Erntevöglein nach teueren Jahren, von Rückert
Ich hört' ein Sichlein klingen, wohl klingen durch das Korn;
Ich hört' ein Vöglein singen: „Vorbei ist Gottes Zorn.“
Das Sichlein klang so köstlich, das Vöglein sang so laut;
Das Sichlein klang so tröstlich, das Vöglein sang so traut:
Ich Vöglein in den Lüften, bin frei von ird'scher Not;
Ich find' in Waldesklüften wohl auch mein täglich Brod.
Doch mehr als dunkle Wälder preis' ich an diesem Tag
Die hellen Ährenfelder mit reifem Erntertrag.
Ich hörte fernher klagen, als man das Korn hier schnitt,
Ich fing selbst an zu zagen, als litt ich selbst damit.
Ich sah sie so sich grämen; ein einzig Körnlein nur
Hätt' ich nicht mögen nehmen, da man das Korn einfuhr.
Ich wollte, da sie draschen, und gar so wenig blieb.
Mir auch kein Körnlein haschen, um nicht zu sein ein Dieb.
Wohl hätt' ich einem Reichern recht viel genommen gern,
Der aber hielt in Speichern verschlossen seinen Kern;
Und wenn ein armes Knäblein stand bettelnd vor der Tür,
Reicht' er vom schwarzen Laiblein ein dünnes Stückchen für.
Ich sah die armen Knaben drauf in die Wälder geh'n,
Nach wilden Wurzeln graben, das war hart anzuseh'n.
Ich könnt' es wohl ermessen, sie waren Brod gewohnt,
Und mit dem Wurzelnessen war ihnen schlimm gelohnt.
Die Würzlein schmeckten bitter, der Hunger war der Koch,
Die Kindlein und die Mütter aßen die Würzlein doch.
Als nun sich Beerlein streiften mit rothein Glanz im Wald
Und überrot dann reiften, da freut' ich mich alsbald
Des armen Völkleins willen, dass Gott es nicht verließ,
Den Hunger ihm zu stillen, die Beerlein wachsen hieß.
Da sah ich einzeln laufen auch Kindlein hie und dar,
Doch nicht in hellen Haufen, wie ich's gedacht fürwahr.
Wie? können sie entraten das süße Waldgericht?
Da hört ich, dass sie's taten aus Furcht vor einem Wicht,
Es scheuchte sie der Jäger, dass nicht zertreten sei
Der Wald, verstört die Läger des Wildes vom Geschrei.
Ich war vor diesem Falle dem Jäger schon nie grün,
Jetzt hätt' ich Gift und Galle gar mögen auf ihn sprüh'n.
Da flog ich jeden Morgen vom Wald nun aus zu Feld,
Zu seh'n ob noch geborgen die Hoffnung sei der Welt.
Ich zählte jede Ähre die auf dem Acker stand,
Als ob sie selbst mir wäre des Lebens Unterpfand.
Ich zählte alle Ähren, und überschlug im Flug,
Ob auch das Land zu nähren der Ähren wären g'nug.
Ich sah genug der Ähren, sie wuchsen schön heran;
Doch langsam schien's zu währen, wenn Hungernde sie sah'n.
Ich sah auch Blumen drunter, das mühte sonst mich nie,
Ich dacht' es würde bunter nur das Getreid' durch sie;
Doch heuer hätt' ich gerne die Blumen ausgerauft,
Und einem Samenkerne ein Plätzlein mehr erkauft.
Für sanften Regenschauer sang ich sonst Gottes Lob;
Doch jetzt macht er mir Trauer, weil er die Ernt' aufschob.
Und auch vor den Gewittern, davor mir nie ward leid,
Begann ich jetzt zu zittern, für's zitternde Getreid'.
Ihr denkt, dass für mein Nestlein hab' etwa mir gegraut?
Wisst, dass auf keinem Ästlein ich mir hab' eins gebaut.
Ach Gott, ich sah' zerschlagen die Frucht in einem Gau,
Als man die Erntewagen schon rüstete zur Schau.
