Zweites Kapitel. Die Lehrjahre. 1792 — 1795.

Aus: Wanderungen und Lebensansichten des Buchbinder-Meisters Adam Henß, Stadtältesten und Landtags-Abgeordneten der Stadt Weimar.
Autor: Henß, Adam (1780-1856) Buchbindermeister, Politiker, Publizist, Erscheinungsjahr: 1845
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wanderungen, Lebensansichten, Sitten- und Kulturbild, Handwerk, Zünfte, Wanderschaft, Geschichte der Mainzer Buchbinder, Stadtältester, Landtagsabgeordneter
Inhaltsverzeichnis
„Ach mein Sohn, wenn du ein Schneider würdest”, sprach meine Mutter, „das ist ein schönes, reinliches Handwerk, man reißt dabei nichts ab und die Schneider gehen immer recht reinlich."

Abgespannt von der langen stillen Wahl, war ich bereit, meine Zustimmung zu geben, als mein zehn Jahre älterer einziger Bruder, der seit mehreren Jahren Buchdruckergeselle war, Einspruch tat. „Nein, das ist nichts für dich, folge mir, werde ein Buchbinder, da hast du immer Bücher in Händen und kannst lesen, wenn du Feierabend hast." Dies Argument schlug durch und ich kam im September 1792 erst zwölf und ein halb Jahr alt als Buchbinder in die Lehre.

In diesem Momente war eine verhängnisvolle Zeit für Europa, ja für die Erde hereingebrochen — es waren die Tage der Kanonade von Valmy, deren Donner zuerst am Rheine und dann allmählich durch ganz Europa widerhallen sollten.

Die untergehende Sonne des deutschen Reiches hatte noch einen Glanzblick auf das alte Mainz geworfen, der deutsche Kaiser, der König von Preußen und mehrere Fürsten waren unlängst in seinen Mauern versammelt gewesen, um den Krieg gegen Frankreich zu beraten. In Folge dessen waren die Truppen des Kurfürsten nach Speyer gerückt, um ein dortiges Magazin decken zu helfen; nur die absolut nötige Wacht-Mannschaft und Invaliden blieben in Mainz — da erscholl die Schreckens-Nachricht: die Truppen bei Speyer sind überfallen, zerstreut und gefangen, und die Franzosen im Anmarsch auf Mainz begriffen.

Das unmöglich Geglaubte war geschehen und nach einigen Tagen standen die Republikaner vor den Toren von Mainz. Die Garnison bestand aus wenigen dienstfähigen Soldaten und Invaliden, welchen eine Compagnie Nassau-Viberacher und eine Compagnie Österreicher, nebst einer Eskadron ungarischer Husaren zu Hilfe zog. Trotz dieser geringen Streitkräfte hielt man es im Volke für unmöglich, dass die starke Festung Mainz von solchem Gesindel, welches Fleisch und Brot auf dem Bajonett gespießt mit sich trug, wovon der Eine Leinwand-und der Andere Tuchhosen trug, das klein und groß in ungleicher Reihe stand, erobert werden könnte. Die Bürgerschaft besetzte wohlgemut die inneren Wachen und verstärkte die Besatzungen der Außenwerke, aber die tiefste Bestürzung ergriff die Einwohner, als nach vier oder fünf Tagen die Stadt durch Kapitulation den Franzosen übergeben wurde.

Bald begann ein neues Regiment; die Convents-Deputierten — Merlin v. Thionville an der Spitze — waren die Könige in Mainz, eine rheinische Nationalversammlung wurde einberufen, eine Munizipalität eingesetzt, ein Jakobiner-Club tat sich zusammen, Klöster wurden aufgehoben, fürstliches und Kirchengut verkauft u. s. w. Die Truppen wurden der Mehrzahl nach in die Kasernen, in die Hotels des Adels und in die Klöster einlogiert, nur wenige wurden bei den Bürgern untergebracht und zwar ohne Verpflegung, weil ihnen Brot, Fleisch und Gemüse geliefert wurde.

