Giacomo Meyerbeer (1791-1864)

Wie es in manchen Kreisen zum guten Tone gehört, mit einer gewissen Geringschätzung auf Felix Mendelssohn herabzublicken, so ist auch Giacomo Meyerbeer seitens dieser merkwürdigen Nörgler gar oft der Gegenstand der leidenschaftlichsten Anfeindungen, der boshaftesten und gehässigsten Angriffe.

Besonders können es ihm die Herren Wagnerianer nicht vergeben, dass er durch sein musikalisches Genie Jahrzehnte hindurch das Opernrepertoire nicht nur in Deutschland, Frankreich und in der ganzen gebildeten Welt überhaupt, trotz der von dem unfehlbaren Zukunftsmusiker und seinen Gesinnungsgenossen gegen ihn systematisch betriebenen Hetze, beherrschte, sondern dass „Der Prophet“, „Die Hugenotten“, „Die Afrikanerin“, „Robert der Teufel“ und „Dinorah“ — diese fünf Perlen des Meyerbeer’schen Genius — noch immer im In- und Ausland fleissig gegeben werden und durch ihren Melodienreichtum alle Welt entzücken, obschon die meisten Intendanten und Theaterdirektoren, welche die Opern Wagners aufs Glänzendste auszustatten pflegen, für den Maestro Giacomo an scenischer Prachtentfaltung wenig übrig haben.


Gegen ihn hat bekanntlich der Komponist des „Tannhäuser“ in erster Linie sein schon wiederholt genanntes Libell: „Das Judenthum in der Musik“ geschleudert. Es ist ja wahr, Meyerbeer war und blieb Jude, und er hat es nicht für nöthig befunden, gleich zahlreichen anderen berühmten Tonkünstlern des israelitischen Stammes, den Makel seiner Geburt durch Taufwasser zu tilgen; auch soll es nicht in Abrede g’estellt werden, dass er, ein trefflicher Kenner der alten Musik, die altjüdischen Melodien in seinen Kompositionen hier und da benutzt hat, aber trotz alledem ist der Vorwurf Wagners ein durchaus frivoler. Meyerbeer hatte eben die Eigenthümlichkeit, das Gute und Schöne in der Musik überall zu nehmen, wo er es fand. Man nennt dies gewöhnlich in der parlamentarischen Sprache der gebildeten Europäer „Anlehnung“, und gar mancher geistreiche schaffende Tonkünstler ist direkt oder indirekt von dem Vorwurf einer solchen „Anlehnung“ nicht ganz freizusprechen. Solche Melodien, besonders wenn man an sie noch aus der Jugendzeit gewöhnt ist, schleichen sich unwillkürlich in Herz und Seele und dadurch in die Partitur.

Hat denn nicht auch Wagner in seinen Opern, wie z. B. in „Rienzi“ und anderen, seine Vorgänger in ausgiebiger Weise benutzt? Natürlich kann hier von einem Plagiat nicht die Rede sein. Wie wenig sich Meyerbeer übrigens ausschliesslich als nationaler Jude fühlte, beweist der Umstand, dass er es nicht verschmäht hat, eine Oper wie „Dinorah“ zu komponiren, worin die fromme Wallfahrt nach Ploermel musikalisch illustrirt wird. Bezüglich seiner „Hugenotten“ hat man ja das sarkastische Wort gesprochen, dass in dieser Oper die Protestanten von den Katholiken todtgeschlagen werden und dass dazu ein Jude die Musik gemacht habe. Meyerbeer war in seinem Musikstil ein Kosmopolit, ein Bürger zweier Welten, der den Beweis erbracht hat, dass man nicht einseitigdeutsch zu sein braucht, um grossartige Tonschöpfungen hervorzubringen.

