Anto Rubinstein (1829-1894)

Zu den grössten Meistern aller Zeiten, deren Namen in unverlöschlichem Glänze am Himmel der Kunst noch in kommenden Jahrhunderten glänzen werden, gehört Anton Rubinstein, gleich bewunderungswürdig als Virtuose, wie als Komponist. Als Clavierkönig, getragen von einer erstaunlichen Technik, verband er in wirkungsvollster Weise die Gegensätze von Kraft und Anmut, von Leidenschaft und Zartheit.

In allen fünf Welttheilen wurde seine vollkommen degagirte, ebenso feurige als schwungvolle Vortragsweise begeistert gerühmt, und seit Franz Liszts Auftreten hat es wohl keinen Clavierspieler gegeben, der auf Jung und Alt so fascinirend gewirkt hätte, wie dieser geniale Tonheros, der eine incommensurable Grösse war, die mit keiner anderen verglichen werden konnte. In ihm vereinigte sich slavisches Blut mit orientalischem; es ist daher kein Wunder, dass er einem musikalischen Vulkan glich, aus dem mit elementarer Gewalt bald Stürme der Leidenschaften, bald Donner und Brausen dramatischer Empfindungen, bald die sanften Zephyre der Anmut, Grazie und zartesten Poesie zum Ausdruck kamen. Doch war er zu sehr Künstler und zu sehr Jünger der deutschen Schule, um nicht durch weise Beherrschung und durch das Mass der Schönheit seiner gigantischen Kraft Fesseln aufzulegen. Jedenfalls wird er als Clavierspieler neben Liszt stets seinen Ehrenplatz behalten, als einer jener Giganten, welche durch die Macht ihrer künstlerischen Persönlichkeit, die Wärme ihrer Auffassung und die klassische Vollendung ihres Spiels alle Welt hinzureissen und zu bezaubern verstanden. Jahrzehnte hindurch war er gleichsam der Diktator des Clavierlebens; zu seinen ausserordentlichen Eigenschaften gesellte sich auch diejenige, dass er ein wahres Riesengedächtniss besass und alles aus dem Kopfe spielte: sowohl seine eigenen Kompositionen als die von Bach, Beethoven, Händel, Haydn, Mozart, Mendelssohn, Schumann, Schulhoff u. s. w., und dieses riesige Gedächtniss ist ihm bis ans Ende treu geblieben. Man musste ihn Werke wie Beethovens letzte C-moll-Sonate (op. 111), Chopin’sche Balladen und Polonaisen, Mozart’sche Rondos und Haydn’sche Variationen vortragen hören, um aus der vollendeten Wiedergabe des Heterogensten seine bewunderungswürdige Reproduktionsgabe, die stets einen starken dichterischen Grundzug aufwies, hochschätzen zu lernen.


Anton Rubinstein war jedoch mit den Lorbeeren nicht zufrieden, die ihm sein Virtuosenthum seit seinen Knabenjahren eingebracht, sondern er suchte auch die des Komponisten, um so dem Ruhm des ausübenden Künstlers noch den des selbstschöpferischen hinzuzufügen. Seinem Ehrgeiz schwebten dabei die grössten Koryphäen der Tonkunst vor und deren Universalität erschien ihm vor allem erstrebens- und nachahmenswerth. Unübersehbar ist die Zahl seiner beinahe alle Kunstgattungen umfassenden Tondichtungen.

Mit Genie und Ueberzeugung ist er auf den Bahnen weitergewandelt, auf denen Mendelssohn, Schumann und Chopin ihm vorangegangen waren, wie dies seine Clavierkonzerte und kleineren Salonkompositionen beweisen. Von seinen grossen orchestralen Werken sind besonders die Ozeansymphonie, die sogenannte „dramatische“ und die später entstandene aus G-moll mit Auszeichnung zu nennen.

Am meisten aber sehnte sich der ehrgeizige Tonschöpfer nach Bühnenerfolgen, und so hat er denn das Theater mit einer grossen Reihe von Opern bereichert.

