Jacques Fromenthal Eli Halévy (1799-1862)

Unter den französischen Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts nahm der Schöpfer der „Jüdin“, der „Königin von Cypern“, des „Blitz“ und anderer meisterhafter musikalischer Opernwerke, Jacques Frommenthal Eli Halévy (20), einen der ersten Plätze ein, obschon er, wie Barnett, Benedict und zahlreiche andere Komponisten von deutschen Eltern abstammte. Sein Vater, Elia Halévy, wurde in Fürth in Bayern geboren und hat sich als ein begabter hebräischer Dichter einen klangvollen Namen erworben. Dieser dichtete anlässlich der Friedensversammlung zu Amiens ein schwungvolles Lied in hebräischer Sprache auf den Frieden und Napoleon Bonaparte, welches in der Synagoge zu Paris am 11. November 1801 gesungen wurde. Die Zeitwellen hatten ihn von Fürth nach Paris gespült und seine beiden berühmten Söhne, der eben genannte Komponist und der Dichter Leon Halévy, haben aufs Neue dafür gesorgt, dass sein Name in der Literaturgeschichte fortlebe.

Das zitierte verfehmte Wort: „Das Judentum in der Musik“ hat in Bezug auf Halévy eine gewisse Berechtigung, indem er ebensowenig wie Meyerbeer hinsichtlich des Inhalts seines Schaffens seine Abstammung verleugnete. Er hat für die Pariser Tempel beziehungsweise die dortigen Chöre herrliche Lieder komponiert, und in der „Jüdin“, seiner in Deutschland berühmtesten Meisteroper, zahlreiche altjüdische Melodien benutzt, die nicht wenig zu dem außerordentlichen Erfolg dieses Bühnenwerkes beigetragen haben. Ihm gebührt das Verdienst, dass er die Tragik seines Volksstammes auch in der Musik verewigte, gerade wie Moritz Oppenheim in seinen Bildern avis dem altjüdischen Familienleben die Schauer der Verfolgungen des Glaubens wegen den Zeitgenossen zum Bewusstsein brachte.


In der „Jüdin“ entlehnte der Komponist vom religiösen Gefühl seine strenge Glut und seinen warmen Ernst; der alte tausendjährige Weltschmerz der Israeliten haucht hier seine melodiösesten Klagen aus. Die Kunst, durch Töne zu rühren und durch verständnissvolle Harmonisirung die Zartheit wie die Wucht der Leidenschaft zu offenbaren, ist Halévy im höchsten Grade eigenthümlich. Wenn im zweiten Aufzug das Osterfest bei Eleasar gefeiert wird, glaubt man sich in eine fromme jüdische Familie am „Sederabend“ versetzt. Recha, die Tochter Eleasars, ist keine moderne blasirte Jüdin, die in eiteler Liebeständelei den Glauben ihrer Väter verleugnet, sondern in ihrer Seele paart sich die Liebe zu ihrem Vater mit derjenigen zu ihrer angestammten Konfession, und willig stürzt sie sich in den Scheiterhaufen, weil sie sich nicht selbst untreu werden und die Ideale ihres Lebens nicht verleugnen will.

Auch sonst ist diese Oper aus jüdischem Geiste hervorgegangen. Ich erinnere nur an all die Momente von grosser Innigkeit und Herzenswärme. Wie Giacomo Meyerbeer in den „Hugenotten“, so hat Halévy in der „Jüdin“ ein und denselben Gedanken verfolgt, nämlich den, der Umnachtung des Geistes und der Verstockung des Herzens, die ein zum Fanatismus und zur Ausrottung Andersgläubiger entarteter und verkrüppelter Glaube zur Folge hat, in dessen roher, alle Bande der Menschlichkeitzerreissenden Verthierung einen erschütternden und bleibenden Ausdruck in der Tonkunst zu geben. Während jedoch Ersterer die Folgen religiöser Unduldsamkeit zwischen Christen, die übrigens Angehörige ein und desselben Stammes sind, sich entwickeln lässt, und so den schreienden Gegensatz zwischen dem theoretischen und dem praktischen Christenthum uns vor die Seele führt, hat Halévy ohne Scheu direkt die sogenannte Judenfrage angeschnitten.

Auch in einer anderen Oper, „Le juif errant (Der ewige Jude)“, behandelt er diese soziale Frage musikalisch. In diesem Sinne sprach denn auch einst der Präsident des israelitischen Konsistoriums am Grabe des grossen Komponisten die Worte: „Wir französischen Israeliten waren glücklich, ihn zu den unsrigen zu zählen, nicht allein, weil er eine Zierde seines Landes gewesen, sondern noch mehr, weil er die Fahne seines Glaubens hochgetragen und er inmitten dieser traurigen Epoche der Gleichgiltigkeit in Sachen der Religion den gesunden Sinn bewahrt, die Konfession seiner Väter nicht zu verleugnen, vielmehr den frommen Gedanken genährt hat, dass die Kinder dem Andenken ihrer Väter Rechenschaft abzulegen haben, und dass, geboren in derselben Wiege, das Grab sie nicht trennen soll.“

Ausserordentlich ist die Wirkung, welche Halévy nicht allein auf das französische Volk, sondern auch auf die musikalisch Gebildeten aller Nationen ausgeübt hat. Als Vertreter der französischen Grossen Oper steht er fast unvergleichlich da, wie bedeutend auch ein Auber, ein Massenet und ein Gounod in ihrer Art sein mögen.