Man hat in jener Zeit die Mainzer beschuldigt, sie seien Patrioten (dieser Ehrenname galt damals bei vornehmem und geringem Pöbel als Schimpfwort!), sie seien Jakobiner, Clubbisten, Franzosen, sie hatten Stadt und Festung so schnell übergeben, sie seien keine guten Deutschen und untreu ihren Fürsten — so geht es, wenn durch Fehler der Regierung ein Volk in Feindes Hand gerät, es muss dann diese Fehler doppelt büßen.

Es möge mir erlaubt sein, lediglich aus den Erinnerungen meiner Jugend und der Erkenntnis im späteren Alter die damaligen Zustände zu schildern.

Kurfürst Friedrich Karl Joseph v. Erthal war gewiss der weiseste Fürst, der seit einer langen Reihe von Jahren auf dem erzbischöflichen Stuhl von Mainz saß; er hob Klöster auf und verwendete ihre Güter für die Universität und Volksschulen, — welche letztere er eigentlich stiftete; er zog gelehrte Professoren an seine Universität, er wendete viel an deren Bibliothek und schuf einen botanischen Garten; er beschränkte die Straßenbettelei, gründete eine Armenanstalt, — verbesserte die Waisenanstalten, baute Chausseen, verschönerte die Umgebungen der Stadt durch mannichfaltige Anlagen; er beschränkte die Zahl der Feiertage, und erlaubte am Freitage Fleisch zu essen. Aber seine Weisheit ward zur Sünde in den Augen des betörten Volkes; noch nach mehr als einem halben Jahrhundert tönen mir dessen Urteile, die auch ich damals nachsprach, in die Ohren.
,,Warum hat er die Klöster aufgehoben? ja, Geld wollte er haben, darum hat er ja die reichsten aufgehoben (Jesuiten-, Carthäuser-, Dominikaner- auch Frauenklöster); hätte er die Herren gelassen, sie hätten alle Jahre etwas gespart und ihm gegeben, jetzt ist's auf einmal alle und wozu hat er es gebraucht? — Mit seiner Universität, — was hilft uns das, fremde Professoren hat er kommen lassen, haben wir denn keine Leute hier? und die Juristen (so wurden alle Studenten genannt) sind böse Christen, man sieht's ja, sie gehen wenig in die Kirche und bei der Wandelung (der Akt, wo in der Messe das Brot und der Wein in Fleisch und Blut verwandelt wird) bücken sie sich nur und klopfen stehend an die Brust, aber sie knien nicht nieder, sie und ihre Professoren sind Freigeister — und die Schulen, die waren sonst auch nicht, und unsere Alten sind doch selig geworden. Die armen Leute dürfen jetzt nicht mehr mit dem Kreuze herumgehen, sonst haben sie auf der Gasse laut den Rosenkranz gebetet und was vor die Türe kam, das betete auch sein Krisseistdumaria, da wusste man doch, warum man etwas gab, und wem man es gab; jetzt kommen die Einsammler mit der Büchse, da hört man nichts und weiß nichts — und nun hat er gar den Rolfs, einen Lutheraner aus Sachsen, als Armenvater hergerufen."— Das Aufheben mehrerer Feiertage, die Erlaubnis, am Freitage Fleisch zu essen, fand lebhaften Tadel in den unteren und Mittleren Volksklassen.

So sah Friedrich Karl Joseph seine wohltätigsten Regentenhandlungen und auch sein Privatleben angegriffen und angefeindet; er hatte das Schicksal aller Männer, die ihrer Zeit vorangehen oder aus ihren Verhältnissen heraustreten.

