Felix Mendelssohn–Bartholdy (1809-1847)

Ein Lieblingdes deutschen Volkes, wie Weber und Schubert, ein musikalisches Genie von unvergleichlicher Schönheit in der Form und zartester und tiefster Empfindung, ein Bahnbrecher auf den verschiedensten Gebieten der Tonkunst, als Virtuose, Tonschöpfer und Mensch gleich gross, liebens- und verehrungswürdig, so erscheint uns Felix Mendelssohn –Bartholdy (33), der leider gleich Weber, Schubert, Mozart und Bizet auf der Höhe seines Lebens und in der Blüte seiner Schaffenskraft uns entrissen wurde. Sein frühes Ableben bestätigt das Wort des Menander: „Jung rufen die Götter, wen sie lieben, aus der Welt“. Diesem in seiner Art einzig dastehenden Künstler hat der Himmel ausser der Göttergabe des Genies das Glück beschieden, einer durch geistige Vornehmheit ausgezeichneten Eamilie anzugehören und, frei von den kleinlichen, drückenden Sorgen des Alltagslebens, seinen Geist allseitig bilden und ausschliesslich seiner Kunst dienen zu können.

Ihm, dem Enkel des grossen Philosophen Moses Mendelssohn, fiel die Aufgabe zu, dem von seinem Grossvater herstammenden Glanz seines Namens in voller Reinheit zu erhalten, und dass ihm dies so vollständiggelingen konnte, verdankte er seinen trefflichen Eltern, dem Bankier Abraham, dem zweiten Sohne des Philosophen, und seiner Mutter Lea Salomon, die ihren Kindern eine musterhafte Erziehung zu Teil werden liess. Auch fand er in seiner Schwester Fanny, der späteren Gattin des Malers Hensel, eine kongeniale Förderin in all’ seinen Bestrebungen.


Dieser so vielseitige, unsterbliche Meister hat durch seine zahlreichen und mannigfaltigen köstlichen Kompositionen aufs Neue bewiesen, welche Fülle von musikalischem Talent einerseits dem israelitischen Stamm eigen ist, und welch wohltuende Harmonie, Formschönheit und klassische Vollendung manch’ „ragendem Gipfel“ Israels zugesprochen werden muss. Trotz der unbegründeten Angriffe, welche von einer gewissen Coterie nach seinem Tode gegen ihn und seine Schule gerichtet wurden, und die hauptsächlich das überwiegend Schwärmerische und Sentimentale in seiner Musik trafen, gehört er doch zu den grössten Musiktalenten aller Zeiten und dürfte wohl als solcher nie ersetzt werden.

Seine Kompositionen beherrschen fast alle Fächer, denn neben Oratorien schuf er auch zahlreiche Konzertouverturen, Symphonien, Clavierkonzerte und Kammermusikwerke, Duos, Trios, Variationen, Salonclavierstücke — darunter die „Lieder ohne Worte“, und gilt er als Schöpfer dieser Gattung —, Orgelstücke, Männerquartette und sogar eine unvollendete Oper: „Lorelei“. Es war ihm gegeben, aus der deutschen Volksseele heraus in ergreifenden Tönen zu dichten, wie dies beispielsweise seine in den Volksmund übergegangenen Lieder: „Es ist bestimmt in Gottes Rath“, „Wer hat dich, du schöner Wald“ (ein Facsimile hiervon bringt vorliegendes Heft), „Leise zieht durch mein Gemüt“, „O Thäler weit, o Flöhen“ u. A. genügend darthun. Er ist der Begründer der für sich bestehenden und für sich allein ein abgeschlossenes Tongemälde darstellenden „Konzertouverture“, welcher wir in diesem Sinne und in gleicher Form vor seinen „Hebriden“, seiner „Melusine“ und seinen übrigen Werken ähnlicher Gattung nicht begegnen, ebenso ist er der Umbildner des alten Capriccio und des vierstimmigen a capella-Liedes zu modernen Gattungen. Ein Hauch weiblicher Grazie und Anmut, aber zugleich auch der ergreifende Ausdruck eines tiefen Gemütslebens findet sich namentlich in den Liedern dieses Meisters. Felix Mendelssohn-Bartholdy war, wie wenig Tonkünstler der alten und neuen Zeit, umgürtet mit der ganzen Bildung des Jahrhunderts, von dem feinsten Umgangsformen und einem seltenen Herzensadel. Obschon getauft und auf den Höhen der Humanität auf herwandelnd, konnte er in seinen Kompositionen seine Abstammung nicht ganz verleugnen. Er wählte mit Vorliebe biblische Texte und schuf mit seltener Produktionskraft Oratorien, ja er wurde der einzige Regenerator und Erneuerer des Oratorium genannten musikalischen Epos. Sein „Paulus“ und „Elias“ sind bekanntlich klassische Meisterwerke in diesem Genre, und steht er in Bezug auf Erhabenheit und Grösse des Stils den Grossmeistern des Oratoriums, Bach und Händel, nur wenig nach. Wundervoll ist bekanntlich auch seine Musik zu den Psalmen, und seine Hymnen, Motetten, Kantaten und Lobgesänge legen ein beredtes Zeugniss von dem religiösen Empfinden dieses tiefsinnigen Tonheros ab.

