Zur Plattdeutschen Sprache und deren neue Literaturbewegung

Autor: Eschenhagen, H. (?), Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Plattdeutsch, Mundart, Volkssprache, Dichtung, Reuter, Brinckmann, Kobbe
Binnen kurzer Frist wird ein von mir zusammengestelltes „Album plattdeutscher Gedichte“ erscheinen, welches bezweckt, den Freunden der plattdeutschen Sprache und ihrer poetischen Literatur in sorgfältiger, kritischer Auswahl des nach Form und Inhalt Vollendetsten ein Bild ihrer Entwickelung vorzuführen. Es ist deshalb der vorliegende Abriss, in dem ich auf genannte Mustersammlung Bezug nehme, als eine Einleitung, ein Teil dieser letzteren zu betrachten.
Berlin, Weihnachten 1859.

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Jedem Verdienste seine Krone! Aus dem Gesichtspunkte der Erinnerung an unsre Voreltern, an ihre Manneskraft und Stärke, an ihre nationale Größe, an ihre Redlichkeit und Treue und an ihre übrigen herrlichen Tugenden ist es ein Gefühl der Hochachtung gegen sie, wenn wir der Sprache, die sie uns als unumstößliches Denkmal hinterlassen haben, die verdiente Aufmerksamkeit widmen; wenn wir sie als unsere ursprünglichste Gottesgabe betrachten, als den Grund, aus dem sich die Schriftsprache eigentlich nur als eine gezähmte, veredelte Volkssprache abhebt — als eine Sprache, die zwar im Munde des gemeinen Volks roh klingen mag, in der aber alle höchsten und tiefsten Empfindungen wie Töne in einem ungespielten Instrumente schlummern, bis die Nation sie hervorzulocken versteht. Auf diese Weise haben alle größten, alle gebildetsten und populärsten Männer der Nation die Sprache ihrer Heimat hochgehalten und meist ihre Größe, ihre Bildung und ihre Volkstümlichkeit gerade dadurch erlangt, dass sie diese innige Empfindung des Heimatlichen bis an ihr Ende bewahrten.

Leider begegnen wir nur zu oft selbst in gebildeteren Ständen einer Geringschätzung, einer Verachtung, welche in dem Namen „Platt“ einen Tadel, in der plattdeutschen Sprache bloß einen Nebendialekt des Hochdeutschen erblickt. Ein solches unbegründetes Vorurteil kann nur auf Unkunde des historischen Zusammenhanges beruhen.

Die nieder- oder plattdeutsche Sprache ist keineswegs eine Mundart, ein Dialekt der allgemeinen hochdeutschen Sprache, sie ist vielmehr eine selbständige, für sich allein bestehende Sprache, welche derselben Geschmeidigkeit, derselben Biegung, derselben Ausdrucksweise fähig ist, wie jede andere. Ja, es lässt sich sogar nachweisen, dass ihr Wortreichtum ein größerer ist, als man ihn bei der hochdeutschen findet. Nur dem mit ihr nicht Bekannten mag sie als eine raue, unkultivierte erscheinen; ihre Laute sind durchaus nicht rau, ihr Akzent auf keine Weise ein barscher, wohl aber ein derber, kräftiger, gleichwie der Volksstamm, der sie spricht, ein kräftiger, derber, männlicher ist.

Wenn auch der eigentliche Ursprung der niederdeutschen Sprache sowohl wie der oberdeutschen unerforschlich ist, so beweist doch schon außer einigen alten Urkunden, Rechts- und Geschichtsbüchern das Hildebrandslied aus dem 8ten Jahrhundert, das in vorwiegend niederdeutschen Formen geschrieben ist und später eine zur Zeit Ludwigs des Frommen in niedersächsischer Sprache veranstaltete poetische Übersetzung der Bibel, dass die niederdeutsche Sprache gleichen Anspruch auf Alter, wie die oberdeutsche, hat. Im Allgemeinen finden wir, dass beide deutsche Mundarten lange Zeit in einander verschmolzen gewesen sind, dass es schwer fällt, sie von einander zu unterscheiden. Es scheint dies erklärbar aus der Heimat der Dichter, ihrem Aufenthalt an den Fürstenhöfen des nördlichen Deutschlands, aus dem mächtigen Einflüsse der Sachsen und ihrer Herrscher besonders unter Lothar, aus der Verwandtschaft der sächsischen und süddeutschen Fürsten unter Konrad III. und Friedrich I., aus der Reformation der Klöster, wodurch norddeutsche Mönche in den Süden verpflanzt wurden, und dem Anteil, den diese Mönche an der Erziehung der Fürsten, zu deren Umgebung die Dichter gehörten, und solcher Laien nahmen, die sich mit dem Dichten beschäftigten. Die Sache ist sehr schwierig und wird vielleicht nie zu entscheiden sein. Wahrscheinlich gab es eine Art von Hofsprache, eine Mischung von Nieder- und Hochdeutsch, und dieser Hofsprache bedienten sich jene Dichter, die in Beziehung mit dem Hofleben standen. Daher die meisten jener größeren weltlichen Dichtungen: Kaiserchronik, Alexandreis, Aeneide, Tristan, Kaiser Karl, König Rother, Graf Rudolph, Herzog Ernst — wirklich in diesem Gemisch geschrieben sind, während die übrigen dem Hofe fernstehenden Dichter, meist Klostergeistliche, ihr reines Hochdeutsch beibehielten. Die Büchersprache erhob sich bald etwas über die gemeine, und erscheint uns gebildeter, weil man sich zum Schreiben mehr Zeit nimmt, und auf den schriftlichen Ausdruck eines Gedankens mehr Sorgfalt verwendet, als zum Sprechen. Doch ist die Vermischung der beiden Mundarten auch in den ältesten Schriften, worin die fränkische und allemannische herrscht, unverkennbar. Sie würde noch sichtbarer sein, und der Zeitpunkt, wo das Niederdeutsche sich von dem großen deutschen Sprachkörper losgerissen hat, würde sicherer können bestimmt werden, wenn nicht die meisten Abschreiber, entweder mit Bedacht oder aus Flüchtigkeit, ihre Abschriften nach ihren eigenen Mundarten eingerichtet, und viele Ausdrücke verändert hätten. Dies zeigt sich bei der Vergleichung verschiedener Handschriften eines Gedichtes. Übrigens wurde dieser Unterschied beider Mundarten auch nur allmählich größer, nachdem sich jede stufenweise bildete.