Aber neben diesem trüben Geiste der Masse tauchten auch die Lichtpunkte einer neuen Zeit auf; aus Professoren und anderen gebildeten Männern bildete sich eine „Lesegesellschaft”, deren Mitglieder freilich als „Freigeister" bezeichnet wurden. Noch sind mir die Namen der Professoren Dorsch, Blau, Metternich, Eikemeier und Forster unter dieser Bezeichnung erinnerlich; die Studenten waren ja ohnehin Freigeister, auch in der höheren Weltgeistlichkeit gab es aufgeklärte Männer; ein Pfarrer an der Ignazikirche führte den deutschen Gesang bei der Messe ein, anstatt dass früher der Rosenkranz vor- und nachgebetet wurde, er ließ auf lutherische Art die Nummern der Lieder, welche gesungen wurden, in der Kirche anschlagen, — das war arg! — Voltaire und Rousseau waren in den Bibliotheken der höheren Geistlichkeit keine Fremdlinge und Thomasius, der Hexenbekämpfer, war den Theologen wohl bekannt und von ihnen geschätzt. Auch Spinoza wurde von einem Theologen in unsere Werkstelle gebracht, ich erinnere mich dessen noch gerade durch die anbefohlene Heimlichkeit und die halbleisen Worte meines Lehrmeisters: „Und wenn es der Teufel geschrieben hätte, kümmerte ich mich nichts darum." Der Student sagte: „Ihr Bruder wollte mir eine Bibel nicht einbinden, weil sie von Dr. Luther übersetzt war." Diese mancherlei Lichtpunkte waren nicht ohne Einfluss auf das Volk, sie fanden Eingang in seine Mittelklasse, weshalb denn die Mainzer am Niederrheine als Freigeister verschrien waren.

Die neuen Ideen, welche mit der dreifarbigen Fahne in Mainz zur Herrschaft kamen, fanden da und dort einen vorbereiteten Boden, feurige Männer (wie die oben genannten) sahen den Umsturz des Bestehenden, welches sie mit einem Stoße als völlig vernichtet erachteten, sie wollten fördernd in die Räder greifen und mit glühender Rede auf das Volk wirken.

Noch lebhaft erinnere ich mich einiger Stellen einer Rede des Professors Metternich im Jakobiner-Club, welche mir durch die Lebendigkeit des Vortrags unvergesslich blieb: „Was sollen wir fürchten? Preußen ist vernichtet in der Champagne, Österreich geschlagen, die Niederlande erobert und das heilige römische Reich, welches — unter uns gesagt — weder heilig, noch römisch, noch reich oder ein Reich ist, ja man könnte es das Arm nennen, arm an Geist, Eintracht und Macht u. s. w." In diesem Stile ging die Rede bis zu Ende fort.

Die Mainzer wurden jedoch durch solche Reden wenig erbaut, denn selbst wenn die Fremdlinge etwas Besseres gebracht hätten, so war das Nationalgefühl des Volkes aufs tiefste verletzt und der Hass des Volkes wurde noch geschärft durch die mancherlei Eingriffe in die Verhältnisse der Geistlichkeit und der Kirche.

Demohngeachtet ward der Jakobiner-Club auch aus den Reihen der Bürgerschaft verstärkt; aber nur Wenige traten aus politischer Überzeugung dahin über, Einige aus Unmut, weil die starke Feste Mainz so schnell übergeben worden, und sie jetzt Alles für verloren hielten; aber die große Mehrheit der Beigetretenen suchten Vorteil für ihr Gewerbe oder strebten nach einer Anstellung bei der neuen Organisation aller öffentlichen Verhältnisse.
Für die meisten Gewerbe, die bisher vom Hofe, von dem zahlreichen Adel und von dem nun stockenden Handel gelebt hatten, trat eine schwere Zeit ein, die nicht geeignet war, Sympathien für die neue Republik hervorzurufen.

Auf dem platten Lande hatte das neue Regiment allerdings ein schweres Gewicht in die Waagschale zu legen, alle Feudal-Lasten, Fronden, Zinsen, Zehnten, Laudemium, Besthaupt u. s. w. wurden mit einem Federstrich aufgehoben, aber auch dieses führte nur wenig Sympathien für Frankreich herbei, denn der von der Geistlichkeit angeschürte Hass ließ zumal bei dem Zweifel an die Dauer ihrer Herrschaft eine solche nicht Wurzel fassen.

Für mich, der ich bei dem Einzuge der Franzosen nur seit wenig Wochen in die Lehre getreten war, ging eine harte Zeit an. Die Arbeit schwand plötzlich und mit gesenktem Blicke standen wir in der leeren Werkstelle, ich musste nun das Beil ergreifen und in dem, behufs der Verteidigung der Stadt, demolierten Gartenfelde und in den Weiden am Rheine meinem Lehrmeister das Winterholz sammeln und eintragen.

