Frederik Hymen Cowen (1852-1935)

Sir Julius Benedict hat in der Musikgeschichte auch dadurch sehr wohlthätiggewirkt, dass er einige ausgezeichnete Talente in die Geheimnisse der Tonkunst einweihte. Zu diesen gehört der englische Komponist Frederik Hymen Cowen (11), gleichfalls ein Musiker, dessen künstlerische Laufbahn noch lange nicht beendet ist, und von dem, wenn er auch fürder mit gleichem Eifer und Talent wirkt und schafft, noch hervorragende Leistungen zu erwarten sind. Er ist, was seine Rasse betrifft, darin gleichsam ein Unikum, dass er von englisch-jüdischen Eltern — und zwar am 29. Januar 1852 — in Jamaika geboren wurde, also ein Kreole ist. Als er vier Jahre alt war, übersiedelten seine Eltern nach England, und sein Vater wurde bei der italienischen Oper als Hauptkassirer angestellt. Das Gebäude derselben gehörte Lord Dudley, einem der reichsten englischen Edelleute, und der alte Cowen wurde bei ihm Privatsekretär. Der erste Lehrer des jungen Cowen war Henry Russell, ebenfalls Israelit, der Komponist eines in England sehr volksthümlichen Liedes: „Cheer, boys, cheer“.

Mit sechs Jahren schon schrieb das junge Musikgenie einen Walzer, den es seinem Lehrer widmete. Am meisten aber hat er Julius Benedict zu verdanken, der 1860 seine weitere musikalische Ausbildung übernahm. Neben diesem unterwies ihn noch John Goss in Clavier und Theorie. Mit acht Jahren schrieb er seine ersten Lieder, von welchen er das eine für 5 Lstr, verkaufte. In jener Zeit begann schon sein öffentliches Auftreten, einmal sogar mit Josef Joachim, und überall erntete er für seine erstaunlichen künstlerischen Leistungen rauschenden Beifall. 1865 wurde er von seinen Eltern nach Leipzig gebracht, wo er am dortigen Conservatorium unter Moscheles, Reinecke, Richter und Hauptmann ein Jahr studirte.


Bei Ausbruch des Krieges gegen Oesterreich, 1866, kehrte die Familie nach England zurück. Nachdem er verschiedenes komponirt hatte, und einiges auch mit günstigstem Erfolge aufgeführt war, begab er sich 1867 nach Berlin, wo er ein Jahr lang unter Friedrich Kiel am Stern’schen Conservatorium studirte und mit der Familie Mendelssohn befreundet wurde. Dort ist ihm auch die Ehre zu Theil geworden, dass er am Hofe der Kronprinzessin, späteren Kaiserin Friedrich III., spielen durfte. Seine erste Symphonie wurde im selben Jahre in St. James’ Hall zu London aufgeführt, bei welchem Anlass er auch als Solist auftrat. Mit den Mitgliedern der Maplesonschen Operntruppe begab er sich auf eine erfolgreiche Konzerttournee und wirkte dann unter Costa als Chordirektor der italienischen Oper.

Seine Kompositionen verrathen ein hervorragendes schöpferisches Talent. Er schrieb sechs Symphonien. Von diesen ist besonders die Skandinavische ein Juwel an Melodienreichthum und tiefer Empfindung, welche die Runde durch die ganze gebildete Welt machte. Namentlich ist das Scherzo von wunderbarer Wirkung. Ausser der Operette „Garibaldi“ schuf er noch die Opern „Paulina“ — 1876 in London mit grösstem Erfolg aufgeführt —, „Thorgrim“, „Signa“ und „Harold“. Er ist ein Meister in der Kantate. Die erste dieser Musikgattung, „Der Corsar“, wurde 1876 in Birmingham beim Musikfest aufgeführt. Es folgten: „The rose maiden“ und „The egyptian maid“, sowie die Oratorien: „Die Sintflut“, „St. Ursula“, „The sleeping Beauty“, „Ruth“, „Die Wasserlilie“, „Die Transfiguration“ und „Ode an die Leidenschaften“, ferner eine Ouvertüre „Niagara“, eine Orchestersuite, betitelt: „Blumensprache“, verschiedene Kammermusikwerke und etwa 50 andere kleine Piecen.

Besonders volksthümlich wurde er in England durch seine sangreichen Liederkompositionen, deren er etwa 250 geschrieben hat. Es ist erstaunlich, dass er neben dieser umfassenden schöpferischen Thätigkeit noch Musse findet, eine praktische Wirksamkeit zu entfalten. Hier nur ein kleines Pröbchen dieses seines rastlosen Arbeitens. Von 1888 — 1892 war er Kapellmeister des Old Philharmonie Concerts, des ältesten und anerkanntesten Konzertinstituts Englands, und hat er diese Stelle im vergangenen Jahre zum zweiten Male angenommen. Daneben dirigirt er noch die grossen Konzerte in Liverpool, Bradford, Glasgow und Edinburgh. 1888 wurde er von der Regierung in Melbourne gegen ein Honorar von 5000 Lstr. engagirt, um während der dortigen Ausstellung die Konzerte zu dirigiren. Wie als Komponist, hat er auch als Kapellmeister überall Anerkennung und Ruhm in Hülle und Fülle erworben.

Es soll noch erwähnt werden, dass der frühere englische Botschafter am Berliner Hofe, Sir Edward Malet, zu einer vieraktigen Oper Frederik H. Cowens, „Harold or the Norman conquest“, den Text verfasst hat, und es gehörte zu der great attraction der Saison 1895, als diese Oper in der englischen Botschaft zu Berlin zur Aufführung gebracht wurde, da die Partien zum grössten Theil von Angehörigen der Hofgesellschaft gegeben wurden. Dass natürlich der Komponist wie der Librettist Lobeeren ernteten, versteht sich von selbst.