Ferdinand David (1810-1871)

Wie Ignaz Brüll und mehrere der hier Genannten, so war auch Ferdinand David (13), der ausgezeichnete Violinvirtuose und -Lehrer, der Vater der modernen deutschen Geigerschule, zugleich auch ein genialer Komponist für sein Instrument, und sein Name wird für alle Zeiten mit goldenen Lettern in der deutschen Kunstgeschichte verzeichnet sein. Sein Violinspiel trug ein klassisches, echt deutsches Gepräge. Sein Instrument mit der Fertigkeit eines vollendeten Meisters behandelnd war er immer geschmack- und geistvoll, sein Ton stets edel, voll und schön, seine Bogenführung von vornehmer Eleganz und Leichtigkeit. Zwischen Ludwig Spohr und W. B. Molique nimmt er in der Geschichte der Geigen Virtuosität eine höchst ehrenvolle Stellung ein.

Ebenso vorzüglich wie als Solo-, war er auch als Quartettspieler, in welcher Eigenschaft er nicht minder häufig als mustergiltig hervortrat. Aber auch als Konzertmeister an dem Gewandhaus in Leipzig hat er durch sein ungewöhnlich pädagogisches Talent, seinen heiligen Kunsteifer und seine organisatorische Begabung Glänzendes geschaffen. Als Schüler Ludwig Spohrs einerseits und als intimer Freund F. Mendelssohn Bartholdys andererseits wurde er zu den Höhen der echten Kunst geführt, und seine tief angelegte musikalische Natur und seine umfassenden Kenntnisse konnten sich zur vollsten Blüte entfalten.


Die grossen und bedeutenden Erfolge, die er als Fürst der Geiger im Opernorchester und als Lehrer am Conservatorium erzielte — so manche der besten deutschen Geiger der letzten Jahrzehnte vor seinem Tode waren seine Schüler, wie Wilhelmj, Sahla, Nahret -Koning, Heckmann und Schradieck etc. —, wiederholten sich auch bezüglich seiner Kompositionen. Diejenigen, die er für sein Instrument geschrieben, also viele Konzerte, Variationen, Etuden, Capricen u. s. w., sind vorzügliche Schöpfungen von dauerndem Werth, doch hat er auch noch für andere Instrumente, so z. B. für Posaune, Clarinette, Viola und Violoncello wirkungsvolle Konzerte komponirt, sowie einige Symphonien, Quartette und mehrere Hefte Lieder mit Clavierbegleitung herausgegeben. Die komische Oper: „Hans Wacht“ freilich, die 1852 von ihm erschien, hatte nur schwachen Erfolg, und die böswilligen Kritiker, welche bekanntlich lieben, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen, setzten dem Werke: „Hans Wacht“ noch die boshafte Bemerkung zu, „und das Publikum schläft“. Ein grosses Verdienst erwarb sich Ferdinand David durch die Herausgabe älterer Werke für die Violine von Bach, Händel, Mozart, Viotti, Rode u. A., und durch die „Hohe Schule des Violinspiels“, eine Sammlung von Violinstücken aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die er in seiner geist- und geschmackvollen Art für unsere modernen Bedürfnisse bearbeitete.

Der am 19. Januar 18 10 zu Hamburg geborene Ferdinand David war, wie so viele seiner Zunftgenossen, ein musikalisches Wunderkind. Schon als zehn- und elfjähriger Knabe liess er sich in seiner Vater Stadt öffentlich hören und erregte als „fertiger Violinist“ Aufsehen. Der 13jährige Knabe wurde in Cassel Schüler Ludwig Spohrs, dessen Unterricht er drei Jahre hindurch genoss. Hierauf unternahm er mit seiner Schwester, der Pianistin Frau Luise Dulcken, wie einst Mozart mit seiner Schwester Mariannerl, weite und erfolgreiche Konzertreisen und nahm dann ein Engagement im Orchester des Königsstädtischen Theaters in Berlin an. Dort lernte ihn Mendelssohn kennen und trat mit ihm in freundschaftliche Beziehungen, welche bis zu dem Ableben des Ersteren nichts an ihrer Innigkeit verloren. Später wurde er von dem livländischen Baron von Liphart, einem reichen Kunstmäcen, dessen Schwiegersohn er wurde, als Dirigent eines Privatstreichquartetts nach Dorpat berufen, wo er sich zugleich durch Leitung eines Musikervereins zum Orchesterdirigenten ausbildete.