Die deutschen Armeen hatten sich indessen wieder gesammelt und Mainz war nach wenig Monaten wieder von ihnen blockiert. Wochenlang war oft kein Bogen Papier in der Werkstube und mein Lehrmeister beschloss mit Weib und Kind auszuwandern, um in dem zwei Stunden entfernten Dorf Niederulm bei seinem Schwiegervater die Wiedereinnahme von Mainz abzuwarten. So kam ich wieder in das Brot meiner Mutter zurück.

Eigentliche Not war damals nicht in Mainz, doch gab es keinen Verdienst und Alles wurde um etwas teurer, dazu kam noch die Furcht vor der größer, möglichen Not in der Zukunft, und die Einwohner von Mainz wanderten in großen Scharen aus. Zu diesem Zwecke wurden Konventionen zwischen den Belagerten und Belagerern geschlossen und die Auswanderer nach gefertigten Verzeichnissen übergeben.

Es hatte nun mein Lehrmeister einen Schwager, der, für seine Frau besorgt, diese auch zu ihrem Vater nach Niederulm zu schicken gedachte. Aber sie war eine höchst ängstliche Frauenperson mit zwei Kindern ohne alle männliche Begleitung. Dies schien bedenklich; da ersah der Ehemann den kaum dreizehnjährigen Knaben zu diesem Ritterdienst; seine Vorstellungen, dass ich bei der bedenklichen Zeit meiner Mutter aus dem Brote käme, und bei seinem Schwiegervater wohl aufgenommen sein werde, dass es auch gar nicht lange mehr mit der Belagerung dauern könnte usw., ließ uns seinem Wunsche nachgeben.

An einem Nachmittage zog eine große Schar Auswanderer, geführt von Munizipal-Beamteten, unter militärischer Bedeckung, über die Rheinbrücke nach Castel, und von dort den französischen Vorposten in der Gegend von Biberich zu. Nach ein paar Stunden der Verhandlung zogen sich die französischen Vorposten zurück und die deutschen Truppen übernahmen die Auswanderer.

Mit einem Laufpass versehen, setzten wir unsere Reise fort und erreichten im Bogenmarsch den andern Tag Niederulm, wo ich sauersüß mit der naiven Frage: „Wie willst du dann wieder nach Mainz hineinkommen?" aufgenommen wurde. Augenblicklich erkennend, dass ich nur ungern gesehen sei, antwortete ich ohne Bedenken: „Das ist leicht, ich habe gestern gehört, dass man von hier aus unangefochten nach Mombach kommen kann und dahin kommt täglich zweimal eine französische Patroulle; wie die nach Mainz kommt, kann ich auch hin kommen." Man war in der Begierde, einen Esser los zu werden, so töricht, diese Knabenidee, die so leicht hatte sehr gefährlich werden können, zu fördern, und ich betrat den andern Morgen mit einem Stück Brot und Käse in der Tasche den Rückweg nach Mainz; unangefochten durchschritt ich das Lager auf dem am vorigen Tage begangenen Wege, da kam eine Cavalcade Offiziere quer des Wegs geritten, einer derselben ritt auf mich zu: „Du sollst zu dem General kommen, Kleiner”, redete er mich an. Dieser Befehl war mir sehr unerfreulich; dass ich nach Mainz wollte, durfte ich doch nicht sagen, so viel sah ich ein; der General fragte mich: „Wo kommst du her? — Von Niederulm. — Bist du von Niederulm? — Nein, ich bin von Mainz, ich bin vorgestern mit meines Lehrmeisters Frauenschwester ausgewandert. — Wo willst du hin? — Meine Mutter will heute auch auswandern, da will ich nach Drais (ein Dorf in der Nähe), sie wird da durchkommen und ich will sie da erwarten." — Ein Adjutant redete ein paar freundliche Worte mit dem General, und er sagte: „Nun, dann gehe hin”, und ritt weiter.