Im Gegentheil möchte ich behaupten, dass in der eigenthümlichen Mischung deutscher, italienischer, französischer Elemente der besondere Reiz liegt, welcher allen Musikwerken dieses Tonheros anhaftet. Höchstens kann man in seiner Komposition der Psalmen erkennen, dass Meyerbeer ein Sohn Israels war, denn dieselben sind mit der vollen Glut und Innigkeit wahren Gottesglaubens geschrieben. Trotz alledem verleugnet sich die deutsche Herkunft und Schule des Tondichters nicht ganz. So ist z. B. die von Rambaut im ersten Akt von „Robert der Teufel“ gesungene C-dur-Romanze so urdeutsch, dass man sie ebenso gut ihm als seinem grossen Mitschüler und Freund Carl Maria von Weber zuschreiben könnte; haucht uns doch aus ihr, wie aus ähnlichen Weisen des Schöpfers des „Freischütz“, frische deutsche Waldluft an, deren Wehen man überdies in der treuherzigdeutschen Melodie dieses Stückes mit seiner duftigen Hörnerbegleitung und seinem charakteristischen Rhythmus zu fühlen glaubt. Als Deutscher zeigt er sich ferner im Terzett des letzten Aktes von Robert, sowie in dem Duett des zweiten Aktes: „O welche Grossmut“.

H. Heine, der ungezogene Liebling der Grazien, der allerdings manchmal auch dem grossen „Bärenmeyer“ etwas am Zeuge zu flicken suchte, hat einst in treffender Weise diese deutsche Eigenart des Maestro mit den Worten bezeichnet:

„Er entsprang nach Italien und schrieb im Rausche italienischer Sinnenlust jenen köstlichen „Crociato“, worin der Rossinismus mit der süssesten Uebertreibung gesteigert ist, aber dergleichen konnte einer deutschen Natur nicht lange genügen. Ein Heimweh nach dem Ernst des Vaterlandes wurde in ihm wach; während südliche Zephyre ihn umkosten, dachte er an die dunklen Choräle des Nordwinds; es ging ihm wie der Frau von Sevigne, die, als sie neben einer Orangerie wohnte und beständig von lauter Orangenblüten umduftet war, sich endlich nach dem schlechten Geruch einer gesunden Mistkarre zu sehnen begann — kurz, eine Reaktion fand statt. Signor Giacomo wurde plötzlich wieder ein Deutscher, schloss sich aber nicht an das alte engbrüstige Spiessbürgerthum an, sondern an das junge, weltfreie Deutschland, eine neue Generation, die alle Fragen der Menschheit zu ihren eigenen gemacht hat.“

Giacomo Meyerbeer waren von Mutter Natur alle Gaben in reichem Masse verliehen, um in der dramatischen Musik das Höchste zu leisten: Ein unerschöpflicher Vorrath an ausdrucksvollen und hinreissenden Melodien und prägnanten Rhythmen, ein feines Verständniss für das scenisch Wirksame und Effektvolle, eine erstaunliche Sicherheit in der Behandlung und Verwerthung der menschlichen Stimmen wie aller Instrumente und ein beharrliches, rastloses Streben nach den Höhen der Kunst. Mit allen Hilfsmitteln des Genies und des berechnenden Verstandes zugleich ausgestattet, konnte es nicht ausbleiben, dass er ein halbes Jahrhundert hindurch die Bühnen der Welt beherrschte. Wenn von einigen Leuten gegen ihn der Vorwurf erhoben wurde, dass er im Robert, in den Hugenotten und im Prophet den aktuellen Tagesfragen und den Strömungen der Zeit gar zu viele Konzessionen gemacht habe, so erscheint mir dieser Einwand wenig berechtigt. Warum sollte denn ein Komponist nicht dasselbe Recht wie der Dichter haben, nämlich am sausenden Webstuhl der Zeit zu sitzen und grosse Gegenstände, welche den Grund der Menschheit aufzuregen im Stande sind, musikalisch zu illustriren? Er sendet die Harmonien und Melodien in den Kampf, um Partei zu ergreifen für die brennenden Fragen der Zeit; seine Musik ist eben eine soziale, und die Gegenwart, die ihre Gemütserregungen und Ideen, ihre Noth und ihre Hoffnungen in der Musik wiederfindet, feiert ihre eigene Leidenschaft und Begeisterung-, während die Wogen der Töne ihr Ohr berühren.

