Verschiedene Mundarten

Wie in der oberdeutschen Sprache verschiedene Mundarten existieren, so finden sich deren auch in der niederdeutschen. Im Allgemeinen hat letztere zwei Dialekte, den nördlichen und den südlichen, oder den der Küsten und den des Binnenlandes, und bildet die Beschaffenheit des Bodens den Hauptunterschied; an die Natur des Landes schließen sich die nächsten Bedürfnisse und Beschäftigungen der Menschen, und diese gaben dem Ton der Sprache sein besonderes Gepräge. Berg und Ebene sind die allgemeinsten Gegensätze des Bodens, und auf diese ist der ursprüngliche Unterschied der Dialekte gebaut. Den Bergsprachen eigentümlich ist zuerst das Harte, Raue, Energische; Höhe und Tonfülle haben sie vor den Talsprachen voraus. In den Vokalen der Bergsprache herrscht eine größere Mannigfaltigkeit, die Zwischenstufen zwischen dem hohen a und dem tiefen u sind reicher, die Diphtonge zahlreicher, schwellender, klangvoller; vorwaltender sind die hohen Vokale ausgebildet, als a, ae, ai, e, i, wogegen die tiefen, ö, eu, ü zurücktreten, ja in den meisten Dialekten gar nicht gesprochen werden. In den Konsonanten der Bergsprache waltet Härte und Aspiration vor. Die Sprachen der Ebene dagegen haben in der Vokalisation mehr Ebenmaß und Einförmigkeit, die Zwischenstufen der Vokale, d. h. was zwischen dem entschiedenen, scharfgesprochenen a, i und u liegt, sind minder reichhaltig ausgebildet, eine eigene Neigung zu tiefen, schattigen Tönen gibt sich kund und das weithallende a der Bergsprachen verdünnt sich oft in das mildfließende e. Die Konsonanten der Talsprachen neigen zur Weichheit und Stumpfheit.

Die Hauptrichtung des Bergdialektes geht, wie gesagt, dahin, vorwaltend hohe, harte, gehauchte Töne auszubilden; die Sprache der Ebene zieht die tiefen, weichen, hauchlosen vor. Jenes entspricht dem angestrengten Bergsteigen und eignet sich zu weitem Ruf durch Fels und Klüfte und zu kühnem, wiederhallendem Gesange, dieses gibt den Eindruck der einförmigen Ebene wieder, und hat den Charakter traulicher, leidenschaftsloser Mitteilung.


Während man im weitern Sinne den südlichen Dialekt gewissermaßen als die Übergangssprache zum Hochdeutschen annehmen kann, so ist der nördliche oder der des Küstenlandes das reine Plattdeutsch, den man andrerseits auch die Schriftsprache nennen dürfte. Zu ihm gehört das nördliche Hannover südlich bis Lüneburg und Nienburg, das westliche Hannover oder Ostfriesland südlich bis Osnabrück, das Großherzogtum Oldenburg, Holstein, Lauenburg und das südliche Schleswig, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg - Strelitz, Hamburg, Bremen und Lübeck und die pommersche Ostseeküste. Die übrigen Länderteile gehören zu dem Dialekte des Binnenlandes.

Der nördliche Dialekt zerfällt nun wieder in mehrere Mundarten, die jedoch nur wenig von einander abweichen. Da aber diese kleinen Abweichungen nach den einzelnen Lokalitäten so weit aus einander gehen, dass man allerdings in Verlegenheit kommen und fragen kann, wonach denn ein Wort, eine Form, ein Dialekt zu bestimmen, und woran seine platte Natur zu erkennen sei, so möchte es hier noch zweckdienlich sein, als Kriterium dieses Allgemeinste aufzustellen: platt- oder niederdeutsch sind alle diejenigen Mundarten, welche erstens die gehauchten Konsonanten im Auslaut, am Ende abstumpfen, (also: wat, ik = was, ich), zweitens die stumpfen Konsonanten im Auslaut aspirieren (af, Lof, = ab, Lob), drittens die harten Zahnlaute im Anfange erweichen (Del, Deil = Teil), viertens die harten Laute häufig im Inlaut, in der Mitte erweichen (Breve, Höde, rüggen = Briefe, Hüte, rücken). Von den Vokalen ist das Kriterium nicht zu nehmen, weil diese mannigfaltiger sind.