Die Erinnerung an die phänomenale Erscheinung Mendelssohns lebt, obschon 53 Jahre seit seinem Ableben verstrichen sind, in der Gegenwart noch immer fort und die Verehrung für seine Werke und seine reizvolle Persönlichkeit hat sich trotz aller Quertreibereien Seitens einer Clique fast unvermindert erhalten, nicht allein in Deutschland, sondern auch im Ausland, namentlich in England, wo sein „Elias“ sich der gleichen Volkstümlichkeit erfreut wie Händels „Messias“, und diese beiden Werke den eisernen Bestand jedes Musikfestprogramms bilden. Mit Recht hat Professor Karl Reinecke in Leipzig die Bedeutung Mendelssohns auch für unsere Zeit in die treffenden Worte zusammengefasst: „Mag auch in unserer raschlebigen Zeit manches der überaus zahlreichen Mendelssohn’schen Werke dem heutigen Gefühlsleben schon entrückt sein, zumal der italienische Verismus und manche andere Richtung dafür gesorgt haben, dass ein grosser Teil des heutigen Publikums nur noch durch gewaltsame Mittel und Anhäufung aller denkbaren Instrumentaleffekte gepackt und ergriffen werden kann, so ist doch des Trefflichen, welches jede gesunde Natur erquicken muss, gar viel übrig geblieben, und man wird gut tun, noch auf lange Jahre hinaus Mendelssohns beste Werke treu zu pflegen. Jedenfalls sind seine Werke gesunden Inhalts und vollendet in der Form, so dass ihre Pflege niemals schädlich wirken kann .... Nehmt Alles nur in Allem: er war ein ganzer Mann und auch ein ganzer Künstler!“

Felix Mendelssohn-Bartholdy wurde am 3. Februar 1809 in Hamburg geboren. Erst im vierten Jahre kam der Knabe mit seinen Eltern nach Berlin, wohin sein Vater übersiedelte. Seine Lehrer in der Musik beziehungsweise im Clavierspiel und in der Komposition waren Louis Berger und Zelter, der Freund Goethes. Der Kapellmeister Hennings gab ihm Unterricht in der Geige. Der Vater des Dichters Paul Heyse, der spätere berühmte Philologe, nahm in dem kunstsinnigen Mendelssohn’schen Hause, wo die geistige Aristokratie jener Zeit verkehrte, die Stelle eines Hauslehrers ein. Mit neun Jahren bereits trat Felix zum ersten Male in einem öffentlichen Konzert auf. Ein Jahr darauf finden wir ihn in der Berliner Singakademie, wo unter Zelters Leitung fast ausschliesslich ernstere, ältere Kirchenmusik gepflegt wurde. Als zwölfjährigen Knaben stellte ihn Zelter den Olympier in Weimar vor, dessen Interesse die Leistungen des kleinen Genies mächtig anregten. Zwei weitere Jahre später finden wir ihn abermals als Gast im Goethe’schen Hause, und dieser schrieb voll Bewunderung an Zelter: „Felix produzirte sein neuestes Quartett zum Erstaunen von Jedermann.“ Es war dies das später als op. 3 erschienene, Goethe gewidmete Clavierquartett in H-moll, welches in der That als das Werk eines 14 — 15jährigen Knaben zu bewundern ist.

