Zwergen-Sagen aus Nordfriesland

Aus: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1892. 2. Jahrgang
Autor: Jensen, Christian (1857-1936) Lehrer, Heimat- und Friesenforscher, Erscheinungsjahr: 1892

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sagen und Märchen, Zwerge, Unterirdische, kleine Menschen, Höhlen, Föhr, Amrum, Helgoland, Brecklum, Nordfriesland, Friesen, Niss Puck, Heldengestalten, Klabautermänner, Klabautermännchen,
Der Afrikareisende Mr. Stanley berichtete in seiner Rede, welche er bei der Festlichkeit hielt, die ihm zu Ehren die Geographische Gesellschaft zu London gab, dass er und seine Begleiter auf der letzten Reise in der Nähe des Dorfes Avetiko am Ituri die ersten Zwerge gefunden hätten. Sie durchzogen mindestens 100 Dörfer, welche von Zwergen bewohnt waren. Er beschreibt diese kleinen Menschen, welche nur 39 bis 50 Zoll maßen (12 engl. Zoll = 30 ½ cm) folgendermaßen:
„Die Hautfarbe ist ein lichtes Rötlich-Braun; sie sind außerordentlich gleichmäßig gebaut und könnten, wenn es nicht um ihre Kleinheit wäre, für normale Menschen gelten. Sie führen ein nomadisches Leben, sind die Zigeuner des Urwalds und bei den anderen Eingeborenen des Urwalds, die kleine Flächen der Wälder gelichtet und bebaut haben und sich durch großen Fleiß auszeichnen, verhasst, da sie stehlen, wo sie können. Sie erweisen sich auch nützlich, indem sie die Mitbewohner des Urwalds von dem Herannahen feindlicher Stämme verständigen und ihnen bei der Verteidigung helfen. Sie fangen auch Wild und Vögel, und versorgen mit dem Fleisch und den Federn ihre großen Mitbrüder. Beim Marsche laden die Zwerge die Lasten den Frauen auf. Einzelne von ihnen kannten die nützlichen wilden Pflanzen und die essbaren Schwämme.” Stanley sagt, diese kleinen Leute hätten die Herrschaft über ihr Land 50 Jahrhunderte behauptet, und ihr Geschlecht habe die stolzen Pharaonen, das auserwählte Volk von Palästina, die Könige von Babylon, Niniveh, Persien und die Reiche von Rom und Macedonien überlebt.

Mich erinnerte diese Schilderung lebhaft an die Sagen, nach welchen unser deutsches Vaterland einst auch von Zwergen bewohnt war, die in den Wäldern, nicht selten auch in Höhlen hausten. Waren nicht diese auch hilfreich, wenn ihre größeren Mitbrüder angefochten wurden? Ob Siegfried, die reinste Heldengestalt unserer Sage, ohne den Zwerg den Drachen besiegt hätte? Aber auch manche andere Eigentümlichkeiten, wie sie Stanley an den afrikanischen Zwergen sah, treten uns entgegen, wenn wir den Zwergsagen in Nordfriesland nachgehen, wie sie von den Unterirdischen, Onnerbalkissen, Onnerbänkissen, Otterbaankin (Föhr und Amrum), Önnereesken (Sylt), Aennerbansken (Helgoland), Unnerbiertswogter (Wiedingharde), Onnerêrsken (Brecklum) etc., erzählt werden.

Was zunächst die Gestalt der Zwerge betrifft, so heißt es darüber: Sie hatten einen großen Kopf und kurze krumme Beine. Vom Niss Puck wird außerdem erzählt, dass er lange Arme, kurze Beine, einen großen Kopf, aber kleine kluge Augen gehabt habe. Im Sylter Sprichwort sagt man heute noch: „Hi glüüret üs en Puck!” und bezeichnet damit ein anhaltendes, scharfes Sehen. Sie waren klein von Gestalt, aber sehr stark. Über die Kleidung heißt es fast übereinstimmend, sie habe aus einer roten Jacke und einer kleinen spitzen Schlafmütze auf dem Kopfe bestanden und zwar war diese gewöhnlich auch von roter Farbe. Der Puck scheint hier eine Ausnahme gemacht zu haben, da er eine rote Haube, eine kleine grüne Jacke und rote Hosen anhatte. Die Aennerbansken auf Helgoland waren mit roten Beinkleidern und grünen Mützen bekleidet. — Als Fußbekleidung trug Puck große weiche Pantoffeln, auf welchen er auf Böden und Treppen umherschlarrte.

Sonach benutzte er als Wohnung die Häuser der Menschen, während sonst Grabhügel und Grabkeller, die Kliffe und Ufer der Inseln, kleine Hügel des Festlands die beliebteste Wohnung der kleinen Leute waren; auf Helgoland hatten sie ihren Hauptsitz unter der großen Treppe*). Nach der Sage waren sie früher als die Menschen erschaffen, konnten sich unsichtbar machen, waren kräuterkundig und mit Wunderkräften begabt, liebten Tanz und Musik. Sie waren äußerst geschäftig, verfertigten allerlei künstliche Schmiede- und Töpferarbeiten**). Den Glockenton und die ackerbauenden Menschen mochten sie nicht leiden, doch kam es vor, dass sie sich mit Töchtern der Menschen verheirateten.