Die weite Ausbreitung der niederdeutschen Sprache, welche erst seit ihrer Absonderung von der hochdeutschen den Namen der niedersächsischen erhalten hat, ist nicht allein aus der Menge und Größe der Länder, in welchen sie gebräuchlich gewesen ist, sondern auch aus den abgeleiteten Sprachen, der angelsächsischen, der ältesten Tochter der weicheren deutschen Mundart, der normannischen oder alten dänischen, der heutigen niedersächsischen, welche nach Wiarda eine Tochter der friesischen sein soll, der holländischen, der isländischen, der norwegischen, und der schwedischen Sprache, zu ersehen. Die größere Herrschaft der niedersächsischen Sprache bis zum 16ten Jahrhundert kann man wohl nicht ableugnen, wenn man auf die gemeine Volkssprache sieht, allein in der Schriftsprache ist ihre Herrschaft viel früher eingeschränkt worden. Je mehr sich die hochdeutsche Sprache durch Luthers Bibelübersetzung und seine Postille ausbreitete, desto mehr nahm die plattdeutsche in Schriften ab; doch behauptete sie sich noch im siebzehnten Jahrhundert in Pommern, Mecklenburg, Wesfalen, Holstein etc., bis sie ganz und gar aus den öffentlichen Vorträgen in Predigten, Gerichtshöfen und überhaupt aus der Büchersprache fast gänzlich verdrängt, und nur noch in belustigenden Schriften gebraucht wurde. Hin und wieder wurde die niedersächsische Sprache noch im achtzehnten Jahrhundert in Predigten auf dem Lande in Anwendung gebracht. Von solchen plattdeutschen Kanzelrednern will ich hier unter andern nur des Jobst Sackmann, Pastors zu Limmer bei Hannover († 1718) Erwähnung tun, der sich, um seinen Pfarrkindern verständlicher zu sein, in seinen Predigten meist der plattdeutschen Sprache bediente, doch nicht ohne Einmischung hochdeutscher Phrasen an ernsteren Stellen, wodurch seine Predigten ein wunderlich mosaikartiges Gepräge erhalten.