Aus jener Zeit stammt der Goethe’sche Vers, welchen der greise Altmeister der Dichtkunst dem Knaben ins Stammbuch schrieb, nachdem Adele Schopenhauer ein geflügeltes Stecken pferd, auf dem ein kleiner geflügelter Genius reitet, dazu geliefert hatte:

Wenn über die ernste Partitur
Quer Steckenpferdlein reiten —
Nur zu! Auf weiter Töne Flur
Wirst Manchem Lust bereiten,
Wie Du’s gethan mit Lieb’ und Glück.
Wir wünschen Dich allesammt zurück.

Niemand zweifelte mehr an dem Künstlerberuf des Knaben, mit Ausnahme des bedächtigen Vaters, der dem heissen Wunsche seines Sohnes, sich ausschliesslich der Musik zu widmen, sich nicht eher fügte, als bis dessen Talent auf einer Reise nach Paris im Jahre 1825 auch von den dortigen Musiknotabilitäten, besonders von Luigi Cherubini, rückhaltslos anerkannt worden war. Aber auch dann bestand der Vater noch darauf, dass die wissenschaftliche Ausbildung seines Sohnes seinen Fortgang nehme, in Folge dessen er das Gymnasium absolvirte und zwei Jahre hindurch den Vorlesungen an der Berliner Universität beiwohnte. Er hörte Gans, Ritter, Lichtenstein und Hegel, und machte sich mit den alten Sprachen genau vertraut, so dass er z. B. eine deutsche Bearbeitung der „Andria“ von Terenz veröffentlichen konnte, welche die Anerkennung selbst der Gelehrten fand. Ebenso eignete er sich Fertigkeit in den neueren Sprachen an. Wie er daneben mit einer an Mozart erinnernden Leichtigkeit die durch seinen Künstlerberuf an ihn gestellten Aufgaben überwand, sehen wir aus einem Briefe Zelters, der an Goethe schreibt: „Gestern Abend ist Felixens vierte Oper vollständig, nebst Dialog, unter uns aufgeführt worden. Es sind drei Akte, die nebst zwei Balleten etwa dritthalb Stunden füllen. Von meiner schwachen Seite kann ich meiner Bewunderung kaum Herr werden .... Neues, Schönes, Eigenes, ganz Eigenes ist überall zu finden: Geist, Fleiss, Ruhe, Wohlklang, Gauzheit, Dramatisches. Das Massenhafte wie von erfahrenen Händen. Orchester interessant, nicht erdrückend, ermüdend, nicht bloss begleitend.“

Bis 1829 hatte der junge Meister, wie man sieht, schon vier Opern geschrieben, von welchen „Die Hochzeit des Gamacho“ 1827 in Berlin nicht ohne Erfolg zur Aufführung gelangte. Es war dies die einzige öffentliche Aufführung einer eigenen Oper, die Mendelssohn je erlebt hat, denn bekanntlich raffte ihn der Tod dahin, bevor er seine „Loreley“ hatte vollenden können.

Mit 16 Jahren schrieb er sein Oktett für Streichinstrumente, mit 17 seine herrliche und originelle Ouvertüre zu Shakespeares „Sommernachtstraum“, welches Tongebilde in der gesammten Musikliteratur einzig dasteht. Nicht nur die Form dieser Ouvertüre verräth den bereits gereiften Meister, sondern auch ihr Inhalt lässt eine so ausgeprägte Individualität erkennen, dass man vergebens nach einem Vorbilde sucht. Was Weber in seinem „Oberon“ versucht hatte: die Darstellung der Geisterwelt von ihrer freundlich-neckisch-humoristischen Seite, dies war hier, wie Wilh. Langhans treffend bemerkt, von Mendelssohn mit alleiniger Hilfe der Instrumente in vollendeter Weise durchgeführt, und damit hatte die Ausdrucksfähigkeit und der Farbenreichthum des Orchesters einen ungeahnten Zuwachs, Melodie und Rhythmus aber einen neuen, fesselnden Reiz erhalten.