Ein treffendes Wort über die Meyerbeer’sche MusIk hat wohl August Wünsche gesprochen, indem er sagte: „Neben der reichen Kenntniss der Stilarten der verschiedensten Nationen stand ihm ein reicher Melodienfluss zu Gebote und die Fähigkeit, diesen in charakteristischer Weise auszuprägen .... Die Eigenthümlichkeiten jeden Instruments und die Wirkungen ihrer Kombinationen hat er auf das Gründlichste studirt. Ebenso kannte er das wichtigste Instrument, die menschliche Stimme, ganz genau, dazu kommen Einsicht in die Bedeutung und Wichtigkeit des Textes, Verständniss der Oekonomie des Dramas mit seinen Bedingnissen, um auf die Hörer zu wirken; nicht minder grosse Kenntniss des Innern Getriebes des Bühnenwesens.“

Und kein Geringerer als der Geschichtsforscher Carl von Rotteck erkennt im 10. Band seiner „Allgemeinen Geschichte“ die kulturgeschichtliche Bedeutung des Komponisten auf dem Gebiete der heroisch-geschichtlichen Oper an, in dem er unter anderem sagt: „Der Fortschritt, den Meyerbeer in den »Hugenotten? machte, liegt vorzugsweise in der fast durchgehenden Charaktereinheit dieser Oper. Auch das durch die Kunst gebotene Gesetz der Steigerung geht in weiser Berechnung vom ersten bis fünften Akt durch das ganze Werk. Die auf dem historischen Hintergrund hervortretenden Helden und Heldinnen werden in einer Weise individualisirt, die wir in gleicher Vollendung nur in Mozarts »Don Juan« und bei Gluck vorfinden. Hier ist weder Dekoration noch Gruppirung, weder Sonnenaufgang noch Krönungszug ein blosses scenisches Blendwerk, sondern alles trägt im innigsten Verein mit Musik und Dichtung dazu bei, den Rahmen des historischen Bildes zu vollenden. In grossen und zusammenhängenden Bildern tritt uns alles entgegen. Und so gewaltig die Zeichnung im Grossen und Ganzen ist, so bewundernswerth ist auf der andern Seite die Ausfeilung im Einzelnen. Den kleinsten Aufwallungen, den zartesten Nuancirungen der Empfindungen verleihen die Töne Ausdruck. Das Orchester ist zum unmittelbaren Organ der Seele geworden und malt ebensowohl Scenen von grossartiger Leidenschaft, wie den kleinsten Vorfall in der Handlung.“

Ausser Mozart und Weber giebt es keinen einzigen Komponisten deutscher Abstammung, welcher die französischen, italienischen, spanischen etc. Bühnen so mächtig beeinflusst hätte, wie dieser musikalische Kosmopolit, dessen Melodien Gemeingut aller Nationen und aller Instrumente geworden. Namentlich hat er, wie gesagt, ein überaus sensitives Verständniss für die menschliche Stimme gehabt, und es muss ihm zur Ehre angerechnet werden, dass er die Gesetze des guten Gesanges — des bei canto — trefflich studirt und an die Kehle keine Anforderungen à la Wagner gestellt hat, die zu erfüllen unmöglich oder doch kaum zu bewältigen sind. Kein Sänger und keine Sängerin von normaler Tonbildung und guter Schule ist je durch eine Meyerbeer’sche Rolle ruinirt worden, trotzdem er an die Leistungsfähigkeit des Bühnenkünstlers die höchsten Anforderungen stellt. Diese Rücksicht auf die Eigenart des Sängers und der Sängerin hat nicht wenig dazu beigetragen, seinen namhaftesten Opern fast ein Menschenaher hindurch eine unermessliche Volksthümlichkeit zu verleihen.

