Gorg Bizet (1838-1875)

Eine Blume gebrochen, eh’ der Sturm der Welt sie entblättert, — dieses Wort passt auch auf Georg Bizet (5) — eigentlich Alexander César Leopold —, den genialen Komponisten der Opern „Carmen“ und „Djamileh“, der schon 36 Jahre alt der Kunst entrissen wurde, bevor noch sein grosses Talent sich hatte ausreifen können. Er nimmt in der neuen französischen Schule eine ganz eigenartige Stelle ein, indem er bahnbrechend wirkte und sich’s zur Lebensaufgabe machte, die Charaktere eingehender musikalisch zu gestalten und durch scenisch wirksame Situationen Erfolge zu erzielen. Dadurch wurde sein Hauptwerk „Carmen“ nicht nur ein Lieblingswerk der Franzosen, sondern auch aller gebildeten Nationen, und es wird sich sicher noch lange auf dem Repertoir aller Bühnen der Welt erhalten.

Geboren am 25. Oktober 1838 zu Paris, erlernte dieses musikalischeWunderkind schon mit 4 Jahren die Noten. Er machte seine Studien am Pariser Conservatorium unter Leitung von Marmontel, Halévy und Zimmermann. War letzterer einmal abgehalten, den Unterricht zu ertheilen, so trat dessen Schwiegersohn, der berühmte Charles Gounod, für ihn ein. 1857 errang er den Prix de Rome, aber schon vorher war er mit der Operette: „Le docteur miracle“ als dramatischer Komponist in die Oeffentlichkeit getreten. Er hatte damit bei einer von Jacques Offenbach, damals Direktor des Theaters der Bouffes-Parisiens, veranstalteten Preisbewerbung unter 60 Konkurrenten den ersten Preis errungen. Ebenso glücklich löste er eine andere Preisaufgabe, welche die französische Akademie ausgeschrieben, nämlich die Komposition der lyrischen Kantate: „Clovies et Clotilde“. Hierauf unternahm er eine Studienreise nach Italien, wo er namentlich die Schöpfungen der altitalienischen Kirchenkomponisten kennen lernte. Von dort nach Paris zurückgekehrt, gelang es ihm bald, am Theatre lyrique eine grosse Oper, „Die Perlenfischer“, zur Aufführung zu bringen, die jedoch ebensowenig wie die 1867 gegebene „La jolie fille de Perth“ beim Publikum sonderlichen Anklang fand, indem das sichtliche Streben, Richard Wagner nachzueifern und die ausgetretenen herkömmlichen Geleise zu verlassen, von seinen Zeitgenossen nicht nach Gebühr gewürdigt wurde. Die laue Aufnahme der genannten Werke entmutigten den Komponisten keineswegs. Nach kurzer Pause erschien seine Musik zu Daudets Drama: „L’Arlesienne“ und 1875 seine berühmte vieraktige Oper „Carmen“, welche anfänglich im Auslande noch mehr Anerkennung fand, als in Frankreich. Die ersten Sängerinnen der Welt wetteiferten im Gesang und in der Darstellung der originellen und charakteristischen Titelpartie, worin der Komponist den schlagenden Beweis geliefert, dass er sich weder an Wagner, noch an Ambroise Thomas oder Gounod „anzulehnen“ brauchte, sondern eigene schöpferische Ideen hatte, denen er einen hinreissenden theatralischen Ausdruck zu geben vermochte. Ein geheimnissvoller Reiz liegt in den prickelnden Rhythmen dieses köstlichen Werkes.


Für Halévy, seinen hauptsächlichsten Lehrer, hegte er grosse Schwärmerei. Es gereichte ihm zur Freude, die unvollendet gebliebene dreiaktige biblische Oper des Letzteren, betitelt: „Noe“, zu vollenden; auch heiratete er am 3. Juli 1869 die liebreizende Tochter seines alten Lehrmeisters, Genevieve Halévy. Als der deutsch-französische Krieg ausgebrochen war, wurde seine Thätigkeit für längere Zeit gehemmt. Er schrieb damals an seinen Freund die melancholischen Worte, welche seiner schwermütigen Seele entströmten: „Unsere arme Philosophie und unsere Träume vom ewigen Frieden, von weltbürgerlicher Brüderlichkeit und menschlicher Gesellschaft! An Stelle von alledem: Thränen, Blut, Leichen und Verbrechen, ohne Zahl, ohne Ende. Ich kann nicht sagen, in welche Traurigkeit mich alle diese Schrecken versetzen. Wohl erinnere ich mich daran, dass ich ein Franzose bin, aber ich kann nicht vergessen, dass ich auch ein Mensch bin.“

Von den Auslassungen Bizets über Kritik und Musikwesen aus dem Jahre 1867 seien hier einige Sätze zu seiner Charakteristik wiedergegeben: „Wir haben allerlei Musik, Musik der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, auch harmonische, melodische und gelehrte. Die letzte ist die gefährlichste von allen. Für mich existiren nur zwei Arten: Die gute und die schlechte. Giebt’s nicht Genies in allen Ländern und zu allen Zeiten? Das Gute und Wahre stirbt nicht! Ein Dichter, Maler oder Musiker bringt seine ganze Intelligenz, sein Innerstes selbst herbei, um sein Werk auszuführen, und was thun wir? Anstatt uns rühren zu lassen, fragen wir — nach seinem Reisepass. Wir erkundigen uns nach seinen Manieren, Beziehungen und künstlerischen Antecedenzien. Das ist nicht mehr Kritik, sondern Polizei. Der Künstler hat weder Namen noch Nationalität, er ist begeistert oder nicht, er hat Genie und Talent oder keins. Wenn er es besitzt, muss man sich seiner annehmen und ihm liebevoll Beifall klatschen. Wir sollen bei einem grossen Künstler nicht nach den Eigenschaften fragen, welche ihm fehlen, sondern diejenigen verstehen, welche er besitzt.“