Reuter, Fritz [1810-1874] Stavenhagen

Einer der in Mecklenburg und Pommern bekanntesten und beliebtesten Dichter ist der liebenswürdige Fritz Reuter, gegenwärtig zu Neubrandenburg als Schulmann lebend. Was ihn besonders charakterisiert, das ist die Harmlosigkeit seines Scherzes, der nirgends über die Grenze des gemütlichen Scherzes hinausgeht. Seine „Läuschen un Rymels“ in vier Auflagen vervielfältigt, sind das Lieblingsbuch der Plattdeutschen geworden, ganz eigentlich geschaffen für eine aufgelegte Gesellschaft. Die Darstellung ist äußerst gelungen, wenn auch seine Dichtungen nicht tief gehen. Der erste Band dieser launigen Gedichte ist jedenfalls reicher an drastischer Wirkung, an Zügen, die aus dem Leben gegriffen, wieder ins Leben greifen, als der zweite. In eben so ergötzlicher Weise offenbart sich sein Humor in dem Lustspiel „Onkel Jacob und Onkel Jochen“, welches jedoch nur zum Teil der plattdeutschen Literatur angehört, da die Sprache dieses heiteren Spiels ein Gemengsel von Hochdeutsch, Plattdeutsch und Berlinischem Jargon ist. Onkel Jacob, ein pommerscher Bauer, hat sich in der Nähe von Berlin niedergelassen und ist mit der Zeit ein Hochdeutscher geworden, während der bei ihm lebende Bruder Jochen die plattdeutsche Sprache noch nicht verleugnen kann und deshalb in der sogenannten Messingsprache spricht, d. h. in einem eigentümlichen Hochdeutsch, welches der spricht, der eigentlich platt redet und hochdeutsch reden will. Marianne, Jacobs Haushälterin, spricht berlinisch und Samuel, Jochens alter Bedienter, kann sich trotz aller Bemühungen von seiner plattdeutschen Muttersprache nicht frei machen und gerät, sobald er etwas lebendig wird, immer wieder in sie hinein. Das ganze Stück ist in seinen einzelnen Szenen gelungen durchgeführt und höchst ergötzlich. Auch kam es auf einem der ersten Berliner Theater zur Aufführung.

Eine weniger glückliche Leistung Reuters zeigt sich in dem Idyll „Kein Hüsung“, welches in der ersten Hälfte sehr viel verspricht, leider aber in der letzten wenig hält. Dasselbe schildert nämlich die abhängige Lage der Landleute in Mecklenburg, das unnatürliche Verhältnis zwischen Herr und Knecht, das fast der Leibeigenschaft nahe kommt. Es huldigt in seinem Kern einer sozialistischen Tendenz, indem es dem Junkertum gegenüber Partei nimmt für die Verbesserung der drückenden Lage des Volkes. Die Schilderung des Bedrängnisses eines Liebespaars, das sich nicht heiraten kann, weil es vom Gutsherrn die Erlaubnis zur Niederlassung nicht erhält, und sich doch heiraten muss, wenn das Mädchen nicht mit Schande bedeckt dastehen soll, ist vortrefflich. Aber das einfache Bild durfte trotz des dunkeln sozialen Hintergrundes, gegen den es sich rührend und herzergreifend abhebt, nicht mit Mord und Wahnsinn enden; eine versöhnende Lösung war durch die Natur des Gegenstandes geboten. Der Dichter ist auf das Gebiet der Tragödie hinübergeschritten und hat noch obenein zu den äußersten Mitteln derselben gegriffen, zu denen, die selbst Shakespeare sich für den Lear und Hamlet aufgespart hatte. Dadurch hat er aber auch alle Harmonie zerstört, und dem Leser ist zu Mute, als ob er auf einem harmlosen Spatziergange plötzlich unter Löwen und Tiger geriete, die durch Schuld des betrunkenen Wärters aus einer Menagerie entkommen sind. Ein Gewitter muss keine Lämmer erschlagen; der Wolf ist ihr Schicksal. Dennoch ist das Gedicht eine höchst beachtenswerte Talentprobe; auch steht ihm sein plattdeutsches Gewand recht gut und von Seiten der Erfindung geht es weit über Claus Groth hinaus. Die Charakterschilderung ist plastisch anschaulich, warm, lebendig und, was die Hauptsache ist, wahr.


Dass der Dichter auch den Balladenton mit Erfolg anzustimmen vermag, beweist uns das Album in seinem Gedicht: „De Wesenbarger Klock“.

Aber auch auf dem Gebiete der prosaischen Erzählung wusste sich F. Reuter mit viel Gewandtheit und Sicherheit zu bewegen. Das beweisen uns treffend seine „Reis' na Belligen“ und seine kürzlich veröffentlichten „Olle Kamellen“. Letzteres sind zwei Novellen: „Woans ik tau 'ne Fru kam“ und „Ut de Franzosentied“. In der ersteren trägt uns der Verfasser mehrere im Volksmunde lebende Anekdoten und Gelegenheitsschwänke mit einer annehmlichen Schalkhaftigkeit vor, in der zweiten dagegen entwickelt er durch eine bunte Reihe geschickt gruppierter, spannender Szenen ein bewundernswertes Kompositionstalent, verbunden mit ästhetischer Bildung, Klarheit und Sicherheit seines Gedankenganges. Reuter ist überall ein liebenswürdig anspruchsloser, herzlich ansprechender Schriftsteller.