Er schrieb zuerst die dreiaktige Oper „Dimitri Donskoi“, dann die drei einaktigen „Der Tscherkesse“, „Die sibirischen Jäger“ und „Toms der Narr“, in welchen er die russischen Völkerschaften zu kennzeichnen und zu verherrlichen suchte. Später folgten die „Kinder der Haide“, „Feramors“, der „Dämon“, „Die Makkabäer“, „Nero“ und viele andere. Fast die meisten dieser Opern hatten sich grossen äusseren Erfolgs zu erfreuen.

Seine Eigenarten als Virtuose kommen auch in seinen Opern zur Geltung. Er strebt immer nach dem Höchsten und Erhabensten in der Kunst, und es liegt ihm weniger an der schönen Klangwirkung, als an packender Leidenschaftlichkeit, weniger an Formvollendung, als an mächtiger Fülle des Inhalts, womit übrigens nicht gesagt sein soll, dass manche seiner Werke nicht auch Momente zartester Innigkeit und entzückender Grazie aufwiesen.

In manchen seiner Kompositionen, wie z. B. den „Makkabäern“, die ihre Erstaufführung — am 17. April 1875 — an der Berliner Kgl. Oper erlebten und dann über fast alle hervorragenden Bühnen gingen, verleugnet sich sein jüdischer Ursprung nicht. In dieser Oper waltet echt biblischer Geist, besonders ist der Schluss ganz im Sinne der heiligen Schrift gehalten. Als Judah mit dem siegreichen Heere der Juden heranzieht, singen die Krieger sein Lob als dem König von Israel, doch demütig beugt Judah sich vor dem Höchsten: „Der König Zions ist der Herr allein.“ Das Triumphlied Leas: „Schlaget die Pauken“ würde allein schon hinreichen, das Andenken des Komponisten für die Nachwelt zu erhalten. Er war darauf bedacht, seiner Musik ein möglichst orientalisches Gepräge zu verleihen. Vielfach benutzte er deshalb, gleich Meyerbeer und Halevy, alte Synagogenweisen. Spöttisch nannte einst Laube „Die Makkabäer’ — „Die Synagoge im Burgtheater“.

Das Hauptziel seiner Bestrebungen als Komponist war, das religiöse Drama in neuer Gestalt zu erwecken, ihm eine feste Begründung und dauernde Stätte zu verschaffen, ohne dass jedoch sein Ringen nach dem Ideal in der Tonkunst ganz in Erfüllung gegangen wäre. Mit Vorliebe hat er biblische Stoffe in Musik gesetzt, und mit den zumeist israelitischen Verfassern, wie Julius Rodenberg, Rudolf Löwenstein, Salomon Hermann Mosenthal u. A., war er innig befreundet. Auch manche seiner Lieder sind von orientalischer Glut durchhaucht, tief leidenschaftlich und von zündender Wirkung. Ich verweise in dieser Beziehung nur auf No. 1 in op. 28: „Hebräische Melodie“: „Mein Geist ist taub und schwer“, nach Byron von Lermontoff, auf No. 3: „Der Engel“ und an „Edens Thor“, Er hat eine „geistliche“ Oper in acht Bildern, betitelt „Moses“ (Text von Mosenthal), „Hagar in der Wüste“, ein Oratorium: „Der Thurmbau von Babel“, „Das verlorene Paradies“, „Sulamith“ und ähnliche Werke biblischen Inhalts geschrieben. Sein frommer, religiöser Sinn, sein Verständniss für den Geist der heiligen Schrift leuchtet aus jeder seiner Kompositionen hervor. Leider ist sein sehnlicher Wunsch, der geistlichen Oper ein eigenes Heim zu schaffen, wie einst R. Wagner dem Musikdrama in Bayreuth, nicht in Erfüllung gegangen, obschon er 40 Jahre hindurch rastlos an der Verwirklichung seines Planes gearbeitet hat. In einem von ihm im Jahre 1882 veröffentlichten interessanten Aufsatz über die geistliche Oper sprach er sich über seine Stellung zu derselben u. A. in nachstehender Weise aus:

„Die grossartigen Gestalten der Bibel, von Herren in weisser Halsbinde, mit schwarzem Frack, mit gelben Handschuhen, ein Notenblatt vor dem Gesicht, oder von Damen in modernster, oft extravagantester, Toilette singen zu hören und zu sehen, das hat mich immer dermassen gestört, dass ich zu einem Geniessen niemals gelangen konnte. Unwillkürlich erfasste mich der Gedanke, dass alles, was ich als »Oratorium« erlebt, viel grossartiger, packender, richtiger und wahrer auf der Bühne in Kostümen und Dekorationen mit der vollen Aktion darzustellen sein müsse. Freilich müssten zu diesem Zwecke die Texte die erzählende Form verlieren und in die dramatische umgearbeitet werden, eine Arbeit, die mir als keine Schwierigkeit erscheint und den musikalischen Theil in keiner Weise beeinträchtigen würde. Dem Einwand, dass biblische Stoffe ihrer Heiligkeit wegen nicht auf die Bühne gehören, kann ich nicht beistimmen. Es würde dem Theater damit ein testimonium paupertatis, ihm gegenüber Missachtung ausgesprochen, während es doch gerade den höchsten Kulturzwecken dienen und entsprechen soll . . . Da jedoch die Anschauung, dass es eine Entweihung dieser Stoffe wäre, wenn sie auf die Bühne gebracht würden, noch eine so allgemeine ist, dass ihr immerhin Rechnung getragen werden muss, so habe ich die Schaffung einer eigenen Kunstgattung ins Auge gefasst, die in einem eigens für diese Gattung zu erbauenden Theater ihre Stätte fände. Diese Kunstgattung wäre im Gegensatz zur weltlichen, die »geistliche Oper«, das Theater ein »geistliches«, im Gegensatz zu einem weltlichen Theater mit einem Künstler- und Chorpersonal eigens für diese speziellen Zwecke herangebildet .... So schwebt mir denn ein Theater vor, in welchem man in chronologischer Ordnung die prägnantesten Momente der Bibel allen höchsten Kunstanforderungen entsprechend aufführt. Die Begebenheiten wie die Persönlichkeiten der Bibel sind zudem so grossartiger und poetischer Art, dass eine Veranschaulichung derselben durch Darstellung auf der Bühne mit Beihilfe aller Künste nicht ermangeln wird, den Dank des Publikums (Volkes) zu gewinnen. Von schon vorhandenen Opern auf Unterlage biblischer Stoffe ist nur der »Josef« von Mehul passend für die geistliche Oper, alle anderen nicht, weil ihre musikalische Ausdrucksweise eine zu weltliche ist und die Behandlung der Stoffe den Gesetzen der weltlichen Oper zu sehr entspricht.“

Anton Rubinstein beschränkte sich jedoch nicht auf die graue Theorie allein, sondern bemühte sich auch eifrig, seine Lieblingsidee in die That umzusetzen. Er war der Ansicht, dass der Fürst eines kleinen deutschen Landes sich am besten dazu eigne, die Initiative zu ergreifen; finde sich ja an diesen kleinen Höfen oft ausgesprochene Kunstliebe und -pflege! Der Grossherzog von Sachsen -Weimar, an den er sich deshalb wandte, meinte jedoch, dass er sich die Ausführung eines solchen Planes nur in ganz grossen Städten möglich dächte. Nun fragte er in Berlin bei dem damaligen Kultusminister Heinrich von Mühler an, dieser zeigte jedoch kein Entgegenkommen, weil er der Ansicht war, der Staat könne sich mit so etwas nicht befassen, vielmehr müsse sich die Privatunternehmung der Angelegenheit bemächtigen. Ebenso erhielt er von der englischen Regierung einen Korb. Nun trug er sein Projekt den Spitzen der israelitischen Gemeinden in Paris vor. Diese wollten zwar seine Pläne gern finanziell unterstützen, schreckten aber vor der dann für das Publikum als von ihnen ausgehenden moralischen Initiative zurück. Auch andere Versuche schlugen fehl, aber noch in seinen letzten Lebensjahren hegte er die Hoffnung, den Tag zu erleben, an welchem ein geistliches Theater ins Leben treten würde. Deshalb schrieb er fleissig geistliche Opern, u. a. die unvollendete Triologie: „Kain und Abel“.