Erwähnen wir noch seine seltene Vielseitigkeit, seinen edlen Charakter, sein vornehmes, stets das Gute und Schöne förderndes Wesen, seine Begeisterung für die Tonkunst und ihre Aufgaben, seine Uneigennützigkeit und Herzensgüte, so erscheint uns Meyerbeer als eine der liebenswürdigsten und sympathischsten Gestalten unter den Tonhelden nicht nur des 19. Jahrhunderts, sondern aller Zeiten.

Meyerbeer, eigentlich Jacob Meyer Beer, wurde am 5. September 1791 als Sohn des reichen Bankiers Jacob Herz Beer und der grossen Wohlthäterin Amalie Beer geboren. Ich selbst habe in meiner bei Reclam erschienenen Biographie Meyerbeers und auch in meinem Buche „Dur- und Moll -Akkorde“ Berlin als den Geburtsort des Komponisten angegeben, bin aber seitdem durch die liebenswürdige Mittheilung des Schwiegersohnes Giacomo Meyerbeers, des Generalmajors Baron Korff, eines Besseren belehrt worden. Der Schöpfer der ,,Afrikanerin“ ist vielmehr in einem Planwagen geboren, und zwar vor dem Gasthaus in Tassdorf, auf dem Wege nach Frankfurt a. Oder, wohin sich die Familie Beer zur Messe begeben hatte. Dieses Kuriosum wurde auch von Dr. Beer, einem entfernten Verwandten des Komponisten, aus seinen Familienforschungen bestätigt. Der geistreiche und den Humor liebende Baron Korff liess seiner Zeit das Beer’sche Messhaus in Frankfurt a. Oder und das Gasthaus in Tassdorf photographieren und machte damit dem Vater seiner Gattin Blanka ein Geschenk, sich mit ihm über diesen seinen eigenthümlichen Ursprung im Planwagen unterhaltend, doch wollte der Maestro auf diesen interessanten Punkt augenscheinlich nicht näher eingehen.

Meyerbeer studirte ursprünglich bei Zelter, gerade wie Felix Mendelssohn, und war dann Mitschüler Webers bei Abt Vogler in Darmstadt. Schon als 7 jähriger Knabe erregte er durch sein hervorragendes pianistisches Talent — ein Bild desselben nach dem im Besitze des Generals Baron Korff befindlichen Originalgemälde theilen wir hier auf Seite 45 mit — überall das grösste Aufsehen, und sollte er ursprünglich als Claviervirtuose diese Laufbahn fortsetzen, doch sein frühzeitig hervorbrechendes schöpferisches Genie drängte bald den ausübenden Pianisten in den Hintergrund. Mit zwölf Jahren hatte Giacomo Meyerbeer bereits eine Menge Stücke für Gesang und Clavier komponirt. Mit 20 Jahren schrieb er die Kantate: „Gott und die Natur“, welche am 8. Mai 1811 in der Berliner Singakademie mit grossem Beifall aufgeführt wurde. Die Kritik bezeichnete dieses Werk als eine stilvolle Arbeit, welche die vollkommenste Beherrschung aller musikalisch-technischen Erfordernisse aufweise, und in der sich ein glühendes Leben, herzliche Lieblichkeit und besonders die echte Kraft des emporflammenden Genius zu schöner Harmonie vereinigte. Der Kantate folgte im nächsten Jahre sein erstes dramatisches Werk: „Die Tochter Jephtas“, welches in München zur Aufführung kam. Ebenso wurde zu jener Zeit eine Operette von ihm, „Der Fischer und das Milchmädchen“, aufgeführt, ohne dass jedoch diese Bühnenwerke einen nachhaltigen Erfolg erzielt hätten.