Nun, Gott sei, der im Schmettern der Wetterwolken wohnt,
Gelobt, dass er mit Wettern hat diesen Gau verschont,
Die Sicheln hör' ich klingen, so freudig ist der Klang!
Darüber soll sich schwingen zum Himmel mein Gesang.
Ihr Menschen, die ihr erntet, und dazu schweiget noch,
Ich denke, dass ihr lerntet den Wert der Halme doch!
Ihr aber seid vom Qualme der Not noch so erstickt,
Dass ihr zum Schnitt der Halme kein Lied zum Himmel schickt.
Ja lasst die Zunge schweigen, dass sie die Hand nicht stört;
Ich will für euch den Reigen anstimmen, dass ihr's hört.
O leset von dem Grunde die einzeln Hälmlein auf,
Und traget sie zu Bunde und traget sie zu Haus!
Nun sind so nah' die Garben den Scheuern, körnerschwer;
Und die bis jetzt nicht starben, die sterben jetzt nicht mehr.
Lasst von des Grams Beschwerden aufatmen nur die Brust.
Ihr werdet satt nun werden, und satt werd' ich vor Lust.
Gott, dessen Gnadenleuchte am Himmel wieder wacht,
Gott, der den Hunger scheuchte durch seine Segensmacht,
Er möge nur die Seuchen, die mit dem gift'gen Hauch
Her hinterm Hunger keuchen, nun gnädig scheuchen auch;
Dass auf dem Erdenkreise nun wieder Leben sei,
Und wenn ich ihn durchreise, ich mich kann freu'n dabei.
Ich hab' an diesen Orten die Ernte nun geseh'n,
Nun muss ich da und dorten sie auch zu sehen geh'n.
Die vollen Garben nicken, ihr habet jetzt genug;
So darf ich denn wohl picken ein Körnlein auch im Flug.
Wollt es mir nicht versagen zu meines Singens Lohn!
Ich will's zum Opfer tragen hinauf an Gottes Thron.
Rückert.
Ich hört' ein Vöglein singen: „Vorbei ist Gottes Zorn.“
Das Sichlein klang so köstlich, das Vöglein sang so laut;
Das Sichlein klang so tröstlich, das Vöglein sang so traut:
Ich Vöglein in den Lüften, bin frei von ird'scher Not;
Ich find' in Waldesklüften wohl auch mein täglich Brod.
Doch mehr als dunkle Wälder preis' ich an diesem Tag
Die hellen Ährenfelder mit reifem Erntertrag.
Ich hörte fernher klagen, als man das Korn hier schnitt,
Ich fing selbst an zu zagen, als litt ich selbst damit.
Ich sah sie so sich grämen; ein einzig Körnlein nur
Hätt' ich nicht mögen nehmen, da man das Korn einfuhr.
Ich wollte, da sie draschen, und gar so wenig blieb.
Mir auch kein Körnlein haschen, um nicht zu sein ein Dieb.
Wohl hätt' ich einem Reichern recht viel genommen gern,
Der aber hielt in Speichern verschlossen seinen Kern;
Und wenn ein armes Knäblein stand bettelnd vor der Tür,
Reicht' er vom schwarzen Laiblein ein dünnes Stückchen für.
Ich sah die armen Knaben drauf in die Wälder geh'n,
Nach wilden Wurzeln graben, das war hart anzuseh'n.
Ich könnt' es wohl ermessen, sie waren Brod gewohnt,
Und mit dem Wurzelnessen war ihnen schlimm gelohnt.
Die Würzlein schmeckten bitter, der Hunger war der Koch,
Die Kindlein und die Mütter aßen die Würzlein doch.
Als nun sich Beerlein streiften mit rothein Glanz im Wald
Und überrot dann reiften, da freut' ich mich alsbald
Des armen Völkleins willen, dass Gott es nicht verließ,
Den Hunger ihm zu stillen, die Beerlein wachsen hieß.
