Wie Frau Kartoffel krank war, von M. Hartmann

Ich weiß ein stattlich großes Haus,
Das ist bewohnt von vielen Leuten,
Sie gehen drinnen ein und aus
Seit Olims uralt-grauen Zeiten,

Drin wird geweint und wird gelacht,
Drin hört man jubeln, singen, klagen,
Drin wechseln ab, gleich Tag und Nacht,
Das frohe Glück mit trüben Plagen.


Im weiten Hause wird hantiert,
Gekocht, gebacken und gebraten.
Der Tisch gedeckt und aufserviert
Den frühen Gästen und den spaten.

Ein altes Mütterlein, bekannt
Als treue Magd aus alten Zeiten,
Und Frau Kartoffel nur genannt
Bei allen Haus- und Nachbarsleuten;

Es war ein stilles Mütterlein,
Stets ohne prunkendes Geschmeide,
Es mochte nur zufrieden sein
Mit seinem schlichten Alltagskleide,

Und unbeachtet, ungeehrt,
Und oft verspottet, oft vergessen,
Stand es den ganzen Tag am Herd,
Hat's Nachts die schlechtste Stub' besessen.

Bracht' es zu Tisch die Speis' heran,
Kaum, dass man's freundlich angeblicket,
Nur manchmal hat ein armer Mann
Verstohlen ihm die Hand gedrücket.

Geschlecht ging an Geschlecht vorbei,
Wie Bäume sprossen, blüh'n und sterben,
Doch blieb die alte Hausmagd treu
Als Erbstück allen künft'gen Erben;

Da, eines Morgens — was geschah!?
Als Alles um den Tisch gesessen.
Und Jeder nach der Schüssel sah.
Da hatten Alle nichts zu essen.

Denn unser gutes Mütterlein,
Die Frau Kartoffel, lag darnieder,
Sie fühlte eine arge Pein
Durchrieseln ihre alten Glieder.

Und ist's ein Wunder, dass die Kraft
Ihr nahm die Arbeit ohne Rasten,
Da sie so lang das Haus beschafft,
Dass nicht die armen Menschen fasten?

Fürwahr, ein Wunder ist es nur,
Dass ihr so lang die Gute hattet,
Dass ihre kräftige Natur
Nicht lange vorher schon ermattet.

Da gingen denn die Gäste fort
Vom Frühstück noch mit leerem Magen,
Sie sprechen manch' besorgtes Wort
Und wollen Mittags wieder fragen.

Der Mittag kam sehr schnell heran,
Der Tisch war leerer als am Morgen,
Da fing man erst zu denken an
An Frau Kartoffelchen mit Sorgen;

Und in das finstre Kämmerlein,
Wo sie auf schlechtem Lager ruh'te,
Drang Jung und Alt und Groß und Klein
Zu fragen, was sie macht, die Gute.

Man bringt ihr Tee und Medizin
Und legt sie auf ein bess'res Bette,
Man fragt und redet her und hin,
Wie man die gute Seele rette.

Die Wirtschaft stockt im ganzen Haus,
Man wirft die Arbeit in die Ecken,
Die Leute rennen ein und aus;
Sie treibt der Hunger und der Schrecken.

Jetzt sah man ein, kein Hofkoch kann
Wie sie die Kunst, all' Welt zu speisen,
Und Frau Kartoffel nun begann
Jedweder vollen Munds zu preisen.

Die Bettler und das Volk der Not
Durchstreiften jammernd Straß' und Gasse
Und drohten weinend Mord und Tod,
Wenn man die Gute sterben lasse.

Das war ein Lärmen nah und fern,
Das Haus erbebte vor dem Jammer,
Und ratlos saßen des Hauses Herrn
Am Krankenbett in feuchter Kammer.

Da zogen Prozessionen aus,
Monstranz voran und Kreuz und Fahnen,
Im Bußgewand der Pfaff' voraus
Zum Gnadenort auf allen Bahnen;

Und alle Welt war bußbereit,
Und hundert Messen ließ man lesen,
Dass nur der Herr in naher Zeit
Die Frau Kartofsel laß' genesen.

Und die Doctores saßen da,
Kopf und Perrücke ward geschüttelt,
Ob ihre Sapientia
Den casum morbi nicht ermittelt.

So auch die hohen Herrn des Rats
Vereinten sich in pleno alle,
Zu finden was das Wohl des Staats
Erheische in so schwierigem Falle,

Ob eine allerhöchste Frau
Genesen wär' von einem Kinde,
So schreibt man's täglich auf genau,
Wie Frau Kartoffel sich befinde.

Und Läufer und Lakai und Mohr,
Sie kommen täglich nachzufragen;
Von Zeit zu Zeit sogar fährt vor —
Man glaubt es nicht — des Königs Wagen.

Ja, ja, die arme, schlichte Magd,
Die hat sie Alle so erschrecket;
Wer hätte das voraus gesagt,
Als noch der Tisch war gut gedecket?

Die Herrn der Feder und des Buchs,
Die Pfaffen, Küster und die Priester,
Sie scheu'n den Duft des Hungertuchs,
Die Könige und die Minister.

Doch Frau Kartoffel ist zur Stund'
Noch krank und matt — durch Gottes Segen!
Will's Gott, so wird sie bald gesund.
Der Armen und nicht euretwegen.

Für euch ist nur ein Pröblein dies,
Wie Alles stürzt und um sich kehret,
Wenn sie Geduld und Kraft verließ,
Die arme Magd, die euch ernähret.

Die schmutz'ge Magd, sie kocht für euch,
Für euch steht sie in Asch' und Ruße,
Sie wirtschaftet für Arm und Reich' —
O, tuet vor der Armen Buße!

Moritz Hartmann.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lust, Lob und Trost der edlen Landwirtschaft. Teil 1