Betrachten wir die Mundarten des nördlichen Dialektes etwas näher, so ist die holsteinische Mundart die breiteste und der beste, bei welcher das sch hervorhebend gebraucht wird. Südlich beginnt sie im Herzogtum Lauenburg, nimmt Lübeck in sich auf, ganz Holstein und das südliche Schleswig bis Flensburg. Eine Linie gezogen vom Flensburger Fjord nach der schleswigschen Westküste, die Städte Flensburg und Husum inbegriffen, und wir haben die Sprachgrenze gegen Norden. Alles Land, das einige Meilen nördlich und südlich von dieser Linie liegt, spricht die Übergangssprache, halb plattdeutsch und halb dänisch, bis sich endlich weiter nördlich das Plattdeutsch oder gemischte Dänisch in dem reinen Dänisch auflöst.

Eine andere Mundart ist die hamburgische, die nur in der Stadt Hamburg gesprochen wird und welche sich durch ihren schleppenden, halb singenden Accent auszeichnet. Doch dem aufmerksamen Beobachter wird es nicht entgehen können, dass sich selbst in dieser Stadt zwei Mundarten herausfinden lassen, und zwar die der Wasserseite und die der Landseite.

Die dritte Mundart ist die mecklenburgisch-vorpommersche, und zu ihr gehören alle Länderteile, welche vorzüglich die Wenden in Besitz hatten. Namentlich sind diese beide Mecklenburg, das hannoversche Wendland an der Elbe und die pommersche Ostseeküste. Diese Mundart unterscheidet sich von den übrigen durch ihre Verwandtschaft mit der wendischen Sprache, durch den beim Sprechen beinahe geschlossenen Mund und die dadurch hervorgebrachte halb lispelnde Betonung. Es gibt, zumal im hannoverschen Wendlande, noch Orte, wo man das alte, heutigen Tages in Böhmen gebräuchliche Wendisch redet. Einige Meilen von der pommerschen Ostseeküste landeinwärts geht das Platt in das Brandenburger Hoch über, und merkwürdigerweise bildet die Grenze des Herzogtums Mecklenburg - Strelitz auch ganz genau die plattdeutsche Sprachgrenze gegen die Mark Brandenburg.

Übrigens hört man in Mecklenburg viel, selbst von den Gebildeteren, Plattdeutsch sprechen, und es ist dort nicht ungewöhnlich, besonders in Frauengesellschaften, dass Hochdeutsch angefangen wird und, wenn die Herzen sich gegenseitig öffnen, man ins Plattdeutsche als die traulichere Sprache übergeht. Dadurch hat diese dort eine größere Gewandtheit erlangt, als sie in anderen Gegenden besitzen mag, wo sie nur den untern Volksklassen überlassen ist. — In Betreff des vorpommerschen Dialektes ist noch zu erwähnen, dass er sich wieder in zwei verschiedene Unter- und Spielarten teilt. Die eine ist nämlich rund, leicht, rollend, ohne alle Doppellaute und einfach in Wurzeln und grammatischer Ausstattung, die andere breit an Lauten, gedehnt, voll, schwer, nachdrücklich bis zu großer Trägheit und ziemlicher Härte, insbesondere erfüllt mit gewissen Diphthongen (au, ei, ai), oder nachklingenden Vokalen (a, ä, e etc.) und Liebhaberin trag absinkender Endlaute; sagt z. B. jene runde Mundart Foot (Fuß), Göder (Güter), so lauten diese Worte in der breiten Sprache: Faut, Gaudern oder Gaure. Auf einem großen Teile Rügens und auf einem Strich des Festlandes, der von Barth über Greifswald bis mindestens nach Usedom reicht, herrscht die breite, in einem andern Teile Rügens und östlich der Oder bis an die Madue und die nördliche Ihne die runde.