Einen ersten grossen Schlager machte er mit der Oper: „Alimelek“, welche in Stuttgart in Scene ging. Kein Geringerer wie Karl Maria von Weber äusserte sich über diese Oper in anerkennendster Weise, indem er in einer Rezension u. a. schrieb: „Lebendige, rege Phantasie, liebliche, oft beinahe üppige Melodien, richtige Deklamation, musikalische Haltung der Charaktere, reiche, neue Harmoniewendungen, sorgfältige, oft in überraschenden Zusammenstellungen gedachte Instrumentation bezeichnen ihn vorzüglich.“ In Wien, wohin sich der junge Komponist im Oktober 1814 zur Aufführung seines „Alimelek“ am Kärtnerthor-Theater begeben hatte, wurde er mit Beethoven bekannt. Gern erzählte dieser Tonheros von einer Aufführung seines symphonischen Tongemäldes: „Wellingtons Sieg bei Victoria“, bei welcher Hummel die Orchesterartillerie kommandirte, Moscheles die Becken und Meyerbeer die grosse Trommel schlug. Ueber den letzteren äusserte sich Beethoven einst Joh. Wenzel Tomaschek gegenüber: „Hahaha, ich war gar nicht mit ihm zufrieden, er kam immer zu spät, so dass ich ihn tüchtig heruntermachen musste. Es ist nichts mit ihm; er hat keinen Mut, zur rechten Zeit dreinzuschlagen!“ Dieser Ausspruch enthält manch’ Körnlein Wahrheit: Mutige Entschlossenheit und kräftiges Dreinschlagen war nie die Sache Meyerbeers, dafür hatte er aber eine Eigenschaft, die gerade bei Komponisten selten ist: die Geduld und Ausdauer.

Da es mit den Formen des reindeutschen, schulgerechten Stiles ihm nicht so rasch, als er beabsichtigte, glücken wollte, begab er sich nach Italien, um dort die italienische Musik an der Quelle zu studiren und dadurch dankbar für den Sologesang schreiben zu lernen. Dort erlauschte er in der That die Geheimnisse des Effekts und erkannte die Mittel, wodurch man auf die Menge wirkt. Die Früchte dieser Studien waren zahlreiche in Italien komponirte und mit vielem Erfolg an verschiedenen Bühnen gegebene italienische Opern, von denen wir als die bedeutendsten: „Romilda e Constanza“ und „Emma di Resburgo“ nennen. Seinen Höhepunkt erreichte der Komponist in der Oper: „Crociato in Egitto“ (Die Kreuzritter in Egypten), welche 1825 auf dem Theater Fenice in Venedig zur Aufführung kam. Der Beifall war ein ungeheurer. Auf allen italienischen Bühnen wurden die Kreuzritter gegeben, aber auch durch die europäischen Theater machten sie ihre Wanderungen und wurden sogar in Rio de Janeiro zum Kassenstück. Karl X. von Frankreich lud ihn zur Aufführung seiner Oper auf dem Theater Favart nach Paris ein, wo damals die berühmte israelitische Primadonna Giuditta Pasta Lorbeeren errang. Lange hielt die einschmeichelnde und üppige Melodie eines Rossini den jungen Meister in ihrem Bann, schliesslich warf er aber das italienische Gepäck von sich und zog sich für einige Zeit von der Oeffentlichkeit zurück, um aufs Neue ernsten Studien sich hinzugeben und als — französischer Opernkomponist aufzutauchen. Ein stabat mater, ein miserere, zwölf Psalmen mit doppeltem Chor waren gleichsam die Vorboten der mit ihm vorgegangenen geistigen Umwandlung.

Er hatte das Glück, in Paris einen Librettisten zu finden, nach welchem er sich von jeher gesehnt hatte, d. h. einen Dichter, welcher die geschicktesten und effektvollsten Textbücher schreiben konnte, und dieser Mann war der König der Librettisten, Eugen Scribe, der, wie kein zweiter, das Zeug dazu hatte, geradezu fascinirende, romantische, geschichtliche und diabolische Texte zu verfassen. Scribe lieferte ihm nun das Libretto zu jener Oper, welche ihm europäische Berühmtheit sichern sollte, zu „Robert der Teufel“, die im November 1831 zum ersten Male an der grossen Oper in Paris gegeben wurde und einen Triumphzug über alle Bühnen der Welt antrat.

