Ignaz Moscheles (1794-1870)

Felix Mendelssohn-Bartholdy berief an die Stätte seines segensreichen Wirkens, an das, wie man weiss, von ihm begründete Leipziger Conservatorium neben Moritz Hauptmann eine als Virtuosen, Lehrer und Komponisten gleich ausgezeichnete Persönlichkeit, seinen Lehrer Ignaz Moscheles. Als Clavierspieler und Virtuos auf dem Pianoforte ragte dieser stets durch eine so vollkommene Beherrschung der Technik hervor, dass es ihm leicht fiel, seine geistigen Intentionen in vollkommener Weise zum Ausdruck zu bringen, wie er das in Improvisationen sowohl, als im Vortrage eigener und fremder Kompositionen durch eine lange, ruhmreiche Reihe von Jahren dargethan hat. Auf seinen Virtuosenreisen durch die verschiedensten Städte des In- und Auslandes erregte er überall durch seine Bravour und musikalische Durchbildung seines Spieles, besonders aber durch den verständnissvollen Vortrag der klassischen Meisterwerke Aufsehen. Die zeitgenössischen weltberühmten Tonmeister, wie z. B. Robert Schumann, der im Jahre 1819 zum ersten Male ihn als Claviervirtuosen in Karlsbad hörte und hier durch ihn einen unvergesslichen, seine Laufbahn vielleicht bestimmenden Eindruck erhalten hatte, sprechen sich über sein Spiel in bewundernder Weise aus. So schreibt der Meister der modernen musikalischen Lyrik an ihn am 20. November 1851, als Moscheles dem jüngeren Kollegen die Sonate 121 für Pianoforte und Violoncello gewidmet hatte:

„Als ich, Ihnen gänzlich unbekannt, vor mehr als 30 Jahren in Karlsbad einen Konzertzettel, den Sie berührt hatten, mir lange Zeit aufbewahrte, wie hätte ich da geträumt, von so berühmtem Meister auf diese Weise geehrt zu werden! Nehmen Sie meinen innigster Dank dafür.“


Ihm war es vorbehalten, in Carl Maria von Webers letztem Konzert in London am 26. Mai 1826 noch eine Improvisation vorzutragen. Schon wenige Tage darauf, am 5. Juni, war der grosse Meister verschieden.

Was seine pädagogische Begabung und Thätigkeit betrifft, so spricht schon der eine Umstand, dass er der Lehrer Mendelssohns war, dafür, dass er ein vorzüglicher Meister des Unterrichts gewesen sein muss. Als Dozent am Conservatorium war er immer bestrebt, der besten Richtung der Kunst zu folgen und für ihren wahren Fortschritt zu wirken; voll Rüstigkeit und Regsamkeit mit Herz und Geist und schönstem Gelingen stand er Jahrzehnte lang bis zu seinem Tode an der Spitze dieses Instituts und bildete eine grosse Zahl trefflicher Schüler heran. Die neben ihm wirkenden Freunde und Kollegen brachten ihm stets die aufrichtigste Verehrung entgegen. Aber auch als Komponist hat sich Ignaz Moscheles einen ehrenvollen Namen in der Musikgeschichte gesichert. Seine unübertroffenen, eine neue Bahn kennzeichnenden Etudenwerke, seine Clavierkonzerte und viele andere seiner zahlreichen — 142 — Opera sichern ihm einen Ruhmesplatz unter den schöpferischen Geistern des 19. Jahrhunderts. Ja selbst in seinen früheren, dem leichter wiegenden Salongenre angehörigen Kompositionen finden sich Züge, welche anregend wirken und Interesse erregen. Speziell gehören sein „G-moll-Konzert“ seine „Concerts au pathetic“ und eine Sonate für Clavier und Cello zum besten unserer klassischen, namentlich instruktiven Clavierliteratur. Sie nehmen mit denen Hummels einen bevorzugten Platz in der nachbeethoven’schen Aera der Clavierproduktion ein.

Doch nicht nur als Künstler, sondern auch als Mensch lebte Ignaz Moscheles hochgeehrt und gefeiert.

Seine virtuose und schöpferische Kraft, die eine neue Epoche im Clavierspiel und in der Komposition für das Pianoforte mit ins Leben rief, begnügte sich mit diesem Erfolge nicht, sondern war noch überdies mit glühender Begeisterung bestrebt, die Werke der Tonheroen Haydn, Mozart und namentlich Beethoven, welch’ letzterer ihn als einen seiner hervorragendsten Interpreten hochschätzte, immer mehr im edelsten Sinne des Wortes volksthümlich zu machen. Durch die von ihm veranstalteten Ausgaben der klassischen deutschen Meisterwerke hat er sich um die Einführung derselben in England unvergängliche Verdienste erworben. Von seiner Herzensgüte gab er namentlich in den Kriegsjahren von 1864 und 1866, als er den Bedrängten und den Opfern des Krieges mit seinen Mitteln nach Kräften beistand, oft erhebende Beweise.

Geboren wurde Moscheles am 30. Mai 1794 zu Prag. Er begann dortselbst seine musikalischen Studien unter Friedrich Dionys Weber; später ging er zu seiner weiteren Ausbildung nach Wien. Dort war Albrechtsberger sein Lehrer, während Salieri ihn durch seine väterlichen Rathschläge förderte.

Mit Clementi und Beethoven pflegte er intimen persönlichen und künstlerischen Verkehr und bearbeitete im Jahr 1814 zuerst den Clavierauszug des „Fidelio“, unter des Komponisten Leitung. Von seiner Virtuosenlaufbahn haben wir bereits gesprochen. In München und Wien machte er mit seinem Clavierspiel so viel Furore, dass J. N. Hummel grosse Mühe hatte, sich neben dem jungen Meister zu halten. Von 1825 in London ansässig, entfaltete er dort als Lehrer an der Akademie der Musik und Mitdirektor der Philharmonischen Konzerte eine rühmliche Thätigkeit.

Als Schriftsteller und Stilist wird I. Moscheles nicht minder geschätzt. Er veröffentlichte im Jahre 1841 eine englische Bearbeitung von Schindlers Biographie Beethovens in London und nach seinem am 10. März 1870 erfolgten Tode gab seine Gattin sein ebenso interessantes wie lehrreiches zweibändiges Tagebuch: „Aus Moscheles’ Leben“ (Leipzig, 1872) heraus. Dasselbe ist ein Gedenkbuch, worin sich der ganze Adel der Gesinnung des Verfassers bekundet, der stets streng gegen sich und mild im Urtheil über Andere war.

Welche Liebe Ignaz Moscheles mit Mendelssohn verband, ersieht man schon aus dem Briefe, den er an letzteren von London aus unmittelbar nach seiner Berufung nach Leipzig geschrieben hat. Darin heisst es u. a.:

„Tausend Dank, liebster Freund, für Deinen herzlichen Brief mit allen ökonomischen, artistischen Berichten, meine Uebersiedelung betreffend. Er ist in seiner Weise so befriedigend und wohlthuend, wie Du in allen Deinen Schöpfungen: vom Liede zum Oratorium, am Clavier und an der Orgel, in der Improvisation, im Canon, in der Fuge und der Symphonie, mit der Feder wie in gewissen Arabesken, mit dem Pinsel, in Deinem Witze, Humor und Gemüt bist. Es ist mir nur leid, vor anderen nichts voraus zu haben, indem ich Deine Eigenschaften so gehörigwürdige, aber soviel Dank ist Dir nicht Jeder schuldig, und das freut mich.“