Zweck ist das, was man erreichen, Mittel, wodurch, und Absicht, warum man es erreichen will

Aus: Der Sprichwörtergarten - kurze fassliche Erklärung von 500 Sprichwörtern
Autor: Wander, Karl Friedrich Wilhelm (1803-1879) deutscher Pädagoge und Germanist. Er legte die größte existierende Sammlung deutschsprachiger Sprichwörter an., Erscheinungsjahr: 1838
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sprichwörter, Sprichwort, Geist, Witz, Zweck, Arbeit, Geschäft, Beschäftigung, Fleiß, Ausdauer, Verstand
Die Sprichwörter 1—12 sagen im Allgemeinen dass Jemand zur Erreichung seiner Zwecke auch die angemessenen Mittel anwenden müsse. Im Besonderen:

1. Bei der Erreichung eines Zweckes kommt sehr viel auf die Wahl der Mittel an. Ein Mittel reicht selten aus. Mehre derselben müssen gemeinsam wirken. Da genügt es nun nicht, dass einige trefflich gewählt sind, sie müssen es alle sein. Ein einzig verfehltes kann die Wirkung der übrigen guten aufheben. Dies will das Sprichwort sagen:

„Wer schlechtes Pulver hat, dem brennt es auf der besten Flinte von der Pfanne.“

                  ***************************

2. Zuweilen kommt es wohl vor, dass Jemand für eine kleine Anstrengung einen großen Vorteil erhält. Dies bildet aber nicht die Regel. Meist muss der, welcher einen großen Plan ausführen will, außerordentliche Opfer bringen, und das Erringen eines vorzüglichen Gutes fordert ungewöhnliche Anstrengungen. Für das Höchste muss das Hohe geopfert, für Alles muss Alles frisch gewagt werden; denn

„Große Fische kann man nicht mit kleinen Netzen fangen.“

                  ***************************

3. Ein ordentlicher Schreiber kann sich auch seine Federn schneiden, ein guter Reiter sein Pferd satteln. Es ist schlimm, wenn Beide das Angegebene nicht können. Sie werden oft dadurch aufgehalten werden. Wer ein Ziel erreichen will, muss es so viel als möglich durch die eigne Kraft, wenn sie ausreicht. Sie ist stets die zuverlässigste. Wem die Leitung eines Schiffes anvertraut ist, der weiß ihm auch den nötigen Wind zu geben. Daher das Sprichwort:

„Wer segeln will, muss auch Wind machen.“

4. Niemand kann Alles, was etwa zu tun ist, selber tun. Jeder kann sich, wo die eigenen nicht auslangen, zur Erreichung seiner Zwecke fremder Kräfte bedienen. Hier kommt nun alles auf die zweckmäßige Verteilung derselben an. Eine gewisse Kraft, die hier segenreich wirken würde, wirkt, dorthin gestellt, hindernd. Die Katze ist gut, wenn man sie anstellt, die Mäuse zu fangen, oder zu verjagen, aber die Aufsicht über die Würste muss man ihr nicht geben, sowie

„Der, welcher sich nach Brühe sehnt, nicht den Hund nach Fleisch schicken muss.“

                  ***************************

5. „Was hilft dem Schäfer das Schreien, wenn der Wolf mit dem Schafe fort ist!“

Wenn das Mittel seinen Zweck erreichen soll, so muss es nicht bloß zweckmäßig sein, sondern auch zur rechten Zeit angewandt werden. Darum kommt soviel auf den Augenblick des Handelns an. Eine Minute später und — Alles ist verloren. Schreit der Schäfer zur günstigen Minute, so schreckt er vielleicht den Wolf ab und rettet sein Schaf; versäumt er diese Zeit, so bleibt dasselbe Mittel auf dieselbe Weise angewandt — erfolglos.

                  ***************************

6. Die verschiedenen Berufsarten machen eben so verschiedene Ansprüche an die Menschen. Diese haben die Verpflichtung, denselben in möglich hohem Grade nachzukommen. Jeder Mensch muss sich daher eine genaue Kenntnis von dem Umfange dessen, was sein Beruf von ihm fordert, verschaffen. Hat er dies getan, erst dann wird es möglich sein, sich selbst in den Stand zu setzen, jene Pflicht auf eine würdige Weise zu erfüllen. Wer weiß, dass er einem harten Kampf entgegen geht, der wird nicht verfehlen, sich für denselben angemessen zu rüsten. Mit einem Eisenwillen ging Luther nach Worms; Gaze-Grundsätze konnten ihm nichts nützen. Dies will das Sprichwort sagen:

„Wer in den Krieg zieht, dem nützt ein Harnisch von Gaze nichts.“

                  ***************************

7. Oft beruht Alles, was wir zum Gelingen eines Unternehmens tun können, darauf, dass wir mit Welt- und Menschenkenntnis gerade die Person aufzufinden wissen, welche allein im Stande ist, das Werk ins Leben zu rufen. Dies ist nicht so leicht, als es scheint. Wird sie aber gefunden, so übertrifft die schönere Ausführung nicht selten den schönen Entwurf; denn