Die künstlerische Verschmelzung des für Mendelssohn charakteristisch gewordenen Elfenmusikelements mit dem einer schwärmerisch-innigen Empfindung war ein neuer Triumph der romantischen Musik. Anfang 1829 vollbrachte er in Berlin noch ein verdienstvolles Werk, indem er die „Matthäuspassion“ von Joh. Seb. Bach, welche fast 70 Jahre im Staub der Vergessenheit geschlummert hatte, trotz des Abrathens seines Lehrers und Freundes Ignaz Moscheles zur Aufführung brachte und dadurch die Theilnahme aller Musikkreise Deutschlands dem grössten aller Oratorienschöpfer wieder zuwandte. Dann begab er sich nach London, wo ihn der Genannte in die Philharmonische Gesellschaft einführte und die am 8. Mai 1829 erfolgte Aufführung des „Sommernachtstraums“ vorbereitete. Der Erfolg war ein sehr bedeutender und steigerte sich bei der Wiederholung des Werkes in einem Konzert der Sängerin Henriette Sontag am 13. Juli 1829 zu einem wahren Triumph für den Komponisten. Reizend und geistvoll sind die Briefe, welche Mendelssohn in jener Zeit an seine Lieben in der Heimat geschrieben, und aus denen zu ersehen ist, dass der damals erst 20 jährige Jüngling in allen Kreisen der englischen Gesellschaft in geradezu begeisterter Weise gefeiert wurde.

Ein Jahr darauf schickte er sich zu einer Reise nach Italien an, welche er im Mai 1830 über Weimar und München antrat. Am längsten verweilte er in Rom, wo er nicht nur die Kunstschätze mit regstem Interesse studirte, sondern auch die „Walpurgisnacht“, das erste Heft der „Lieder ohne Worte“, drei Motetten für die Nonnen auf Trinita de Monti und den 115. Psalm entwarf. Nachdem er noch Neapel besucht hatte, trat er die Rfickreise an, welche ihn wiederum durch München führte, wo er sein Clavierkonzert in G-moll bei Hof spielte und den Auftrag erhielt, eine Oper für München zu schreiben. Die Eindrücke dieser italienischen Reise auf sein Seelen- und Gemütsleben waren von bleibender Dauer. Jeder, der den genialen Komponisten und Menschen kennen lernen will, muss seine durch Anmut und Geist fesselnden Reisebriefe aus den Jahren 1830 — 1832 lesen.

Dem bis dahin so glücklichen jungen Meister wurde ein herber Seelenschmerz dadurch bereitet, dass er sich in seiner Hoffnung, Nachfolger Zelters als Direktor der Singakademie in Berlin zu werden, getäuscht fand. Man zog ihm einen tüchtigen, aber nichts weniger als hochbegabten Musiker, C. F. Rungenhagen, vor, wodurch aufs Neue die Wahrheit des alten Satzes bestätigt wurde, dass der Prophet in seinem Vaterlande nichts gelte. Doch beruhigte er sich bald über seine Niederlage und folgte der ihm von Düsseldorf gewordenen Einladung, das dortige Rheinische Musikfest zu dirigiren. Mit der Aufführung des Händel’schen „Israel in Aegypten“ feierte er einen glänzenden Triumph, und dieser verschaffte ihm den Antrag des Düsseldorfer Magistrats, die Stelle eines städtischen Musikdirektors daselbst einzunehmen, welches Amt er drei Jahre hindurch mit Eifer und Erfolg verwaltete. Auf kurze Zeit hatte er auch mit dem Dichter Karl Immermann die Leitung des Düsseldorfer Theaters unternommen und veranstaltete mit ihm gemeinsam Musteraufführungen der Opern „Don Juan“, „Wasserträger“ u. s. w. Auch komponirte er die Musik zu Calderons „Standhaftem Prinzen“. Im Frühjahr 1835 dirigirte er das Musikfest in Köln und folgte dann einer Einladung nach Leipzig zur Leitung der Gewandhaus -Konzerte. Seitdem war er mit der berühmten Kunststadt aufs Engste verbunden. Sein Sehnen fand dort Ruhe. Er fühlte sich in Leipzig, wo er allezeit überaus beliebt war, wohl und glücklich. Er selbst schreibt darüber:

„So habe ich hier den ganzen Winter über noch keinen verdriesslichen Tag, fast kein ärgerliches Wort von meiner Stellung- und viele Freuden und Genüsse gehabt. Das ganze Orchester, welches sehr tüchtige Männer enthält, sucht mir jeden Wunsch an den Augen abzusehen, hat die merklichsten Fortschritte in Feinheit und Vortrag gemacht und ist mir so zugethan, dass mich’s oft rührt.“

Durch seine Kunst wie durch seine fesselnde Persönlichkeit wurde Mendelssohn alsbald zum Mittelpunkt des Leipziger Musiklebens, dessen früherer Glanz mit seiner Wirksamkeit aufs Neue zu strahlen begann, besonders als er mit seinem Meisterwerke, dem 1836 auf dem niederrheinischen Musikfest zu Düsseldorf zum ersten Male aufgeführten Oratorium „Paulus“ hervorgetreten war.

1843 begründete er unter dem Protektorat des Königs von Sachsen das weltberühmt gewordene Leipziger Conservatorium.

Wo immer auch Paulus aufgeführt wurde, überall zeigte sich die lebhafte Theilnahme eines kunstsinnigen Auditoriums. Ohne direkte Anlehnung an die Altmeister des Oratoriums, Bach und Händel, durch Verwerthung neu errungener Mittel, mit Würde und Ernst, hat Mendelssohn ein geistliches Oratorium von unvergänglichem Werth geschaffen. Von dem Geiste jener genannten beiden Tonheroen hat sich auch auf sein Haupt ein Strom ergossen, der noch kommenden Geschlechtern Entzückung bereiten dürfte. Kein Geringerer wie Robert Schumann hat das Urtheil gesprochen: „Es ist der Paulus ein Werk der reinsten Art, eins des Friedens und der Liebe. Ausser dem innern Kern vergleiche man die tiefreligiöse Gesinnung, die sich überall ausspricht, betrachte man all’ das musikalisch-meisterlich Getroffene, diesen höchst edlen Gesang durchgängig, diese Vermälung des Wortes mit dem Ton, der Sprache mit der Musik, dass wir Alles in leibhaftiger Tiefe erblicken, die reizende Gruppirung der Personen, die Anmut, die über das Ganze hingehaucht ist, diese Frische, dieses unauslöschliche Kolorit in der Instrumentation, des vollkommen ausgebildeten Stils, des meisterlichen Spielens mit allen Formen der Satzkunst nicht zu gedenken — man sollte damit zufrieden sein, meine ich.“ Während der „Paulus“ vom Geiste der Bach’schen Passion berührt ist, lässt das 1846 entstandene zweite grosse Oratorium Mendelssohns, „Elias“, das erwärmende und begeisternde Händel’sche Vorbild erkennen. Auch „Elias“ ist ein klassisches Meisterwerk; in der aus lyrischen, epischen und dramatischen Elementen gemischten Kunstgattung des Oratoriums vermochte sich der Komponist zu einer bedeutenden Höhe aufzuschwingen, wogegen für das Reindramatische seine Kräfte nicht immer ausreichen.