In der gemeinen Volkssprache behauptet die niederdeutsche Mundart noch bis jetzt eine Herrschaft in dem nördlichen Teile Deutschlands, wo sie vorzugsweise die Küstengegenden treu bewahrt haben. Dort wird das Platte noch allgemein gesprochen und hat deshalb neben seiner Ursprünglichkeit eine Frische und Beweglichkeit behalten, welche es sogar fähig macht, höhere als tägliche Geschäftsbegriffe angemessen auszudrücken; nur mit dem eigentlich Wissenschaftlichen und Philosophischen will es nicht fort, und in solchen Fällen pflegt sich auch der Plattredende an die Hilfe der Schriftsprache zu wenden. Ihr jetziges Gebiet erstreckt sich von 51 bis 55 Grad nördlicher Breite und von 25 bis 34 Grad östlicher Länge von Ferro. Der Flächeninhalt beträgt etwa 3.100 Quadrat-Meilen und die Bewohner desselben belaufen sich auf ca. 16 Millionen. Seine Grenzen sind im Norden das Königreich Dänemark und die Ostsee, im Osten die preußische Provinz Preußen, im Südosten die preußische Provinz Schlesien, im Süden Sachsen und Thüringen, im Südwesten das Großherzogtum Hessen und der Rheinstrom, im Westen Holland und im Nordwesten die Nordsee. Verfolgen wir die plattdeutsche Zunge nach der Länder-Einteilung, so gehört das ganze Königreich Hannover und das Herzogtum Braunschweig zu ihrem Gebiete; dann das Großherzogtum Oldenburg, die freien Reichsstädte Hamburg, Bremen und Lübeck, das Großherzogtum Mecklenburg, Holstein, Lauenburg und das südliche Schleswig, die pommersche Ostseeküste und Mecklenburg-Strelitz, die preußische Altmark, ein Teil der Provinz Brandenburg und der preußische Harz, das Kurfürstentum Hessen südlich bis Marburg, die Fürstentümer Bückeburg, Waldeck, Lippe-Detmold, die preußische Provinz Wesfalen und der Rheinstrom. Das Platt dieser Länder ist die für sich bestehende Sprache, während das Platt in den übrigen deutschen Ländern nur ein sogenanntes, ein Patois des Hochdeutschen ist. Hin und wieder nähert sich die niederdeutsche Mundart der hochdeutschen mehr oder weniger, wie sie sich schon von Alters her mit derselben vermischt hat; noch mehr aber nimmt die hochdeutsche von ihrem Überfluss an Wörtern auf, wie sie ebenfalls schon in den ältesten Zeiten getan hat. Die niederdeutsche Sprache ist unstreitig der Veränderung, dem Schicksal aller Sprachen, unterworfen gewesen. Wer kann all die Umstände ergründen, welche dazu mitgewirkt haben! Alles was zu ihrer Entstehung und Bildung etwas beitrug, kann hier beinahe in Rechnung gebracht werden. Vornehmlich gehören die Verbindungen mit anderen Völkern und die Vermischungen der Mundarten hierher. Sie hat sich zwar vergleichsweise reiner erhalten, als ihre nächste Verwandtin, die holländische, welche viele lateinische und französische Wörter aufgenommen hat, auch reiner als die hochdeutsche; aber sie ist dennoch von Einmischungen fremder Wörter nicht frei geblieben. Manche Wörter, womit fremde Dinge bezeichnet werden, entlehnte sie billig, und man kann ihr darüber so wenig, wie der hochdeutschen Sprache, einen gegründeten Vorwurf machen. Das Wort Win (Wein) hat sie z. B. offenbar aus dem lateinischen vinum entlehnt, und sie ist ehrlicher gewesen, als die hochdeutsche, welche ihr Fremdländisches mehr verheimlicht hat. Was den Bau einzelner Wörter betrifft, so sind darin wenige Veränderungen vorgegangen; mehr aber in der Verbindung und Zusammenfügung mehrerer Ausdrücke. Eine der erheblichsten Veränderungen ist, dass man Endsilben jetzt gewöhnlich mit einem Mitlauter schließt, wo man sonst fast immer einen Endlauter zu gebrauchen pflegte. Sowohl die niederdeutsche, als die holländische Sprache haben sich nach und nach durch selbstgebildete Wörter ansehnlich vermehrt. Die Erfindungen der Buchdruckerei, der Magnetnadel, des Schießpulvers und Geschützes gaben beiden vielfältige Veranlassungen dazu, und beide sind einander in der Benennung solcher neu erfundenen Dinge mehrenteils gleich geblieben.

In Betreff des leichten Ganges, und der Verbindung der Ausdrücke hat die niederdeutsche Sprache den Vorzug vor der holländischen und zum Teil auch vor der hochdeutschen. Die Vermischung beider Mundarten besonders am Niederrhein hat die üble Folge gehabt, dass die Geschlechtswörter undeutlich geworden sind, weil der Artikel de im männlichen und weiblichen Geschlecht gleichlautend ist, wiewohl einige Mundarten sagen de, dei, dat. Ferner sind die Fürwörter schwer zu unterscheiden, insofern nämlich der Dativ und Akkusativ di und mi einerlei ist; ebenso bedeutet der Akkusativ en (ihn) der Einzahl auch den Dativ (ihnen) der Mehrzahl.

.......Es folgt nun eine Anzahl anderer trefflicher Dichtergeister, die teils gleichzeitig, teils später sich erhoben und gezeigt haben, dass es ein Verstoß gegen die plattdeutsche Sprache war, wenn man sie zum größten Teile nur in komischer Weise anwendete, indem sie die tiefsten und vollsten Gedanken durch ihre Worte ausdrückten.

In vorderster Linie glänzen Fritz Reuter, John Brinckmann, L. Giesebrecht (Mecklenburg); Johann Meyer und Sophie Dethlefs (Ditmarsen); eine Dichterin unbekannten Namens A. W. und Berling (Vorpommern); F. Dörr, Karsten Runge, Th. Eggers, Th. Storm, M. Asmuss (Holstein) u. a. m. ........

Kobbe, Theodor von (1789-1845) deutscher, Menschenrechtler, Jurist und Dichter

Kobbe, Theodor von (1789-1845) deutscher, Menschenrechtler, Jurist und Dichter