Kompert, Leopold (1822-1886) bömisch-österreichischer Erzähler und Publizist

Als der größte und unerreichte Meister des Ghettoromans, aber auch als ein Dichter, dessen Werke eine Zierde der deutschen Literatur genannt werden können, muss der 15. Mai 1822 zu Münchengrätz in Böhmen geborene und 23. November 1886 in Wien gestorbene Leopold Kompert bezeichnet werden. Seitdem er 1846 seine berühmten „Geschichten aus dem Ghetto“ erscheinen ließ , hat er eine große Anzahl Romane und Novellen auf den Markt gebracht, welche sich fast ausschließlich mit dem Leben der Juden in ihrer Abgeschiedenheit beschäftigt. So schrieb er: „Böhmische Juden“, „Am Pflug“, „Neue Geschichten aus dem Ghetto“, „Geschichten einer Gasse“, „Zwischen Ruinen“, „Franzi und Heine“, „Verstreute Geschichten“ u. s. w., und er verstand es meisterhaft, diesem im Grunde beschränkten Stoffe eine Fülle wahrhaft poetischen Lebens, origineller Charakteristik und feinster Detaillierung abzugewinnen. Einzelne seiner Erzählungen, wie z. B. „Christian und Lea“, gehören zu den tiefsten und eigentümlichsten Schöpfungen der deutschen Poesie überhaupt. Er war es eigentlich, der von der Mitte des 19. Jahrhunderts an durch seine in rascher Aufeinanderfolge erscheinenden Ghettogeschichten die Welt der Gasse so recht der deutschen und auch der Weltliteratur eröffnete. Kein Zweiter hat den Pulsschlag des Ghetto so feinfühlig wie er erlauscht, und Keiner hat es so wie er verstanden, den warmen Herzenston den Schilderungen dieser eigenartigen Welt zu verleihen. Es ist eigentlich die Geschichte des menschlichen Herzens, die in den Rahmen dieser Ghettonovellen eingespannt erscheint. Welche Rolle dieses Herz in der Ghettonovelle spielt, hat uns Leopold Kompert selbst einmal sehr schön gesagt:

„Dieses Wort“, meint er, „hat etwas Unsagbares, dieses Herz ist eine geschichtliche Überlieferung. Wer an dasselbe einen Anspruch erhebt, will damit sagen: Vergiss nicht, sei eingedenk dessen, was deine, was meine Väter miteinander erlebt, gelitten und wie sie sich gefreut und wieder geweint haben. Es ist der Ausdruck der stärksten Zusammengehörigkeit, der geheimnissvolle Zug mitfühlender Teilnahme des Einzelnen für das Geschick des Bruders.“


Seinen höchsten Triumph musste natürlich dieses jüdische Herz iin Familienleben feiern. Dort, im Ghetto, ist es, dass des vielgeplagten, oft erst spät Freitag Nachmittag heimkehrenden Gatten ein warmer Empfang harrt, dass das Weib, sabbatlich geschmückt, auf der Schwelle des Hauses wartend, ihm die vor Lust zappelnden Kleinen entgegenhält, dass er sich von fern schon überzeuge, dass Mutter und Kinder wohlauf sind. Dort im Ghetto auch treffen wir die großen Frauennaturen an, die ja nicht minder in der Gasse, wie auf den bevorzugten Höhen der Menschheit zur Entfaltung gelangen. Da geschieht's, dass die zartfühlende Gattin ihren geheimen Kummer vor dem Mann verschweigt, dass, wenn etwa die Ehe sie mit einem Verworfenen zusammengeschmiedet hat — und das war im Ghetto der Spieler schon — , dass sie ohne Klage das Elend trägt und eine wunderbare Scheu hat, dem Manne auch nur seine Leidenschaft vorzuhalten, dass sie eher gestorben wäre, als dass sie das Wort „Spieler“ auf die Lippen gebracht hätte, und ihre ganze Sorge sich nur noch darauf konzentriert, mitten in dem wüsten Leben solcher Ehe die Kinder gut und fromm zu erziehen, bis es gelingt, sie zu Spiegelbildern der Mutter zu machen. Nicht etwa dass das Ghetto erst die Wiege des jüdischen Familiensinns gewesen wäre, aber wahr ist's, das vielfache Weh, welches die Ghettomauern umschlossen, war wie der Kitt des jüdischen Hauses; draußen eine kalte, lieblose Welt, was blieb dem Juden anders, um sich daran anzuklammern, als die Familie? Also erstarkte in ihm auch der Zug zur Familie. Die aufopfernde Familienliebe, das dauernde Erbe Israels, zeigt sich nach dem Zugeständnisse eines Gregorovius nirgends so mächtig, als hier im Ghetto. Und da endlich der Morgen politischer Freiheit auch für die Gasse anbrach, da mochte es gerade dieser Zug sein, welcher, wie Kompert treffend bemerkt, speziell das deutsche Volk, diesen treuesten Hüter des Familienlebens, bewog, offen, herzlich und brüderlich die Arme denen zu öffnen, die gleich ihnen am lohenden Feuer des häuslichen Herdes ihren liebsten Sitz haben.

In seinen Erzählungen begegnen uns keine denkwürdigen Glaubenshelden, wie etwa in Gutzkows Drama: „Uriel Akosta“, keine hervorragenden Bösewichter, wie z. B. in Karl Spindlers ,,Zaudeke“, sondern einfache, schlichte Leute aus dem Volke, sowie aus dem Bürger- und Gelehrtenstand. Höchstens so ein „Randar“, so ein Dorfrothschild oder ein Rabbiner bezw. eine Rabbizin. Aber gerade diese Tendenzlosigkeit, die rührende Art der Erzählung, der religiösfromme Sinn und die wahrhaft poetischen Schilderungen, die aus dem Leben gegriffenen Gestalten und Figuren machen diese Ghettodichtungen des Verfassers zu Kunstwerken von unvergänglichem Wert.

Auf dem Gymnasium zu Jungbunzlau zählte Leopold Kompert zu seinen Mitschülern manche Talente, die sich später als Dichter einen glänzenden Namen erwarben, so z. B. Moritz Hartmann und Isidor Heller. 1838 bezog er die Prager Hochschule, die Not des Daseins veranlasste ihn jedoch, zu Fuß nach Wien zu wandern, um sich dort eine Stellung zu suchen. Zwei Jahre war er als Hofmeister, wie man in Österreich die Erzieher nennt, im Hause eines dortigen Kaufmanns tätig. 1848 wandte er sich der Journalistik zu und war einige Jahre hindurch Redakteur des „Österreichischen Lloyd“ in Wien. In Anerkennung seiner literarischen Tätigkeit und seines gemeinnützigen Wirkens erhielt er vom Kaiser von Österreich den Titel eines Regierungsrats.

Kompert gab mehrere Jahre hindurch ein „Jahrbuch für Israeliten“ heraus.