Meine Zuversicht war gesunken, aber ich schritt fort auf meinem Wege bis zu einem Punkte, wo derselbe sich teilte. Zwei Feldposten spazierten hier auf und ab, ohne sich um mich zu bekümmern; aber welchen Weg sollte ich nun einschlagen? Das Natürlichste schien mir, die Wachen zu fragen: „Welcher Weg gehet hier nach Drais?" redete ich den einen an. „Dat weiß ich nicht, mein Sohn; Kamerad, bring' doch den Menschen zum Leutnant”, war die Antwort.

Ich musste mich fügen und der Kriegsmann brachte mich zum Wachtposten des Leutnants. Nach vernommenen Rapport sagte der Leutnant: „Bringt den Menschen zum Capitain." Der Capitain schickt mich zum Obersten und der Oberst zum General. Der General war abwesend und ich saß derweilen beim Wachtpiket vor dessen Zelt, und hörte den erbaulichen Gesprächen der Soldaten über Spione, die man gefangen und aufgehängt hatte, mit nicht sonderlicher Andacht zu. Die Sache war mir freilich nicht spaßhaft, doch war ich auch eben nicht ängstlich; da kam endlich der General und es war derselbe, der mich vor einer Stunde examiniert hatte, die Soldaten hatten ihn Kleist genannt — wahrscheinlich war es derselbe, welcher dreizehn Jahre später Magdeburg an die Franzosen übergab. — Nach vernommener Meldung fuhr er mich barsch an: „Wo wolltest du hin?" — Ich erzählte ihm das Wenige, was sich kurz nach seinem Verhör auf dem Felde mit mir zugetragen, und er herrschte dem meldenden Unteroffizier zu: „Lasst ihn laufen."

Mit leichtem Herzen ging ich aus dem Zelte und durch das Lager nach Niederulm zu; bemerkte aber bald, dass mir in ziemlicher Ferne ein Dragoner nachritt, bis zu meinen Eintritt in Niederulm; dort hatte man meine Rückkunft eigentlich schon erwartet, denn ein österreichischer Offizier, der leicht verwundet im Dorfe lag, hatte versichert, mein Unternehmen sei töricht und unausführbar, man war daher ziemlich froh, dass die Sache so abgegangen und nicht eine Untersuchung, die meinem Lehrmeister und seiner Familie jedenfalls unbequem gewesen wäre, zur Folge gehabt hatte.

Mehrere Wochen hatte ich in Niederulm zugebracht, da erwähnte ich meinen Onkel in Alzey. „Ei, das ist ja wahr!" rief die Frau Meisterin aus, „da kannst du ja zu deinem Onkel gehen!" Damit hatte es nun freilich seinen Haken; mein Onkel war Registrator im pfälzischen Oberamt Alzey, ein strenger, ernsthafter Mann, ich war ein Jahr früher einige Zeit lang bei ihm gewesen und mein Knabentun und Leichtsinn hatte mir manche Verweise — und zwar nicht mit Unrecht — zugezogen; ich hatte öfters die Messe, die ich täglich hören sollte, geschwänzt und Verweise erhalten; am Sonntage musste ich nach dem Hochamte auch die Predigt im Kapuzinerkloster hören und sollte vor Tische erzählen, was ich gehört hatte; beim besten Willen und bei aller Aufmerksamkeit, welche ich notgedrungen darauf richtete, war es mir rein unmöglich, den Hauptgedanken einer Predigt aufzufassen; dies war in meinem Alter doch nicht zu verlangen, und einzelne Sätze wiederzugeben, war eben so schwierig, denn da diese im Zusammenhang mit dem Ganzen standen, so verloren sie im Einzelnen ihre Bedeutung und mir entging die Handhabe für mein Gedächtnis. Mein Cousin war stets in gleichem Falle und nie blieb bei ihm die Realstrafe aus, während ich mit derbem Verweise davonkam. Einen dritten Kummer machten mir die Schreibübungen; schon früher habe ich erwähnt, dass ich von Jugend an ein schlechter Buchstabenmaler war, ich glaube fast ohne meine Schuld, denn oft gab ich mir aus Ehrgeiz Mühe, aber steif und hölzern blieben meine Züge. Bei meinem Onkel sollte ich jeden Nachmittag zwei Stunden sitzen und schreiben, die Buchstaben schön malen, die Finger ungebogen an die Feder legen und Zeige- und Mittelfinger nicht mit Tinte beflecken; — dies waren schwere Stunden, in welchen ich mir manche scharfe Rüge zuzog, die ich zuweilen mit unverständigem Trotze beantwortete, kurz, mein Onkel hatte voll Ursache, unzufrieden mit mir zu sein, und ich die gleiche, seinen Ernst und seine Strenge zu fürchten, und nun sollte ich wieder zu ihm! — Doch es half nichts, ich schnürte mein Bündel und ging, unter vielen Seufzern, dass ich nicht alt genug war, mein Brot selbst verdienen zu können. Die Aufnahme bei meinem Onkel war weniger streng, als ich gefürchtet hatte.