Zu jener Zeit überstrahlte der Ruhm Meyerbeers selbst den der beiden damals grössten Meister, Rossinis und Aubers. Die Wirkung war eine so blendende und verblüffende, dass nur Wenige die Fehler der Oper bemerkten. Der Erfolg von „Robert der Teufel“ hatte auch einen kulturgeschichtlichen Hintergrund, worauf schon Heine hingewiesen hat. Der Held des Stückes weiss nicht, was er will und liegt beständig mit sich selbst im Kampfe, ein treues Bild des moralischen Schwankens der damaligen Zeit, die sich zwischen Tugend und Laster so qualvoll hin und her bewegte, in Bestrebungen und Hindernissen sich aufrieb und nicht immer Kraft genug besass, den Anfechtungen Satans zu widerstehen.

Nach dieser grossen Schöpfung ruhte Meyerbeer fünf Jahre lang aus, wenn man von einigen kleineren Kompositionen absehen will. Endlich gingen in Paris im Februar 1836 die längst erwarteten „Hugenotten“ in Scene. Es ist kaum zu schildern, welch tiefgehenden Eindruck diese Oper bei der Premiere gemacht hat. Hier vereinigten sich Poesie, Musik und Malerei, um einen durchschlagen Erfolg zu erzielen. H. Heine schrieb über den Komponisten für die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ in heller Begeisterung: „Er ist wohl der grösste jetzt lebende Contrapunktist, der grösste Künstler in der Musik; er tritt diesmal mit ganz neuen Formschöpfungen hervor; er schafft neue Formen im Reiche der Töne und auch neue Melodien giebt er, ganz ausserordentliche, aber nicht in anarchischer Fülle, sondern wo er will und wann er will, an der Stelle, wo sie nöthig sind . . . Von diesem Manne gilt wahrhaftig das orientalische Gleichniss von der Kerze, die, während sie Anderen leuchtet, sich selbst verzehrt.“

Die Oper wurde in Deutschland ebenso enthusiastisch wie in Frankreich aufgenommen. Die Berliner Akademie der Künste ernannte Meyerbeer zu ihrem Mitgliede und König Friedrich Wilhelm IV. zum preussischen Generalmusikdirektor, wobei der Meister auf sein Gehalt von 3000 Thalern in hochherziger Weise zu Gunsten der Kapelle verzichtete.

Am 7. Dezember 1844 wurde das neue Opernhaus in Berlin durch ein militärisch-patriotisches Festspiel, „Ein Feldlager in Schlesien“, eingeweiht, aus dem später die Oper: „Der Nordstern“ entstand. Die Hauptrolle der Vielka war für die vergötterte schwedische Nachtigall Jenny Lind geschrieben. Mit dieser Primadonna reiste Meyerbeer 1846 nach Wien, wo er ganz ausserordentlich gefeiert wurde. Er bemerkte in Freundeskreisen scherzend: „Mein Wiener Aufenthalt erscheint mir wie eine fesselvergoldete Festungsstrafe, weil ich fast immer zum »Sitzen« verurtheilt bin. Ich sitze am Clavier, an der Partitur, am Morgen bei Tische und in der Loge, ausserdem muss ich 24 Lithographen, drei Dutzend Dagerrotypisten, 16 Holzschneidern, zehn Aquarellisten und vier Miniaturmalern am Tage hindurch sitzen — zu viel des Unsterblichkeitsweihrauchs mit einem Male! Dem muss auch die kräftigste Menschennatur erliegen.“

Dasselbe Jahr brachte eine der genialsten Schöpfungen des Meyerbeer’schen Genius, nämlich die prächtige Musik zum „Struensee“, durch welche er das Andenken seines früh verstorbenen Bruders, des Dichters Michael Beer, ehrte. Ein Jahr darauf, am 16. April 1849, ging die dritte grosse Oper Meyerbeers, „Der Prophet“, an der Grossen Oper in Paris in Scene und wurde dieselbe trotz der damals herrschenden Revolution und Cholera mit dem Täuschendsten Beifall aufgenommen. Wie bei allen seinen Schöpfungen folgte auch hier die staatliche Anerkennung dem Erfolge auf dem Fusse. Der damalige Präsident der Republik, Napoleon, ernannte ihn zum Commandeur der Ehrenlegion, und die Universität zu Jena verlieh ihm die Doktorwürde. Welcher Volksthümlichkeit der Komponist sich zu jener Zeit erfreute, beweisen die zahlreichen Anekdoten, welche über ihn im Umlauf waren. Seine Eigenarten und Charaktereigenschaften beschäftigten fortwährend die Zeitungen.

