Janin, Jules (1804-1874) französischer Literaturkritiker und Schriftsteller

Ein Fürst der französischen Kritiker, wie er sich selbst genannt, der durch seine Leistungen im Fache der Kritik ein ganz neues Genre geschaffen und als solcher in der französischen Literatur geradezu epochemachend gewirkt hat, war der geistvolle, witzige, pikante Feuilletonist und Romanschriftsteller Jules Janin, geboren 16. Februar 1804 zu St.-Etienne (Loire) und gestorben 19. Juni 1874 in Paris (Passy). Seine Werke bilden eine ganze Literatur. Von seinen bedeutendsten Romanen nennen wir ein ironisches Phantasiestück: „L'âne mort et la femme guilletoniée“, „La Confession“, „Barnave“, „Contes fantastiques“, „Contes noveaux“, „Un coeur pour deux amours“, „Le chemin de traverse“, „La religieuse de Toulouse“, „Les oiseaux bleus“, „L'Interné“, „Voyage de Victor Ogier en Orient“ und „Les catacombes“. Er schrieb ferner zahllose Feuilletonartikel, die als verschiedene Sammelwerke erschienen, und von denen das bedeutendste seine sechsbändige „Geschichte der dramatischen Literatur“ ist. Daran schloss sich eine Reihe literarisch kritischer Arbeiten und Texte zu illustrierten Büchern an, sowie eine Unzahl von Vorreden, Einleitungen und Essays zu „Werken der Zeitgenossen“ und neuen Abdrücken älterer Schriftsteller, sowie Artikel für fast alle literarischen Zeitungen und Revuen, Magazins und Albums Frankreichs. Dann verfasste er zahlreiche, sehr anziehende Sitten- und Reisebilder, übersetzte „Ciarisse Harlowe“ von Richardson und liess gemeinschaftlich mit Philippe Chasles und Teophile Gautier „Les beautés de l'opéra“, sowie mit A. Houssaye und St. Beuve unter dem Gesamttitel: „L'histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut“ (Fragmente über Manon Lescaut) erscheinen.

Sein Vater, ein Advokat, schickte ihn nach Paris, um dort an dem Kollegium Louis le Grand seine Bildung zu vervollkommnen. Neben Lerminier und St. Beuve war auch der später als Mörder so berüchtigte Lacinaire sein Mitschüler. Nachdem er einige Jahre hindurch kümmerlich vom Stundengeben gelebt hatte, griff er zur Feder. Wie er selbst einmal erzählt, hat ihn der Anblick einer schönen Schauspielerin am Arm eines Journalisten vor dem Theater Feydau durch die Vorstellung, die er in ihm von dem „Glanz des Schriftstellerlebens“ weckte, zuerst auf den Gedanken gebracht, ausschließlich von der Feder zu leben, und sein beißender Witz verschaffte ihm sehr bald Zutritt bei der Presse. Er war zuerst Mitarbeiter an dem freisinnigen Oppositionsblatt „Figaro“, dann an dem Regierungsblatt „Quotidienne“ und schließlich am „Journal des Debats“. Fast 40 Jahre führte er in dieser einst so einflussreichen Zeitung das Amt des Bücher- und Theaterkritikers und seine von Geist sprudelnden Plaudereien wurden sehr fleißig gelesen, ohne dass er jedoch, da Charakter seine schwächste Seite war und er seine Überzeugung sehr oft zu wechseln pflegte, auf den Geschmack des Publikums einen heilsamen Einfluss geübt hätte. Auch galt ihm der Stoff nichts, die Form war ihm alles und nebenbei auch der klingende Erfolg. Seine Vorgänger, die sich durch Gelehrsamkeit, kritischen Scharfsinn, feingebildeten Geschmack und Belesenheit ausgezeichnet hatten, waren bald vergessen, denn das heitere Geplauder, die bunten Einfälle und der sprühende Witz Jules Janins blendeten und ergötzten das Publikum in dem Masse, dass bei der Neigung der Franzosen zu Causerie man keinen kritischen Maßstab an seine Leistungen legte. Doch waren die Rosen dieses Rezensenten nicht ohne Dornen. Am 16. Oktober 1841 heiratete Jules Janin eine jung-e, hübsche und reiche Erbin und war taktlos genug, im Journal des Debats anstatt des literarischen Feuilletons einen bis auf's kleinste — indiskret — ausgemalten Bericht über sein eheliches Leben zu geben. Dieser eigenthümliche Artikel, dem er den Titel: „Die Heirat der Kritik“ gegeben, erhielt von Rolle, einem der Herausgeber des „National“, eine geistvolle und vernichtende Antwort, in Folge deren Jules Janin in der Presse lange Zeit den Spitznamen: „Die verheiratete Kritik“ behielt. 1844 verwickelte ihn ein heftiger Ausfall gegen die Männer und die Grundsätze der Revolution, zu dem er sich bei Gelegenheit der Darstellung des „Tiberius“ von Chenier veranlasst gesehen, in einen literarischen Streit mit seinem alten Freund und Herausgeber der republikanischen „Reform“, Felix Pyat, der dem Kritiker seine eigene oppositionelle Vergangenheit vorhielt und die politischen Inkonsequenzen seiner Laufbahn schonungslos enthüllte. Jules Janin antwortete nicht mit der Feder, sondern verklagte seinen Gegner und den Geranten der „Reform“ vor dem Zuchtpolizeigericht zu Paris, welches den einen zu 100, den anderen zu 300 Frs. Strafe verurteilte.


Das war kein Heldenstück, Octavio!