„Wer das Eisen vor die rechte Schmiede bringt, dem wird’s zu Stahl.“

                  ***************************

8. Die Verpflichtung der Menschen, ihre Nebenmenschen so viel als in ihrer Kraft steht, auf dem Wege der sittlichen Vervollkommnung zu fordern, ist allgemein. Gewisse Menschen haben aber auch noch eine besondere, die ihnen durch ein bestimmtes Verhältnis gegeben ist; z. B. Herrschaften gegen Dienstboten, Eltern gegen Kinder, Lehrer gegen Schüler etc. Sie sollen ihren Untergebenen das ihnen anhaftende Böse abzugewöhnen suchen. Doch muss es so viel als möglich auf eine milde Art geschehen. Zwar gibt es rohe Naturen, auf die das freundliche Wort nicht wirkt uns die Strenge notwendig machen, aber die Strenge muss doch eine menschliche bleiben.

„Denn auch ein hartes Auge blutet, wenn man es mit einem Nagelbrett putzt.“

Auch auf eine andere Weise lässt sich dies Sprichwort noch anwenden. Es gibt Menschen, die so leicht nichts übel, nehmen; aber man muss den Scherz nicht so weit treiben, dass er beleidigend wird.

                  ***************************

9. Die Erreichung eines Zweckes erfordert vorzüglich Klugheit, Weisheit, Gelehrsamkeit, sie macht Ansprüche auf geistige Kräfte; die Erreichung eines andern schließt zwar diese nicht aus, kann aber doch nur durch physische Kräfte gefördert werden. Die Gelehrten zweier Reiche z. B. können lange einen Gegenstand friedlich behandeln, endlich muss doch oft die äußere Gewalt den Ausschlag geben. Schon lange haben die edelsten Stämme der gebildetsten Völker das Unmenschliche des Sklavenhandels eingesehen, edle Regierungen haben es durch weise Gesetze verboten; aber diese würden ohne Erfolg bleiben, wenn nicht physische Kräfte den Gesetzen Achtung verschafften. (Protestantismus — Dreißigjähriger Krieg.)

„Was die Gans nicht kann, das tut der Adler.“

Man hat nämlich in diesem Sprichwort die Gans als das Ganze für Schreibfeder als den Teil, und den Adler als Gegenstand für die ihm innewohnende Kraft — (Stärke) gesetzt. So lange aber die Feder zureicht, muss man nicht zu dem Schwert greifen.

                  ***************************

10. „Ein Tropfen Honig macht das Meer nicht süß.“

So wenig macht eine gute Handlung den Menschen zum Tugendhaften, ein froher Tag das Leben zu einem glücklichen, ein guter Schüler die Klasse zu einer guten, ein menschliches Gesetz die Gesetzgebung zu einer milden, einige edle Menschen eines Volks das ganze Volk zu einem edlen und gehobenen.

                  ***************************

11. Wie gering auch ein Geschäft zu sein scheint, es erfordert seine Kräfte. Und kein Ziel kann ohne alle Kraftanstrengung erreicht werden. Der Schütze, welcher will, dass seine Kugel das Ziel erreiche, weiß dies durch die gehörige Ladung von Pulver zu bewirken. Wenn er zu wenig Pulver nähme, so würde die Kugel zwar fliegen, aber fallen vorm Ziel. So muss auch der Mensch, der eine gewisse Bestimmung erreichen will, mit der erforderlichen Kraft darnach anstreben. Dies will unter andern das Sprichwort sagen

„Ohne Pulver fliegt keine Kugel in den Spiegel.“

                  ***************************

12. Knaben schießen oft, ohne ein bestimmtes Ziel für ihren Pfeil zu haben. Sie schießen ins Blaue, bloß um zu schießen. Vergnügen ist ihr Zweck. Nicht so der Jäger, Krieger. Mit ihren Pfeilen oder ihrem Blei wollen sie erlegen, der eine Wild, der Andere Feinde. Sie würden dies nicht können, was doch die Pflicht von ihnen fordert, wenn sie ihr Geschoss zu eitlem Vergnügen verwandt hätten. So muss der Mensch, der seine Aufgabe kennt, sich nicht leichtsinnig der Mittel berauben, sie zu lösen. Die Kraft, welche man zur Erfüllung seiner Pflicht bedarf, muss man nicht leeren Zerstreuungen und sinnlichen Vergnügungen opfern. Dies mag der Sinn des Sprichworts sein:

„Ein Mann verschießt seine Pfeile nicht umsonst.“

Wander, Karl Friedrich Wilhelm (1803-1879) deutscher Pädagoge und Germanist. Er legte die größte existierende Sammlung deutschsprachiger Sprichwörter an

Wander, Karl Friedrich Wilhelm (1803-1879) deutscher Pädagoge und Germanist. Er legte die größte existierende Sammlung deutschsprachiger Sprichwörter an