Man hat es Mendelssohn mit Recht nachgerühmt, dass er, abweichend von den früheren Oratorien, die nur Paraphrasen des göttlichen Wortes enthalten, die eigenen Worte der Heiligen Schrift seinen Kompositionen zu Grunde gelegt hat. Auch der Schwung, der namentlich in der alttestamentarischen Auffassung herrscht, die Kühnheit, mit der in einfachen grossen Zügen die Gegensätze aneinandergereiht werden, giebt der Bewegung freien Spielraum, der musikalischen Stimmung einen festen Halt.

Der Lebensgang unseres Meisters ist von nun an ein wenig bewegter. Bis 1847 war er als Dirigent der Gewandhauskonzerte und als künstlerischer Leiter des Conservatoriums rastlos thätig. Am 28. März 1837 vermälte er sich mit Cäcilie Jeaurenaud aus Frankfurt am Main, einer mit Anmut, Schönheit und allen weiblichen Tugenden geschmückten Tochter des dortigen Predigers.

Er fand in dieser Ehe das volle Glück seines Lebens. Der kunstsinnige König Friedrich Wilhelm IV. von Preussen, ein grosser Verehrer des Komponisten, ertheilte ihm den Auftrag, die Musik zu den Tragödien des Sophokles zu schreiben, und er brachte in Folge dessen in Potsdam seine Komposition der „Antigene“ zur Aufführung. Der Beifall war ein stürmischer. Die Anwesenheit des Künstlers in Berlin war reich an musikalischen Ereignissen. Es wurden dort auch einige grosse Konzerte gegeben, die er dirigirte, doch konnte er sich nicht entschliessen, den Antrag des Königs, endgiltig nach Berlin zu übersiedeln, anzunehmen. Auch seine 1843 erfolgte Ernennung zum preussischen Generalmusikdirektor söhnte ihn mit Berlin nicht aus. Bei der Abschiedsaudienz, die er bei Friedrich Wilhelm IV. hatte, sagte ihm der Monarch, dass er ihn zwar zum Bleiben nicht zwingen könne, aber es thue ihm herzlich leid, denn er halte grosse Stücke auf ihn und kenne keinen andern, der seine, des Königs, Pläne so wie er ausführen könne. Mendelssohn wurde fortan gar oft zur Leitung von Musikfesten in der Schweiz und England berufen. 1841 spielte er bei der Königin Victoria in England, worüber er in einem allerliebsten Brief an sein „liebes Mütterchen“ berichtete. Es bietet einen zu hohen Reiz, einige Episoden aus der Begegnung des Künstlers mit der Monarchin, die bekanntlich selir musikalisch ist und einst eine recht hübsche Stimme hatte, herauszugreifen:

„Ich bat“, so plaudert der Komponist, „der Prinz Albert, (Gemal der Königin Victoria) möchte mir etwas vorspielen (auf der Orgel). Ich wollte damit in Deutschland recht renommiren, und da spielte er mir einen Choral auswendig mit Pedal, so hübsch und rein und ohne Fehler, dass mancher Organist sich was daraus nehmen konnte, und die Königin, die mit ihrer Arbeit fertig geworden war, setzte sich daneben und hörte sehr vergnügt zu. Darauf sollte ich spielen und fing meinen Chor aus dem „Paulus“: „Wie lieblich sind die Boten“ an. Noch ehe ich den ersten Vers ausgespielt hatte, fingen sie beide an, den Chor ordentlich mitzusingen, und der Prinz Albert zog mir nun so geschickt die Register zum ganzen Stück, dass ich wirklich ganz entzückt davon war und mich herzlich freute. Dann kam der Erbprinz von Gotha dazu und es wurde wieder conversirt, und unter Anderem sagte die Königin, ob ich wieder neue Lieder komponirt hätte, denn sie sänge die gedruckten sehr gern.

