Leopold von Auer (1845-1930)

Auch Leopold Auer ist ein Sohn des Landes des Tokayers, des Csardas und des Paprika. Geboren am 28. Mai 1845 zu Veszprim in Ungarn, besuchte er zuvörderst das Conservatorium zu Budapest, um sich zum Violinisten auszubilden. Mit vier Jahren zeigte er bereits rhythmische Begabung, die sich im Revolutionsjahre 1849 durch ein kunstvolles Trommeln beim Ein- und Abzüge der Aufständischen bemerkbar machte. Von 1857 — 1858 studirte er am Wiener Conservatorium, wo Professor Jakob Dont auf seine virtuose Entwicklung den günstigsten Einfluss ausübte. Von diesem Meister hat er den grossen Ton und die perlende Technik erworben. Im Jahre 1858 verliess er das Conservatorium mit dem ersten Preise. Ein mehrmonatlicher Aufenthalt in Hannover bei Joseph Joachim gab dem jungen Künstler die letzte Weihe. Von 1859 — 1863 unternahm er erfolg- und ruhmgekrönte Virtuosenreisen, wurde dann Konzertmeister in Düsseldorf, 1865 solcher in Hamburg unter Julius Stockhausen und erhielt 1868 den Ruf als Professor ans Conservatorium nach Petersburg, an die Stelle von Henri Wieniawski und zugleich die Ernennung zum Hofsolisten des Kaisers von Russland. Er ist auch Konzertmeister an der Petersburger Hofkapelle.

Von der russischen Residenz aus verbreitete sich immer mehr sein Ruf als Violinvirtuos, Dirigent, Lehrer und Kammermusiker. Er gehört zu den Kunstgrössen ersten Ranges, der mit einer ausserordentlichen technischen Fertigkeit schönen Ton, seelenvollen Vortrag und vollkommenste Reinheit in der Intonation verbindet. Seine Bogenführung ist schulgerecht und elegant und seine Art des Staccato musterhaft. Durch seine warmblütige, gefühlvolle Ausdrucksweise und seine sonstigen vorzüglichen Qualitäten ist er einer der bedeutendsten unter den lebenden klassischen Geigern und ein leuchtendes Vorbild für die heranwachsenden Kunstjünger. Eür das Emporblühen der Kammermusik in Russland hat Leopold Auer ausserordentlich viel gethan. Mit S. Korgueff. E. Krüger und A. Werzbilowitsch bildete er das berühmte Petersburger Streichquartett, dessen künstlerische Leistungen nicht allein im Reiche des Zaren, sondern auch in ganz Europa sich eines ausserordentlichen Rufes erfreuten. Es beherrscht das musikalische Leben in der Hauptstadt Russlands.


In den Jahren 1887 — 1892 war er Leiter der Symphoniekonzerte der kais. russ. Musikgesellschaft in Petersburg, wo er unter anderem zum ersten Male das Requiem von Hector Berlioz und die vollständige Manfred-Musik von Robert Schumann mit verbindendem Text in russischer Sprache zur Aufführung brachte.

Er hat zahlreiche jüngere Geiger ausgebildet, deren Förderung und Carriere er sich mit Eifer angelegen sein lässt. Der geachtete, sympathische Künstler kennt keinen Neid, und es muss rühmend hervorgehoben werden, dass er für das anfänglich so sehr angefeindete Violinkonzert Tschaikowskys, das sich in einer Besprechung Eduard Hanslicks über Brodskys Wiedergabe den Ausdruck „übelriechender“ Musik gefallen lassen musste, eingetreten war und schliesslich durch seine den Intentionen des Komponisten bis ins kleinste Detail gerecht werdende Ausführung des Werkes diesem zahlreiche begeisterte Anhänger gewann, sodass das Violinkonzert zu dem eisernen Bestandtheil der Violinliteratur geworden ist. Die Musikliteratur hat er mit einigen interessanten Kompositionen für sein Instrument bereichert.