Carl Goldmarks (1830-1915)

Nennt man die besten Namen unter den Komponisten der Gegenwart, so wird auch derjenige Carl Goldmarks (17), des Schöpfers der Opern: „Die Königin von Saba“, „Merlin“, „Das Heimchen am Herd“, „Die Kriegsgefangene“ und anderer Meisterwerke, genannt. Sein Talent ist ein äußerst vielseitiges; obgleich in den Bahnen Wagners wandelnd, weist er doch in seiner Gesamterscheinung viel des Originellen, Neuen und Eigenartigen auf. An Reichtum der musikalischen Empfindung, an Glanz und Farbenpracht der Instrumentation, wie an geistreichen Einfällen, genialen Klangkombinationen und stimmungsvollen Details übertrifft er die meisten zeitgenössischen Tondichter.

Als Opernkomponist hat er nicht viel geschaffen, aber jedes seiner Bühnenwerke bedeutet ein Ereignis, da seine Gewissenhaftigkeit und die Sorgfalt seiner Ausarbeitung über alles Lob erhaben ist. Am bekanntesten ist er durch die „Königin von Saba“ geworden, welche in Wien im Jahre 1875 zum ersten Male gegeben wurde und ihre Triumphreise über alle Opernbühnen der Welt antrat. Hier tritt besonders die Kunst musikalischer Koloristik, wie die außergewöhnliche Begabung des Komponisten für die Schilderung des spezifisch orientalischen Milieus zu Tage.


Der biblische Stoff zog ihn mächtig an; er bearbeitete ihn musikalisch mit der ganzen Glut seines ungarischen Temperaments und seiner Liebe für die Geschichte und Vergangenheit des israelitischen Stammes. Obzwar romantischer Musiker, bekundete er doch von jeher eine ausgesprochene Vorliebe für die Phantastik und die Poesie des Orients — gerade wie der letzte Romantiker der deutschen Dichtkunst, Heinrich Heine, der vom „Ganges“ und der „Lotosblume“ träumt, sich nach der „Rose von Schiras“ sehnt und sich ironisch für einen unglücklicherweise in Deutschland geborenen persischen Dichter hält, oder wie Friedrich Schlegel, der Gatte der Dorothea Mendelssohn, der Tochter Moses Mendelssohns, welcher laut verkündete: „Im Orient müssen wir das höchste Romantische suchen“ und ein Buch über die Sprache und Weisheit der Inder schrieb. Unter den Lebenden gibt es keinen zweiten Komponisten, der es so wie Goldmark verstanden hätte, die Fremdartigkeit und die Fata Morgana des Orients in gleich bezeichnenden und glühenden Tonfarben zu malen. „Merlin“ dagegen ist eine romantische Ritter- und Zauberoper, während im „Heimchen am Herd“ sehr glücklich der Ton poesievoller und intimer Märchenstimmung getroffen ist. Auch seine neueste Oper, „Die Kriegsgefangene“, welche an verschiedenen Bühnen mit durchschlagendem Erfolg gegeben wurde, hat den Ruhm des nunmehr 70jährigen, aber noch immer schaffensfreudigen Meisters vermehrt.

Liegt nun auch der entschiedenste Beruf Goldmarks auf dem Gebiete des orchestralen und instrumentalen, besonders dramatischen Schaffens, so hat er doch auch im Konzertsaal grosse Erfolge zu verzeichnen. Seine Symphonie: „Ländliche Hochzeit“, eine zweite Symphonie in Es-dur, die Ouvertüren: „Im Erühling“, „Penthesilea“, „Prometheus“ und „Sappho“, sowie zahlreiche seiner vielgesungenen Lieder legen in dieser Beziehung ein glänzendes Zeugniss für seine Vielseitigkeit ab. Auch das Genre der Kirchenmusik hat er um viele werthvolle Kompositionen bereichert. Wir nennen hier nur eine Violinsuite, ein Violinkonzert, ein Clavierquintett, ein Streichquintett und -quartett, sowie einige Trios, seine Chorkompositionen und die Musik zu dem 113. Psalm. Das Streichquartett aus B gehört mit zu dem besten, was er auf dem Gebiete der Kammermusik geschrieben. Durch das Ganze geht ein urwüchsiger Zug von Kraft, Tiefe, Feinheit und Frische. Eine Perle der Orchesterkomposition ist die Konzertouverture Sakuntala. Dieses Werk, eine poetische Illustration des Kalidasa’schen indischen Dramas, zeichnet sich durch freie und doch feste Formen, überraschende Neuheit der Gedanken und wahrhaft glänzende Instrumentation aus.

Am 18. Mai 1877 vollendete Carl Goldmark seinen 70. Geburtstag. Wie Joseph Joachim, Franz Liszt, Eduard Remenyi, Tivadar Nachez und viele andere namhafte Tonkünstler, ist auch er ein Ungar. In Keszthely erblickte er am 18. Mai 1830 das Licht der Welt. 1844 ging er nach Wien und genoss dort den Violinunterricht von Leopold Jansa. Auf dem dortigen Conservatorium empfing er hauptsächlich Unterricht im Geigenspiel und in der Harmonielehre. In der Zeit von 1850 — 1857 sehen wir ihn an verschiedenen Österreichischischen Theaterorchestern als Geiger thätig. Einige Konzerte in Wien, worin Goldmark manche seiner Kompositionen aufführte, brachten ihm die längst verdiente Anerkennung und Aufmunterung zu weiterem produktiven Schaffen, und er hatte die Genugthuung, dass die schon genannte Ouvertüre zu Sakuntala seinen Namen in die weitesten Kreise trug.

Mit Ignaz Brüll verbindet ihn herzliche Freundschaft, wie denn überhaupt die beiden schlichten, einfachen Menschen von der schrecklichen Krankheit der Tonkünstler, dem Neid und der Eifersucht, nicht im Geringsten angefressen sind. Seine echt kollegiale Gesinnung leuchtet u. A. auch aus einem Briefe hervor, den er unter dem 18. April 1877 an den Komponisten Franz v. Holstein schrieb, worin er u. A. sagt: „Meine »Saba«, die 1871 fertig, 1875 mit glänzendem Erfolg in Wien gegeben wurde, hat nun erst die dritte Bühne überschritten, während das ein Jahr später aufgeführte »Goldene Kreuz« meines lieben Freundes Brüll, ein unbegreiflich einfaches und doch so liebenswürdiges Werk, das ich nach dem Clavierauszug kaum für lebensfähig hielt, bereits an fast 30 Bühnen gegeben worden ist. Und ich habe mich mit jedem neuen Erfolg des Werkes wahrhaft herzlich gefreut. Wollen wir doch nie vergessen, dass wir arme deutsche Komponisten sind, die sich auf die Reklame schlecht verstehen — wenn sie nicht etwa Andere in gutem redlichen Glauben an unser Talent für uns machen — und uns nicht gegenseitig in niedrigem Neid den Boden streitig machen, im Gegentheil, uns immer helfen, wo wir können.“