Ignaz Brüll (1846-1907)

Der berühmte Komponist der im Jahre 1874 zum ersten Male aufgeführten Conversationsoper: „Das goldene Kreuz“ — zu der den Text ein israelitischer Dichter, S. H. von Mosenthal, der Verfasser der „Deborah“, geschrieben —, Ignaz Brüll, ist einer der tüchtigsten, unermüdlich strebsamsten und schaffensfreudigsten Musiker der Gegenwart. Noch steht er auf der Höhe seines Lebens und Wirkens, so dass es unmöglich ist, ein abschliessendes Urtheil über seine künstlerische Wirksamkeit zu fällen, doch kann schon jetzt seine Thätigkeit auf den mannigfachsten Gebieten der Tonkunst als eine ausserordentlich heilsame und befruchtende genannt werden. Besonders haben wir im Genre der Oper, dem er sich in den letzten Jahren mit eben solchem Erfolg wie glänzender Begabung zugewandt hat, von seiner Muse noch Grosses zu erwarten. Oesterreich ist das Vaterland dieses am 7. November 1846 zu Prosznitz in Mähren geborenen Meisters. Seine Eltern nahmen zwei Jahre darauf in Wien ihren Aufenthalt, was für die Entwickelung ihres namentlich für die Musik begabten Sohnes sehr wichtig war. Julius Epstein unterrichtete ihn im Clavierspiel, Rufinatscha und später Otto Dessoff in der Komposition. 1861 spielte Epstein ein Clavierkonzert seines jungen Schülers, das vom Publikum und der Kritik freundlich aufgenommen wurde. Zum tüchtigen Pianisten herangebildet, entwickelte er Jahre hindurch eine reiche Thätigkeit als Virtuose auf Konzertreisen ; dabei entfaltete er zugleich ein rastloses Wirken als Komponist. Eine Orchesterserenade von ihm, welche 1864 zur ersten Aufführung in Stuttgart gelangte, verbreitete seinen Namen in weitere Kreise; ebenso wurden seine Konzerte für Clavier und seine Werke für Kammermusik beifällig aufgenommen. Als Komponist im Kammerstil lässt er in sehr wohlthuender Weise die Einwirkungen Schumanns und Mendelssohns auf seinen Genius erkennen. Bereits 1864 debutirte er mit einer Oper, „Die Bettler von Samarkand“. Seine zweite Oper: „Das goldene Kreuz“, brach sich schneller Bahn, denn sie wurde an fast allen Bühnen der Welt aufgeführt. Die derselben folgendenMusikdramen: „Der Landfriede“, „Bianka“, „Königin Marietta“ und „Das steinerne Herz“, obgleich nicht minder talentvolle Arbeiten, hatten nicht denselben Erfolg. Dafür erstritt er wieder einen glänzenden Sieg mit der vor wenigen Jahren in Berhn und anderen Städten gegebenen komischen Oper:

„Der Husar“. Sein letztes Werk: „Der Herr der Berge“, eine romantische Oper, Text von Gustav Kastropp, harrt noch der Aufführung. In den letzten Jahren hat er u. A. mehrere Kompositionen ernsten Stils für Clavier: Sonaten und Suiten, und solche für Clavier und Violine geschrieben, welche in erfreulicher Weise von dem Streben des Meisters nach den höchsten Höhen der Kunst Zeugniss ablegen.


Der liebenswürdige Komponist war mit Johannes Brahms innig befreundet, und dieser liess mit Vorliebe seine Clavierwerke von ihm zu Gehör bringen.

„Das goldene Kreuz“ gefiel bei seiner Erstaufführung im Berliner Königl. Opernhause auch Kaiser Wilhelm I., der damals an den Komponisten die Worte richtete: „Ihr Wiener seid doch glückliche Menschen, die Melodien kommen euch über Nacht, und so heiter und herzensfroh zu singen, versteht doch Niemand wie ihr“ — womit der Monarch in treffender Weise die von der Kaiserstadt an der Donau seit Jahrzehnten ausgegangene Richtung kennzeichnete, die Tausenden und Abertausenden Freude und Genuss bereitete, nämlich das sorglose und lebensfrohe Singen, die flotten munteren Weisen, ohne Künstelei und Tüftelei, wenn sie nur in’s Herz dringen und die Seele mit urgewaltiger Kraft zu packen vermögen. „Das goldene Kreuz“ wurde auch in englischer Sprache durch die Operntruppe Carl Rosas zur Aufführung gebracht und gefiel auch dort ausnehmend. Seit Flotows „Martha“ hatte die deutsche Oper neben Kretschmars „Folkunger“ und Nesslers „Trompeter von Säkkingen“ kein Werk aufzuweisen, das so volksthümlich und gleichsam Gemeingut geworden wäre, wie „Das goldene Kreuz“. Die leichtfasslich volksthümliche, ungesucht natürliche Sangbarkeit und Liebenswürdigkeit der Weisen, an denen diese Oper so überreich ist, musste sich die Herzen im Stunn erobern.

Zu erwähnen ist noch, dass manche der Kompositionen von Ignaz Brüll die Lieblingsstücke berühmter Virtuosen geworden sind. So spielten z. B. der gefeierte Dresdener Geiger Professor Joseph Lauterbach ein Violinkonzert, und Hellmesberger und Rose eine Violinsuite von ihm mit Vorliebe und Bravour und entzückten damit das kunstsinnige Publikum, welches sich an dem grossen Reich thum an gewinnenden, anmutigen Melodien, dem feinen Formensinn und der gesunden Empfindung des Komponisten labte.