Moritz Rosenthal (1862-1946)

Der größte Techniker der Gegenwart, mit dem kein einziger Klaviervirtuos konkurrieren kann, ist Moritz Rosenthal, den ein Wiener Kritiker richtig einen pianistischen Tausendkünstler genannt hat. Durch seine erstaunliche technische Ausbildung verblüfft und bezwingt er überall das Publikum, mögen die Kritiker noch so sehr sich dagegen auflehnen, dass die Fingerfertigkeit allein den höchsten Triumph aller Kunst des Klavierspiels bedeuten soll. Es ist Tatsache, dass dieser pianistische Cagliostro unter den jungen Virtuosen in allen fünf Weltteilen stets Furore gemacht hat; wenn es freilich darauf ankommt, der Seele und der Geisteshoheit des Komponisten Ausdruck zu geben, versagt zuweilen seine Kunst. Wenn manche Bewunderer Rosenthals diesen noch über Anton Rubinstein stellen wollen, so muss man einen solchen Versuch als einen verfehlten bezeichnen, und ich muss meinem Freunde, dem verstorbenen Professor H. Ehrlich, darin Recht geben, dass diejenigen, welche solche Vergötterungen vornehmen, nicht den Unterschied kennen zwischen wahrer, angeborener Genialität, die alles Geistige umfasst und vergeistigt und selbst in manchen Irrtümern den Kenner noch anregen kann, und jener kolossalen Energie und Ausdauer, die auf den Effekt allein losstürmt und selbst im Gelungensten nur bewunderndes Staunen erzeugt, niemals aber einen wahren Kunstgenuss zu bieten vermag. Rosenthal ist jedoch klug genug, zu vermeiden, Werke vorzutragen, bei deren Wiedergabe der Schwerpunkt in der musikalischen Vertiefung und nicht in Klaviereffekten liegt.

Geboren wurde Moritz Rosenthal im Jahre 1862 in Lemberg als Sohn eines Schulprofessors und entfaltete bereits mit acht Jahren einen so zähen pianistischen Lerneifer, dass er sich damals schon in dem sehr verwickelten Gewebe der Weber’schen Klaviermusik mit ihrem glänzenden Passagereichtum überraschend zurecht fand. Carl Mikuli, der ausgezeichnete Chopinkenner und Leiter am dortigen Konservatorium, nahm sich des vielversprechenden Knaben an und förderte ihn nach besten Kräften. Zwei Jahre später weihte ihn Raphael Joseffy in die Errungenschaften der Tausig’schen Methode ein. Mit 14 Jahren gab er in Wien, wohin 1875 seine Eltern übergesiedelt waren, sein erstes Konzert. Auf einer Kunstreise nach Rumänien erspielte er sich die Würde eines königlich rumänischen Hofpianisten. Epochemachend griff nun Franz Liszt in die musikalische Weiterentwicklung des jungen Künstlers ein. Von 1878 bis zum Tode des Meisters blieb Rosenthal sein treuester Schüler und unermüdlicher Begleiter auf all’ den Wanderzügen, die Liszt alljährlich nach Weimar, Budapest, Wien und Rom unternahm.


Seinen Weltruf begründete Moritz Rosenthal wie Paderewski in Amerika, wo er seit 1887 längere Zeit konzertierte. Er wurde als ein Phänomen angestaunt und erwarb sich sowohl dort, wie auch später in Deutschland den Ruf eines technischen Spezialisten sondergleichen. Wir schließen seine Charakteristik mit den Worten Bernhard Vogels: „Er verfügt über einen Tonreiz, eine seltene Fülle von Anschlagsweisen, die alle Skalen des Aetherischzarten bis zum furchtbarsten Wotansdonner umfasst. Die Kontrastfülle der modernen Romantik hat uns außer ihm kein zeitgenössischer Rivale in solcher Wucht und Greifbarkeit vermittelt. Hin und wieder zwar kann es scheinen, als ob diese ungeheure Herrschaft über den mechanischen Teil seiner Kunst ihn verleite, Einzelheiten selbst etwas mechanisch zu verarbeiten . . . Mag er oft dahinsprengen in den Allegrosätzen, gleich einem feurigen Ross, das des Zügels nicht achtet und tollkühn die bedenklichsten Hemmnisse besiegt, so erspart uns sein Spiel doch alle Beängstigung, denn die verwegensten Anstrengungen erschöpfen weder seine physische Kraft, noch lähmen sie die geistige Flugfähigkeit; er hält die Hörer beständig in Atem.“