Philipp Roth (1853-1899)

Ein vorzüglicher Cellist war der am 25. Oktober 1853 zu Tarnowitz in Oberschlesien geborene und im Jahre 1899 verstorbene Philipp Roth, ein Schwiegersohn von Frau Lina Morgenstern. Er hatte ein sehr bewegtes Leben. 1885 unternahm er mit Charles Gregorowitsch eine Konzertreise nach dem nördlichen Russland und von 1888 bis 1889 mit dem Boston-Symphonie-Club eine Reise durch Nordamerika und Canada, während welcher er an nicht weniger als 140 Konzerten als Cellist teilnahm. Außer einer Anzahl von Originalkompositionen veröffentlichte er eine Reihe von Bearbeitungen klassischer Werke für Violoncello und Klavier, eine Violoncellschule mit anschaulichen Abbildungen des Griffbretts und übersichtlichem Tonverzeichnis, nebst einem Führer durch die Violoncellliteratur.

Er war ein fleißiger Gast des Generalfeldmarschalls Grafen Moltke und erfreute den greisen Feldherrn in Gemeinschaft mit A. Grünfeld und J. Joachim durch seine schönen Leistungen. Überdies war er Lehrer des im Hause des Marschalls lebenden Neffen und Flügeladjutanten, des Majors Hellmuth von Moltke.


Eine reizvolle Schilderung machte mir einmal Philipp Roth über eine solche musikalische Soirée bei dem musikalischen Feldmarschall, und möge nur das Nachstehende hier mitgeteilt werden:

„Während des Unterrichts erschien zuweilen der greise Generalfeldmarschall, bat aber sowohl mich wie seinen Neffen, sich nicht stören zu lassen. Er setzte sich dann uns beiden gegenüber und hörte dem ihm so lieben Instrument mit großer Andacht zu. Wurden in dem kleinen Musikzimmer des an der Nordseite des Berliner Königplatzes belegenen Generalstabsgebäudes, der langjährigen Dienstwohnung Moltkes, musikalische Soiréen abgehalten, dann begann für die gräfliche Familie erst in später Nachtstunde die Ruhe. Der alte Herr ließ sich auf einem Sopha behaglich nieder und gab sich ganz dem musikalischen Genuss hin. Es herrschte gar kein Zwang und der Herr des Hauses wünschte, dass seine männlichen Gäste sich das Vergnügen des Zigarrenrauchens nicht versagten, wie er denn auch selbst stets con amore seine Zigarre schmauchte. War er damit zu Ende, so benutzte er die Dose, die er nebst einem langen seidenen Taschentuch in der Hand hielt, zum Schnupfen. Der Violoncellspieler und sein Partner, der Pianist, sind schon längst ermüdet, haben sie doch bereits an diesem Abend vier Sonaten von Beethoven und Mendelssohn, sowie eine ganze Anzahl von kleinen Solostücken hören lassen. Aber Papa Moltke macht noch immer keine Miene, sich zu erheben. Da ertönt plötzlich die Lieblingspiece des Marschalls: das Abendlied von Robert Schumann. Ein heiteres Lächeln des Hausherrn bezeugt, dass er die Mahnung der Künstler wohl verstanden habe. Er steht auf und verabschiedet sich mit einem freundlichen Gutenachtgruss. War, was oft der Fall war, Joachim anwesend, wurden einigte leichtere Trios gespielt, oder der Meister geigte allein Sonaten, Konzerte, ungarische Tänze und zuletzt selbstverständlich das Schumann’sche Abendlied. Moltke bekundete dabei das lebhafteste Interesse, fragte stets nach dem Titel der vorgetragenen Stücke und gab seinem Gefallen darüber immer freudigen und lauten Ausdruck, wogegen er sein Missfallen an einer Piece unterdrückte oder bei Beginn einer ihm nicht sympathischen Komposition das Zimmer sachte verliess. Das berühmte Bruch’sche „Kol Nidrei“ musste gewöhnlich Da Capo vorgetragen werden; erinnerte doch dieses Musikstück, welches bekanntlich aus orientalischen Weisen zusammengesetzt und das heiligste Gebet der Israeliten an ihrem Versöhnungstage ist, ihn lebhaft an seine vielen Reisen durch den Orient.“