Noch einiges über die Beziehungen des zum Wirklichen Staatsrath mit dem Titel Excellenz ernannten und in den Adelstand erhobenen Komponisten, der sich in hohem Grade der Gunst der Zaren Nicolaus I., Alexander II. und III. zu erfreuen hatte, zu seinen Stammesgenossen sei hier erwähnt. Seine Mutter war eine geborene Löwenstein, und er hat ihr in seinen 1889 gelegentlich seines 50jährigen Künstlerjubiläums in der russischen Revue „Ruszkaja Starina“ erschienenen Aufzeichnungen aus seinem Leben in warmen und begeisterten Worten ein Denkmal gesetzt. Neben ihr war es eine andere jüdische Frau, Frau Barbara Grünberg — gestorben 1869 —, die Gattin eines jüdischen Arztes in Moskau und intime Freundin seiner Mutter, welche die musikalischen Keime, die in der Seele des Knaben schlummerten, zur vollen Entfaltung zu bringen suchte. Mit Julie Grünberg — der jugendlichen Tochter der Frau Barbara —, einer Schülerin Henselts, spielte er mit Vorliebe Clavier.

Der Grossvater Rubinsteins, Ruben Rubinstein, war, wie seiner Zeit der Petersburger „Wschod“ meldete, Gutspächter bei dem ehemaligen Gutsherrn von Berditschew, dem Fürsten Radziwill; er nahm eine geachtete Stellung innerhalb seiner Glaubensgemeinschaft ein, denn er galt für einen klugen Mann und einen guten Talmudisten. Da er ein grosses Haus machte, hielt man ihn für enorm reich; dem war aber nicht so, denn die Folgen lehrten, dass er bei seinem grossen Bedarf, seinen vornehmen „herrschaftlichen“ Allüren Reichthümer nicht zu sammeln vermochte, so dass er fast zu gleicher Zeit mit seinem Gönner Radziwill ruinirt war. Ehrgeizig wie er war, konnte er den Druck nicht ertragen, unter welchem seine Glaubensgenossen lebten, und trat mit allen seinen Kindern und Enkeln und einem Theil seiner Dienerschaft — einen taubstummen Wasserträger nicht ausgenommen — zum Christenthum über. Aus dem ehemaligen „Ruben“ wurde ein „Roman“ und der Vater des Künstlers wandelte sich nach der Taufe in einen „Gregor“ um. Ruben Rubinstein hatte seinen früheren Glaubensgenossen eine kleine Synagoge gebaut, und Roman den jetzigen eine kleine Kirche. Beide waren an den entgegengesetzten Enden des Hofes gelegen, und manch’ stiller Seufzer entrang sich der Brust des Berditschewer Juden, wenn er vorbeiging an „Ruwinzis Schul“ und gleich darauf an „Ruwinzis Kloster“, denn er gedachte des grossen Unglücks, das ihn, das Israel betroffen . . . Roman Rubinstein soll auch nach seinem Uebertritt lebhaftes Interesse für die Israeliten bewahrt haben, allein sei es, dass diese ihn nach der Taufe mieden, oder sei es, dass es ihm in Berditschew nicht mehr behagte — genug, er siedelte kurze Zeit darauf nach Moskau über. Bei diesem Anlass sei noch erwähnt, dass Anton Rubinstein bei seinem Künstlerjubiläum u. A. auch eine Adresse des „Vereins zur Verbreitung von Bildung unter den Juden in Russland“ überreicht wurde, da der Komponist langjähriges Mitglied dieses Vereins war. Sie war sehr vornehm ausgestattet und in warmen Worten abgefasst.

