Joseph Wieniawski (1837-1912)

Von dem Geigenvirtuosen und Komponisten Heinrich Wieniawski, der trotz seiner vielen Erfolge und vorteilhaften Anstellungen nicht zu einer materiellen Sicherung seiner Zukunft gelangen konnte, haben wir bereits oben gesprochen.

Welcher Gegensatz zwischen ihm und seinem Bruder Joseph Wieniawski, der Zeit seines Lebens von der Glücksgöttin in ausnehmender Weise begünstigt wurde und mit der Stieftochter des von uns genannten berühmten Komponisten Julius Schulhoff nicht allein glücklich, sondern auch sehr reich verheiratet war. Ebenso bedeutend wie sein Bruder Henri als Violinist, war Joseph Wieniawski als Klavierspieler und Lehrer. Zwei Jahre jünger als der erstere — geboren am 23. Mai 1837 in Lublin — erhielt er ebenfalls seine Ausbildung am Pariser Konservatorium, wo er 1849 den ersten Preis erlangte und auch den Solfeggienpreis erhielt.


1853 kam er nach Weimar, wo Liszt sich lebhaft für ihn interessierte und sein Lehrer wurde. Hierauf durchreiste er mit seinem Bruder Deutschland und Russland, überall große künstlerische und materielle Erfolge verzeichnend. In Berlin allein musste das Brüderpaar zwölf Konzerte geben. Hier nahm Joseph Wieniawski 1856 drei Jahre hindurch nochmals theoretischen Unterricht bei A. B. Marx, um seine Künstlerschaft zu vollenden. 1860 ließ er sich dauernd in Paris nieder, wo er sehr gefeiert wurde und in den Konzerten Napoleons III. eine gern gesehene Erscheinung war.

Auf Aubers Betreiben wurde er Prüfungslehrer am Pariser Konservatorium, doch verließ er 1866 die Seinestadt wieder und begab sich nach Moskau, wo er die Professur am Konservatorium übernahm, bald jedoch eine eigene Klavierschule errichtete, die großen Aufschwung nahm. 1877 rief er die Warschauer Musikgesellschaft ins Leben. Gegenwärtig ist er am Brüsseler Konservatorium als Lehrer tätig. Auch als schaffender Künstler hat er in den weitesten Kreisen Anerkennung gefunden. Er schrieb u. a. ein Klavierkonzert, Idyllen, Sonaten, Tarantellen, Walzer, Polonaisen, Etüden, Capricen, Rondos, Lieder ohne Worte, Impromptus, Phantasien, Fugen, Kadenzen zu Beethovens C-moll-Konzert u. s. w.