Siegfried Ochs (1858-1929)

Der namhafte Dirigent und Komponist Professor Siegfried Ochs in Berlin hat seine künstlerische Laufbahn noch lange nicht vollendet, denn er ist erst 42 Jahre alt und steht in der Blüte seines Wirkens und Schaffens. Aber man kann doch schon ein ziemlich zutreffendes Bild seiner Eigenart geben. Was zunächst seinen Lebensgang betrifft, so sei erwähnt, dass er, am 19. April 1858 in Frankfurt a. M. geboren, nach beendigtem Schulbesuch in Heidelberg Chemie studirte oder vielmehr studiren sollte, aber seine Musikschwärmerei als — Pauker im dortigen städtischen Orchester liess ihm wenig Zeit für das Laboratorium. Mit dem 23. Jahre erhielt er auf der Königlichen Hochschule für Musik zu Berlin den ersten regelrechten Musikunterricht, war Schüler von Ernst Friedrich Carl Rudorff, Adolf Schulze und Friedrich Kiel und endlich, nachdem er von der Hochschule abgegangen war, von Heinrich Urban.

Ein Doppelquartett, dessen Leitung Siegfried Ochs übernommen hatte, bildete sich nach und nach zu einem kleinen Chor aus, der im Verlaufe von zwei Jahren sich so vergrösserte, dass er es wagen durfte, als Chorverein aufzutreten. Hans von Bülow, der zufällig einer Probe des „Philharmonischer Chor“ genannten Vereins beiwohnte, beurtheilte Ochs’ Leistungen auf das Liebenswürdigste und förderte ihn mehrere Jahre durch die Macht seines persönlichen Einflusses. Heute ist der „Philharmonische Chor“ der bei Weitem grösste unter den Berliner Vereinen; er verfolgt besonders die Richtung der fortschrittlichen Kunst und hat in den 17 Jahren seines Bestehens 47 grosse und kleinere Werke zum ersten Male aufgeführt.


Neben seiner Thätigkeit im Musikleben Berlins dient der Künstler als Vorstandsmitglied den Interessen des „Allgemeinen Musikvereins“, des „Vereins der Musiklehrer“ und vor Allem der „Bach-Gesellschaft“, deren Zwecke zu fördern er um so lieber nach besten Kräften beiträgt, als die Werke Joh. Seb. Bachs für ihn das Höchste bedeuten, was die Musik überhaupt hervorgebracht hat; sie bilden auch neben den zur Aufführung gelangenden neuen, modernen Kompositionen den Kern der Programme in den Konzerten des Philharmonischen Chors.

Als Komponist nun wurde Siegfried Ochs durch die parodistischen Variationen über: „Kommt ein Vogel geflogen“, sodann aber durch werthvolle liederkompositionen (Maulbronner Fuge), Duette, Kanons, Clavierstücke zu vier Händen, Chöre, sowie eine komische Oper nach selbst verfasstem Textbuch: „Im Namen des Gesetzes“, welch’ letztere zuerst in Hamburg zur Aufführung gelangte, rühmlich bekannt. Der Komponist würde entschieden volksthümlicher sein, wenn er sich bemühen wollte, seinen Schöpfungen hinsichtlich der Aufführung mehr väterliche Zärtlichkeit zuzuwenden, aber als Leiter eines grossen Konzertvereins glaubt er nicht in der Lage zu sein, auch nur ein lobendes Wort darüber Sängern und Sängerinnen gegenüber zu äussern.

„Ich denke mir“, so sagte er mir einmal, „dass, wenn die Sachen brauchbar sind, sie doch einmal bekannt werden. Andernfalls haben sie ihr Los verdient, indem man sie ignorirt.“