In dem Salon seiner prachtvollen, schlossartigen Villa in Peterhof, wo er die letzten Jahre seines Lebens als Grandseigneur residirte, lag ein Album, dessen erstes Blatt das vergilbte Bild eines alten polnischen Juden aufwies. Dies bezog sich auf eine der denkwürdigsten Erinnerungen des Künstlers. Er hatte als blutjunger Bursche in einer polnischen Stadt sein erstes Konzert anzeigen lassen, doch fiel es Niemandem ein, Billets zu kaufen. Da kam plötzlich ein alter polnischer Jude, legte einen Rubel hin und sagte: „Gieb mir ein halbes Dutzend Sitze“. „Dieser, mein erster zahlender Hörer“, so erzählte einst Rubinstein lächelnd, „erfüllte mich mit solch namenlosem Entzücken, dass ich ihn, als ich einige Jahre später wieder ins Städtchen kam, auf meine Kosten photographieren liess, um mir sein Bild aufbewahren zu können.“ Der erste Verleger Rubinsteins, welcher Vertrauen zu seinem Genie hatte, war ein Israelit namens Schlesinger, der Verleger der musikalischen Werke Giacomo Meyerbeers, welch letzterer den einflussreichen Musikalienhändler zur Uebernahme der Kompositionen des jungen Russen veranlasst hatte. Es war dies die 1842 erschienene kleine Clavieretude „Undine“, die von R. Schumann sehr günstig beurtheilt wurde. Zu seinen Berliner Freunden gehörten Berthold Auerbach, Joseph Joachim und Heinrich Ehrlich, welch letzterer die grosse Bedeutung des Meisters bereits zu einer Zeit erkannte, als er nur für einen Nachahmer Franz Liszts galt. Im Gegensatz zu R. Wagner beurtheilte Rubinstein die Schöpfungen israelitischer Komponisten mit derselben Unparteilichkeit, wie diejenigen christlicher Tonschöpfer, denn alles Grosse fand in ihm einen begeisterten Herold. Man höre nur sein Urtheil über Meyerbeer und Halévy in seinem interessanten Buch: „Die Musik und ihre Meister“: „ . . . Das Publikum verlangt in der grossen Oper ein interessantes, beinahe symphonisches Orchester, interessante Handlung im Stoff — besonders Situationsreichthum, unbedingte Hinzuziehung des Ballets und einen grossen Rahmen — nicht weniger als fünf Akte müsste die grosse Oper haben. Am meisten ist all diesen Anforderungen Meyerbeer gerecht und er daher der Typus der grossen französischen Oper geworden. Dieser Komponist ist in Frankreich überschätzt und in Deutschland von der ernsten Kritik unterschätzt worden. Wohl hat er manche Sünden auf seinem Künstlergewissen, aber er hat auch sehr grosse Eigenschaften: Theaterblut, höchst bedeutende Orchesterbehandlung, gewaltige Dramatik, virtuose Technik u. s. w. Viele Musiker, die gegen ihn sprechen, wären sehr froh, wenn sie es ihm nachmachen könnten. Jedenfalls sind »Robert der Teufel«, der »Prophet«, besonders aber »Die Hugenotten«, höchst bedeutende Opernkompositionen. Nach ihm ist es Halevy, der zu den hervorragendsten in Frankreich zählt, und dessen »Jüdin« ein wohlbeachtenswerthes Werk ist.“

