Baron Alberto Franchetti (1860-1942)

Unter den italienischen Komponisten der Gegenwart, welche durch ihren Melodienreichthum und die Eigenart ihres Schaffens die Aufmerksamkeit aller Kunstfreunde nicht nur in ihrem Vaterlande, sondern auch weit über die Grenzen desselben hinaus auf sich gelenkt haben, und deren Opern auch in Deutschland gegeben werden, nennen wir vor Allem den Baron Alberto Franchetti, einen verhältnissmässig noch jungen Komponisten von grosser Zukunft, der, nebenbei gesagt, neben seiner glänzenden Begabung auch diverse Millionen Lires sein Eigen nennen kann. Seine Oper: „Asrael“ wurde in Berlin, Dresden, Hamburg und anderen Städten mit bedeutendem Erfolg aufgeführt. Der religiöse Stoff, den er hier musikalisch illustrirte, scheint für ihn einen besonderen Reiz gehabt zu haben. Der Held seines Librettos „Asrael“ ist ein gefallener Engel, ein Dämon, der sich nach seiner himmlischen Gattin Nephta sehnt, und vom Beelzebub Urlaub erhält, nochmals zur Erde zu gehen. Die Franchetti’sche Oper ist voll von schwebenden Engeln, singenden Evangelisten, posaunenden Erzengeln und heiligen Märtyrern. Die Musik des Komponisten zeugt von seinem starken Talent, seiner Melodienfreudigkeit und seinem vornehmen Geschmack; er erkennt zwar Richard Wagner als Vorbild an, ahmt ihn aber nicht mechanisch nach, sondern verfügt über eigene Ideen und Empfindungen. Namentlich sind die höllischen Tänze — das Inferno — geistvoll und originell instrumentirt, ebenso reizend ist die sphärische Musik im Himmel mit Orgel oder Harfe oder a capella.

Bedeutsam war auch seine Festoper „Colombo“, welche zu Genua ihre Premiere erlebte und namentlich in Italien ganz ausserordentlich gefiel. Der Maestro hatte sich vor Allem bemüht, Anklänge an die „Afrikanerin“, die bis jetzt als das Muster einer an Bord eines vorwärts treibenden Schiffes spielenden Oper galt, peinlichst zu vermeiden. Der Glanzpunkt der Oper ist jene Scene, wo der grosse Genuese Christoph Columbus auf der Schiffsbrücke erscheint und, ohne sich um die Aufrührer zu kümmern, unverwandt den Himmel betrachtet, bis plötzlich ein Kanonenschuss auf der Caravelle, dem sofort die Kanonen der beiden anderen Schiffe antworten, das langersehnte Land ankündigt. Columbus stösst einen Freudenschrei aus, und der stürmische Chor der Rebellen verwandelt sich in einen grossen erhabenen Dankhymnus. In diese Scene hat der Komponist die ganze Kraft des musikalischen Ausdrucks gelegt, über den er verfügt.