Mehrere Wochen waren mir bereits in Alzcy verflossen, als unerwartet auch mein Bruder als Auswanderer erschien. Was macht deine Mutter, fuhr mein Onkel auf. „Sie hat mir befohlen, auszuwandern”, antwortete mein Bruder, „sie wollte nicht, dass ich mich in das rote Buch einschriebe."

Zum Verständnis dieser Antwort sei gesagt: auf Veranlassung des Jakobiner-Clubs waren in dessen Lokale zwei Bücher aufgelegt, ein rotes und ein schwarzes, und alle männlichen Einwohner wurden aufgefordert, sich in das eine oder das andere einzuschreiben, wer sich in das schwarze einschrieb, erklärte sich zum Sklaven und wurde mit der Behandlung eines Sklaven bedroht; wer sich in das rote einschrieb, gab sich als freier Mann und Republikaner zu erkennen. Dass sich Niemand in das schwarze Buch einschrieb, war natürlich, ebenso natürlich war es, dass die Furcht Viele bewog, sich in das rote Buch einzuschreiben; aber wiederum wurde es als ein Ehrenpunkt angesehen, sich nicht einzuschreiben, und die Rede ging, bei der Wiedereinnahme der Stadt würden die im roten Buche Eingeschriebenen zur strengen Rechenschaft gezogen werden, deshalb verlangte unsere Mutter, mein Bruder solle lieber auswandern, als sich in das rote Buch einschreiben; mein Onkel war jedoch damit gar nicht zufrieden.

Nach einigen Wochen erhielt mein Bruder eine Kondition in Frankenthal und ich durch ihn eine Einladung zu einem Verwundeten, von Vaters Seite her, einem Pfarrer in Heßheim bei Frankenthal, wohin ich mich alsbald auf den Weg machte.

Während dieser Zeit war Mainz immer enger eingeschlossen und zuletzt beschossen worden. Eine französische Armee nahte in kurzen Tagemarschen zum Entsatz; aber davon erhielt freilich die Besatzung keine Kunde und der Kommandant schloss eine Kapitulation ab, die der Besatzung freien Abzug gewährte.

Plötzlich erscholl in unserem Asyl eines Abends die Kunde der Übergabe, und der kommende Morgen fand uns auf dem Wege nach Mainz. Das Vorgefühl des freudigen Wiedersehens belebte unsere Schritte; noch war der Zugang zu den Toren nicht frei, aber gegen ein Trinkgeld konnte man den Fußweg durch die Schanzen der Belagerer passieren, und so standen wir nun auf der mittleren Bleiche; da trat uns das bekannte Gesicht einer Nachbarsfrau entgegen. „Ey, Mosje Emmerich”, redete sie meinen Bruder an, „weiß Er denn schon, dass Seine Mutter gestorben ist?" — Ich war wie vernichtet, — ich fühlte mich völlig verlassen, und tagelang konnte ich nicht an die Wahrheit der Tatsache glauben, und als ich mich an den Gedanken, „du hast jetzt auch keine Mutter mehr”, gewohnt hatte, empfand ich tatsächlich immer mehr, was ich verloren hatte.