Geboren wurde A. Rubinstein am 16. oder, nach einer anderen Angabe, am 18. November 1829, nach seiner eigenen Angabe jedoch am 30. November 1830, in dem Dorfe Wechwotynetz, an der Grenze von Podolien und Bessarabien. Die erste Ausbildung erhielt sein musikalisches Talent durch seine bereits genannte Mutter, die eine treffliche Clavierspielerin war. Schon in seinem neunten Jahre konnte es der hochbegabte Knabe wagen, als Pianist vor die Oeffentlichkeit zu treten. In der russischen Zeitschrift „Galatea“ wurde dem musikalischen Wunderkind eine glänzende Laufbahn prophezeit. Der betreffende Kritiker schreibt: „Die kleinen Fingerchen flogen mit ausserordentlicher Leichtigkeit über die Tasten hin, sie gaben einen reinen, schönen Anschlag, und es gelang der zarten, schwachen Hand, auch dem Tone die entsprechende Kraft zu geben, aber, was noch mehr werth ist, als alles andere, er achtet auf die Idee, welche der Komposition zu Grunde liegt, er erfasst sie und bringt sie klar hervor. Er drückt sie mit möglicher Bestimmtheit aus. Mit einem Wort: in diesem Kinde offenbart sich deutlich die Seele des Künstlers, das Gefühl für das Schöne. Er besitzt so viel musikalische Gaben, dass deren weitere Ausbildung und Vervollkommnung seines Talents dem jungen Künstler sicherlich einen ehrenvollen Platz in der Reihe der musikalischen Berühmtheiten Europas verschaffen werden.“

Zur damaligen Zeit gab es für den europäischen Ruhm nur eine einzige Hauptstadt, nämlich Paris. In der dortigen Gesellschaft spielte er mit durchschlagendem Erfolg, und selbst Franz Liszt war von dem virtuosen Spiel des jugendlichen Künstlers so hingerissen, dass er bewundernd in die Worte ausbrach: „Der wird der Erbe meines Spiels.“ Unter Liszts Leitung setzte Rubinstein eifrig seine Studien fort und unternahm nach anderthalbjähriger Frist seine erste Konzertreise durch England, Holland, Schweden und Deutschland. 1844 finden wir ihn in Berlin, wo er bei Dehn musiktheoretische Studien machte und an der Universität seiner wissenschaftlichen Ausbildung oblag. In Berlin war es auch, wo sich Mendelssohn und Meyerbeer des jungen Künstlers lebhaft annahmen. In Folge des nicht lange nachher erfolgten Todes seines Vaters sah er sich für sein weiteres Fortkommen auf sich selbst angewiesen. Er war gezwungen, seine Existenz mit Unterrichtgeben zu fristen, und es folgte für ihn eine Zeit bitterster Entbehrung, harter, fast grausam zu nennender Selbstprüfung und rastloser, geistiger Arbeit. Sein Stern leuchtete erst nach seiner Rückkehr nach Petersburg 1848. Dort fand er in der Grossfürstin Helene eine hochherzige Gönnerin. 1854 unternahm er auf Anrathen und mit Subvention der Grossfürstin und des Grafen Wielhorski eine neue Studien- und Konzertreise und kehrte erst 1858 nach Peterburg zurück, wo er zuerst zum Hofpianisten und dann zum Konzertdirektor ernannt wurde. Ein Jahr darauf übernahm er die Leitung der Petersburger russischen Musikgesellschaft, begründete 1862 das Petersburger Conservatorium und war dessen Direktor, bis er von 1867 — 1870 auf neue Konzertreisen ging und ganz Europa im Triumph durchzog. Von 1872/73 besuchte er auch Amerika, wo er nicht minder rauschende Triumphe erntete. An seinem 60. Geburtstag wurden ihm, wie schon erwähnt, glänzende Auszeichnungen, sogar der Titel Excellenz und der Adel zu Theil. 1891 verliess er Petersburg und siedelte nach Dresden über. In demselben Jahre verlieh ihm Kaiser Wilhelm II. den Orden pour le mérite. Er starb am 20. November 1894 zu Peterhof bei St. Petersburg. In Stuttgart wurde dem grossen Künstler am 30. November 1897 eine von Theodor Bausch modellirte Gedenktafel am Hause No. 1 der Augustenstrasse errichtet. Das ist die Stätte, die den 26jährigen Tondichter beherbergte, als er einst auf seiner grossen vierjährigen Kunstreise durch Deutschland, Frankreich und Grossbritannien in Stuttgart Aufenthalt genommen hatte. Bausch hat den charakteristischen Ausdruck des bedeutenden Kopfes durchaus lebenswahr getroffen.