Bis zum November 1835 verweilte er in der baltischen Stadt, die Kunstreisen abgerechnet, die er während dieser Zeit nach Petersburg, Moskau, Riga und anderen grossen russischen Städten unternahm, und folgte 1836 seinem Freunde Mendelssohn nach Leipzig, dessen künstlerischen Bestrebungen er eine kräftige Stütze wurde, was noch in höherem Masse der Fall war, als Mendelssohn 1843 mit mehreren einflussreichen Musikfreunden das Leipziger Conservatorium begründete, an welches David mit Moritz Hauptmann, Robert Schumann und Christian Pohlenz als erste Lehrkräfte berufen wurden. Die uns erhaltenen Briefe des trefflichen Mannes, von denen nur ein kleiner Bruchtheil bisher gedruckt ist, bekunden seinen ganzen Gesinnungsadel und sein ideales Streben und Denken. Hier möge nur auszugsweise ein, zum ersten Male in meinem Buche: „Friedrich Wieck“ veröffentlichter Brief mitgetheilt werden, den er unter dem 3. November 1853 an den bekannten Musikpädagogen Friedrich Wieck, den Vater Clara Schumanns, gerichtet hat, und worin sich die nachstehende Stelle über Brahms und Diejenigen „um Brahms“ befindet: „Schumann will ja einen Beethoven junior entdeckt haben! So wird mir erzählt. Gott gebe, dass er sich nicht irrt. Da wäre uns ja sehr geholfen, und wir brauchten unser blasirtes Publikum nicht auf die harte Probe zu stellen, ihm jährlich einmal die A-dur-Symphonie von Beethoven und eine Weber’sche Ouvertüre vorzuspielen. „Martha“ (von Flotow) kann man 20 Mal im Jahre hören, aber einmal ein Beethoven’sches oder sonstiges Meisterwerk? Das ist zu viel verlangt. Ich möchte wohl wissen, wo man die 25 — 30 neuen Ouvertüren und beinahe ebenso viele Symphonien, die man in den 20 Konzerten braucht, hernehmen soll? es geht mit den Clavier- und Violinkonzerten und den Konzertarien ebenso.

Aber das Publikum und die weisen Kritiker blöken nach neuem Futter und bedenken nicht, dass der Boden noch nicht einmal gedüngt ist, auf dem es wachsen kann. Die grossen verstorbenen Meister haben ihm zu viel Kraft entzogen, als dass so schnell wieder etwas Ordentliches darauf gedeihen könnte. Sie sehen, ich könnte auch grobe Briefe schreiben, lasse es aber lieber bleiben, da Andere es doch besser verstehen, schlage meinen Takt, streiche meine Geige, ziehe meine Schüler und lasse es summen und brummen, so viel es will. Heute geben wir Paulus (von Mendelssohn), überwundener Standpunkt, für uns Vorsintflutlichen aber noch ganz erbaulich und erquicklich“.

Der am 18. Juli 1873 auf einer Reise in Klosters in der Schweiz verstorbene Meister zählte die namhaftesten Tonkünstler seiner Zeit zu seinen Freunden, die ihn alle nicht nur als Künstler, sondern auch als Menschen hoch verehrten. Wie seine Zeitgenossen über ihn urtheilten, mag man nur aus einer Auslassung von J. Moscheles aus dem Jahre 1839 ersehen, der in seinen Briefen an seine Frau aus dem genannten Jahre über Ferdinand David sich u. A. also äussert: „Dieser würdige Schüler Spohrs spielte seinen Meister gross und edel, seine eigenen Bravoursachen mit untadelhafter Technik und sein Quartettspiel begeisterte Alles, was echten Kunstsinn besass.“