In seltenem Masse hat sich der Komponist durch sein liebenswürdiges Wesen und sein edles Herz der Liebe und Verehrung der Mitwelt versichert. Schon der Umstand, dass seine eigenen Kollegen, wie Auber und Thomas, und seine Schüler Gounod, Massenet, Bazaine und Jules Cohen, Zeit seines Lebens mit grösster Liebe und Schwärmerei an ihm hingen, spricht am besten für den lauteren Charakter dieses trefflichen Künstlers. Er war nie glücklicher, als wenn er unter seinen Schülern einen begabten Jünger fand. Dann folgte er dessen künstlerischem und geistigem Entwicklungsgang mit lebhaftem Interesse, und es bot ihm die grösste Freude, ihm die unvermeidlichen Schwierigkeiten auf dem ersten Wege, welche jeder Laufbahn im Wege stehen, zu ebnen. Er besass alle jene Eigenschaften, die den wahren Familienvater ausmachen; ein wirklicher Patriarch, fortwährend bemüht für Andere, denen er mit seinem Rath und seiner Börse aushalf, wurde seine Gutmütigkeit und sein Vertrauen oft missbraucht, ohne dass er jedoch in seinem Glauben an die Menschheit wankend geworden wäre. So wandte sich z. B. einst ein Schwindler unter dem Vorwande an ihn, sich aus bitterer Noth das Leben nehmen zu wollen, im Grunde jedoch nur zu dem Zwecke, um den zu erhaltenden menschenfreundlichen Brief als Autograph zu verkaufen.

Der vertrauensvolle Komponist roch natürlich keine Lunte, vielmehr antwortete er dem Bittsteller in seiner gütigen Weise am 7. April 1854: „Mein Herr, ich beeile mich, Ihren Brief zu beantworten. Hüten Sie sich, sich Ihrem verhängnissvollen Gedanken zu überlassen. Ohne Sie zu kennen, beschwöre ich Sie darum. Ich danke Ihnen für das Vertrauen, dass Sie in mich setzen, aber es muss ein volles Vertrauen sein. Man verzweifelt nicht mit 20 Jahren an der Hilfe der Vorsehung. Man muss arbeiten, mein Herr, und in der Arbeit ein Heilmittel für sein Uebel suchen. Kommen Sie an einem der nächsten Vormittage zu mir, wann Sie wollen Morgen, wenn Sie diesen Brief rechtzeitig erhalten, oder Sonntag um 9 Uhr, oder zwischen 9 und 11. Wir wollen mit einander reden, und ich werde mein möglichstes thun, Ihnen den verlorenen Mut wiederzugeben. Glauben Sie mir, es wird mir gelingen.“

Der am 27. Mai 1799 in Paris geborene Halévy studirte am dortigen Conservatorium und war ein Schüler von Cazot, Lambert, Berton und Cherubini. 1819 wurde er Stipendiat der Regierung, indem er durch eine Kantate, „Herminia“ den ersten Preis erwarb. Schon vorher war ihm die Komposition des hebräischen Textes des „De profundis“ für die Todtenfeier des Herzogs von Berry übertragen worden. Er unternahm eine Studienreise nach Rom, wo er lange verweilte und sich des belehrenden Umganges mit Guiseppe Baini, dem musikalisch hervorragenden päpstlichen Kapellmeister, zu erfreuen hatte. 1822 nach Paris zurückgekehrt, widmete er sich ausschliesslich der Komposition. Seine ersten Opern, wie die „Bohemiens“ und „Pygmalion“, wurden abgelehnt, dafür gefiel sein 1827 zum ersten Mal aufgeführter komischer Einakter „L’artisane“. Nun war der Weg zum Erfolg geebnet, und er veröffentlichte rasch hintereinander eine Reihe von Opern, die mehr oder weniger beifällige Aufnahme und grosse Verbreitung fanden. Wie schon erwähnt, erzielte er mit der „Jüdin“ den grössten Schlager. Ebenso gefiel die frische, fröhliche und elegante Oper „Der Blitz“, ferner die „Königin von Cypern“, „Guido et Ginevra“, („Die Pest in Florenz“), die komische Oper die „Musketiere der Königin“, sowie „Charles VI.“

Ueberdies schrieb er noch mehrere Kantaten, Männerchorlieder, Romanzen, Notturnos, eine vierhändige Claviersonate und „Scenen aus dem entfesselten Prometheus“.

Seine äussere Stellung war eine sehr begünstigte. Er begann seine Laufbahn 1827 als Lehrer am Conservatorium zu Paris; zwei Jahre später erfolgte seine Ernennung zum Gesangsdirektor der Pariser Grossen Oper. 1840 ernannte ihn der Herzog von Orleans zu seinem Privatmusikdirektor und vier Jahre darauf erwählte ihn die Akademie der schönen Künste zu ihrem Vizepräsidenten. Als solcher hatte er wiederholt über gestorbene hervorragende Mitglieder die üblichen Gedenkreden zu halten, und zeichneten sich dieselben nicht allein durch geistvolle Betrachtungen, sondern auch durch die humane edle Denkweise des Redners vortheilhaft aus. Am 17. März 1862 starb er zu Nizza, gleichsam im Dufte der Rosen, umgeben von seiner geliebten Frau und seinen Töchtern. Die Nachricht von seinem Tode liess alle Herzen in seinem Vaterlande erbeben, und die Trauer war eine allgemeine. Von Nizza, wohin er sich begeben hatte, um unter einem milderen Himmelsstrich Erleichterung von einer ihn verzehrenden Krankheit zu suchen, wurden seine sterblichen Ueberreste nach Paris gebracht, und die Beerdigung gestaltete sich zu einer nationalen Trauerfeierlichkeit. In der ungezählten Menge befand sich u. A. auch der Graf Morny, der Halbbruder Napoleons III., ebenso waren Prinz Napoleon und Prinzessin Mathilde vertreten.