Eine vierte Mundart ist die bremische, gebräuchlich in der Stadt Bremen und deren Gebiet, sowie ganzen Umgegend, nördlich bis Bremerhaven, im Hannoverschen bis Osnabrück, in Ostfriesland und im Großherzogtum Oldenburg. Bezeichnend für diese Mundart ist die halbe Verschluckung der Wörter und die dadurch zu Wege gebrachte Schnelligkeit der Aussprache. Das hannoversche Ostfriesland bildet gegen Westen den Übergang zum Holländischen, indem hier die Sprache schon teilweise mit holländischen Worten gemischt ist.

Die fünfte Mundart des Plattdeutschen im Norden ist endlich die des nördlichen Hannovers, die Stadische zwischen Elbe und Weser, von der Mündung dieser beiden Ströme südlich bis in die Lüneburger Heide. Es ist das am treuesten erhaltene Platt der Vorzeit, und zeichnet sich am vorteilhaftesten aus durch seine Reinheit in Aussprache und Akzent. Minder wie der nördliche zerfällt der südliche Dialekt der plattdeutschen Sprache in besondere zumal bestimmt abgegrenzte und von einander zu unterscheidende Mundarten. Wir können allenfalls eine hannoversche Mundart, welche im südlichen Hannover, in der kurhessischen Grafschaft Schaumburg, in den Fürstentümern Bückeburg, Waldeck und Lippe-Detmold und im Herzogtum Braunschweig gesprochen wird, hervorheben; ferner eine westfälische Mundart, die bezeichnend durch die Verwandlung des sch in sk und schw. in ein ganz weiches sw, überhaupt durch die Meidung des ch ist. Eine dritte Mundart ist die Harzer, zu charakterisieren durch die Verwandlung des g und ch in ein weiches k, gesprochen von den Bewohnern des Harzes und im Göttingischen, sowie eine vierte schließlich, die Rheinische, deren sich die Anwohner des Unterrheins bis zur holländischen Grenze, wo die Sprache ins Flämische übergeht, bedienen; diese letzte Mundart ist die härteste, und weil die Worte sämtlich nur halb, ja man möchte beinahe sagen unartikuliert, ausgesprochen werden, die am schwersten zu verstehende.

Wenngleich es nun wohl unmöglich ist, das Plattdeutsche zu dem fähig zu machen, was das Hochdeutsche nach allen Richtungen und Seiten hin leistet, insofern es ja bei aller Bildungsfähigkeit doch nicht mit den Entwickelungen des geistigen Lebens in Deutschland gleichen Schritt gehalten hat, und um zu derselben Ausbildung zu gelangen, erst die Vergangenheit von drei Jahrhunderten nach- und durchleben müsste: so dürfte es doch wünschenswert sein, dass durch Verschmelzung und gegenseitige Ergänzung der Dialekte eine allgemeine plattdeutsche Schriftsprache zu Wege gebracht würde, die nicht die hochdeutsche Schwester verdränge, und über diese gestellt würde, aber für diejenigen Stoffe, für welche sie mehr als das Hochdeutsche geeignet, und auf welche sie also ein Recht hat', ein vollkommeneres Gewand abgäbe, was keiner der Dialekte allein vermag. So könnte beispielsweise der Ostfriese, der eine unschöne Diminutivwendung „ken“ und der Holsteiner, der gar keine hat, die schöne und herzige Endung des Mecklenburgers „ing“ aufnehmen. (Vadding, Mudding u. s. w.) Gebe jeder von seinem Reichtum das Beste her, und wir könnten eine ebenso herrliche plattdeutsche Sprache uns erringen, wie Luther und seine Zeit die neuhochdeutsche aus den Schätzen der oberdeutschen Dialekte geschaffen.