selbst man wenig kann.

Ich seh' und merke wohl hiebei,
Dass auch der Dank kaum unser sei.
Du musst, o Herr, in diesem Leben,
Um dich im Dank auch zu erheben,
Das Wollen und Vollbringen geben,
Ach gib denn Wollen und Vollbringen,
So andern Menschen, als auch mir,
Damit wir recht vergnüget dir
Von Herzen Freudenlieder singen.

Brockes.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lust, Lob und Trost der edlen Landwirtschaft. Teil 1