Hier nur einige kleine Beispiele.

Bei den Proben war er stets sehr ängstlich, er fragte den ersten besten, ja Jedermann um Rath. Der Maschinist, der Souffleur, selbst der Pompier musste für ihn die Rolle von Molieres Dienerin spielen. Er hielt sie an, trug ihrer Meinung Rechnung und vertraute dem Urtheil dieser unbefangenen und naiven Ohren. Sobald aber einmal die Oper aufgeführt war und der Erfolg sich herausgestellt hatte, wechselte der Meister plötzlich seine Rolle. Er befragte Niemand mehr und man musste ihm in Allem nachgeben. Sein Eigensinn artete in dieser Beziehung zuweilen in Härte aus.

Bei der Erstaufführung einer seiner Opern wurde der Komponist sehr gefeiert. Bis 2 Uhr in der Nacht lösten sich Ansprachen und Gesangvereine ab. Als er sich dann ermüdet in einen Sessel niedergelassen hatte, trat sein Diener mit groteskem Pathos vor ihn hin und sagte: „Man hat uns sehr gut aufgenommen; ich werde nicht verfehlen, es der Köchin nach Berlin zu schreiben.“ Bei all seinen späteren Opern schien dem Meister dies immer das Entscheidende zu sein, und er fragte sich immer, „ob er es wohl der Köchin nach Berlin schreiben wird.“

Dieser sonst so scharfsinnige und geistreiche Mann hatte eine Eigenschaft, die er mit Napoleon theilte — er war sehr abergläubisch. In Folge dessen wurden seine Entschlüsse zuweilen durch die kleinsten Anlässe verzögert. Als er z. B. elf Jahre von Berlin entfernt war und sich dorthin zurück sehnte, kam er mit Extrapost in Grossbeeren an einem — Freitag an. Trotz seiner Ungeduld blieb er dort den ganzen Tag über, nur um nicht am Freitag in Berlin einzutreffen.

Sein einfaches und dabei recht bescheidenes Wesen kannte die Eitelkeit nicht, aber in einem Punkte zeigte er doch eine auffallend bedenkliche Schwäche; wenn sich ihm nämlich Geleg-enheit bot, seine Uniform als Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu tragen, machte er mit seinem Degen so viel Umstände und Feierlichkeiten, als ob in diesem der Genius der Musik enthalten wäre. Aber noch auf etwas anderes war er stolz. Wie Paganini sich nicht wenig auf seine kunstgerechten Verbeugungen einbildete, so that, Meyerbeer nicht wenig auf seine Begleitung etwas zu Gute. Er sagte mit Vorliebe: „Ob ich komponiren kann, weiss ich nicht, aber zum Gesang begleiten weiss Niemand so gut wie ich“ — womit freilich gar mancher Sänger und manche Sängerin keineswegs einverstanden war.

Er komponirte überall: auf der Strasse, unter den Linden, auf den Boulevards, längs der Promenade. Er pflückte seine Melodien und Eingebungen, wie man Blumen pflückt. Am liebsten arbeitete er, wenn der Wind heulte, der Regen in Strömen herniederstürzte und die Passanten sich in die Häuser flüchteten. In diesem Aufruhr der Elemente strömten ihm die Ideen im Sturme zu. Einst besuchte den Komponisten ein Freund, fand aber nur das blondgelockte neunjährige Söhnchen Meyerbeers vor. „Kann mich Papa empfangen?“ lautete die Frage. „Nein, mein Herr“, antwortete das Kind, „bei schlechtem Wetter ist Papa nie zu sprechen. Wenn Sie ihn treffen wollen, kommen Sie, wenn es schön ist. Mein Vater erscheint nur mit der Sonne.“

