Bronislaw Hubermann (1882-1947)

Neben diesen gereiften und bewährten Geigenvirtuosen verdient immerhin auch das Wunderkind Bronislaw Hubermann genannt zu werden, obschon oft Wunderkinder nicht das halten, was sie ursprünglich versprochen haben, viele vielmehr durch geistige und künstlerische Ueberanstrengung in zarter Jugend später elend zu Grunde gegangen sind. Bei dem Aufsehen aber, welches der kleine polnische Wundergeiger mit dem aufgeschossenen schlanken Gliederwerk, das sich leicht aus den Gelenken löste, mit der Haartracht des polnischen Bauern und dem ausgesprochen polnischen Typus überall, wo er bisher auftrat, erregt hat, wollen wir ihn hier an dieser Stelle nennen und hoffen, dass er die Wechsel, die auf sein hervorragendes Talent ausgestellt sind, in der Zukunft voll und ganz einzulösen im Stande sein wird.

Bei Wunderkindern weiss man bekanntlich nie genau das Jahr der Geburt, ebenso wenig wie bei berühmten Sängerinnen und Schauspielerinnen, aber es ist höchst wahrscheinlich, dass er in den 80er Jahren als Sohn eines Winkeladvokaten, der im Jahre 1899 in Wien gestorben ist, geboren wurde. Er ist ein Schüler von Charles Gregorowitsch und wurde erst von der vor noch nicht langer Zeit verstorbenen Wiener Sängerin Bury so recht entdeckt. An dem bekannten polnischen Kunstmäcen, Grafen Zamoyski, fand er eine gute Stütze. Dieser machte ihm auch eine ausgezeichnete alte Geige zum Geschenk. Als der junge Bronislaw in Wien zum ersten Male auftrat und das Brahms’sche Violinkonzert spielte, küsste ihn Brahms begeistert auf die Stirn, indem er sagte: „Du bist ein Genie, mein Sohn.“ In dem Gespräche mit ihm äusserte Hubermann den Wunsch nach einer Brahms’schen Violinphantasie. Man weiss, dass sie geschrieben werden sollte, aber leider hat sie der Komponist mit ins Grab genommen. Der polnische Virtuose verdiente in Wien in fünf Konzerten nicht weniger als 30.000 Gulden. Ebenso feierte er seltene Erfolge in Rumänien. Die Königin, Carmen Sylva, dichtete ihn an, ja sie malte ihn sogar, ebenso erhielt der kleine Jude den Titel eines rumänischen Kammervirtuosen.


Hubermann, von dem Leschetitzky einst sagte, er wäre als Wundermensch zur Welt gekommen, lebt in Wien. Den grossen, ernsten Fragen des Violinspiels und den klassischen Meistern, Bach, Beethoven und Brahms, steht er am nächsten. Im Vergleich mit seinen vor wenigen Jahren errungenen Lorbeeren stehen die Kritiken der letzten Zeit allerdings in Widerspruch, doch wollen wir, wie gesagt, wünschen, dass Bronislaw, obschon er keine kurzen Höschen mehr trägt, seinen erworbenen Ruhm nicht aus der Hand geben wird.