Kohn, Salomon (1822-1904) österreichischer Kaufmann und Schriftsteller

Habent sua fata libelli, dieses Wort kann man auch auf den Erstlingsroman: „Gabriel“ des bedeutendsten Ghettodichters in der Gegenwart, Salomon Kohn — geboren 8. März 1822 in Prag, wo er noch lebt — anwenden. Der Verfasser verfasste denselben für die nur für einen engen Leserkreis bestimmte Sammlung Sippurim, worin er 1853 unter den Initialen: S. K. schrieb. „Gabriel“ blieb sehr lange Zeit ganz unbeachtet, bis er plötzlich sich aus eigener Kraft emporhob und im Triumphzug die g'anze gebildete Welt überschritt und in alle Kultursprachen übersetzt wurde. Der Verfasser selbst erfuhr erst nach zwei vollen Jahrzehnten zufällig, dass dem bisher unbekannten Buche die Ehre zu Teil geworden war, in der Tauchnitz „Collection of German Authors“ den Meisterwerken der deutschen Dichterfürsten Goethe, Schiller u. a. als achtes Werk angereiht zu werden, eine Auszeichnung, die von den damals Lebenden nur noch Heyse und Ebers zu Teil wurde. Die vortreffliche englische Übersetzung hatte Prof. Arthur Milman in London geliefert. Der ebenso späte als seltene Erfolg veranlasste den Verfasser, die Schriftstellerei zu seinem eigentlichen Lebensberuf zu erwählen. In der Vorrede zu seinem 1875 erschienenen Roman: „Ein Spiegel der Gegenwart“ lüftete er seine Anonymität und bekannte sich als Verfasser von „Gabriel“. Nun wurde er von allen Seiten bestürmt, eine neue deutsche Ausgabe zu veranstalten, und so erschienen denn in dem genannten Jahre gleichzeitig drei neue Auflagen in drei verschiedenen Sprachen: deutsch, englisch und hebräisch, in drei Weltteilen: Europa, Asien und Amerika. Auch wurde der Roman ins französische und holländische übersetzt. Rudolf Gottschall schrieb damals in den „Blättern für literarische Unterhaltung“: „Es ist beispiellos in der Literaturgeschichte eines Volkes, dass ein Buch erst durch Übersetzungen in fremde Sprachen in der Heimat bekannt wurde“, und Julius Rodenberg richtete an den Verfasser eine Zuschrift, worin es u. a. heißt: „Ich suchte den anonymen Verfasser auf der ganzen Welt vergeblich auf. Sie waren mir fast wie eine mythische Person erschienen. Ihr Buch war in Amerika bekannter und verbreiteter als in der Heimat.“

Sowohl „Gabriel“ als auch die „Prager Ghettobilder“ Salomon Kohns werden auf der Liste der 100 besten Werke der Weltliteratur aufgeführt.


Was die literarische Thätigkeit Kohns betrifft, sei noch erwähnt, dass er in Buchform 15 Werke in 23 Bänden und in Zeitungen und Journalen 55 Romane, Erzählungen und Novellen veröffentlicht hat. Außer dem „Gabriel“, „Spiegel der Gegenwart“ und „Prager Ghettobilder“ sind noch zu nennen: „Die Starken“, „Die silberne Hochzeit“, „Gerettete Ehre“, „Des Stadtschreibers Gast“, „Neue Ghettobilder“, „Alte und neue Erzählungen aus dem böhmischen Ghetto“, „David Speier“, „Ein deutscher Minister“, „Der alte Grenadier“, „Die fidelen Alten“, „Ein deutscher Handelsherr“, „Fürstengunst“ und „Judith Lörach“. Seine Werke sind in fast alle lebenden Sprachen übersetzt worden, und der Präsident des Prager Schriftsteller-Vereins „Concordia“ konnte am 70. Geburtstage des Dichters in seiner Beglückwünschungsrede mit Fug und Recht das Wort aussprechen: „In Ihrem Leserkreise geht die Sonne nicht unter.“

Es muss zur Charakteristik des Dichters besonders hervorgehoben werden, dass die Tendenz all' seiner Romane stets eine sittliche ist, dass dieselben durchweg durch ihre Eigenart sich auszeichnen, und dass Stoffe behandelt werden, die von anderen Autoren noch nicht in den Kreis ihrer Bearbeitungen gezogen wurden. Salomon Kohn hat das Bestreben, das Interesse seines Lesers in steigendem Masse zu erregen, ihn durch eine reiche anziehende Handlung zu fesseln und den bis zu scheinbarer Unentwirrbarkeit geschürzten Knoten plötzlich in überraschender und befriedigender Weise zu lösen. Seine Romane sind so stoffreich, dass man aus jedem ein halbes Dutzend neue Romane fabrizieren könnte.

Eine kleine, wahre, dem Leben entnommene Anekdote möge zur Kennzeichnung wie der eig-enartigen Spannung, in welche die Erzählungskunst Salomon Kohns versetzt, hier mitgeteilt sein: „Dr. Wohlstein, seiner Zeit Rabbiner zu Malmö in Schweden, hatte mit seiner Gemalin, einer Tochter des Rabbiners in Schönlanke, deren Eltern und Heimat, und bei dieser Gelegenheit auch den ältesten Mann der Gemeinde, besucht. Als der 88jährige Greis von seinem hohen Alter sprach, behauptete Frau Dr. Wohlstein, sein Äußeres deute mit großer Zweifellosigkeit darauf hin, das er mit Gottes Hilfe noch ein ungewöhnlich langes Leben vor sich habe, worauf der Greis erwiderte: Man darf an den lieben Gott keine allzu unbescheidenen Forderungen stellen. Ich habe ein hohes Alter erreicht und sehe dem Tode ruhig entgegen ... nur eins möchte mich verdriessen. Ich lese den jetzt im „Israelit“ erscheinenden Roman „David Speier“ von Kohn. Ich habe in meinem ganzen Leben noch kein Buch gelesen, das mich in solche Spannung versetzt hätte. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie der Roman befriedigend enden kann, und es würde mir leid tun, wenn ich aus dem Leben schiede, ohne den Roman zu Ende gelesen zu haben!“

Als einziges Kind seiner Eltern für den Kaufmannsstand bestimmt, studierte Salomon Kohn doch bis in sein 22. Jahr, und bildeten mathematische Fächer die Hauptgegenstände seines Interesses. Von 1844 — 1846 besuchte er die Prager Universität unter Prof. Kullik, unter dem Direktor der Sternwarte, Prof. Krell, der höheren Mathematik, Physik und Astronomie sich widmend. Er trat dann in das väterliche Geschäft, wurde Theilhaber desselben und übernahm es nach dem Ableben seines Vaters.

In Prag erfreut sich der greise Dichter und bescheidene, liebenswürdige Mensch des Vertrauens seiner Mitbürger. So ist er z. B. nun schon seit mehr als drei Jahrzehnten Mitglied der dortigen Kultusgemeinderepräsentanz. Zu seinem 70. Geburtstage wurde ihm unter vielen anderen Ehrenbezeugungen auch die zu Teil, von dem dortigen „Verein zur Förderung und Verbreitung der jüdischen Wissenschaft“ zum Ehrenmitglied gewählt zu werden, eine Auszeichnung, die ihm um so wertvoller erschien, als der erste seiner drei verewigten, succesive aufeinanderfolgenden Vorgänger in dieser Ehrenstelle der unsterbliche Sir Moses Montefiore gewesen. Einige Zeit gehörte er auch dem Vorstande des Prager Zweigvereins der Schillerstiftung an.