L’Arronge, Adolf (1838-1908) deutscher Bühnenautor, Theaterkritiker und Dichter

Durch köstlichen Humor, gelungene Charakterzeichnung, echt volkstümliche Stimmung und Szenerie, gesunde bürgerliche Moral und Vermeidung jedes frivolen und zynischen Elements hat sich der dramatische Dichter Adolf L'Arronge, eigentlich Aaron — geboren 8. März 1838 zu Hamburg als Sohn des rühmlichst bekannten Komikers und Theaterdirektors Eduard Theodor L'Arronge — von jeher ausgezeichnet. Er hat das Volk bei der Arbeit belauscht, er hat sein Denken und Fühlen, sein Dichten und Trachten, seine Gefühls- und Empfindungswelt genau studiert und all' dem packendes dramatisches Leben eingehaucht. Daher waren seine meisten Bühnenwerke Jahrzehnte hindurch beliebte Repertoirestücke aller deutschen Bühnen. Mit Fug und Recht kann man ihn einen echt deutschen Dramatiker nennen, denn fast allen seinen Schöpfungen ist der gemütvolle, etwas sentimentale Zug eigen, der zum Herzen der Zuschauer spricht und der im modernen Schwank und der modernen Posse das beliebte Zweideutige und Pikante gänzlich ausschließt.

Adolf L'Arronge studierte auf dem Leipziger Conservatorium Musik, wirkte darauf als Theaterkapellmeister in Köln, Würzburg, Königsberg, Stuttgart und anderen Städten und übernahm 1866 die Direktion der Kroll'schen Oper in Berlin. Merkwürdiger Weise war das erste Kind der L'Arronge'schen Muse eine komische Operette in zwei Akten, betitelt: „Das Gespenst“, welches im Winter 1860/61 im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater zu Berlin aufgeführt wurde.


Hierauf folgten Weihnachtsstücke, von denen das eine: „Das grosse Los“ betitelt, zu Weihnachten 1866 unter Beifall gegeben wurde.

Dieser Erfolg ermutigte ihn, auf der betretenen Bahn rüstig vorwärts zu schreiten und der Musik untreu zu werden. Mit „Gebrüder Bock“ beschritt er 1868 das Wallnertheater, diese klassische Possenstätte, für welche er zahlreiche wirksame Stücke schrieb. So z. B. mit Hugo Müller: „Die Spitzenkönigin“, mit Heinrich Wilken: „Die Kläffer“ und mit Gustav von Moser den: „Registrator auf Reisen“.

Ungeheuer war der Erfolg, den er mit dem 1873 aufgeführten Volksstück: „Mein Leopold“, mit dem genialen Karl Heimerding in der Titelrolle, erzielte. Dasselbe nahm rasch seinen Weg über die gesammte deutsche Bühne und wurde in viele fremde Sprachen übersetzt.

Vom 1. Oktober 1874 bis 1878 leitete L'Arronge das Lobetheater in Breslau, dann kehrte er nach Berlin zurück, um sich ausschließlich der dramatischen Dichtung zu widmen. Die ersten Früchte seiner mit neuem Eifer aufgenommenen Bühnenthätigkeit waren zwei Lustspiele: „Dr. Klaus“ — im Winter 1878 — und „Wohltätige Frauen“ — ein Jahr darauf zuerst aufgeführt — , welche beiden Stücke dem Verfasser wieder große Erfolge brachten.

Weitere dramatische Arbeiten von ihm sind: „Alltagsleben“, „Hasemanns Töchter“, „Haus Lonei“, „Der Compagnon“, „Die Sorglosen“, „Das Heimchen“, „Der Weg zum Herzen“, „Die Verkannten“, „Lolas Vater“, „Pastor Brose“ und „Die Lorelei“.

Bekannt ist, dass er auf hohen Wunsch auch das Textbuch zu der neu aufgefundenen Oper von Lortzing: „Regina“ gedichtet hat.

