Besaßen und gewannen die deutschen Einwanderer ein freies Bauernrecht?

Unter den Wenden herrschte Leibeigenschaft; v. Balthasar de homnibus propriis S. 7, v. Lützow Meckl. Gesch. Bd 1, S. 322. Servi, homines proprii juris werden im Anfange des 13. Jahrhunderts erwähnt, denn nach den Privilegien der neu gegründeten Städte wurden jene durch Hinzug in letztere frei; so z. B. bei Güstrow, Malchow, Malchin, Röbel (Url. Nr. 359, 433, 449, 911). Da nun die Wenden, wie wir so eben nachgewiesen haben, auch nach ihrer Überwindung zahlreich auf dem platten Lande verblieben, mussten die einwandernden Deutschen schon sehr gesicherte Rechte mitbringen und gewinnen, um nicht Gefahr zu laufen, allmählich den ersteren gleichgestellt zu werden.

Alle Geschichtsbücher über Deutschland lehren nun aber, dass zur Zeit der hiesigen Kolonisation im 12. und 13. Jahrhundert die Leibeigenschaft auch des deutschen Landvolks allgemein üblich war, und nur in einzelnen beschränkten Gebieten Einzelne freie persönliche und feste Besitzesrechte besaßen. Sollten nun diese ihre Freihöfe verlassen haben, um im fernen Wendenlande einer Ungewissen Zukunft entgegenzugehen? Das Gegenteil bedarf wohl keines Beweises. Wir glauben, hier am Besten die Worte des Prof. Fabricius zu Breslau in Lisch, Bd. 6, S. 15, wiedergeben zu müssen:


„Das ganze Volk bestand derzeit fast nur aus Lehnsadel, freien Stadtbürgern und hörigen Bauern. Letztere, die bei weitem zahlreichere Klasse, durften nicht willkürlich auswandern, konnten nur im Gefolge ihrer Herren ins Land kommen. Jedenfalls kann ihre Einwanderung nicht sehr bedeutend gewesen sein. Die deutschen Edlen und freien Stadtbürger dagegen werden hier wieder eine ihren früheren Verhältnissen analoge Stellung eingenommen haben, so dass sie auf die Germanisierung des platten Landes und namentlich des Bauernstandes von nur sehr geringem Einfluss sein konnten.“

Als Leibeigene, ohne freies Bauernrecht, kamen also die deutschen Colonen in unser Vaterland — und obendrein nicht eben massenweise, worin wir gleichzeitig ein neues Zeugnis für das ungestörte Fortbestehen des wendischen Stammes gewinnen. Deutsche Leibeigene gesellten sich zu den wendischen Leibeigenen — welche goldene Freiheit der Person und des Besitzes mochte daraus erblühen? Aber lesen wir die Urkunden damaliger Zeit:

Zunächst finden wir bei zahllosen Verkäufen und Verleihungen von Dörfern an Städte, Klöster und Ritter die Formel: „wir verkaufen das Eigentum des Dorfes — — mit allem Nutzen, mit bebaueten und wüsten Hufen (cum mansis cultis et, incultis), Wäldern, Wiesen, Weiden, mit allem Großen und Kleinen etc.“ Was blieb denn hiernach noch den Bauern dieses Dorfes? Letzterer geschieht gewöhnlich nur am Schlusse kurze Erwähnung als „unsere oder unserer Vasallen Leute“, (nostri homines, vasallorum homines), und zwar nur gelegentlich der „Dienste“ (servitia, exactiones), welche die weltlichen Herren sich bald nach wie vor reservieren (z. B. Nr. 1363, 1461, 1472, 1627, 1672), bald, besonders bei Bewidmungen von Klöstern, diesen übertragen (ut homines nemini quidquam servitii debeant, nisi soli Deo et monasterio, z. B. Dargun i. J. 1174 Nr. 114, Doberan 1218 Nr. 239, Amelungsborn 1233 Nr. 415 etc.). Die Bewohner heißen daneben in Hunderten von Urkunden auch incolae — in villis commorantes — inhabitantes — cultores — coloni — quibus locavimus terram ad incolendum — qui terras excolunt — (Nr. 150, 197, 230, 258, 278, 415, 454, 552, 945, 958, 1363, 1461, 1469, 1812, 1816, 2199, 2200, 2563, 2568 etc.) also bloß Anbauer - Pächter, woraus zur Genüge ihr Mangel jedes Besitzrechtes hervorgeht. — Unsere letzten Zweifel aber schwinden, wenn wir die zahlreichen Fälle betrachten, in denen schon damals ganze Bauerdörfer gelegt wurden. — Zunächst die Städte sorgten aus naheliegenden Gründen für Erweiterung ihrer Feldmark, und erwirkten bei Erwerbung von Dörfern die Erlaubnis, „die Häuser derselben abzubrechen, die Felder auseinander zureißen, und zum Nutzen der Stadt und ihrer Bürger anderweitig zu verteilen.“ So gewann Rostock 1275 Nemezow und Lipen (Nr. 1381), ferner Plau 1244 Slapzow (Nr. 560), 1292 Grapentin und Gedin (Nr. 2165, 2199), 1308 und 1348 Quetzin, 1323 Wozeten, so Güstrow 1293 Tebbezin (Nr. 2200). Es erwarben ferner um jene Zeit die Städte:

Parchim Bicher 1240, Wozlabin 1256,
Plau Gardin 1255, ferner noch Gaarz 1388, Kleve,
Boizenburg Vorwerk Boize 1255,
Grabow Lassahn 1293,
Wismar Vinekendorf und Dammhusen 1260, Dorsten 1277, Cessin und Dargetzow 1279, Kruckow 1300,
Bützow Wotzeten 1260,
Teterow Baudorf 1272,
Grevismühlen Vilebeke 1276,
Röbel Kussekow 1284 und Viezen,
Güstrow Glevin 1323,
Sülz Symen 1298,

welche alle bald in den städt’schen Feldmarken verschwinden, und deren Namen kaum noch teilweise in der Erinnerung leben. Wohl fast alle Städte haben auf diese Weise ihre anfänglich unbedeutenden Feldmarken vergrößert. Man kann hierbei nicht behaupten, dass die Urbewohner jener Dörfer von den eindringenden Deutschen verjagt seien, sondern grade die meisten dieser Ortschaften lagen in den wendisch gebliebenen Landesteilen. — Aber nicht allein die Städte, sondern auch die Klöster, welche schon damals den Nutzen großer Hofwirtschaften kannten, ließen sich bei Erwerbung von Dörfern das Recht der freiesten Verfügung darüber (plenam ac leberam potestatem, bona in usus monasterii libere convertendi u. s. w.) erteilen, so das Bützower Collegiatstift beim Kauf von Diedrichshagen 1280 (Nr. 1547). so Kloster Dargun beim Dorfe Sührkow 1297 (Nr. 2431: ut vel villa destructa agros apponant), wie denn dasselbe auch Clobezow 1278 und Moycelitz 1281 gelegt hat (Nr. 1460, 1578: destruxerunt villam, propriis aratris excolunt). Bei Ordnung der Parochie-Verhältnisse von Rabenhorst 1299 (Nr. 2568) wird die demnächstige Legung der Bauern wörtlich vorgesehen: quamdium coloni inhabitant, monachum praeficere possint — quum autem contigerit, terminos in grangiam redigi et nullo inhabitari colono, sed per familiam convertus agros illos coli u. s. w. Von einer Entschädigung der Bauern ist hier in einem einzigen Falle die Rede: als nämlich 1285 (Nr. 1816) das Ratzeburger Domkapitel die Römnitzer Bauern — denen es jedes Erbrecht abspricht, obgleich dieselben lange Zeit hindurch die Äcker bebauet — zum Abzug binnen 1 Jahr und 14 Wochen kündigte, erhielten sie ihre Gebäude und Gartenverwendungen nach billiger Taxe bar erstattet. — Wir sehen, der „Vernichtungskampf gegen die Bauern“ des Herrn Wiggers ist so alt, wie unsere Geschichte, und mit dem gerühmten freien Bauernrecht ist's schon zur Zeit unserer ersten Kolonisation ein bedenklich Ding. Wenn in anderen deutschen Ländern Fürsten und Ritter in fernen Kreuzzügen fochten, und dadurch die heimischen Bauern zur Selbständigkeit gediehen, so war dies in Mecklenburg nur höchst selten der Fall, und letztere verblieben in ihrer ursprünglichen Lage um so mehr, als ihnen jegliche eigne Vertretung unter den Landständen fehlte.