„Du solltest ihm mal eins vorsingen“, sagte Prinz Albert. — Wir gingen durch die Korridore und Zimmer bis zu dem Wohnzimmer der Königin, wo neben dem Clavier ein gewaltig dickes Schaukelpferd stand und zwei gewaltig dicke Vogelbauer und Bilder an den Wänden, schön gebundene Bücher auf den Tischen, Noten auf dem Clavier, und was wählte sie: „Schöner und schöner“, sang es ganz allerliebst rein, streng im Takt und recht nett im Vortrag. — Sie dachte, zu viel Komplimente müsse man bei solcher Gelegenheit nicht machen und dankte bloss sehr vielmal. Als sie aber sagte: „O, wenn ich mich nur nicht so geängstigt hätte, ich habe sonst einen recht langen Athem“, da lobte ich sie recht tüchtig und mit dem besten Gewissen von der Welt. Darauf sang Prinz Albert: „Es ist ein Schnitter, der heisst Tod“, und dann sagte er, ich müsste ihnen aber noch vor der Abreise was spielen und gab mir als Themata den Choral, den er vorhin auf der Orgel gespielt hatte, und den Schnitter. — Das Phantasiren gelang mir so gut wie selten, ich war recht frisch im Zug und spielte lange und hatte selbst Freude daran. Dass ich ausser den beiden Themata auch noch die Lieder nahm, die die Königin gesungen hatte, versteht sich. Aber es kam alles so natürlich hinein, dass ich gerne gar nicht aufgehört hätte, und sie folgten mir mit einem Verständniss und einer Aufmerksamkeit, dass mir dabei besser war, als jemals, wenn ich vor Zuhörern phantasirte. Dann sagte sie:

„Ich hoffe, Sie werden uns bald wieder in England besuchen.“

Unter den vornehmsten Werken unseres Meisters haben wir noch seiner Komposition von Goethes „Walpurgisnacht“ zu gedenken, welche in ihrer ersten Gestalt bereits in seinen Jünglingsjahren in der ewigen Stadt am Tiber entstand. Diese der Form nach klassische, dem Inhalt nach aber romantische Komposition spiegelt treu das Wesen ihres Schöpfers wieder, nämlich die liebevolle Versenkung in das Leben und Weben der Natur, die Freude an der phantastischen Märchenwelt und den andächtigen Auf blick zu den ewigen Idealen.

Der Tod seiner innigst geliebten Schwester Fanny im Mai 1847 traf ihn vernichtend. Wer seine Briefe nach ihrem Tode liest, wer das tieftraurige, leidenschaftliche F-moll-Quartett hört, welches er im Sommer 1847 komponirte, wird seinen tiefen Schmerz ermessen können. Er wurde immer menschenscheuer, nervöser und gereizter. Er, der sonst unermüdlich rastlos Thätige, konnte lange müssig sitzen und die Hände in den Schooss legen. Sein sonst so elastischer und schneller Gang wurde schleppend und langsam. Nachdem er am 28. Oktober 1847 von einem heftigen Nervenschlag befallen worden war, starb er am 4. November desselben Jahres. Drei Tage darauf fand eine erhebende Todtenfeier statt, wobei Moscheles, David, Hauptmann und Gade die Zipfel des Leichentuches trugen. Auf dem Dreifaltigkeitskirchhof zu Berlin ruhen nun die sterblichen Ueberreste des Unsterblichen neben Fanny Hensel.

Ein Sohn der letzteren schliesst die Charakteristik seines grossen Onkels mit den Worten:

„Der Zauber seiner Persönlichkeit erwarb ihm Freunde und sicherte ihm deren Beständigkeit. Für Menschen, die er wirklich liebte, konnte es kaum einen besseren Freund geben. Immer war er bereit, Talent und Fleiss zu ermutigen und die besten Interessen derer zu fördern, welche er solcher Förderung für würdig hielt; aber es waren nicht bloss Genossen seiner Kunst, denen seine Hilfeleistung sicher war; Stand und Lebensstellung spielten hierbei keine Rolle für ihn. Für einen einfachen Schweizer Gebirgsführer verwendete er sich lebhaft, gute Dienstboten und tüchtige Handwerker waren seiner thätigen Hilfe stets sicher. Seine Beliebtheit bei sogenannten „kleinen Leuten“ war eine ausserordentliche.“