Der Vergleich von L'Arronge mit Iffland, dem Verfasser so vieler Familienstücke, liegt auf der Hand. Wie anders wirken aber
— bemerkt treffend Adolf Gerstmann in seinem Essay über L'Arronge
— die L'Arrongeschen Werke, als die Iffland'schen auch zur Zeit ihres höchsten Ansehens dies zu tun vermochten. Iffland arbeitete mit vollkommener Kenntnis des dramatisch Wirksamen, aber seine Stücke sind die nüchternen in der Fabel: irgend ein Ereignis, das für die betreffende Familie von Wichtigkeit ist, den Zuschauer aber nicht gerade in besonderem Maße interessieren kann, spielt sich mit seinen Konsequenzen im Familienkreise ab. L'Arronges Werke jedoch interessieren, fesseln und ergreifen uns; sie tun es ganz ungemein und zwar desshalb, weil die behandelten Fragen uns und unserem eigenen Empfinden so außerordentlich nahe stehen, weil wir in den Gestalten seiner Dichtungen uns selbst und unsere Umgebung erkennen; wir fühlen eine Zusammengehörigkeit heraus zwischen jenen Figuren auf der Bühne und uns selbst, und dieses Gefühl ist um so stärker und nachhaltiger, als wir nirgends etwas Erkünsteltes und gewaltsam Erzwungenes wahrnehmen.

L'Arronge schildert das deutsche Heim, die deutsche Familie; es zeugt von feinem Empfinden und schönem Auffassen der Idee des Familientums, dass er den Kindern und ihrem Wesen grosse Bedeutung und Einfluss auf seinen Stoff einräumt und dieser Anschauung auch durch viele in seinen Stücken enthaltene ganz reizende Kinderszenen Ausdruck verleiht.

1881 erwarb er das Friedrich -Wilhelmstädtische Theater, das er nach erfolgter Umgestaltung als deutsches Theater neu eröffnete und bis zum 1.Juli 1894 leitete. Dann verpachtete er dasselbe, wie schon früher erwähnt, an Otto Brahm. Über seine, in der Geschichte der deutschen Schauspielkunst bahnbrechende Wirksamkeit als Bühnenleiter hat er eine Art Rechenschaftsbericht im Jahre 1896 unter dem Titel: „Deutsche Theater und deutsche Schauspielkunst“ herausgegeben. Es ist dies eine sehr lobenswerte Schrift und ein unanfechtbarer Beweis für den Eifer, die Beharrlichkeit und idealen Ziele, die ihn als Bühnenleiter kennzeichnen. Selbst in diesem ernsten Werke verleugnet sich der Humorist nicht, wie dies nur die nachstehenden kleinen Herzensergießungen beweisen mögen, die er zum Besten gibt:

„Gustav Kadelburg war auf den Proben einer der eifrigsten und gewissenhaftesten, aber es fehlte ihm vollständig an Auffassungsvermögen dafür, dass er, wenn eine Probe beispielsweise um 10 Uhr angesetzt war, um diese Zeit auch hätte auf der Bühne erscheinen müssen. Er kam immer zu spät, und welche Entschuldigungsgründe er dann vorbrachte! Die Uhr ging nach. Schreckliche Migräne. Der Droschkengaul war gestürzt. Die Brücke war aufgezogen — Es gab gar keine aufgezogenen Brücken mehr, und dann — das Glatteis: das musste oft herhalten. Er hinkte, der Arme, und nahm für den Unfall allen Ernstes Beileidsbezeugungen entgegen. Aber als er sogar eines Abends zu einer Szene von „Fausts Tod“ zu spät kam, welche Entschuldigung hatte er da bereit? Man denke sich: Er war verhaftet worden. Ein Schutzmann auf der Straße hatte ihn gezwungen, ihm auf die Polizeiwache zu folgen.

„Warum? Was ist geschehen? So sprechen Sie doch.“
„Ich kann nicht. Heute nicht. Morgen!“

Während der ganzen schlaflosen Nacht fragte ich mich immerwährend: Was kann nur Kadelburg verbrochen haben? Ich konnte den Morgen und die Probe gar nicht erwarten. Endlich! Da kam er.

„Nun? nun?“
„Es war ein Irrthum — glücklicherweise! Aber die Aufregung — der Schreck — Sie begreifen?“

Wirklich, der Ärmste sah noch ganz blass aus. Und er war zu der heutigen Probe, während er sonst immer wenigstens zwanzig Minuten zu spät kam, nur zehn Minuten zu spät gekommen! Dieses auffallende Anzeichen von Absicht zur Besserung machte mich verstummen, erfüllte mich sogar mit einer gewissen Rührung. Aber Kadelburg ist kein Ereund von Rührung, vom nächsten Tage ab hielt er wieder regelmäßig seine zwanzig Minuten Verspätung ein.“