Prüfen wir jedoch jetzt die Urkunden aus jener Zeit bis zum Anfang des 14ten Jahrhunderts, welche Herr Wiggers seinerseits in seiner „Reform u. s. w.“ uns vorführt:

Nach S. 23 sollen die Ratzeburger Bauern ein erblich Recht gehabt haben und noch jetzt besitzen. Nun, das ist bekannt genug, doch liegt das Fürstentum Ratzeburg nicht in Mecklenburg-Schwerin, und seine Verhältnisse relevieren nicht für unsere Bauern.

Gleiches soll von Anfang an bei den Pöler Bauern der Fall gewesen sein; aber auch diese standen früher unter auswärtiger, nämlich unter Lübecker Hoheit. Das Präbenden-Verzeichnis dortigen Domkapitels v. 1263 (Nr. 980) nennt ein Erbrecht dortiger Bauern, „welches aber mit dem Tode einiger derselben an die Kirche durch Kauf zurückfallen soll.“ Letzterer war also auch nicht mit solchen Bauern gedient. Das Vikareienverzeichnis v. 1264 (Nr. 1003) nennt bereits mehrere Hufen „freies Erbe der Geistlichen.“ Nach Urkd. v. 5. Febr. 1311 (Nr. 3446 — zur Zeit für Bd. 5 des Urkundenbuchs in Druck) soll: „der Schulze Nikolaus v. Schünen zu Uppenfelde auf Poel kein Erbrecht haben, außer dass er und seine Erben ruhig auf dem Hofe wohnen und nicht verjagt werden sollen, so lange sie ihren Pflichten genügen — sollten sie es aber hieran fehlen lassen, so sollen sie vom Schulzendienst und Hofe gebracht, und beliebige Andere dafür eingesetzt werden.“ Also auch zu Poel war's früher nicht eben anders, als an anderen Orten.

Die Pfarrbauern zu Malchow (Reform S. 24, vgl. Urs. Nr. 1758) erwarben 1284 allerdings ihren Besitz zu Erbrecht, nicht aber diejenigen zu Zeddemin 1295 (S. 26), welche ein anderes Feld, nämlich das Wredelocker kauften (Nr. 2364), wie denn auch in zwei Fällen Hölzungen an Bauern erblich verliehen werden (Nr. 1110, 1150); ferner wurde 1287 den Bauern zu Weitendorf (S. 27) nicht ihr „Acker zu immerwährendem Besitz“ überlassen, sondern ihnen einfach „Sicherung vor Nachmessung“ verhießen: ita quod ipsa villa et agri non debent ulterius dimensurationis funiculo dimetri (Nr. 1897). Diese Vergünstigung gegen die mit der Hufennachmessung eventl. verbundene Steuererhöhung kommt noch einige Male vor (Nr. 1235, 1236, 1618, 1677) und ist überall kein Beweis für eigentliches Erbrecht. Wohl aber wird nach unserem Urkundenbuch (Nr. 2398) noch den Bauern zu Preberede vom Ritter Büren ihr Acker verkauft. In diesen wenigen Fällen freierer Stellung, außer welchen wir bei sorgfältigster Prüfung unserer Urkundenbücher keine mehr zu finden vermögen, heißen die Bauern cives — wodurch die geringe Bedeutung der schon S. 13 genannten bloßen Coloni in mehreren hundert Urkunden um so greller hervortritt.

Die endlich noch aus dieser Zeit von Herrn Wiggers S. 26 aufgeführten freien Bauern zu Wustrow und Gr. Strömkendorf vermögen wir in Urkunden nicht zu entdecken — aber selbst ihre Existenz vorausgesetzt, was beweisen sie gegenüber unseren Belägen? Nur ganz seltene Ausnahmen von allgemein geltender Regel. Getrost überlassen wir jedem unbefangenen Leser die Beurteilung, auf wessen Seite die von Herrn Wiggers (S. 31) uns zugedachten „wenigen dürftigen Beispiele“ sich befinden.