Heinrich Herz (1803-1888)

Neben den Vertretern einer echt künstlerischen Virtuosität, speziell in Frankreichs Hauptstadt, kam dort in den beiden ersten Dritteln des 19. Jahrhunderts eine geringere Gattung von Virtuosen zu großer Geltung. Diese waren nicht geborene Franzosen, sondern zumeist Deutsche, die Paris einfach nur deshalb aufsuchten, weil sie dort bessere Geschäfte als in ihrem eigenen Vaterlande zu machen hofften und oft auch machten. Zu diesen von Hause aus hochbegabten Klaviervirtuosen zählte auch Heinrich Herz oder, wie er sich in Paris nannte, Henri Herz — geboren am 6. Januar 1803 in Wien und gestorben am 5. Januar 1888 in Paris. Wie Franz Hunten, der deutsche Musiker aus Coblenz, so wurde auch er ein eingefleischter Franzose. Er wohnte, von seinen Konzertreisen in Amerika abgesehen, von 1816 bis 1874 in Paris. Er war Zögling des Pariser Konservatoriums und später auch Klavierprofessor an diesem berühmten Institut. Jahrzehnte hindurch zählte man ihn zu den ihrer Technik halber gefeiertesten Pianisten und fruchtbarsten Pianofortekomponisten auf dem Gebiete oberflächlicher Salon- und Hausmusik.

Natürlich hatte er ein großes Publikum, da einer halbgebildeten Menge mit einer solch leichten Kost, wie sie von ihm dargeboten wurde, immer am meisten gedient ist. Doch sind seine zahlreichen Kompositionen und Klavierarrangements, wie dies gewöhnlich mit den Schöpfungen von Modekomponisten zu geschehen pflegt, bereits veraltet und bis auf wenige verschollen; was aber die Tatsache nicht aus der Welt schaffen kann, dass er in der Blüte seines Lebens einer außerordentlichen Volkstümlichkeit sich erfreute, und dass seine zahlreichen Rondos, Variationen, Phantasien, Divertissements im Palast wie in der Hütte gespielt wurden.


Henri Herz war zuerst Schüler des genannten Franz Hünten in Coblenz und trat bereits mit acht Jahren öffentlich auf. Später wurde er wie sein älterer Bruder, der Pianist Jacques Herz, Schüler des Pariser Konservatoriums, wo er Aufnahme in die Prader’sche Klavierklasse fand, und binnen Kurzem solche Fortschritte machte, dass er den ersten Konservatoriumpreis erhielt. 1818 veröffentlichte er zwei leichte hübsche Stücke: „Air tyrolienne varie“ und „Rondo a la Cosacca“, die viel gekauft wurden. Dann durch Ignaz Moscheies’ Beispiel fortgebildet, erregte er überall, wo er erschien, einen heutzutage kaum begreiflichen Enthusiasmus. 1846/47 und 1849/50 bereiste er Nord- und Südamerika, welche Reise er auch in einer 1866 erschienenen Schrift anziehend schilderte.

Außerdem ist er bekannt geworden als Begründer einer sehr bedeutenden Pianofortefabrik, in deren Musiksalon er viele glänzende Aufführungen veranstaltete. Anfänglich mit großen Schwierigkeiten und finanziellen Opfern kämpfend, brachte er später durch Intelligenz, Tatkraft und Erfindungsgeist dieselbe auf eine solche Höhe, dass ihre Erzeugnisse mit den besten anderer Fabriken konkurrieren konnten und bei der Weltausstellung von 1855 den höchsten Preis erhielten. Bis 1874 wirkte er als Lehrer am Konservatorium, wo er sich durch seine gediegene Methode verdient gemacht hat.