Die Meerweiber*).

Merkwürdig ist bei allen diesen Zwergensagen, dass fast ausschließlich von Zwergen und nicht häufig von Zwerginnen die Rede ist, welche auf dem Lande wohnen und tätig sind; während auf dem Meere am Bord der Schiffe der Klabautermann sein Wesen treibt und die sonstigen Erscheinungen, welche der Seemann auf dem Meere zu haben wähnt, weiblichen Geschlechts sind und darum als „Meerwüffen” (Meerweiber) dargestellt werden. Sie werden als schöne, den Menschen ähnliche Geschöpfe beschrieben, mit menschlichen Gesichtern, Augen, Armen und Händen, mit langen Haaren und mit Brüsten ähnlich den Weibern, aber statt der Beine mit einem Fischschwanz, mit Schuppen und Flossen versehen. Das Erscheinen der Meerweiber am Bug segelnder Schiffe oder auf einer Wellenspitze deutet auf einen nahen Sturm und veranlasst nicht selten Einziehung der überflüssigen Segel des Schiffes durch die Schiffsmannschaft. Sylterinnen trugen einst eine auf den Strand gespülte Meerfrau ins Dorf, beeilten sich indessen das auf dem Lande ruhelose Geschöpf seinem Element zurückzugeben. Von dem weitverbreiteten Aberglauben an diese Meerweiber und Wasserjungfern zeugt der Umstand, dass auf dem Gehäuse fast aller zu Anfang dieses Jahrhunderts aus Holland nach Nordfriesland gebrachten Wanduhren zwei Bilder von Meerweibern angebracht sind. Eine ähnliche Verwendung der Bilder von Zwergen, Hausgeistern und Klabautermännchen scheint indessen nicht stattgefunden zu haben, obwohl die Sagen, welche von diesen Zwergen handeln, zahlreicher sind als diejenigen von den Wasserjungfern und Meerfrauen.
Oevenum bei Wyk auf Föhr.

*) Müllenhoff Nr. 453.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zwergen-Sagen aus Nordfriesland