Maiz - Stadtansicht

Maiz - Stadtansicht

Mainz Kaiserstraße und Christuskirche (3)

Mainz Kaiserstraße und Christuskirche (3)

Mainz - Zollhafen

Mainz - Zollhafen

Mainz - Winterhafen mit Blick auf die Stadt

Mainz - Winterhafen mit Blick auf die Stadt

Mainz - Uferstraße

Mainz - Uferstraße

Mainz - Total vom Stephansturm gesehen

Mainz - Total vom Stephansturm gesehen

Mainz - Stephanskirche

Mainz - Stephanskirche

Mainz - Stadttheater

Mainz - Stadttheater

Mainz - Stadtansicht

Mainz - Stadtansicht

Mainz - Schustergasse

Mainz - Schustergasse

Mainz - Schillerstraße mit Offiziers-Kasino

Mainz - Schillerstraße mit Offiziers-Kasino

Mainz - Schillerplatz und Gouvernementsgebäude

Mainz - Schillerplatz und Gouvernementsgebäude

Mainz - Schillerplatz und Denkmal

Mainz - Schillerplatz und Denkmal

Mainz - Rheinufer - Blick auf das Kurfürstliche Schloss

Mainz - Rheinufer - Blick auf das Kurfürstliche Schloss

Mainz - Rheinquai

Mainz - Rheinquai

Mainz - Rheinbrücke, Blick auf Mainz

Mainz - Rheinbrücke, Blick auf Mainz

Mainz - Rheinanlagen

Mainz - Rheinanlagen

Mainz - Rathaus

Mainz - Rathaus

Mainz - Neues Gymnasium

Mainz - Neues Gymnasium

Mainz - Neubrunnenplatz

Mainz - Neubrunnenplatz

Mainz - Marktplatz

Mainz - Marktplatz

Mainz - Marktbrunnen

Mainz - Marktbrunnen

Mainz - Markt

Mainz - Markt

Mainz - Ludwigstraße

Mainz - Ludwigstraße

Mainz - Liebfrauenplatz

Mainz - Liebfrauenplatz

Mainz - Liebfrauenplatz mit Dom

Mainz - Liebfrauenplatz mit Dom

Mainz - Karmelitenkloster

Mainz - Karmelitenkloster

Mainz - Kaiserstraße und Christuskirche

Mainz - Kaiserstraße und Christuskirche

Mainz - Kaiserstraße und Christuskirche (4)

Mainz - Kaiserstraße und Christuskirche (4)

Mainz - Kaiserstraße und Christuskirche (2)

Mainz - Kaiserstraße und Christuskirche (2)

Mainz - Holzturm

Mainz - Holzturm

Mainz - Holzstraße und Holzturm

Mainz - Holzstraße und Holzturm

Mainz - Hauptbahnhof

Mainz - Hauptbahnhof

Mainz - Gutenbergplatz

Mainz - Gutenbergplatz

Mainz - Gesamtansicht mit Dom

Mainz - Gesamtansicht mit Dom

Mainz - Augustinerstraße

Mainz - Augustinerstraße

Mainz - Bahnhof (2)

Mainz - Bahnhof (2)

Mainz - Bahnhof

Mainz - Bahnhof

Mainz - Christuskirche

Mainz - Christuskirche

Mainz - Der Dom

Mainz - Der Dom

Mainz - Dom und Gutenberg-Denkmal (2)

Mainz - Dom und Gutenberg-Denkmal (2)

Mainz - Dom und Gutenberg-Denkmal

Mainz - Dom und Gutenberg-Denkmal

Mainz - Dom vom Leichhof aus

Mainz - Dom vom Leichhof aus

Mainz - Eiserner Turm

Mainz - Eiserner Turm

Mainz - Erker des alten Gymnasiums (2)

Mainz - Erker des alten Gymnasiums (2)

Mainz - Erker des alten Gymnasiums

Mainz - Erker des alten Gymnasiums

Mainz - Fischertorplatz

Mainz - Fischertorplatz

Mainz - Fischertorstraße und Dom

Mainz - Fischertorstraße und Dom

Mainz - Garnisionskirche

Mainz - Garnisionskirche