Fortsetzung

Doch ganz Mainz konnte man in diesen Tagen einen Ort des Jammers nennen, ganze Straßen waren in Folge des Bombardements niedergebrannt und jammernd standen die Zurückgekehrten und Dagebliebenen an den Schutthaufen, die Furien des Hasses waren losgelassen, und die Wut des Volkes wendete sich gegen die Clubbisten. Aus ihren Verstecken gerissen, wurden sie unter tausend Misshandlungen vom Pöbel zur Wache geschleppt, und hier und da die Plünderung ihrer Häuser versucht. Ich könnte mich nicht erinnern, dass einer dieser Männer seinen Mitbürgern eine spezielle Veranlassung zum Hasse gegeben hatte, ihr Verbrechen war ihre politische Meinung — eine ebenso große Sünde als das kirchliche Ketzertum. Gleich bei meinem Eintritt in die Stadt trat mir eine solche Szene vor Augen: der Buchbindermeister Zech, ein Clubbist, aber sonst ein ehrlicher Mann, ward halb entkleidet von einem Pöbelhaufen über die große Bleiche nach der Münstertor-Wache geführt, das Gesicht strömte voll Blut, und die Fäuste seiner Peiniger fielen fortwährend auf ihn herab, er wurde dann, wie alle seine Genossen eingekerkert, seine Frau als Gefangene im Zuchthause und seine Kinder im Armenhause untergebracht, bis zum Jahre 1794, wo die Franzosen Mainz wiederum von der Landseite blockierten und sämtliche Clubbisten in Folge einer Konvention in Freiheit gesetzt und nach dem französischen Vorposten gebracht wurden.

Meines Lehrmeisters fahrende Habe war in seiner Mietwohnung mit verbrannt, und auf sein Nachsuchen ward ihm die Wohnung und das Werkzeug des inhaftierten Buchbinders Zech von dem kriminal-Senat zum Gebrauch übergeben. Unser Geschäft ward nun ein lebendiges, aber leider ohne sonderlichen Vorteil für mich; drei und vier Gesellen waren in der Werkstelle meines Lehrmeisters tätig und ich durfte nicht müßig sein; jetzt hieß es: „Adam, hole ein Buch Marmorpapier, dann ein Büchlein Gold, Pappen" u. s. w.; dann musste ich die Hausbedürfnisse kreuzerweis herbeiholen, blieb so selten eine Stunde anhaltend bei der Arbeit, und war den beliebigen Anweisungen der öfters wechselnden Gesellen, überlassen. Kein Wunder war es, dass ich, wenn ich zumal bei nasskalter Herbstwitterung die Hälfte des Tages auf der Straße zubringen musste, verdrossen und träge verrichtete, was ich zu verrichten hatte. Ich sah ein, dass ich nichts lernen konnte, aber wer sollte mir helfen? Auch mein Bruder war nicht mehr in Mainz, sondern in Bingen ansässig; ich würde noch unwissender aus der Lehre gekommen sein, als es der Fall war, wenn sich nicht ein Geselle, der ein Jahr lang bei meinem Lehrherrn arbeitete und ihm seiner Geschicklichkeit wegen unentbehrlich war, meiner angenommen hätte. Er unterrichtete mich, und nie erhielt ich ein hartes Wort von ihm, aber sein tadelnder Blick tat mir weher, als alle Schläge meines Lehrmeisters. Mit inniger Liebe hing ich an ihm, denn er war der einzige Mensch, der es zu jener Zeit gut mit mir meinte, der mich freundlich belehrte und warnte. Sein Abschied versetzte mich in lange Trauer; häufig habe ich, als ich selbst in die Fremde ging, mich nach dem guten König, dem Heidelberger, erkundigt; aber er blieb für mich verschollen.


Als nach Durchbrechung der Weißenburger Linien die Franzosen im Jahr 1794 die Stadt Mainz wieder blockierten, schwand unsere Arbeit von Tag zu Tag, so dass ich meinem Lehrherrn am Ende ein überflüssiger Esser wurde, er ließ mich daher im Anfange des Jahres 1795 lossprechen und ich ging den zweiten Februar, fünf Wochen vor dem Antritt meines sechzehnten Jahres, in die Fremde.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zweites Kapitel. Die Lehrjahre. 1792 — 1795.