Mit den namhaftesten Tonkünstlern, aber auch anderen hervorragenden Persönlichkeiten seiner Zeit stand Mendelssohn in regem brieflichen Verkehr und auch in diesen Zuschriften offenbart sich der ganze edle Charakter dieses gottbegnadeten Menschen. Sein bescheidener, schlichter Sinn, sein reines Wollen und lauteres Streben tritt uns in jeder Zeile in geradezu herzerquickender Form entgegen. Man lese nur aus der Fülle derselben die Zuschrift vom 2. Januar 1840 an Moritz Hauptmann, worin er ihm für die Dedikation einiger Lieder dankt:

„Ich weiss kaum“, so schreibt er ihm u. a., „wie ich Ihnen dafür danken soll, dass Sie mir so viel Freude machen, dass Sie meinen Namen werthhalten, auf dem Titel eines so liebenswürdigen zarten Werkes zu stehen: Nehmen Sie’s eben auf Glauben, beschreiben kann ich’s Ihnen doch nicht ordentlich, wie herzlich lieb mir Ihr Geschenk und Ihre Briefe waren, und da sind so gewisse Wendungen in den Liedern, wenn ich an die komme, so wird mir immer von Neuem vergnügt zu Mute, dass sie mir zugeeignet sind — wüsst’ ich doch, womit ich Ihnen eine gleiche Freude machen könnte!“

Zum Schluss mag nachstehende kleine Episode erwähnt werden, welche für den Adel seiner grossen Seele Zeugniss ablegt: Im Sommer 1842 hielt er sich in Zürich auf. Da er nur seiner Gesundheit leben wollte, wies er alle Einladungen der dortigen Musiker und Musikfreunde ebenso höflich wie entschieden zurück; nur eine Ausnahme machte er. Als ihm der Direktor des dortigen Blindeninstituts seinen Besuch abstattete und ihm vorstellte, dass in seiner Anstalt sich einige musikalische Zöglinge befänden und ihm daran läge, das Urtheil eines kompetenten Fachmannes sowohl über die Fähigkeiten als die Leistungen der blinden Musici zu vernehmen, sagte Mendelssohn seinen Besuch zu. Der Anblick der Unglücklichen ergriff ihn und nachdem er sie auf das Freundlichste begrüsst hatte, wurden ihm einige ihrer Kompositionen vorgetragen. Mit sichtlichem Interesse, ja mit Rührung hörte er, die Partitur in der Hand, den Blinden zu und namentlich gefiel ihm ein grösserer Chor. Nachdem er seine lobende Kritik ausgesprochen und einige Stellen als besonders gelungen hervorgehoben hatte, äusserte er gegen den Direktor, dass an der Begabung der Komponisten nicht zu zweifeln sei und er ermahnte die letzteren, eifrig fortzuarbeiten und sich an ernste Texte zu halten. Eine in der Partitur angebrachte Korrektur bemerkend, fragte Mendelssohn, von wem sie herrührte, und als man ihm den Urheber nannte, äusserte er freundlich lächelnd:

„Die Korrektur ist allerdings begründet, der Satz ist richtiger, aber wie es ursprünglich hiess, war es schöner, treffender“, und zu dem blinden Komponisten gewendet, rieth er ihm: „Lassen Sie sich durch Korrekturen nicht irre machen; das gebildete Ohr bedarf der Regel nicht mehr: es ist sich selbst Mass und Regel.“

Um das Glück der Anwesenden, von denen Niemand den Mut hatte, den berühmten Künstler um etwas weiteres zu bitten, vollständig zu machen, bat er seinerseits um die Erlaubniss, auf dem Piano etwas spielen zu dürfen. Er setzte sich nun ans Clavier und spielte eine jener wundervollen freien Phantasien, durch die er oft seine Verehrer entzückt hatte. Wie leuchtete der Blinden Antlitz, als mitten im Strome des Vortrags die Hauptgedanken des von ihnen soeben gesungenen Chores auftauchten! Alle hätten den liebenswürdigen Meister umarmen und ans Herz drücken mögen. Unter den besten Wünschen für die Anstalt und das Wohlergehen ihrer Zöglinge nahm er Abschied.