Da sah ich einzeln laufen auch Kindlein hie und dar,
Doch nicht in hellen Haufen, wie ich's gedacht fürwahr.
Wie? können sie entraten das süße Waldgericht?
Da hört ich, dass sie's taten aus Furcht vor einem Wicht,
Es scheuchte sie der Jäger, dass nicht zertreten sei
Der Wald, verstört die Läger des Wildes vom Geschrei.
Ich war vor diesem Falle dem Jäger schon nie grün,
Jetzt hätt' ich Gift und Galle gar mögen auf ihn sprüh'n.
Da flog ich jeden Morgen vom Wald nun aus zu Feld,
Zu seh'n ob noch geborgen die Hoffnung sei der Welt.
Ich zählte jede Ähre die auf dem Acker stand,
Als ob sie selbst mir wäre des Lebens Unterpfand.
Ich zählte alle Ähren, und überschlug im Flug,
Ob auch das Land zu nähren der Ähren wären g'nug.
Ich sah genug der Ähren, sie wuchsen schön heran;
Doch langsam schien's zu währen, wenn Hungernde sie sah'n.
Ich sah auch Blumen drunter, das mühte sonst mich nie,
Ich dacht' es würde bunter nur das Getreid' durch sie;
Doch heuer hätt' ich gerne die Blumen ausgerauft,
Und einem Samenkerne ein Plätzlein mehr erkauft.
Für sanften Regenschauer sang ich sonst Gottes Lob;
Doch jetzt macht er mir Trauer, weil er die Ernt' aufschob.
Und auch vor den Gewittern, davor mir nie ward leid,
Begann ich jetzt zu zittern, für's zitternde Getreid'.
Ihr denkt, dass für mein Nestlein hab' etwa mir gegraut?
Wisst, dass auf keinem Ästlein ich mir hab' eins gebaut.
Ach Gott, ich sah' zerschlagen die Frucht in einem Gau,
Als man die Erntewagen schon rüstete zur Schau.
Nun, Gott sei, der im Schmettern der Wetterwolken wohnt,
Gelobt, dass er mit Wettern hat diesen Gau verschont,
Die Sicheln hör' ich klingen, so freudig ist der Klang!
Darüber soll sich schwingen zum Himmel mein Gesang.
Ihr Menschen, die ihr erntet, und dazu schweiget noch,
Ich denke, dass ihr lerntet den Wert der Halme doch!
Ihr aber seid vom Qualme der Not noch so erstickt,
Dass ihr zum Schnitt der Halme kein Lied zum Himmel schickt.
Ja lasst die Zunge schweigen, dass sie die Hand nicht stört;
Ich will für euch den Reigen anstimmen, dass ihr's hört.
O leset von dem Grunde die einzeln Hälmlein auf,
Und traget sie zu Bunde und traget sie zu Haus!
Nun sind so nah' die Garben den Scheuern, körnerschwer;
Und die bis jetzt nicht starben, die sterben jetzt nicht mehr.
Lasst von des Grams Beschwerden aufatmen nur die Brust.
Ihr werdet satt nun werden, und satt werd' ich vor Lust.
Gott, dessen Gnadenleuchte am Himmel wieder wacht,
Gott, der den Hunger scheuchte durch seine Segensmacht,
Er möge nur die Seuchen, die mit dem gift'gen Hauch
Her hinterm Hunger keuchen, nun gnädig scheuchen auch;
Dass auf dem Erdenkreise nun wieder Leben sei,
Und wenn ich ihn durchreise, ich mich kann freu'n dabei.
Ich hab' an diesen Orten die Ernte nun geseh'n,
Nun muss ich da und dorten sie auch zu sehen geh'n.
Die vollen Garben nicken, ihr habet jetzt genug;
So darf ich denn wohl picken ein Körnlein auch im Flug.
Wollt es mir nicht versagen zu meines Singens Lohn!
Ich will's zum Opfer tragen hinauf an Gottes Thron.
Rückert.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lust, Lob und Trost der edlen Landwirtschaft. Teil 1