Am 4. April 1859 wurde seine komische Oper: „Die Wallfahrt nach Ploermel“, bei uns gewöhnlich „Dinorah“ genannt, gegeben und dann noch viele hundert Male aufgeführt, obwohl sie hinsichtlich der Stilreinheit und der Empfindung schon manches zu wünschen übriglässt, wenn auch nicht geleugnet werden soll, dass diese heitere Gabe des Meisters eine Fülle des Köstlichen bietet. In den letzten Jahren beschäftigte ihn fortwährend sein Schmerzenskind: „Die Afrikanerin“, doch sollte es ihm nicht mehr vergönnt sein, die Premiere derselben zu erleben. Sie ging erst im Jahre 1865, etwa ein Jahr nach seinem Tode, an der Pariser grossen Oper in Scene. Dieser monumentale Schwanengesang wird voraussichtlich die Zeiten überdauern und Meyerbeer die Unsterblichkeit sichern. Natürlich hat auch die „Afrikanerin“ Schwächen und Mängel, aber ihre Vorzüge sind doch überwieg-end. Das herrliche Duett zwischen Selika und Vasco de Gama im vierten Akt, Selikas »Sologesang, die Sterbescene u. a. m. gehören mit zu dem schönsten in der gesammten Opernliteratur. Wenn Meyerbeer auch in all’ seinen Opern auf den Pomp der Ausstattung einen grossen Werth legte, so schuf er hier ganz besonders beinahe Wunder der Scenerie. Die afrikanische Welt mit all’ ihrer Farbenpracht thut sich dem Auge des Zuschauers auf und man wird nicht müde, das grossartige Bild zu bewundern.

Die Schatten des Todes neigten sich über den 73 jährigen Greis. Am 2. Mai 1864 hauchte er in Paris in jenem Hause, das heute „Hôtel Meyerbeer“ heisst, in den Champs elysées am rond point seine grosse Seele aus. Er starb sanft und schmerzlos. Seine letzten Worte waren:

„Auf morgen, ich wünsche Euch allen eine gute Nacht.“

Seine Leiche wurde nach Berlin überführt, um im Erbbegräbniss der Beer’schen Familie auf dem jüdischen Friedhof vor dem Schönhauser Thor beigesetzt zu werden. An seinem Grabe sprach ein hervorragender Prediger und Philosoph, der Rabbiner Dr. Joel aus Breslau, u. a. folgende Worte:

„Nicht um ihn sollten wir klagen, sondern um uns, die wir ihn verlieren. Wann wird wieder ein Jünger deutscher Kunst entstehen, dem willig und huldigend andere Nationen den Lorbeer um die Stirn winden? Wann wird aus der Gemeinschaft der Bekenner der mosaischen Religion ein Genie wieder hervorgehen, um darzuthun, dass diese Religion nicht hindert, um theilzunehmen an allem Hohen, Schönen und Edlen, was die Menschen erfreut, indem es sie fördert? Hervorgegangen aus einer Familie, die mehr als einen Sohn zur Ehre des Vaterlandes und der Menscliheit erzogen, welche sich stets durch ideales Streben ausgezeichnet, und begabt mit einem Genie, welches sich schon in frühester Jugend bekundete, zeigt Meyerbeer ein Zusammentreffen glücklicher Verhältnisse, welche ihn zu einer Lichterscheinung am Himmel deutscher Kunst gemacht haben. Sein Andenken und seine unvergleichlichen Werke sind der beste Trost für seinen Verlust und dieser Trost wird belebend fortwirken, so lange Menschen am Schönen sich erfreuen und am Idealen sich emporranken. Beruhigend und ermahnend leuchtet sein Vorbild der Mit- und Nachwelt, denn nicht äusserer Glanz und Ruhm haben ihn geblendet, in selbstschöpferichem Drange hat er gerungen und gestrebt, das Höchste zu erreichen, was er in seiner Kunst erreichen konnte.“