Vom Menschenraub der Zwerge auf Sylt*).

Die Zwerge stahlen oft ungetaufte Kinder aus den Wiegen und legten statt derselben ihre krüppelhaften Wechselbälge hinein. Von diesen Verwechslungen leitete man daher in alten Zeiten den Übelstand ab, dass es verhältnismäßig viele Missgestalten unter den Einwohnern der Insel gab. Um die Verwechslungen zu verhindern, wurden die neugeborenen Kinder nicht selten noch im vorigen Jahrhundert am Tage nach ihrer Geburt, spätestens am dritten, getauft. Jedenfalls wurden sie bei Tage und bei Nacht, so lange sie ungetauft waren, sorgfältig bewacht. Man legte ihnen zum Schutz eine Bibel in die Wiege. Einst wäre es aber beinahe den Zwergen gelungen, aus einem Haus zu Keitum sogar eine Wöchnerin zu rauben. Der Gatte kehrte jedoch noch zeitig genug vom Feld, woselbst er beschäftigt gewesen war, heim, um die Räuber zu verjagen, und seine Frau aus dem Netz, in welchem sie fortgeschleppt werden sollte, zu befreien. Als die Zwerge auf ihrer Flucht einen Augenblick inne hielten, rief einer derselben dem siegenden Ehemanne zu:

„Desmal heest dü wonnen, man sa bald üs dü aur din Wüf flöckst, da sünkt jü deal ön de Grund, en kumt nimmer wedder ap.” (Dieses Mal hast Du gewonnen, aber sobald Du über Deine Frau einen Fluch aussprichst, wird sie in den Grund hineinsinken und nimmer wiederkommen.) Einige Zeit darauf besuchte die Frau eine Gevatterin und blieb ihrem Manne zu lange aus, so dass er darüber erzürnt bei ihrer Rückkehr in die Worte ausbrach:


„Hur heest du Düwel sa lung wessen?” (Wo bist Du Teufel so lange gewesen?) Darauf verschwand die Frau und kam nie wieder zum Vorschein.

*) Vergl. Müllenhoff Nr. 421.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zwergen-Sagen aus Nordfriesland
Sylt - Insel aus der Vogelperspektive

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Sylt - Friesenlandschaft

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Sylt - Friesenhaus in Keitum

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Sylt - Stammhaus der Uven

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Sylt - Westerland

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