Sie stahlen gern Menschenkinder und verwechselten sie mit ihren eigenen verkrüppelten Kindern***). Dies gelang ihnen allerdings nur, wenn die Menschenkinder noch ungetauft waren. Diese wurden auch geschützt durch eine Stopfnadel, welche man in die Windeln steckte, durch eine kreuzweise vor die Wiege gelegte Scheere, durch ein auf die Wiegenkante aufrecht (mit der Spitze nach oben) gestelltes Messer (also durch Metallsachen), durch eine in die Wiege gelegte Bibel, durch ein brennendes Licht, das Bestreichen der Füße des Kindes mit Butter (Helgoland). In ihrem Bestreben, die Menschen zu ärgern, pressten sie durch ihre Fußtritte aus den niedrigen Gegenden der dünnen Erdscheibe das überflüssige Quell- und Flusswasser heraus. Als beliebte Nahrung der Zwerge wird Brei, mit einem guten Stück Butter darin, genannt. Aus dem häuslichen Leben der Unterirdischen ist uns ein Wiegengesang erhalten, ebenso das Lied eines glücklichen Freiers, und die Beschreibung einer Zwergenhochzeit.

*) Oetker, Helgoland, Berlin 1855, S. 193.
**) Von diesen findet man im Morsumkliff und den Ufern von Föhr und Amrum noch große Mengen in Gestalt von Röhren, Dosen, Töpfen, Kugeln u. s. w. und nennt sie auf Sylt Ünnereeskpottjüg, auf Amrum Traaldasker.
***) Vergleiche Jensen, Die nordfriesischen Inseln Sylt, Föhr, Amrum und die Halligen vormals und jetzt. Hamburg 1891. Verlagsanstalt und Druckerei Aktien-Gesellschaft (vormals J. F. Richter). S. 219 ff., wo ich im Abschnitt „das Kind in Brauch und Sitte” diese Dinge erwähnte.


Die letzten Zwerge fanden ihren Tod durch das Feuer, nachdem sie durch aufgestellte Räder, deren Speichen Kreuze bilden, an der Flucht gehindert worden waren.

Nach Kielholts Aufzeichnungen hießen auf Sylt die Puken: „Huspuken“, auf den Schiffen dagegen „Klabautermännchen“, und diese waren den Zwergen verwandte Männlein. Sie lebten vereinzelt, waren selten sichtbar, oft aber durch Poltern hörbar und durch ihre Taten bemerkbar. Ihre Wohnung hatten sie in Scheunen, Ställen, auf Böden und Schiffen und leisteten nicht selten, wenn ihnen nichts zu Leide getan wurde, hilfreiche Hand. Hans Kielholt sagt von ihnen:
„Ick heb twar wonderlicke Dingen gehört und vormerket, sonderlich fan de Huspuken, de hier in etlicke huyser gewesen sint, und seggen my, wo wol ick et nicht gelouen kan, dat dar sint fan de Puken gewesen, de etlicke worden mit de luden gespraken hebben oder geredet.“

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Die nachfolgend mitgeteilten Sagen entstammen großenteils einem handschriftlichen Sagenbuche C. P. Hansens, die übrigen habe ich bei Gelegenheit der Stoffsammlung für mein schon genanntes Buch gefunden.

Jensen, Christian (1857-1936) Lehrer, Heimat- und Friesenforscher

Jensen, Christian (1857-1936) Lehrer, Heimat- und Friesenforscher

Nordseeküste, 001 Helgoland, Unterland und die Düne

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Nordseeküste, 002 Strand von Wyk auf Föhr

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Nordseeküste, 004 Rettungstation Borkum Süd

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Nordseeküste, 005 Boot zu Wasser

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Nordseeküste, 006 Versandetes Wrack

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Nordseeküste, 007 Postfahrt durch das Wattenmeer im Sommer

Nordseeküste, 007 Postfahrt durch das Wattenmeer im Sommer

Nordseeküste, 008 Postfahrt durch das Wattenmeer im Winter (Von Dagebüll nach Föhr)_

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Nordseeküste, 009 Eine Hallig bei Sturmflut_

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Nordseeküste, 010 Eine Halligwerft nahe vor dem Einsturz (Langenetz)

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Nordseeküste, 015 Mädchen in Römertracht_

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Nordseeküste, 016 Strand von Sylt zur Zeit der Flut_

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Nordseeküste, 018 Kurhaus in Westerland

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Nordseeküste, 020 Leuchtturm bei Kampen_

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Nordseeküste, 034 Hauser der Hallig Gröbe

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Nordseeküste, 029 Strand von Wyk auf Föhr

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Nordseeküste, 043 Kaiser Wilhelms-Kanal, Brunsbüttler Schleuse_

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Nordseeküste, 036 Einholen des Netzes beim Sandspierenfang

Nordseeküste, 036 Einholen des Netzes beim Sandspierenfang